Die Übernahme im Ausland befindlicher ausgedienter Strahlenquellen durch einen inländischen Unternehmer unterliegt der deutschen Umsatzbesteuerung.

Klägerin in dem jetzt vom Bundesfinanzhof entschiedenen Rechtsstreit war ein deutsches Recyclingunternehmen, das radioaktive Stoffe von ihren Kunden (Universitäten, Kliniken und Laboratorien) im Ausland übernahm und im Inland verwertete. Zu den mit ihren Auftraggebern vereinbarten Leistungen gehörte im Wesentlichen die Einholung von Genehmigungen, das Bereitstellen eines Spezialcontainers, der Ausbau und die Umladung der Strahlenquellen in den Container, der Abtransport des Containers aus dem Bestrahlungsraum, die sog. Freimessung sowie Transportleistungen (Gefahrguttransport einschließlich Versicherungen) im Aus- und Inland. Das Finanzamt war – anders als die Klägerin – der Auffassung, der Leistungsort der Leistungen der Klägerin liege im Inland und die Leistungen unterlägen daher in Deutschland der Umsatzsteuer.
Der Bundesfinanzhof sah diese Leistungen der Klägerin als Einheit an, deren Hauptzweck in der Übernahme der ausgedienten Strahlenquellen liege. Da es sich hierbei nicht um Arbeiten an beweglichen körperlichen Gegenständen handelt und die Übernahme von Strahlenquellen auch nicht zu den Tätigkeiten gehört, die im Rahmen des Ingenieurberufs hauptsächlich und gewöhnlich erbracht werden, richtet sich die Ortsbestimmung nach dem Grundsatz des § 3a Abs. 1 UStG. Eine sonstige Leistung wird danach an dem Ort ausgeführt, von dem aus der Unternehmer sein Unternehmen betreibt. Im Streitfall betrieb die Klägerin ihr Unternehmen von einem Ort im Inland aus, so dass ihre Leistungen der inländischen Umsatzbesteuerung unterliegen.
- Die Übernahme von ausgedienten Strahlenquellen durch einen inländischen Unternehmer im Ausland kann im Verhältnis zu den in diesem Zusammenhang erbrachten weiteren Leistungen als Hauptleistung anzusehen sein, die gemäß § 3a Abs. 1 Satz 1 UStG im Inland ausgeführt wird.
- Bei dem Ausbau und der Übernahme von Strahlenquellen handelt es sich nicht um Arbeiten an beweglichen körperlichen Gegenständen im Sinne von § 3a Abs. 2 Nr. 3 Buchst. c UStG.
- Der Ausbau und die Übernahme von Strahlenquellen als maßgebliche Hauptleistung gehören nicht zu den Tätigkeiten, die im Rahmen des Ingenieurberufs hauptsächlich und gewöhnlich erbracht werden.
Nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 UStG unterliegen der Umsatzsteuer Lieferungen und sonstige Leistungen, die ein Unternehmer im Inland gegen Entgelt im Rahmen seines Unternehmens ausführt.
Die von der Klägerin gegenüber ihren Auftraggebern erbrachten Leistungen sind vom FG zu Recht als einheitliche Leistung beurteilt worden. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union, der sich der Bundesfinanzhof angeschlossen hat, ist jeder Umsatz in der Regel als eigene, selbständige Leistung zu betrachten; allerdings darf eine wirtschaftlich einheitliche Dienstleistung im Interesse eines funktionierenden Mehrwertsteuersystems nicht künstlich aufgespalten werden. Eine einheitliche Leistung liegt insbesondere dann vor, wenn ein oder mehrere Teile die Hauptleistung, ein oder mehrere andere Teile dagegen Nebenleistungen sind, die das steuerliche Schicksal der Hauptleistung teilen. Eine Leistung ist als Nebenleistung zu einer Hauptleistung anzusehen, wenn sie für den Leistungsempfänger keinen eigenen Zweck erfüllt, sondern das Mittel darstellt, um die Hauptleistung des Leistenden unter optimalen Bedingungen in Anspruch zu nehmen1.
Die nach dieser Rechtsprechung erforderliche Gesamtbetrachtung, ob aus Sicht des Durchschnittsverbrauchers eine einheitliche Leistung vorliegt2, ist im Wesentlichen das Ergebnis einer tatsächlichen Würdigung durch das FG, die den BFH grundsätzlich gemäß § 118 Abs. 2 FGO bindet3.
Ausgehend hiervon ist die Würdigung, dass die Übertragung der ausgedienten Strahlenquellen auf die Klägerin aus der maßgeblichen Sicht des Durchschnittsverbrauchers den Hauptzweck der klägerischen Leistungen darstellt und die in diesem Zusammenhang erbrachten weiteren Leistungen als Nebenleistungen anzusehen sind, revisionsrechtlich nicht zu beanstanden:
Das Finanzgericht ist in der Vorinstanz von den dargelegten Abgrenzungsgrundsätzen des Gerichtshofs der Europäischen Union und des Bundesfinanzhofs ausgegangen und dabei zu dem Ergebnis gelangt, es liege eine aus Haupt- und Nebenleistung zusammengesetzte einheitliche Leistung vor, weil der Ausbau der Strahlenquelle, die Anmietung eines Spezialcontainers, das Einholen der erforderlichen Genehmigungen, die Freimessung der Räumlichkeiten, der Transport und die übrigen Teilleistungen keinen eigenen Zweck erfüllen, sondern aus Sicht der Leistungsempfänger lediglich das Mittel darstellten, um die Hauptleistung unter optimalen Bedingungen in Anspruch nehmen zu können. Das Finanzgericht hat hierzu weiter ausgeführt, dass die jeweiligen Besitzer ausgedienter Strahlenquellen aufgrund Art. 6 Buchst. e) der Richtlinie 2003/122/EURATOM zur Kontrolle hochradioaktiver umschlossener Strahlenquellen nach Beendigung der Nutzung zur Weitergabe der Strahlenquellen an einen anderen zugelassenen Besitzer verpflichtet seien. In der Abgabe der Strahlenquellen und ggf. der mit diesen in Kontakt gekommenen Geräte an einen zugelassenen Besitzer erschöpfe sich der für die Qualifizierung der Leistung der Klägerin maßgebende Zweck. Ob und wo die Klägerin die ausgedienten Strahlenquellen und Geräte entsorge, ob sie diese weiter- oder wiederverwende, spiele für die Auftraggeber keine Rolle. Für diese sei nur entscheidend, dass sie mit der Weitergabe der Strahlenquellen ihren atomrechtlichen Verpflichtungen nachkomme.
Diese Würdigung des Finanzgerichts lässt Rechtsfehler nicht erkennen, sie verstößt insbesondere nicht gegen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze (vgl. § 118 Abs. 2 FGO4).
Auch wenn –entgegen der Würdigung des Finanzgerichts– keines der von der Klägerin erbrachten Leistungselemente dominierte und damit der einheitlichen Leistung als Hauptleistung das Gepräge gäbe, würde sich der Ort der sonstigen Leistung nach § 3a Abs. 1 UStG bestimmen. Denn in diesem Fall wäre von einer komplexen sonstigen Leistung im Sinne des EuGH-Urteils Kommission/ Frankreich5 auszugehen. Danach bestimmt sich der Ort der Leistung für verschiedene Dienstleistungen auf dem Gebiet der Abfallbehandlung –wie das Einsammeln, das Sortieren, die Beförderung, die Lagerung, die Bearbeitung, die Wiederverwertung und die eigentliche Beseitigung– gemäß Art. 9 Abs. 1 der Sechsten Umsatzsteuerrichtlinie 77/388/EWG6 nach dem Ort, an dem das Hauptunternehmen den Sitz seiner wirtschaftlichen Tätigkeit hat7.
Eine von § 3a Abs. 1 UStG abweichende Ortsbestimmung nach § 3a Abs. 2 Nr. 3 Buchst. c UStG oder § 3a Abs. 3 i.V.m. Abs. 4 Nr. 3 UStG hat das FG zu Recht abgelehnt. Nach § 3a Abs. 2 Nr. 3 Buchst. c Satz 1 UStG werden Arbeiten an beweglichen körperlichen Gegenständen und die Begutachtung dieser Gegenstände dort ausgeführt, wo der Unternehmer jeweils ausschließlich oder zum wesentlichen Teil tätig wird. Unionsrechtliche Grundlage dieser Vorschrift ist Art. 9 Abs. 2 Buchst. c vierter Gedankenstrich der Richtlinie 77/388/EWG. Danach befindet sich der Ort der Arbeiten an beweglichen körperlichen Gegenständen dort, wo diese Dienstleistungen tatsächlich bewirkt werden.
Die in § 3a Abs. 2 UStG verwendeten Begriffe „Arbeiten an beweglichen körperlichen Gegenständen“ sind unionsrechtlich auszulegen. Nach der EuGH-Entscheidung Linthorst8 wird mit „Arbeiten an beweglichen körperlichen Gegenständen“ im Allgemeinen ein Eingriff in bewegliche körperliche Gegenstände bezeichnet, der grundsätzlich nicht wissenschaftlicher oder intellektueller Natur ist. Dazu gehören insbesondere Reparatur- und Wartungsarbeiten an Maschinen und sonstigen beweglichen Sachen9.
Die Voraussetzungen des § 3a Abs. 2 UStG liegen nicht vor. Denn nach den Vereinbarungen der Klägerin mit den Leistungsempfängern gehören weder die Entsorgung noch die Vernichtung der ausgedienten Strahlenquellen zu den von ihr geschuldeten Leistungen. Mit körperlichen Einwirkungen auf bewegliche Sachen verbunden ist lediglich der Ausbau der jeweiligen Strahlenquelle. Insoweit handelt es sich jedoch um eine Nebenleistung, die auch hinsichtlich der Ortsbestimmung das Schicksal der Hauptleistung teilt. Diese besteht in der Übernahme von Strahlungsquellen und ist, wie das FG zu Recht entschieden hat, kein körperlicher Eingriff in den Gegenstand.
Die Leistungen der Klägerin fallen auch nicht unter § 3a Abs. 3 i.V.m. Abs. 4 Nr. 3 UStG. Danach werden u.a. die sonstigen Leistungen aus der Tätigkeit als Ingenieur, sofern deren Empfänger ein Unternehmer ist, dort ausgeführt, wo der Empfänger sein Unternehmen betreibt. Diese Norm dient der Umsetzung von Art. 9 Abs. 2 Buchst. e dritter Gedankenstrich der Richtlinie 77/388/EWG. Abweichend von der Grundregel des Leistungsortes für sonstige Leistungen in Abs. 1 gilt danach als Ort der Leistungen von Beratern, Ingenieuren, Studienbüros, Anwälten, Buchprüfern und sonstigen ähnlichen Leistungen der Ort, an dem der Empfänger den Sitz seiner wirtschaftlichen Tätigkeit oder eine feste Niederlassung hat, für welche die Dienstleistung erbracht worden ist, oder in Ermangelung eines solchen Sitzes oder einer solchen Niederlassung sein Wohnort oder sein üblicher Aufenthaltsort.
Art. 9 Abs. 2 Buchst. e dritter Gedankenstrich der Richtlinie 77/388/EWG bezieht sich nach der Rechtsprechung des EuGH nicht auf Berufe wie Anwalt, Berater, Buchprüfer oder Ingenieur, sondern auf Leistungen. Der Unionsgesetzgeber habe nicht alle freiberuflichen Tätigkeiten, sondern nur die hauptsächlich und gewöhnlich zu diesem Beruf gehörenden Leistungen erfassen wollen. Entscheidend sei deshalb, ob die betreffenden Leistungen zu den Leistungen gehören, die hauptsächlich und gewöhnlich im Rahmen der in Art. 9 Abs. 2 Buchst. e dritter Gedankenstrich der Richtlinie 77/388/EWG angeführten Berufe erbracht werden10. Diese Grundsätze sind auch bei der Auslegung des § 3a Abs. 3 und Abs. 4 Nr. 3 UStG zu berücksichtigen11.
Die Ausübung des Ingenieurberufs ist nach der EuGH-Rechtsprechung dadurch gekennzeichnet, Kenntnisse und bestehende Prozesse auf konkrete Probleme anzuwenden sowie neue Kenntnisse zu erwerben und neue Prozesse zur Lösung dieser und neuer Probleme zu entwickeln12. Dies ist insbesondere der Fall, wenn auf der Grundlage natur- und technikwissenschaftlicher Erkenntnisse und unter Berücksichtigung wirtschaftlicher Belange technische Werke geplant, konstruiert, oder ihre Fertigung überwacht wird oder aufgrund dieser Kenntnisse konkrete Probleme gelöst oder entwickelt werden13.
Die einheitliche Leistung der Klägerin fällt nicht unter § 3a Abs. 3 i.V.m. Abs. 4 Nr. 3 UStG. Die im Streitfall maßgebliche Hauptleistung der Klägerin, die Übernahme der Strahlenquellen, gehört nicht zu den Tätigkeiten, die im Rahmen des Ingenieurberufs hauptsächlich und gewöhnlich erbracht werden. Es ist daher nicht entscheidungserheblich, ob einzelne Teilleistungen typischerweise auch von Ingenieuren ausgeführt werden. Auch wenn für den Ausbau der Strahlenquellen natur- und technikwissenschaftliche Erkenntnisse erforderlich sein können und Arbeiten an Strahlenquellen gemäß den atomrechtlichen Vorschriften nur von Ingenieuren bzw. unter deren Aufsicht von ingenieurmäßig vorgebildeten Fachpersonen ausgeführt werden dürfen, hat das FG zu Recht ausgeführt, dass der Ausbau für den Leistungsempfänger keinen eigenen Zweck, sondern nur das Mittel darstellt, um die Hauptleistung in Anspruch nehmen zu können. Andere Arbeiten an Strahlenquellen fallen erst nach der Übernahme der Strahlenquellen und deren Beförderung ins Inland im Rahmen einer etwaigen Entsorgung bzw. Wiederverwertung an und gehören somit –wie bereits ausgeführt wurde– nicht zu den von der Klägerin geschuldeten Leistungen.
Nach den Verhältnissen des Streitfalls ist nicht darüber zu entscheiden, ob im Hinblick auf die der Klägerin zur weiteren Verwendung überlassenen Strahlenquellen eine Lieferung der Leistungsempfänger an die Klägerin vorliegt. Dies würde zu einem tauschähnlichen Umsatz und damit ggf. zu einer Erhöhung der Bemessungsgrundlage für die erbrachten Leistungen führen. Im Hinblick auf das auch im Revisionsverfahren geltende Verböserungsverbot (§ 121 Satz 1 i.V.m. § 96 Abs. 1 Satz 2 FGO) ist es dem Bundesfinanzhof jedoch versagt, über das erstinstanzliche Klagebegehren hinauszugehen.
Bundesfinanzhof, Urteil vom 13. Januar 2011 – V R 63/09
- vgl. EuGH, Urteile vom 25.02.1999 – C-349/96, Card Protection Plan (CPP), Slg. 1999, I-973 Rdnrn. 29, 30; vom 27.10.2005 – C-41/04, Levob, Slg. 2005, I-9433, BFH/NV Beilage 2006, 38 Rdnrn. 19 bis 22; BFH, Urteile vom 15.10.2009 – XI R 52/06, BFHE 227, 231, BStBl II 2010, 869; und vom 13.07.2006 – V R 24/02, BFHE 213, 430, BStBl II 2006, 935[↩]
- vgl. EuGH, Urteil Levob in Slg. 2005, I-9433, BFH/NV Beilage 2006, 38 Rdnr. 19, m.w.N.[↩]
- z.B. BFH, Urteile vom 17.04.2008 – V R 39/05, BFH/NV 2008, 1712; vom 24.01.2008 – V R 12/05, BFHE 221, 310, BStBl II 2009, 60; vom 06.09.2007 – V R 14/06, BFH/NV 2008, 624; und vom 06.12.2007 – V R 66/05, BFHE 221, 60, BStBl II 2008, 638[↩]
- BFH, Urteile vom 06.03.2007 – IX R 38/05, BFH/NV 2007, 1281; und vom 04.12.2001 – IX R 70/98, BFH/NV 2002, 635, m.w.N.[↩]
- EuGH, Urteil „Kommission/Frankreich“ in Slg. 2001, I-00637[↩]
- Sechsten Richtlinie des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 77/388/EWG[↩]
- EuGH Urteil „Kommission/Frankreich“ in Slg. 2001, I-00637 Rdnr. 49[↩]
- EuGH, Urteil „Linthorst“ in Slg. 1997, I-1195[↩]
- vgl. Birkenfeld in Umsatzsteuer-Handbuch, § 74 UStG Rz 633; Leonard in Bunjes/Geist, UStG, 9. Aufl., § 3a Rz 22[↩]
- EuGH, Urteile vom 07.10.2010 – C-222/09, Kronospan, BFH/NV 2010, 2377 Rdnr. 19; vom 16.09.1997 – C-145/96, Hoffmann, Slg. 1997, I-4857 Rdnrn. 16 und 17; EuGH, Urteil „Levob“ in Slg. 2005, I-9433, BFH/NV Beilage 2006, 38 Rdnr. 37[↩]
- vgl. BFH, Urteil vom 05.06.2003 – V R 25/02, BFHE 202, 191, BStBl II 2003, 734[↩]
- EuGH, Urteil Kronospan in BFH/NV 2010, 2377 Rdnr. 19[↩]
- vgl. z.B. auch BFH, Urteile vom 17.01.2007 – XI R 5/06, BFHE 216, 334, BStBl II 2007, 519; vom 04.05.2004 – XI R 9/03, BFHE 206, 233, BStBl II 2004, 989; vom 09.02.2006 – IV R 27/05, BFH/NV 2006, 1270 zu den charakteristischen Merkmalen des Ingenierberufs[↩]