Die Frage, ob die Leistung einer Tanzschule umsatzsteuerbefreit ist, ist abhängig von der konkreten Art der Leistung:

Von den unter § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG fallenden Umsätzen sind nach § 4 Nr. 21 Buchst. a) Doppelbuchst. bb) UStG steuerfrei die unmittelbar dem Schul- und Bildungszweck dienenden Leistungen privater Schulen und anderer allgemeinbildender oder berufsbildender Einrichtungen, wenn die zuständige Landesbehörde bescheinigt, dass sie auf einen Beruf oder eine vor einer juristischen Person des öffentlichen Rechts abzulegende Prüfung ordnungsgemäß vorbereiten. Die Regelung setzt Art. 132 Abs. 1 Buchst. i MwStSystRL 2006/112/EG (vormals Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. i der Sechsten Umsatzsteuer-Richtlinie 77/388/EWG) um. Danach befreien die Mitgliedstaaten von der Steuer: … den Schul- und Hochschulunterricht, die Ausbildung, die Fortbildung oder die berufliche Umschulung sowie die damit eng verbundenen Dienstleistungen und Lieferungen von Gegenständen durch Einrichtungen des öffentlichen Rechts, die mit solchen Aufgaben betraut sind, oder andere Einrichtungen mit von dem betreffenden Mitgliedstaat anerkannter vergleichbarer Zielsetzung.
Die in der Steuerbefreiungsvorschrift bezeichneten Leistungen müssen des Weiteren ihrer Art nach den Zielen der Berufsaus- und Berufsfortbildung dienen1. Es ist deshalb für die Steuerbefreiung weder Voraussetzung, dass der Unternehmer sich dem Auszubildenden gegenüber zivilrechtlich zur Ausführung dieser Leistungen verpflichtet hat noch dass er einen Zahlungsanspruch gegen den Träger der Ausbildung hat. Vielmehr ist nach dem Zweck der Steuerbefreiung, die gleichmäßige umsatzsteuerliche Belastung von privaten und öffentlichen Ausbildungsträgern zu gewährleisten2, ausreichend, dass die Leistung allein oder zusammen mit den Leistungen anderer Unternehmer die Ausbildung ermöglicht, fördert, ergänzt oder erleichtert.
Ein solches Verständnis entspricht auch den gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben von Art. 132 Abs. 1 Buchst. i MwStSystRL; denn danach reicht es aus, dass der Unternehmer Dienstleistungen durch Fortbildung oder berufliche Umschulung sowie damit eng verbundene Dienstleistungen erbringt und dafür Gegenstände liefert. Nach dem Urteil des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften vom 05.06.1997 (EuGH. Urteil vom 05.06.1997 – C-2/95 – SDC, Umsatz- und Verkehrsteuer-Recht 1997, 288)) muss der Steuerpflichtige die Leistungen nicht unmittelbar den Auszubildenden schulden und diese müssen umsatzsteuerrechtlich nicht Leistungsempfänger sein. Es genügt, wenn die Art der Leistung des Steuerpflichtigen den Steuerbefreiungszweck verwirklicht.
Des Weiteren ist Voraussetzung, dass es sich um Leistungen handelt, die in Schulen erbracht werden. Art. 132 Abs. 1 Buchst. i MwStSystRL bezieht sich auf verschiedene Unterrichtsformen, ohne diese zu definieren3. Der Begriff „Schul- und Hochschulunterricht“ beschränkt sich dabei nicht auf Unterricht, der zu einer Abschlussprüfung zur Erlangung einer Qualifikation führt oder eine Ausbildung im Hinblick auf die Ausübung einer Berufstätigkeit vermittelt, sondern er schließt andere Tätigkeiten ein, bei denen die Unterweisung in Schulen und Hochschulen erteilt wird, um die Kenntnisse und Fähigkeiten der Schüler oder Studenten zu entwickeln, sofern diese Tätigkeiten nicht den Charakter bloßer Freizeitgestaltung haben4. Das EuGH, Urteil in der Rechtssache Haderer ist zwar zu Art. 13 Teil A Nr. 1 Buchst. j der Richtlinie 77/388/EWG ergangen, wonach die Mitgliedstaaten „den von Privatlehrern erteilten Schul- und Hochschulunterricht“ von der Steuer befreien. Es gibt aber keine Gründe dafür, den Begriff „Schul- und Hochschulunterricht“ in Art. 132 Abs. 1 Buchst. i MwStSystRL anders auszulegen als in Art. 132 Abs. 1 Buchst. i MwStSystRL5.
Bei der Auslegung der Tatbestandsmerkmale der Steuerbefreiungen ist zwar zu berücksichtigen, dass die Begriffe, mit denen die Steuerbefreiungen nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. i MwStSystRL umschrieben sind, eng auszulegen sind, weil Steuerbefreiungen Ausnahmen von dem allgemeinen Grundsatz darstellen, dass jede Dienstleistung, die ein Steuerpflichtiger gegen Entgelt erbringt, der Mehrwertsteuer unterliegt6. Eine besonders enge Auslegung des Begriffs „Schul- und Hochschulunterricht“ würde aber die Gefahr einer unterschiedlichen Anwendung des Mehrwertsteuerrechts in den Mitgliedstaaten hervorrufen4. Deshalb ist entscheidend, ob vergleichbare Leistungen in Schulen erbracht werden und ob die Leistungen der Tanzschule der bloßen Freizeitgestaltung gedient haben. Hierbei ist Folgendes zu berücksichtigen.
Eine Beschränkung der Steuerbefreiung auf solche Unterrichtsleistungen, die sich an Personen richten, bei denen nach den Umständen anzunehmen ist, dass sie sich auf einen Beruf oder eine Prüfung vor einer juristischen Person vorbereiten, lässt sich nicht daraus herleiten, dass die Leistungen gemäß § 4 Nr. 21 Buchst. b UStG 1993 „unmittelbar“ dem Schul- und Bildungszweck dienen müssen. Auf die Ziele der Personen, die die Einrichtung besuchen, kommt es für die Steuerbefreiung nicht an. Entscheidend sind vielmehr die Art der erbrachten Leistungen und ihre generelle Eignung als Schul- oder Hochschulunterricht7. Deshalb ist es auch ohne Belang, wie hoch der Anteil der Schüler ist, die den Ballettunterricht tatsächlich im Hinblick auf eine Berufsausbildung oder eine Prüfungsvorbereitung besuchten oder später tatsächlich den Beruf des Tänzers ergriffen haben8.
Die Bescheinigung der zuständigen Landesbehörde ist nicht nur für die Frage der Anerkennung einer Einrichtung i.S. von Art. 132 Abs. 1 Buchst. i MwStSystRL von Bedeutung. Die Bescheinigung hat auch insofern Indizwirkung, als – sofern keine gegenteiligen Anhaltspunkte vorliegen – davon auszugehen ist, dass Leistungen, die tatsächlich dem Anforderungsprofil der Bescheinigung entsprechen, nicht den Charakter einer bloßen Freizeitgestaltung haben9.
Solche gegenteiligen Anhaltspunkte, die zur Annahme reiner Freizeitgestaltungen führen, können sich zum Beispiel aus dem Teilnehmerkreis oder aus der thematischen Zielsetzung eines Kurses ergeben. So sind Kurse, die von ihrer Zielsetzung auf reine Freizeitgestaltung gerichtet sind, ausgeschlossen. Darunter fallen zum Beispiel Kurse, die sich an Eltern von Schülern richten, um die Wartezeit während des Unterrichts der Kinder sinnvoll zu nutzen, Kurse für Senioren oder allgemein am Tanz interessierte Menschen10. Kurse hingegen, die es einem Teilnehmer ermöglichen, die vermittelten Kenntnisse und Fähigkeiten durch Vertiefung und Fortentwicklung schließlich beruflich zu nutzen, fallen unter die Steuerbefreiung auch dann, wenn von dieser Möglichkeit nur wenige Teilnehmer Gebrauch machen. Hierfür spricht insbesondere auch Kapitel – V Abschn. 1 Art. 14 der Verordnung (EG) Nr. 1777/2005 des Rates vom 17.10.2005 zur Festlegung von Durchführungsvorschriften zur Richtlinie 77/388/EWG über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem11. Danach umfassen die Dienstleistungen der Ausbildung, Fortbildung oder beruflichen Umschulung, die unter den Voraussetzungen des Art. 132 Abs. 1 Buchst. i MwStSystRL erbracht werden, Schulungsmaßnahmen mit direktem Bezug zu einem Gewerbe oder einem Beruf sowie jegliche Schulungsmaßnahmen, die dem Erwerb oder der Erhaltung beruflicher Kenntnisse dienten10. Die Dauer der Ausbildung, Fortbildung oder beruflichen Umschulung ist hierfür unerheblich. Für Schulunterricht und Hochschulunterricht ist ein direkter Bezug zu einem Beruf deshalb nicht erforderlich10.
Bei Anwendung dieser Grundsätze, sind einige der hier zu beurteilenden Kurse nicht geeignet als steuerfreie Leistungen i. S.d. § 4 Nr. 21 Buchst. a) Doppelbuchst. bb) UStG beurteilt zu werden. Insbesondere sprechen der angesprochene konkrete Teilnehmerkreis (z.B. Mütter mit Babys; Hochzeitstänze) oder der völlig offene Teilnehmerkreis (z.B. bei den Kursen „Pilates“, „Rückenfitness“) gegen die Indizwirkung der Bescheinigung der zuständigen Landesbehörde. Sie sprechen dafür, dass es sich um reine Freizeitgestaltungen handelt. Sie sind daher nicht Schulungsmaßnahmen mit direktem Bezug zu einem Gewerbe oder einem Beruf bzw. Schulungsmaßnahmen, die dem Erwerb oder der Erhaltung beruflicher Kenntnisse dienen.
Soweit die Tanzschule vorträgt, dass auch Auszubildende für den Beruf des Tänzers an diesen Kursen teilnehmen können und berufsspezifische Fähigkeiten erwerben, so kommt es darauf nicht an. Denn der BFH hat gerade diese Umstände für unerheblich erklärt. Es muss sich vielmehr der Art nach um eine Leistung handeln, die in einem Schul- oder Hochschulunterricht Gegenstand des Unterrichts sein kann. Bei den genannten Kursen ist dies aber nicht der Fall.
Soweit die Tanzschule vorträgt, dass der Beklagte an die Bescheinigung gebunden sei und selbst keine Prüfungskompetenz habe, trifft dies nicht zu. Wie oben dargelegt, kommt eine Bindungswirkung nur insoweit in Betracht, als die Frage der Anerkennung als Einrichtung i.S.v. § 4 Nr. 21 UStG in Frage steht. Darüber hinaus besteht nur eine Indizwirkung für steuerfreie Leistungen, die in Fällen von Kursen der Freizeitgestaltung nicht besteht und die der Prüfungskompetenz der Finanzbehörden und der Finanzgerichte unterliegt9.
Da nach diesen Feststellungen einzelne Kurse die Voraussetzungen für eine Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 21 Buchst. a) Doppelbuchst. bb) UStG nicht erfüllen und eine Trennung von den an sich steuerbefreiten Leistungen der Tanzschule konkret nicht möglich ist, nimmt das Finanzgericht eine Trennung im Wege einer Schätzung vor. Dabei hat das Finanzgericht eine einfachstmögliche Berechnungs- oder Bewertungsmethode anzuwenden, um den auf die steuerbefreite Leistung bezogenen Teil herauszurechnen12. Im Streitfall werden die steuerfreien Leistungen aufgrund einer Aufteilung der Aufwendungen bzgl. des Kursangebotes einer Woche vorgenommen.
Niedersächsisches Finanzgericht, Urteil vom 29. Oktober 2015 – 5 K 316/14
- BFH-Urteil vom 12.12 1985 – V R 15/80, BStBl II 1986, 499; BFH-Beschluss vom 29.10.1997 – V B 86/97, BFH/NV 1998, 626[↩]
- vgl. dazu BFH-Urteil vom 27.08.1998 – V R 73/97, UR 1999, 164[↩]
- vgl. EuGH, Urteil vom 14.06.2007 – C-434/05, Horizon College, BFH/NV Beilage 2007, 389[↩]
- EuGH, Urteil vom 14.06.2007 – C-445/05, Haderer, BFH/NV Beilage 2007, 394[↩][↩]
- vgl. EuGH, Urteil Horizon College in BFH/NV Beilage 2007, 389[↩]
- EuGH, Urteil vom 19.04.2007 – C-455/05, Velvet & Steel, BFH/NV Beilage 2007, 294, UR 2007, 379 Rz 14, m.w.N.[↩]
- vgl. zur Berufsaus- oder -fortbildung: BFH-Urt. vom 18.12 2003 – V R 62/02, BStBl II 2004, 252; Urt. des Bundesverwaltungsgerichts – BVerwG – vom 03.12 1976 – VII C 73.75, BStBl II 1977, 334[↩]
- vgl. BFH-Urt. vom 18.12 2003 – V R 62/02, BStBl II 2004, 252, m.w.N.[↩]
- BFH-Urteil vom 24.01.2008 – V R 3/05, BStBl II 2012, 267; Urteil vom 28.05.2013 – XI R 35/11, BStBl II 2013, 879[↩][↩]
- BFH-Urteil vom 24.01.2008 – V R 3/05, BStBl II 2012, 267[↩][↩][↩]
- ABl.EG Nr. L 288, S. 1[↩]
- BFH-Urteil vom 31.05.2001 – V R 97/98, BStBl II 2001, 658 unter Punkt II. 1.d[↩]