Medizinische Analysen, die von einem in privatrechtlicher Form organisierten Labor außerhalb der Praxisräume des praktischen Arztes durchgeführt werden, der sie angeordnet hat, können nach § 4 Nr. 14 Buchst. b UStG steuerfrei sein.

§ 4 Nr. 14 Buchst. a UStG befreit die „Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin, die im Rahmen der Ausübung der Tätigkeit als Arzt, Zahnarzt, Heilpraktiker, Physiotherapeut, Hebamme oder einer ähnlichen heilberuflichen Tätigkeit durchgeführt werden“. Unionsrechtlich beruht dies auf Art. 132 Abs. 1 Buchst. c MwStSystRL. Steuerfrei sind danach „Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin, die im Rahmen der Ausübung der von dem betreffenden Mitgliedstaat definierten ärztlichen und arztähnlichen Berufe durchgeführt werden“.
§ 4 Nr. 14 Buchst. b UStG befreit „Krankenhausbehandlungen und ärztliche Heilbehandlungen einschließlich der Diagnostik, Befunderhebung, Vorsorge, Rehabilitation, Geburtshilfe und Hospizleistungen sowie damit eng verbundene Umsätze, die von Einrichtungen des öffentlichen Rechts erbracht werden“. Nach Satz 2 Doppelbuchst. bb sind diese Leistungen auch steuerfrei, wenn sie von „Zentren für ärztliche Heilbehandlung und Diagnostik oder Befunderhebung, die an der vertragsärztlichen Versorgung nach § 95 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch teilnehmen oder für die Regelungen nach § 115 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch gelten“ erbracht werden. Unionsrechtlich beruht dies auf Art. 132 Abs. 1 Buchst. b MwStSystRL. Steuerfrei sind danach „Krankenhausbehandlungen und ärztliche Heilbehandlungen sowie damit eng verbundene Umsätze, die von Einrichtungen des öffentlichen Rechts oder unter Bedingungen, welche mit den Bedingungen für diese Einrichtungen in sozialer Hinsicht vergleichbar sind, von Krankenanstalten, Zentren für ärztliche Heilbehandlung und Diagnostik und anderen ordnungsgemäß anerkannten Einrichtungen gleicher Art durchgeführt beziehungsweise bewirkt werden“.
Zur Abgrenzung der Anwendungsbereiche von Art. 132 Abs. 1 Buchst. b und c MwStSystRL hat der Gerichtshof der Europäischen Union im Urteil LuP1 entschieden, dass bei medizinischen Analysen, die von -in privatrechtlicher Form organisierten- Laboren außerhalb der Praxisräume des praktischen Arztes durchgeführt werden, der sie angeordnet hat, zu prüfen ist, ob die Analysen unter Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. b der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17.05.1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern fallen können. Der EuGH hat dies bejaht, da derartige Labore als Einrichtung „gleicher Art“ wie „Krankenanstalten“ und „Zentren für ärztliche Heilbehandlung und Diagnostik“ anzusehen sind2. Zu den nach dieser Bestimmung zu erfüllenden Voraussetzungen hat der EuGH entschieden, dass es der Steuerfreiheit nach Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 77/388/EWG „immanent [ist], dass die Befreiung der medizinischen Analysen an Bedingungen geknüpft werden kann, die für die Ärzte, die die Analysen angeordnet haben, nicht gelten“3.
Der Bundesfinanzhof hat sich dem angeschlossen und entschieden, dass „der EuGH die Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin nach Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 77/388/EWG von den ärztlichen Heilbehandlungen, die von einem in privatrechtlicher Form organisierten Labor nach Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 77/388/EWG erbracht werden, nach dem Ort ab[grenzt], an dem die Leistungen erbracht werden4. Nach Buchst. c sollen Leistungen steuerfrei sein, die außerhalb von Krankenhäusern (oder ähnlichen Einrichtungen) im Rahmen eines persönlichen Vertrauensverhältnisses erbracht werden, sei es in den Praxisräumen des Behandelnden, in der Wohnung des Patienten oder an einem anderen Ort, für alle anderen ärztlichen Leistungen soll Buchst. b eingreifen“5.
Der Bundesfinanzhof ist dabei für die alte Rechtslage – vor der im hier entschiedenen Fall bereits maßgeblichen Änderung durch das Jahressteuergesetz 2009 vom 19.12 20086 – davon ausgegangen, dass diese „der Richtlinie 77/388/EWG zugrunde liegende Systematik … sich aber nicht im Wege der Auslegung in das nationale Umsatzsteuergesetz übertragen [lässt], soweit es diesem Ansatz des europäischen Rechts schon dem Grunde nach nicht folgt. In § 4 Nr. 14 UStG 1980/1991/1993 finden sich sowohl Ärzte als auch klinische Chemiker, deren Leistungen nicht in der Arztpraxis oder der Wohnung des Patienten erbracht werden, als auch solche, bei denen dies der Fall ist. Durch das UStG 1980 wurde die Befreiung nach § 4 Nr. 14 UStG 1980/1991/1993 auf die klinischen Chemiker ausgedehnt, um eine Wettbewerbsbenachteiligung dieser Unternehmer gegenüber den Laborärzten zu verhindern7. Das nationale Gesetz knüpft damit hinsichtlich der Steuerbefreiung (auch der Laborärzte) in erster Linie an den Beruf an und nicht an den Ort der Leistung. Die von § 4 Nr. 14 UStG 1980/1991/1993 erfassten Umsätze können nicht gegen den Gesetzeswortlaut im Wege der Auslegung in den Anwendungsbereich des § 4 Nr. 16 Buchst. c UStG 1980/1991/1993 ‚umdefiniert‘ werden. Es bleibt vielmehr dabei, dass sich in einem derartigen Fall der Steuerpflichtige auf das für ihn günstigere nationale Recht -wie hier § 4 Nr. 14 Satz 1 UStG 1980/1991/1993- berufen kann, solange dieses nicht entsprechend den Vorgaben der Richtlinie 77/388/EWG angepasst wird“.
Diese vom Bundesfinanzhof für erforderlich gehaltene Anpassung hat das JStG 2009 vorgenommen. Wie sich aus der amtlichen Gesetzesbegründung8 ergibt, bezweckte der nationale Gesetzgeber damit ausdrücklich eine Anpassung an die unionsrechtliche Systematik: „Kriterium für die Abgrenzung des Anwendungsbereichs der beiden Befreiungstatbestände in Artikel 132 Abs. 1 Buchstabe b und c MwStSystRL ist weniger die Art der Leistung als vielmehr der Ort ihrer Erbringung. Der EuGH hat festgestellt, dass solche Leistungen nach Artikel 132 Abs. 1 Buchstabe b MwStSystRL von der Mehrwertsteuer zu befreien sind, die aus einer Gesamtheit von ärztlichen Heilbehandlungen in Einrichtungen mit sozialer Zweckbestimmung wie der des Schutzes der menschlichen Gesundheit bestehen, während Buchstabe c auf Leistungen anwendbar ist, die außerhalb von Krankenhäusern oder ähnlichen Einrichtungen im Rahmen eines persönlichen Vertrauensverhältnisses zwischen Patienten und Behandelndem, z.B. in den Praxisräumen des Behandelnden, in der Wohnung des Patienten oder an einem anderen Ort erbracht werden9“. Dabei wurden die Leistungen der „Einrichtungen von Laborärzten oder klinischen Chemikern“ entsprechend der unionsrechtlichen Systematik ausdrücklich dem neuen § 4 Nr. 14 Buchst. b Satz 2 Doppelbuchst. bb UStG zugeordnet10.
Bundesfinanzhof, Urteil vom 24. August 2017 – V R 25/16
- EuGH, Urteil LuP vom 08.06.2006 – C-106/05, EU:C:2006:380[↩]
- EuGH, Urteil LuP, EU:C:2006:380, Rz 35[↩]
- EuGH, Urteil LuP, EU:C:2006:380, Rz 46[↩]
- EuGH, Urteil LuP, EU:C:2006:380, Rz 22 und 39[↩]
- BFH, Urteil vom 15.03.2007 – V R 55/03, BFHE 217, 48, BStBl II 2008, 31, unter II. 1.b[↩]
- BGBl I 2008, 2794[↩]
- BT-Drs. 8/2827, S. 14[↩]
- BT-Drs. 16/10189, S. 74[↩]
- vgl. EuGH, Urteil Dornier vom 06.11.2003 – C-45/01, EU:C:2003:595, Rz 47[↩]
- BT-Drs. 16/10189, S. 75[↩]