Eine Umsatzsteuererklärung steht nach § 168 Satz 1 und 2 AO einer Steuerfestsetzung unter Vorbehalt der Nachprüfung gleich. Im Regelfall kann bei Vorliegen einer Steuerfestsetzung für das Kalenderjahr das Finanzamt nicht mehr zum Erlass eines Umsatzsteuer-Vorauszahlungsbescheids für einen Voranmeldungszeitraum desselben Kalenderjahrs verpflichtet werden1.

Etwas anderes gilt allerdings, wenn diese Steuerfestsetzung nicht den Streitzeitraum und eine andere Teilmasse (das heißt einen anderen Unternehmensteil) des weiterhin einheitlichen Unternehmens2 – konkret die der Insolvenzmasse zuzurechnenden Umsätze – betrifft.
Die erfolgte Eröffnung des Insolvenzverfahrens hat zur Folge, dass trotz fortbestehender Unternehmenseinheit das Vermögen der Klägerin einem unterschiedlichen Rechtsregime unterworfen ist. Der Besteuerungszeitraum wird zwar nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs nicht unterbrochen3, aber innerhalb des Besteuerungszeitraums ist die auf die Zeit nach Insolvenzeröffnung entfallende Umsatzsteuer (in der Praxis: unter einer neuen Steuernummer, die der Masse zugeteilt wird) durch Steuerbescheid festzusetzen und die auf die Zeit bis zur Insolvenzeröffnung entfallende Umsatzsteuer nur nach den Vorschriften über das Insolvenzverfahren zu verfolgen4, das heißt im Regelfall zur Tabelle anzumelden5.
Dass im hier entschiedenen Streitfall ausnahmsweise eine Steuervergütung aus vorinsolvenzlicher Zeit durch Steuerbescheid festgesetzt werden darf, ändert daran nichts.
Bei den im vorläufigen Eigenverwaltungsverfahren begründeten Umsatzsteuerschulden handelt es sich weder bei der Organträgerin noch bei der Organgesellschaft um Masseverbindlichkeiten, die vom Finanzamt generell durch Steuerbescheid festgesetzt werden dürften6; denn nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, der sich der Bundesfinanzhof anschließt, werden im vorläufigen Eigenverwaltungsverfahren auch außerhalb des Schutzschirmverfahrens (§ 270b InsO) nur insoweit Masseverbindlichkeiten begründet, als der Schuldner vom Insolvenzgericht hierzu ermächtigt worden ist7. Dies ist vorliegend durch das Insolvenzgericht nicht geschehen.
Die Klage, das Finanzamt zum Erlass eines Umsatzsteuer-Vorauszahlungsbescheids zu verpflichten, ist als Verpflichtungsklage zulässig8.
Für negative Umsatzsteuer aus vorinsolvenzlicher Zeit darf nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs sowohl seitens des Finanzamtes Steueranmeldungen zugestimmt9 als auch, wie hier beantragt; vom Finanzamt ein Steuerbescheid erlassen werden10 oder ein Änderungsbescheid ergehen11.
Der Bundesfinanzhof muss dabei nicht entscheiden, ob bei einem Erfolg der Klage dieser in vollem Umfang stattzugeben wäre, weil isoliert auf den einzelnen Voranmeldungszeitraum (§ 18 Abs. 2 UStG) abzustellen wäre, oder ob wegen der fortbestehenden Pflicht zur Einreichung von Umsatzsteuer-Jahreserklärungen (§ 18 Abs. 3 UStG)12 und der Pflicht des Finanzamt zur Anmeldung eines auf das Kalenderjahr bezogenen Teilbetrags zur Tabelle13 sowie der sich daraus ergebenden Saldierung14 auf den Saldo des abgekürzten Zeitraums bis zur Insolvenzeröffnung15 abzustellen wäre; denn auch der Saldo ist im vorliegenden Fall jedenfalls negativ, so dass eine Festsetzung durch Steuerbescheid auch dann zulässig wäre.
Bundesfinanzhof, Urteil vom 27. November 2019 – XI R 35/17
- vgl. BFH, Urteile vom 03.11.2011 – V R 32/10, BFHE 236, 228, BStBl II 2012, 525, Rz 16; vom 01.10.2014 – XI R 13/14, BFHE 248, 367, Rz 14[↩]
- vgl. allgemein BFH, Urteile vom 01.09.2010 – VII R 35/08, BFHE 230, 490, BStBl II 2011, 336, Rz 18; vom 09.12.2010 – V R 22/10, BFHE 232, 301, BStBl II 2011, 996, Rz 28 und 29; vom 24.11.2011 – V R 13/11, BFHE 235, 137, BStBl II 2012, 298, Rz 11[↩]
- vgl. BFH, Urteil vom 16.01.2007 – VII R 7/06, BFHE 216, 390, BStBl II 2007, 745, unter II., Rz 12; vgl. auch Stadie in Rau/Dürrwächter, Umsatzsteuergesetz, § 18 Rz 80 und Anhang 2 zu § 18 Rz 13[↩]
- vgl. BFH, Urteil in BFHE 235, 137, BStBl II 2012, 298[↩]
- vgl. auch Anwendungserlass zur Abgabenordnung zu § 251 AO Tz 9.2 und Tz 13.2 sowie Abschn. 17.1 Abs. 11 des Umsatzsteuer-Anwendungserlasses[↩]
- so allgemein BFH, Urteil vom 24.09.2014 – V R 48/13, BFHE 247, 460, BStBl II 2015, 506, Rz 47[↩]
- vgl. BGH, Urteil vom 22.11.2018 – IX ZR 167/16, DStR 2019, 174; s.a. Finanzgericht Münster, Urteil vom 12.03.2019 – 15 K 1535/18 U, EFG 2019, 996, Aktenzeichen des BFH: – V R 14/19; Mohlitz in: Bork/Hölzle, Handbuch Insolvenzrecht, Steuerrecht in der Insolvenz, Rz 26; Gehrlein, DB 2019, 351, 352[↩]
- vgl. zur Klageart: BFH, Beschluss vom 21.01.1985 – GrS 1/83, BFHE 143, 112, BStBl II 1985, 303, unter II. 2., Rz 11; BFH, Urteil vom 15.01.1987 – V R 3/77, BFHE 149, 272, BStBl II 1987, 512, unter 1.b, Rz 28; s.a. BFH, Urteil vom 15.07.1999 – V R 52/98, BFH/NV 2000, 98, unter II. 2.a, Rz 16; zur Abgrenzung bei Änderung des festgesetzten Betrags s. BFH, Urteil vom 25.11.2004 – V R 4/04, BFHE 208, 470, BStBl II 2005, 415, unter II.B.02.a, Rz 41[↩]
- vgl. BFH, Urteil vom 25.07.2012 – VII R 29/11, BFHE 238, 307, BStBl II 2013, 36, Rz 19[↩]
- vgl. BFH, Urteile vom 13.05.2009 – XI R 63/07, BFHE 225, 278, BStBl II 2010, 11, Rz 16 ff.; vom 11.12.2013 – XI R 22/11, BFHE 244, 209, BStBl II 2014, 332, Rz 21[↩]
- vgl. BFH, Urteil vom 16.06.2015 – XI R 18/13, BFH/NV 2015, 1607, Rz 23[↩]
- s.a. BFH, Urteile in BFHE 235, 137, BStBl II 2012, 298, Rz 14; vom 12.06.2018 – VII R 2/17, BFH/NV 2019, 6, Rz 13 und 20[↩]
- vgl. BFH, Urteil in BFHE 247, 460, BStBl II 2015, 506, Rz 48 und 49[↩]
- vgl. BFH, Urteil vom 25.07.2012 – VII R 44/10, BFHE 238, 302, BStBl II 2013, 33, Rz 8 und 9[↩]
- so BFH, Urteil in BFHE 235, 137, BStBl II 2012, 298, Rz 14 f.; Wäger in Birkenfeld/Wäger, Das große Umsatzsteuer-Handbuch, Sonderthema Insolvenz, Rz 28; s. aber BFH, Urteil in BFHE 216, 390, BStBl II 2007, 745, unter II., Rz 12[↩]