Umsatzteuersatzermäßigung für Werbelebensmittel

Handelt es sich bei gelieferten Gegenständen um Lebensmittel, ist ernstlich zweifelhaft, ob der Steuersatzermäßigung nach § 12 Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. Anlage 2 UStG entgegensteht, dass der Abnehmer diese zur Erzielung einer Werbewirkung erwirbt.

Umsatzteuersatzermäßigung für Werbelebensmittel

In dem hier vom Bundesfinanzhof entschiedenen Fall betrieb der klagende Unternehmer im Streitjahr 2017 einen Handel für Werbeartikel. Seine Kunden konnten aus einem Sortiment verschiedener Waren wählen. Zur Auswahl standen insbesondere Kugelschreiber, Feuerzeuge und (Arbeits-)Bekleidung, aber auch zahlreiche Produkte der sog. Kategorie „Food“. Hierzu gehörten z.B. Fruchtgummis, Pfefferminzbonbons, Brausebonbons, Popcorn, Kekse, Glückskekse, Schokolinsen, Teebeutel und Kaffee oder Traubenzuckerwürfel, die jeweils in kleinen Abpackungen angeboten wurden. Die Kunden konnten die Waren entsprechend ihrer jeweiligen Wünsche individualisiert beziehen. Die Individualisierung erfolgte durch eine bestimmte Umverpackung, Aufdrucke, Gravuren oder Ähnlichem. Der Unternehmer selbst nahm keine Individualisierung der Waren vor. Er bezog die Gegenstände nach den Kundenwünschen von seinen Lieferanten oder ließ sie von Dritten veredeln. In seiner Umsatzsteuervoranmeldung Dezember 2017 erklärte der Unternehmer Lieferungen von Lebensmitteln zum ermäßigten Steuersatz. Im Rahmen einer Umsatzsteuersonderprüfung kam der Prüfer zu der Auffassung, dass es sich bei der Lieferung von Werbemitteln aus dem „Food-Bereich“ um eine sonstige Leistung in Form der Werbeleistung handele, die mit dem Regelsteuersatz zu versteuern sei. Dementsprechend erließ das Finanzamt einen Umsatzsteuerbescheid 2017. 

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Die hiergegen nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobene Klage hatte vor dem Finanzgericht keinen Erfolg. Hiergegen hat der Unternehmer Revision eingelegt und zudem während des Revisionsverfahrens Aufhebung der Vollziehung beantragt. Der Bundesfinanzhof gewähre die AdV:

Da der Unternehmer gegen das Urteil des Finanzgerichts wirksam Revision eingelegt und begründet hat, ist der Bundesfinanzhof nach § 69 Abs. 3 FGO als Gericht der Hauptsache für den Antrag auf Aufhebung der Vollziehung zuständig1. Zudem hat das Finanzamt den Antrag auf Aufhebung der Vollziehung mit Bescheiden vom 11.11.2021/17.11.2021 abgelehnt. Die Zugangsvoraussetzung des § 69 Abs. 4 Satz 1 FGO, die auch für Anträge auf Aufhebung der Vollziehung gilt, die -wie hier- beim Bundesfinanzhof als Gericht der Hauptsache gestellt werden, liegt damit vor.

Der Antrag ist auch begründet.

Nach § 69 Abs. 3 Satz 1, Abs. 2 Satz 2 FGO ist die Vollziehung eines angefochtenen Verwaltungsakts ganz oder teilweise auszusetzen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts bestehen. Ernstliche Zweifel i.S. von § 69 Abs. 2 Satz 2 FGO liegen dann vor, wenn bei summarischer Prüfung des angefochtenen Bescheides neben für seine Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige Gründe zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung von Rechtsfragen oder Unklarheit in der Beurteilung entscheidungserheblicher Tatfragen bewirken2. Die Entscheidung hierüber ergeht bei der im Verfahren über die Aufhebung der Vollziehung gebotenen summarischen Prüfung aufgrund des Sachverhalts, der sich aus dem Vortrag der Beteiligten und der Aktenlage ergibt3. Ist der angegriffene Steuerbescheid -wie im Streitfall- bereits Gegenstand eines anhängigen Revisionsverfahrens, bestehen ernstliche Zweifel, wenn unter Berücksichtigung der eingeschränkten Prüfungsmöglichkeiten des Revisionsgerichts ernstlich mit der Aufhebung oder Änderung des angefochtenen Steuerbescheides zu rechnen ist. Das bedeutet, dass bei vermutlichem Durcherkennen des Bundesfinanzhofs auf die Erfolgsaussichten des Revisionsverfahrens, bei voraussichtlicher Zurückverweisung auf die Erfolgsaussichten des dann fortgesetzten Klageverfahrens abzustellen ist4. Ist der Verwaltungsakt im Zeitpunkt der Entscheidung schon vollzogen, kann das Gericht gemäß § 69 Abs. 3 Satz 3 FGO ganz oder teilweise die Aufhebung der Vollziehung anordnen.

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Nach diesen Maßgaben bestehen im Streitfall insoweit ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Umsatzsteuerbescheides, als die hier in Rede stehenden Leistungen mit dem Regelsteuersatz besteuert wurden.

Entsprechend dem Urteil des Finanzgericht bestehen keine ernstlichen Zweifel daran, dass der Unternehmer Lieferungen i.S. von § 3 Abs. 1 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) ausgeführt hat. Das Finanzgericht hat hierfür angeführt, dass es sich bei den vom Unternehmer gelieferten Werbeartikeln um eine einheitliche Leistung gehandelt habe, die sich aus der Lieferung von insbesondere Süßigkeiten und der Erbringung einer Dienstleistung, die darin besteht, die Waren so zu verpacken, zu bedrucken oder in sonstiger Weise zu verändern, dass sie durch die Kunden des Unternehmers durch Weitergabe an die Endkunden als Werbeträger eingesetzt werden können, zusammensetzte.

Entgegen dem Urteil des Finanzgericht bestehen aber ernstliche Zweifel daran, ob diese Lieferungen dem Regelsteuersatz unterliegen.

Nach § 12 Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. Anlage 2 UStG unterliegt die Lieferung von Lebensmitteln dem ermäßigten Steuersatz, soweit zusätzlich die Voraussetzungen der vom Finanzgericht nicht näher spezifizierten Ziffern der Anlage 2 zum UStG vorliegen.

Unionsrechtliche Grundlage hierfür ist Art. 98 i.V.m. Anhang – III Nr. 1 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28.11.2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (MwStSystRL). Danach können die Mitgliedstaaten eine Steuersatzermäßigung insbesondere für Nahrungs- und Futtermittel schaffen. Hierzu hat der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) entschieden, dass jedes für den menschlichen Verzehr bestimmte Erzeugnis, das dem menschlichen Organismus Nährstoffe liefert, die für die Erhaltung, den Betrieb und die Entwicklung dieses Organismus erforderlich sind, unter die in Anhang – III Nr. 1 MwStSystRL angeführte Kategorie fällt, auch wenn der Verzehr dieses Erzeugnisses auch andere Wirkungen erzeugen soll5.

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Der EuGH hat dies damit begründet, dass

  • der Begriff der Nahrungsmittel nach dem gewöhnlichen Sprachgebrauch zu bestimmen ist6,
  • dass alle Erzeugnisse Nahrungsmittel sind, die Nährstoffe zum Aufbau, zur Energiezufuhr und zur Regulierung des menschlichen Organismus enthalten, die zur Erhaltung, zum Betrieb und zur Entwicklung dieses Organismus erforderlich sind und verzehrt werden, um ihn mit diesen Nährstoffen zu versorgen7 und dass,
  • da diese ernährungsbezogene Funktion für die Einstufung eines Erzeugnisses als Nahrungsmittel im Sinne der gewöhnlichen Bedeutung dieses Begriffs entscheidend ist, es nicht darauf ankommt, ob dieses Erzeugnis gesundheitsfördernde Wirkungen hat, ob seine Einnahme für den Verbraucher einen gewissen Genuss mit sich bringt und ob seine Verwendung in einem bestimmten gesellschaftlichen Zusammenhang erfolgt, so dass es z.B. unerheblich ist, dass die Einnahme dieses Erzeugnisses positive Auswirkungen auf das sexuelle Verlangen der Person hat, die es einnimmt8.

Danach ist es im Streitfall bei überschlägiger Prüfung ernstlich zweifelhaft, ob der Regelsteuersatz anzuwenden ist.

Bei den vom Unternehmer gelieferten Lebensmitteln handelt es sich um für den menschlichen Verzehr bestimmte Erzeugnisse, die dem menschlichen Organismus Nährstoffe liefern. Dass diese Erzeugnisse auch andere Wirkungen erzeugen sollen, steht dem bei summarischer Prüfung nicht entgegen. Daher steht der Steuersatzermäßigung nicht zwingend entgegen, dass die „Verwendung in einem bestimmten gesellschaftlichen Zusammenhang erfolgt“, bei dem der unmittelbare Abnehmer des Unternehmers Lebensmittel zur Erzielung einer Werbewirkung erwirbt.

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Im Übrigen ist es ernstlich zweifelhaft, ob gegen die Steuersatzermäßigung spricht, dass der Zweck des Anhangs III MwStSystRL darin besteht, die Kosten für bestimmte, als unentbehrlich erachtete Gegenstände zu senken und somit dem Endverbraucher, der die Mehrwertsteuer letztlich entrichten muss, den Zugang zu ihnen zu erleichtern9. Denn die Besteuerung der Lieferungen des Unternehmers kann nicht davon abhängig gemacht werden, ob seine Abnehmer die Gegenstände unentgeltlich oder gegen ein z.B. geringeres Entgelt abgeben.

Schließlich ist bei vorläufiger Prüfung ernstlich zweifelhaft, ob die vom Finanzamt und Finanzgericht als maßgeblich angesehene Werbewirkung entscheidend ist, da diese bei Anhang – III Nr. 1 MwStSystRL anders als bei Anhang – III Nr. 6 MwStSystRL zumindest nach dem Wortlaut der Regelungen einer Steuersatzermäßigung nicht entgegensteht.

Bundesfinanzhof, Beschluss vom 6. Mai 2022 – V S 7/21 (AdV)

  1. vgl. z.B. BFH, Beschlüsse vom 26.10.2011 – I S 7/11, BFH/NV 2012, 583, Rz 8; vom 18.07.2012 – X S 19/12, BFH/NV 2012, 2008, Rz 12; vom 02.07.2014 – XI S 8/14, BFH/NV 2014, 1601, Rz 22[]
  2. vgl. dazu z.B. BFH, Beschlüsse vom 11.07.2013 – XI B 41/13, BFH/NV 2013, 1647, Rz 16, und in BFH/NV 2014, 1601, Rz 24[]
  3. vgl. BFH, Beschlüsse vom 07.09.2011 – I B 157/10, BFHE 235, 215, BStBl II 2012, 590, Rz 12; in BFH/NV 2013, 1647, Rz 16; in BFH/NV 2014, 1601, Rz 24[]
  4. BFH, Beschluss vom 19.03.2014 – III S 22/13, BFH/NV 2014, 856, Rz 17[]
  5. EuGH, Urteil Staatssecretaris van Financiën [Ermäßigter Steuersatz für Aphrodisiaka] vom 01.10.2021 – C-331/19, EU:C:2020:786, Rz 35[]
  6. EuGH, Urteil Staatssecretaris van Financiën [Ermäßigter Steuersatz für Aphrodisiaka], EU:C:2020:786, Rz 24[]
  7. EuGH, Urteil Staatssecretaris van Financiën [Ermäßigter Steuersatz für Aphrodisiaka], EU:C:2020:786, Rz 25[]
  8. EuGH, Urteil Staatssecretaris van Financiën [Ermäßigter Steuersatz für Aphrodisiaka], EU:C:2020:786, Rz 26[]
  9. EuGH, Urteil Staatssecretaris van Financiën [Ermäßigter Steuersatz für Aphrodisiaka], EU:C:2020:786, Rz 34[]
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