Vorsteuerabzug aus Billigkeitsgründen

Vorsteuerabzug im Billigkeitsverfahren setzt voraus, dass der Unternehmer gutgläubig war und alle Maßnahmen ergriffen hat, die vernünftigerweise von ihm verlangt werden können, um sich von der Richtigkeit der Angaben in der Rechnung zu überzeugen und seine Beteiligung an einem Betrug ausgeschlossen ist.

Vorsteuerabzug aus Billigkeitsgründen

Im Billigkeitsverfahren muss das Finanzamt nicht das Vorliegen objektiver Umstände nachweisen, die den Schluss zulassen, dass das Recht auf Vorsteuerabzug in betrügerischer Weise oder missbräuchlich geltend gemacht wird. Das ist nur dann erforderlich, wenn der Vorsteuerabzug trotz Vorliegens dessen objektiver Merkmale wegen der Einbindung des Unternehmers in eine missbräuchliche Gestaltung versagt werden soll.

Es stellt keinen Ermessensfehler dar, wenn eine Behörde ihre Entscheidung auf mehrere Ermessenserwägungen stützt, von denen zwar eine oder einzelne fehlerhaft sind, die Behörde aber eindeutig zum Ausdruck gebracht hat, dass jede einzelne der Ermessenserwägungen bereits allein tragend ist.

Der Vorsteuerabzug ist im Billigkeitsverfahren nicht bereits zu gewähren, wenn die Steuerbehörden nicht das Vorliegen objektiver Umstände nachweisen, die den Schluss zulassen, dass das Recht auf Vorsteuerabzug in betrügerischer Weise oder missbräuchlich geltend gemacht wird, denn diese Voraussetzung betrifft nicht das Billigkeitsverfahren. Dies ergibt sich auch nicht aus den Urteil des Gerichtshofshofs der Europäischen Union „Mahagebén und Dávid“ vom 21.06.20121, „Maks Pen“ vom 13.02.20142 und „Bonik“ vom 06.12 20123. Denn in den vom EuGH in den Entscheidungen „Mahagebén und Dávid“, „Maks Pen“ und „Bonik“ zu beurteilenden Sachverhalten stand aufgrund der Vorlageentscheidungen fest, dass die nach der Mehrwertsteuersystem-Richtlinie 2006/112/EG vorgesehenen materiellen und formellen Voraussetzungen für die Entstehung und die Ausübung des Rechts auf Vorsteuerabzug erfüllt waren4. Mit diesen Urteilen hat der EuGH daher das Recht auf Vorsteuerabzug nicht durch Vertrauensschutzgesichtspunkte erweitert, sondern begrenzt, indem er den Vorsteuerabzug selbst dann versagt, wenn dessen Voraussetzungen zwar tatsächlich vorliegen, jedoch aufgrund objektiver Umstände feststeht, dass der Steuerpflichtige wusste oder hätte wissen müssen, dass er sich mit seinem Erwerb an einem Umsatz beteiligt, der in eine vom Lieferer oder von einem anderen Wirtschaftsteilnehmer auf einer vorhergehenden oder nachfolgenden Umsatzstufe der Lieferkette begangene Steuerhinterziehung einbezogen war5. Diese Sanktion, dem Steuerpflichtigen den Vorsteuerabzug trotz Vorliegens seiner objektiven Merkmale zu versagen, ist nur zu rechtfertigen, wenn das Finanzamt das Vorliegen objektiver Umstände nachweist, die den Schluss zulassen, dass das Recht auf Vorsteuerabzug vom Steuerpflichtigen in betrügerischer Weise oder missbräuchlich geltend gemacht wird6.

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Auch lassen sich aus dem EuGH, Urteil Maks Pen7 keine dahingehenden Schlussfolgerungen ableiten, dass auch bei unzutreffenden Rechnungsangaben der Vorsteuerabzug nur versagt werden dürfe, wenn das Finanzamt das Vorliegen objektiver Umstände nachweist, die den Schluss zulassen, dass das Recht auf Vorsteuerabzug vom Steuerpflichtigen in betrügerischer Weise oder missbräuchlich geltend gemacht wird. Aus Rz 31 ergibt sich, dass Zweifel daran, dass die Rechnungsangaben zutreffend und die Abrechnende auch die leistende Unternehmerin ist, nicht allein damit begründet werden können, dass die Abrechnende nicht über das erforderliche Personal sowie die erforderlichen Sachmittel und Vermögenswerte verfügt habe, die Kosten der Leistung nicht in ihrer Buchführung dokumentiert worden seien oder die Unterschrift der Personen, die bestimmte Dokumente als Leistende unterzeichnet haben, sich als falsch erwiesen haben. Vorliegend steht nach den Feststellungen des Finanzgericht aber fest, dass die Fa. H nicht die leistende Unternehmerin war, sondern ein unbekannter Dritter und dass die Rechnung nicht die korrekte Steuernummer der Rechnungsausstellerin enthalten hat.

Im Billigkeitsverfahren (§§ 163, 227 AO) kann der Vorsteuerabzug ausnahmsweise unter dem Gesichtspunkt des allgemeinen Rechtsgrundsatzes des Vertrauensschutzes nach den Grundsätzen der EuGH-Rechtsprechung8 in Betracht kommen. Das setzt voraus, dass der den Vorsteuerabzug begehrende Unternehmer gutgläubig war und alle Maßnahmen ergriffen hat, die vernünftigerweise von ihm verlangt werden können, um sich von der Richtigkeit der Angaben in der Rechnung zu überzeugen und seine Beteiligung an einem Betrug ausgeschlossen ist9.

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Im hier entschiedenen Fall waren dem Finanzamt im Billigkeitsverfahren allerdings Ermessensfehler unterlaufen:

Die vom Finanzamt im Rahmen einer Billigkeitsmaßnahme nach § 163 AO zu treffende Ermessensentscheidung ist im finanzgerichtlichen Verfahren nur eingeschränkt dahingehend überprüfbar, ob die Behörde bei ihrer Entscheidung die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten (Ermessensmissbrauch) oder von dem ihr eingeräumten Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat (Ermessensfehlgebrauch)10.

Das Finanzamt hat in seinen Ermessenserwägungen berücksichtigt, dass die Klägerin -obwohl es sich bei der Fa. H um eine neue Geschäftsbeziehung handelte- weder Kenntnis von den Geschäftsführern noch von sonstigen Kontaktpersonen bei der angeblichen Lieferantin der Fa. H hatte, auf Faxantworten der Fa. H auch keine Kontaktperson aufgeführt war, unterschiedliche Adressen der Fa. H in der Rechnung und in der weiteren Korrespondenz genannt wurden und dass bei einem besonders gelagerten Geschäft, bei dem der Lieferant und der Abnehmer von einem Dritten, hier dem italienischen Geschäftsfreund, vorgegeben werden und keine Verhandlungen über den Geschäftsablauf und die Preisgestaltung geführt werden, besondere Aufmerksamkeit erforderlich ist.

Das Finanzamt hat darüber hinaus seine Ermessensentscheidung aber auch darauf gestützt, dass die von der Fa. H verwendete Steuernummer erkennbar von den in Deutschland gebräuchlichen Steuernummern abgewichen sei und die Klägerin sich über die Steuernummer der Fa. H durch eine Rückfrage beim Finanzamt – X habe Gewissheit verschaffen können. Die Annahme des Finanzamt, dass die Steuernummern in Deutschland durchweg durch eine fünfstellige Ziffernkombination im dritten Ziffernblock gekennzeichnet seien, erweist sich als unzutreffend. Zumindest im Bundesland Nordrhein-Westfalen ist eine vierstellige Ziffernfolge im dritten Ziffernblock üblich. Deshalb ist auch die auf der Annahme einer erkennbar unzutreffenden Steuernummer beruhende Erwägung des Finanzamt, die Klägerin habe sich durch eine Nachfrage beim Finanzamt – X Gewissheit verschaffen müssen, fehlerhaft.

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Zwar stellt es keinen Ermessensfehler dar, wenn eine Behörde ihre Entscheidung auf mehrere Ermessenserwägungen stützt, von denen zwar eine oder einzelne fehlerhaft sind, die Behörde aber zum Ausdruck gebracht hat, dass bereits jede einzelne der Ermessenserwägungen sie dazu veranlasst hat, die von ihr getroffene Entscheidung vorzunehmen, also insofern bereits allein tragend ist. Für die Fehlerfreiheit einer Ermessensentscheidung genügt es, dass ein selbständig tragender Grund rechtlich fehlerfrei ist11.

Der Ermessensentscheidung des Finanzamt lässt sich im vorliegenden Fall aber nicht entnehmen, ob die genannten Erwägungen allein oder in ihrer Summe für die Entscheidung des Finanzamt maßgebend gewesen sind oder erst in der Gesamtschau mit den weiteren genannten fehlerhaften Erwägungen. Diese Entscheidung kann der Bundesfinanzhof nicht an Stelle des Finanzgericht treffen, denn das Gericht hat im Falle der Aufdeckung von Ermessensfehlern die Ermessensentscheidung aufzuheben12 und darf grundsätzlich nicht sein Ermessen an die Stelle des Ermessens der Verwaltungsbehörde setzen13.

Bundesfinanzhof, Urteil vom 18. Februar 2016 – V R 62/14

  1. EuGH, Urteil vom 21.06.2012 – C-80/11 und – C-142/11, EU:C:2012:373[]
  2. EuGH, Urteil vom 13.02.2014 – C-18/13, EU:C:2014:69[]
  3. EuGH, Urteil vom 06.12 2012 – C-285/11, EU:C:2012:774[]
  4. EuGH, Urteile Mahagebén und Dávid, EU:C:2012:373, Rz 43, 44, 52; Maks Pen, EU:C:2014:69, Rz 25, und Bonik, EU:C:2012:774, Rz 29, 33, 40[]
  5. BFH, Urteil vom 22.07.2015 – V R 23/14, BFHE 250, 559, BStBl II 2015, 914, Rz 36[]
  6. z.B. EuGH, Urteil Bonik, EU:C:2012:774, Rz 44[]
  7. EuGH, EU:C:2014:69, Rz 31[]
  8. EuGH, Urteile Teleos vom 27.09.2007 – C-409/04, EU:C:2007:548, Rz 68, und Netto Supermarkt vom 21.02.2008 – C-271/06, EU:C:2008:105, Rz 25[]
  9. BFH, Urteil vom 30.04.2009 – V R 15/07, BFHE 225, 254, BStBl II 2009, 744, Rz 49[]
  10. vgl. BFH, Urteil vom 23.09.2004 – V R 58/03, BFH/NV 2005, 825, Rz 12[]
  11. BFH, Urteil vom 16.09.2014 – X R 30/13, BFH/NV 2015, 150, 2. Orientierungssatz und Rz 29; BVerwG, Urteile vom 19.05.1981 – 1 C 169.79, BVerwGE 62, 215; vom 21.09.2000 – 2 C 5.99, DVBl. 2001, 726; vom 27.09.1978 – 1 C 28.77, DöV 1979, 374; vom 27.03.1979 – 1 C 15.77, Buchholz 402.24 § 10 der Ausländergesetzes Nr. 61; Kopp/Schenke, Verwaltungsgerichtsordnung, Kommentar, 21. Aufl., § 114 Rz 6a, m.w.N.[]
  12. BFH, Urteil vom 03.08.1983 – II R 144/80, BFHE 139, 128, BStBl II 1984, 321, Orientierungssatz[]
  13. ständige Rechtsprechung, z.B. BFH, Urteil vom 06.11.2012 – VII R 72/11, BFHE 239, 15, BStBl II 2013, 141, Orientierungssatz und Rz 14[]
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