Hat eine GmbH in den Jahren 1998 bis 2000 auf ihrem Betriebsgrundstück ein Gebäude errichtet, das sie teilweise unternehmerisch nutzt und teilweise ihren Gesellschafter-Geschäftsführern unentgeltlich für deren private Wohnzwecke überlässt, kann der GmbH ein Vorsteuerabzugsrecht aus den Bauerrichtungskosten zustehen.

Die Vereinbarung einer Nutzungsüberlassung von Wohnraum im Rahmen eines Mietvertrages oder eines Anstellungsvertrages gilt dagegen umsatzsteuerrechtlich regelmäßig als steuerfreie Vermietung und schließt den Vorsteuerabzug aus den entsprechenden Bauerrichtungskosten aus.
Nach § 15 Abs. 1 Nr. 1 UStG kann ein Unternehmer die in Rechnungen gemäß § 14 UStG gesondert ausgewiesene Steuer für Lieferungen oder sonstige Leistungen, die von anderen Unternehmern für sein Unternehmen ausgeführt worden sind, als Vorsteuerbeträge abziehen. Gemäß § 15 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 UStG ist der Vorsteuerabzug u.a. ausgeschlossen für Lieferungen und sonstige Leistungen, die der Unternehmer zur Ausführung steuerfreier Umsätze verwendet.
§ 15 UStG beruht auf Art. 17 Abs. 2 der Sechsten Umsatzsteuer-Richtlinie 77/388/EWG1. Danach ist der Steuerpflichtige befugt, die von ihm geschuldete Steuer abzuziehen, soweit die Gegenstände und Dienstleistungen für Zwecke seiner besteuerten Umsätze verwendet werden.
Errichtet ein Unternehmer ein Gebäude, das zu Zwecken seines Unternehmens und zu seinen privaten Wohnzwecken genutzt werden soll, hat er die Wahl, ob der privat genutzte Teil „für die Anwendung der Sechsten Richtlinie zu seinem Unternehmen gehören soll oder nicht“2. Entscheidet er sich für die Zuordnung des Gegenstandes zum Unternehmen, sind die Vorsteuerbeträge aus den Herstellungskosten grundsätzlich sofort und vollständig abziehbar. Dieses Recht auf den sofortigen Abzug der vollständigen Vorsteuerbeträge korrespondiert mit der Verpflichtung, die Mehrwertsteuer auf den Betrag der Ausgaben für die Verwendung des Gegenstandes gemäß Art. 6 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 77/388/EWG zu zahlen.
Nach dem VNLTO-Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union3 kann das Zuordnungswahlrecht bei einer gemischten Verwendung eines Gegenstandes nicht nur für natürliche Personen, sondern auch für juristische Personen des Privatrechts bestehen. Der Gerichtshof der Europäischen Union hat aber klargestellt, dass nicht bereits jede teilweise Verwendung zu „nichtwirtschaftlichen“ (in der deutschen Terminologie: nichtunternehmerischen) Zwecken das Zuordnungswahlrecht und das Recht auf einen vollständigen Vorsteuerabzug auslöst. Erforderlich ist vielmehr, dass der gemischtgenutzte Gegenstand insoweit für den privaten Bedarf des Steuerpflichtigen, für den Bedarf seines Personals oder für unternehmensfremde Zwecke im Sinne des Art. 6 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 77/388/EWG verwendet wird. Denn nur in diesen Fällen ist das Erfordernis erfüllt, dass das –durch eine Zuordnungsentscheidung entstandene– Recht auf einen vollständigen Vorsteuerabzug mit der (späteren) Verpflichtung zur (teilweisen) Versteuerung einer unentgeltlichen Wertabgabe korrespondiert. Dabei geht der Gerichtshof der Europäischen Union davon aus, dass der Begriff „unternehmensfremde Zwecke“ im Sinne des Art. 6 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 77/388/EWG enger ist als der Begriff der Verwendung für „nichtwirtschaftliche“ bzw. „nichtunternehmerische“ Zwecke4. Er hat bei der VNLTO, deren Mitglieder im Agrarsektor tätige Unternehmen sind, die Wahrnehmung der Interessen der Mitglieder nicht als „unternehmensfremd“ betrachtet, da dies den Hauptzweck der Vereinigung darstelle.
In dem Urteil „Seeling“5 hat der Gerichtshof der Europäischen Union entschieden, dass entgegen der Auffassung der deutschen Regierung die Nutzung der Wohnräume durch den Unternehmer keine steuerfreie Vermietung im Sinne des Art. 13 Teil B Buchst. b der Richtlinie 77/388/EWG ist. Bei der privaten Nutzung der Wohnung durch den Steuerpflichtigen liege keine Vermietung vor, weil es nicht nur an der Zahlung eines Mietzinses, sondern auch an wirklichen Vereinbarungen über die Dauer des Nutzungsrechts und über das Recht, die Wohnung in Besitz zu nehmen und andere von ihr auszuschließen, fehle.
Die bei einer natürlichen Person als Unternehmer bestehende Rechtslage bezüglich der Nutzung von Wohnräumen in einem Gebäude des Unternehmers unterscheidet sich von derjenigen im Fall der Nutzung von Wohnräumen durch die Gesellschafter-Geschäftsführer einer GmbH in einem Gebäude, das der GmbH gehört. Denn während der Einzelunternehmer mit sich selbst keine Verträge schließen kann, ist dies bei einer GmbH und ihren Gesellschafter-Geschäftsführern anders.
Die GmbH als juristische Person kann
- mit ihren Gesellschafter-Geschäftsführern einen Mietvertrag abschließen, durch den ihnen Wohnraum gegen Zahlung eines Entgelts überlassen wird,
- mit ihren Gesellschafter-Geschäftsführern einen Anstellungsvertrag abschließen und darin vereinbaren, dass die Überlassung des Wohnraums –als sog. Sachbezug– einen Teil der Vergütung für ihre Tätigkeit bildet, also ein Tausch vorliegt, oder
- den Wohnraum ihren Gesellschaftern in deren Eigenschaft als Anteilseigner unentgeltlich überlassen.
Liegt ein ausdrücklich vereinbarter Mietvertrag einer GmbH mit ihren Gesellschafter-Geschäftsführern vor6, handelt es sich um eine steuerfreie Vermietung im Sinne von § 4 Nr. 12 Buchst. a UStG, die einen Ausschluss des Vorsteuerabzugs nach § 15 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 UStG zur Folge hat.
Auch die Vereinbarung einer Nutzungsüberlassung im Rahmen eines Anstellungsvertrages führt in der Regel zu einer Vermietung im Sinne des § 4 Nr. 12 Buchst. a UStG. Denn eine als Vermietung anzusehende Nutzungsüberlassung kann auch in einem sonstigen Vertrag geregelt werden7. Dabei ist es nicht erforderlich, dass die Nutzungsüberlassung dem Vertrag „das Gepräge“ gibt.
Wird die Überlassung einer Wohnung eines Arbeitgebers an seinen Arbeitnehmer in einem Anstellungsvertrag geregelt, ist sie in der Regel nicht unentgeltlich. Der Wohnraum wird vielmehr regelmäßig als Gegenleistung für die Arbeitsleistung des Arbeitnehmers zur Verfügung gestellt8.
Dies gilt auch bei der im Anstellungsvertrag vereinbarten Überlassung einer Wohnung durch eine GmbH an ihren Gesellschafter-Geschäftsführer. Insoweit kann für die Nutzungsüberlassung einer Wohnung grundsätzlich nichts Anderes gelten als für die Überlassung eines PKW zur privaten Nutzung. Hier entspricht es sowohl der Rechtsprechung des I. Senats des Bundesfinanzhofs9 als auch derjenigen des VI. Senats10, dass bei einer Regelung der Nutzung im Anstellungsvertrag in der Regel Sachlohn anzusetzen und damit keine unentgeltliche Leistung anzunehmen ist. Im Einklang damit ist nach der Rechtsprechung des XI. Senats des Bundesfinanzhofs in der Überlassung von Fahrzeugen zur privaten Nutzung an Gesellschafter-Geschäftsführer im Rahmen eines Anstellungsverhältnisses eine entgeltliche unternehmerische Nutzung zu sehen11.
Dies stimmt mit der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union überein, wonach die Überlassung von Einkaufsgutscheinen durch einen Unternehmer an seine Bediensteten eine entgeltliche Leistung darstellt12.
Für die Annahme einer entgeltlichen Vermietung im Sinne von Art. 13 Teil B Buchst. b der Richtlinie 77/388/EWG ist es nicht zwingend, dass die Nutzung von vornherein auf eine bestimmte Dauer festgelegt ist13.
Etwas Anderes kann gelten, wenn eine GmbH dem Gesellschafter-Geschäftsführer den Wohnraum überlässt, ohne dies in einem Anstellungs- oder Mietvertrag zu regeln. Dann ist es möglich, dass die Nutzungsüberlassung ihre Ursache nicht im Anstellungsverhältnis, sondern im Gesellschaftsverhältnis hat und dass die GmbH den Wohnraum ihrem Gesellschafter in seiner Eigenschaft als Anteilseigner unentgeltlich überlassen wollte. Soweit der Bundesfinanzhof bei der Überlassung eines PKW an einen Gesellschafter-Geschäftsführer zur privaten Nutzung auch bei Fehlen ausdrücklicher Absprachen Arbeitslohn angenommen hat14, ist zu bedenken, dass die Überlassung von Wohnraum auch bei einem Gesellschafter-Geschäftsführer nicht als übliche Vergütungsleistung angesehen werden kann.
Die unentgeltliche Nutzung eines einer GmbH gehörenden Wohnhauses durch ihre Gesellschafter in deren Eigenschaft als Anteilseigner betrifft den nichtunternehmerischen Bereich der GmbH, da sie damit nicht eine auf die Erzielung von Einnahmen gerichtete Tätigkeit ausübt. Wird ein der GmbH gehörendes Wohnhaus ausschließlich unentgeltlich durch die Gesellschafter zu deren privaten Wohnzwecken genutzt, ist es nicht für Zwecke der besteuerten Umsätze der GmbH angeschafft worden. Da in diesem Fall auch keine sog. gemischte Nutzung vorliegt, kann auch kein Zuordnungswahlrecht bestehen. Ein Vorsteuerabzug ist von vornherein ausgeschlossen, weil die Voraussetzungen von § 15 Abs. 1 UStG nicht erfüllt sind.
Soll hingegen das Wohngebäude teilweise auch für unternehmerische Zwecke genutzt werden, ist damit eine gemischte Nutzung beabsichtigt. Denn die privaten Wohnzwecke der Gesellschafter einer GmbH sind unternehmensfremde Zwecke i.S. des Art. 6 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 77/388/EWG. Der GmbH steht das Wahlrecht zu, das gesamte Gebäude ihrem unternehmerischen Bereich zuzuordnen und einen vollständigen Vorsteuerabzug geltend zu machen.
Der Umstand, dass einer juristischen Person als Unternehmer bei der Anschaffung eines gemischt, d.h. auch für unternehmensfremde Zwecke genutzten Gegenstandes ebenso ein Zuordnungswahlrecht zusteht wie einer natürlichen Person, bedeutet, dass auch bei einer juristischen Person eine Entscheidung, den Gegenstand insgesamt ihrem unternehmerischen Bereich zuordnen zu wollen, erforderlich ist. Es gelten deshalb die gleichen Grundsätze wie bei natürlichen Personen. Das bedeutet, dass eine durch Beweisanzeichen gestützte Zuordnungsentscheidung zum unternehmerischen Bereich vorliegen muss15 und dass diese Entscheidung bereits bei der Anschaffung oder Herstellung des Gegenstandes zu treffen ist16.
Bundesfinanzhof, Urteil vom 12. Januar 2011 – XI R 9/08
- Sechste Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften über die Umsatzsteuern[↩]
- vgl. EuGH, Urteil in Slg. 2003, I-4101, BStBl II 2004, 378, Rz 40, m.w.N.[↩]
- EuGH, Urteil vom 12.02.2009 – C-515/07 [VNLTO], Slg. 2009, I-839, BFH/NV 2009, 682[↩]
- vgl. dazu Hundt-Eßwein, Der Umsatz-Steuer-Berater 2010, 83, 87; Sterzinger, UR 2010, 125, 129[↩]
- EuGH, Urteil „Seeling“ in Slg. 2003, I-4101, BStBl II 2004, 378[↩]
- vgl. für den umgekehrten Fall einer Vermietung durch den Gesellschafter an die Gesellschaft: EuGH, Urteil vom 27.01.2000 – C-23/98 [J. Heerma], Slg. 2000, I-419, UR 2000, 121[↩]
- vgl. z.B. EuGH, Urteil vom 12.02.1998 – C-346/95 [Blasi], Slg. 1998, I-481, UR 1998, 189, Rz 25[↩]
- vgl. BFH, Urteile in BFHE 147, 284, BStBl II 1986, 877; und vom 07.10.1987 – V R 2/79, BFHE 151, 228, BStBl II 1988, 88[↩]
- vgl. BFH, Urteil vom 17.07.2008 – I R 83/07, BFH/NV 2009, 417[↩]
- vgl. BFH, Urteil vom 23.04.2009 – VI R 81/06, BFHE 225, 33, BFH/NV 2009, 1313[↩]
- BFH, Urteil vom 01.04.2009 XI R 26/08, BFH/NV 2009, 1155[↩]
- EuGH, Urteil vom 29.07.2010 – C-40/09 [Astra Zeneca UK Ltd.], BFH/NV 2010, 1762, UR 2010, 734[↩]
- vgl. EuGH, Urteil vom 18.11.2004 – C-284/03 [Temco], Slg. 2004, I-11237, BFH/NV Beilage 2005, 86, Rz 22, m.w.N.[↩]
- vgl. dazu BFH, Urteil vom 10.06.1999 – V R 87/98, BFHE 189, 196, BStBl II 1999, 580[↩]
- vgl. dazu z.B. BFH, Urteil vom 31.01.2002 – V R 61/96, BFHE 197, 372, BStBl II 2003, 813, m.w.N.[↩]
- vgl. BFH, Urteile vom 11.04.2008 – V R 10/07, BFHE 221, 456, BStBl II 2009, 741, m.w.N.; und vom 17.12.2008 – XI R 64/06, BFH/NV 2009, 798[↩]