Die nach Kündigung eines Architektenvertrages zu zahlende Vergütung ist nur insoweit Entgelt i.S. von § 10 Abs. 1 UStG, als sie auf schon erbrachte Leistungsteile entfällt.

Nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 UStG unterliegen der Umsatzsteuer die Lieferungen und sonstigen Leistungen, die ein Unternehmer im Inland gegen Entgelt im Rahmen seines Unternehmens ausführt. Unionsrechtlich beruht dies auf Art. 2 Abs. 1 Buchst. a und c der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28.11.2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (MwStSystRL).
Die Besteuerung einer Lieferung oder sonstigen Leistung nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 UStG setzt das Bestehen eines unmittelbaren Zusammenhangs zwischen der erbrachten Leistung und dem empfangenen Gegenwert voraus. Der Leistungsempfänger muss identifizierbar sein; er muss einen Vorteil erhalten, der zu einem Verbrauch im Sinne des gemeinsamen Mehrwertsteuerrechts führt1.
Demgegenüber sind Entschädigungen oder Schadensersatzzahlungen grundsätzlich kein Entgelt im Sinne des Umsatzsteuerrechts, wenn die Zahlung nicht für eine Lieferung oder sonstige Leistung an den Zahlenden erfolgt, sondern weil der Zahlende nach Gesetz oder Vertrag für einen Schaden und seine Folgen einzustehen hat2. In diesen Fällen besteht kein unmittelbarer Zusammenhang zwischen der Zahlung und der Leistung3. Ob eine Leistung des Unternehmers vorliegt, die derart mit der Zahlung verknüpft ist, dass sie sich auf die Erlangung einer Gegenleistung (Zahlung) richtet, bestimmt sich in erster Linie nach dem der Leistung zugrunde liegenden Rechtsverhältnis4.
Nach dem Urteil des Bundesfinanzhofs vom 27.08.19705 ist die Vergütung, die der Unternehmer nach Kündigung oder vertraglicher Auflösung eines Werklieferungsvertrages vereinnahmt, ohne an den Besteller die bereitgestellten Werkstoffe oder das teilweise vollendete Werk geliefert zu haben, kein Entgelt. Dem folgen Finanzverwaltung (Abschn.01.3 Abs. 5 des Umsatzsteuer-Anwendungserlasses) und Kommentarliteratur6. In Übereinstimmung hiermit geht der BGH in seinem Urteil in BGHZ 174, 267 davon aus, dass die gemäß § 649 Satz 2 BGB a.F. oder § 8 Nr. 1 Abs. 2 der Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen nach Kündigung eines Bauvertrages zu zahlende Vergütung nur insoweit Entgelt i.S. von § 10 Abs. 1 UStG und damit Bemessungsgrundlage für den gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG steuerbaren Umsatz ist, als sie auf schon erbrachte Leistungsteile entfällt.
So lassen in dem hier vom Bundesfinanzhof entschiedenen Fall die Feststellungen des erstinstanzlich tätigen Niedersächsischen Finanzgerichts7 eine Beurteilung, ob der gesamte vom X-Kreis gezahlte Betrag auf der Grundlage der vorstehenden Rechtsprechung als Gegenleistung anzusehen ist, nicht zu. Die Auslegung sowohl des Architektenvertrages vom 23.02./02.04.2012 als auch der Vereinbarung vom 27.03./04.04.2017 durch das Finanzgericht ist für den Bundesfinanzhof nicht bindend, weil sie nicht alle Begleitumstände berücksichtigt; es sind weitere Feststellungen zu treffen:
Die Auslegung von Verträgen und Willenserklärungen gehört zwar zum Bereich der tatsächlichen Feststellungen und bindet den Bundesfinanzhof gemäß § 118 Abs. 2 FGO, wenn sie den Grundsätzen der §§ 133, 157 BGB entspricht und nicht gegen Denkgesetze und Erfahrungssätze verstößt8. Der BFH ist aber als Revisionsgericht nicht gehindert, die Auslegung des Finanzgericht daraufhin zu prüfen, ob die gesetzlichen Auslegungsregeln (§§ 133, 157 BGB) sowie die Denkgesetze und Erfahrungssätze zutreffend angewandt worden sind und ob das Finanzgericht die für die Vertragsauslegung bedeutsamen Begleitumstände erforscht und rechtlich zutreffend gewürdigt hat9.
Das Finanzgericht hat die Vereinbarung vom 27.03./04.04.2017 dahingehend ausgelegt, dass die Beteiligten sich nicht auf die Zahlung eines Schadensersatzes an Stelle des vertraglich geschuldeten Honorars geeinigt, sondern das dem Architekten nach dem Architektenvertrag vom 23.02./02.04.2012 für den Fall der vorzeitigen Beendigung des Auftrags zustehende Honorar zahlenmäßig konkretisiert haben. Das lässt sich aus der Vereinbarung nicht zweifelsfrei entnehmen, weil in Ziff. 2 der Vereinbarung für „tatsächlich erbrachte Planungsleistungen“ ein gesonderter Honorarposten vereinbart ist. Das wirft die Frage auf, weshalb das Finanzgericht davon ausgeht, dass die Beteiligten auch in Ziff. 3 der Vereinbarung mit dem dort genannten „Ausfallhonorar“ eine weitere Gegenleistung für eine steuerbare Leistung vereinbart haben sollen. Die bloße zahlenmäßige Konkretisierung ist für sich genommen ungeeignet, eine Zuordnungsentscheidung darüber zu treffen, ob eine Zahlung als Entgelt für eine teilweise erbrachte Leistung oder als Zahlung ohne Entgeltcharakter im Sinne des Bundesfinanzhofs, Urteils in BFHE 100, 259, BStBl II 1971, 6 anzusehen ist. Maßgeblich ist dabei das, was die Parteien tatsächlich vereinbaren wollten. War die Aufteilung der Zahlung in zwei Bestandteile nicht ernsthaft gewollt und sollte sie z.B. nur dazu dienen, die Entstehung einer Umsatzsteuer zu verhindern oder zu mindern, deren Zahlung nicht zum Vorsteuerabzug berechtigt, kann der volle Betrag als Gegenleistung anzusehen sein. Hierzu hat das Finanzgericht indes keine Feststellungen getroffen.
Zu berücksichtigen ist auch, wovon das Finanzamt zunächst ausgegangen ist, dass die Voraussetzungen für einen entgeltlichen Leistungsaustausch vorliegen können, wenn ein Steuerpflichtiger auf eine ihm, sei es auf gesetzlicher oder vertraglicher Grundlage, zustehende Rechtsposition gegen Entgelt verzichtet10. So wird z.B. als steuerbarer Umsatz auch die vertragliche Auflösung eines Mietvertrages gegen Abfindung beurteilt11. Daran bestehen aber Zweifel, wenn der Architekt das Vertragsverhältnis (hier: den Architektenvertrag) bereits am 28.02.2017 (vorzeitig) gekündigt hat, wovon die Beteiligten in der gütlichen Vereinbarung vom 27.03.2017 ausgegangen sind. In diesem Falle verfügte er im Zeitpunkt der Besprechung möglicherweise über keine (vermögenswerte) Rechtsposition aus dem Architektenvertrag mehr, auf die er (gegen Entgelt) hätte verzichten können. Das Finanzgericht hat in seinem Urteil lediglich festgestellt, dass die Kündigung des Architektenvertrages am 28.02.2017 ausgesprochen wurde, nicht aber von welcher Vertragspartei.
Hierzu hat das Finanzgericht keine weiteren Feststellungen getroffen. Eine Steuerbarkeit und Steuerpflicht kommt auf dieser Grundlage nur in Betracht, wenn der Architekt eine Rechtsposition innegehabt und auf diese verzichtet hat.
Bundesfinanzhof, Urteil vom 26. August 2021 – V R 13/19
- vgl. z.B. BFH, Urteile vom 16.01.2014 – V R 22/13, BFH/NV 2014, 736; und vom 07.07.2005 – V R 34/03, BFHE 211, 59, BStBl II 2007, 66, unter II. 1., m.w.N. aus der Rechtsprechung des EuGH[↩]
- vgl. z.B. EuGH, Urteil Kennemer Golf vom 21.03.2002 – C-174/00, EU:C:2002:200; BFH, Urteil vom 20.03.2013 – XI R 6/11, BFHE 241, 191, BStBl II 2014, 206[↩]
- BFH, Urteile in BFH/NV 2014, 736; und vom 11.02.2010 – V R 2/09, BFHE 228, 467, BStBl II 2010, 765[↩]
- vgl. z.B. EuGH, Urteil Kennemer Golf, EU:C:2002:200; BFH, Urteil in BFHE 241, 191, BStBl II 2014, 206[↩]
- BFH, Urteil vom 27.08.1970 – V R 159/66, BFHE 100, 259, BStBl II 1971, 6[↩]
- vgl. z.B. Nieskens in Rau/Dürrwächter, Umsatzsteuergesetz, § 1 Rz 894; Probst in Hartmann/Metzenmacher, Umsatzsteuergesetz, § 1 Rz 172, sowie Robisch in Bunjes, UStG, 20. Aufl., § 1 Rz 16[↩]
- Nds. FG, Urteil vom 28.02.2019 – 5 K 214/18[↩]
- z.B. BFH, Urteile vom 17.06.2020 – I R 56/17, BFH/NV 2021, 547, Rz 13; vom 25.07.2019 – IV R 49/16, BFH/NV 2020, 15[↩]
- BFH, Urteile in BFH/NV 2021, 547, Rz 18; vom 08.11.2018 – IV R 38/16, BFH/NV 2019, 551; und vom 09.05.2017 – VIII R 1/14, BFH/NV 2017, 1418, Rz 38 f.[↩]
- BFH, Urteile in BFH/NV 2014, 736, und in BFHE 211, 59, BStBl II 2007, 66[↩]
- EuGH, Urteil Lubbock Fine vom 15.12.1993 – C-63/92, EU:C:1993:929, BStBl II 1995, 480, Rz 9 und 12; BFH, Urteil in BFHE 211, 59, BStBl II 2007, 66, Rz 15; BFH, Beschluss vom 23.01.2002 – V B 161/01, BFH/NV 2002, 553[↩]
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