Alkohol-Wasser-Mischungen – und ihre Steuerbefreiung als zugelassenes Arzneimittel

Der Ausschluss als Arzneimittel zugelassener reiner Alkohol-Wasser-Mischungen in § 132 Abs. 1 Nr. 1 BranntwMonG a.F. und § 152 Abs. 1 Nr. 1 BranntwMonG verstößt gegen Art. 27 Abs. 1 Buchst. d der Richtlinie 92/83/EWG. Ein Anspruch, den zur Herstellung solcher Arzneimittel verwendeten Branntwein von der Steuer zu befreien, ergibt sich aus einer unmittelbaren Anwendung des Art. 27 Abs. 1 Buchst. d Richtlinie 92/83/EWG.

Alkohol-Wasser-Mischungen – und ihre Steuerbefreiung als zugelassenes Arzneimittel

Nach § 132 Abs. 1 Nr. 1 BranntwMonG a.F. und § 152 Abs. 1 Nr. 1 BranntwMonG sind Erzeugnisse (Branntwein sowie branntweinhaltige Waren) von der Steuer befreit, wenn sie zur Herstellung von Arzneimitteln durch dazu nach Arzneimittelrecht Befugte verwendet werden. Von dieser Befreiung ausdrücklich ausgenommen sind reine Alkohol-Wasser-Mischungen. Unstreitig handelt es sich bei der von der Arzneimittelherstellerin hergestellten Alkohol-Wasser-Mischung (70 % V/V) um ein Arzneimittel i.S. des § 2 Abs. 4 Satz 1 AMG. Danach gilt ein Mittel als Arzneimittel, solange es nach dem AMG als Arzneimittel zugelassen oder registriert oder durch Rechtsverordnung von der Zulassung oder Registrierung freigestellt ist. Im Streitfall besitzt das von der Arzneimittelherstellerin hergestellte und unter der Bezeichnung Ethanol 70 % (V/V) vertriebene Erzeugnis eine Zulassung als Arzneimittel. Es ist zum Auftragen auf die Haut und zur Bereitung von Kühlumschlägen bestimmt. Da es sich jedoch um eine reine Alkohol-Wasser-Mischung handelt, ist es von der in § 132 Abs. 1 Nr. 1 BranntwMonG a.F. und § 152 Abs. 1 Nr. 1 BranntwMonG festgelegten Steuerbefreiung für Arzneimittel ausgeschlossen.

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Der Ausschluss reiner Alkohol-Wasser-Mischungen aus dem Kreis der zu begünstigenden Arzneimittel verstößt jedoch gegen die Vorgaben des Unionsrechts.

Nach Art. 27 Abs. 1 Buchst. d Alkoholstrukturrichtlinie besteht eine obligatorische Steuerbefreiung für die von dieser Bestimmung erfassten Erzeugnisse, zu denen nach Art.19 Abs. 1 und Art.20 Alkoholstrukturrichtlinie auch Ethylalkohol gehört, wenn diese zur Herstellung von Arzneimitteln im Sinne der Richtlinie 65/65/EWG des Rates vom 26.01.1965 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften über Arzneispezialitäten1 verwendet werden. Inzwischen ist die RL 65/65/EWG durch die Richtlinie 2001/83/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 06.11.2001 zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel2 ersetzt worden. Nach Art. 128 RL 2001/83/EG gelten Bezugnahmen auf die aufgehobene RL 65/65/EWG als Bezugnahmen auf die RL 2001/83/EG. Als Arzneimittel werden in Art. 1 Nr. 2 dieser Richtlinie alle Stoffe oder Stoffzusammensetzungen erfasst, die als Mittel zur Heilung oder zur Verhütung menschlicher Krankheiten bezeichnet werden oder dazu bestimmt sind, im oder am menschlichen Körper zur Erstellung einer ärztlichen Diagnose oder zur Wiederherstellung, Besserung oder Beeinflussung der menschlichen physiologischen Funktionen angewandt zu werden.

Im Streitfall handelt es sich bei dem von der Arzneimittelherstellerin hergestellten Erzeugnis, das zur Bereitung von Kühlumschlägen verwendet wird, um ein solches, das die Voraussetzungen des Art. 1 Nr. 2 RL 2001/83/EG erfüllt und auch in Deutschland unter Zuteilung einer entsprechenden Zulassungsnummer als Arzneimittel zugelassen ist. Daraus folgt, dass der zur Herstellung dieses Arzneimittels verwendete Ethylalkohol zwingend von der harmonisierten Verbrauchsteuer zu befreien ist.

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Der in § 132 Abs. 1 Nr. 1 BranntwMonG a.F. und § 152 Abs. 1 Nr. 1 BranntwMonG normierte Ausschluss der Steuerbefreiung für reine Alkohol-Wasser-Mischungen lässt sich nicht durch die Ermächtigung in Art. 27 Abs. 1 Alkoholstrukturrichtlinie legitimieren, nach der die Mitgliedstaaten die von dem Rechtsakt erfassten Erzeugnisse von der harmonisierten Verbrauchsteuer nach Maßgabe von Bedingungen befreien, die sie zur Sicherstellung einer korrekten und einfachen Anwendung solcher Steuerbefreiungen sowie zur Vermeidung von Steuerflucht, Steuerhinterziehung oder Missbrauch festlegen.

Nach dem Wortlaut der Vorschrift sind die Mitgliedstaaten lediglich dazu berechtigt, die näheren Bedingungen, d.h. die Voraussetzungen bzw. Verfahrensmodalitäten, bei deren Beachtung die Steuerbefreiung zu gewähren ist, festzulegen. Entgegen der Auffassung des Hauptzollamt kann dieser Regelung jedoch nicht entnommen werden, dass es in das Belieben der Mitgliedstaaten gestellt ist, einzelne Arzneimittel von der Befreiung auszunehmen und damit den Anwendungsbereich des Art. 27 Abs. 1 Alkoholstrukturrichtlinie seinem Umfang nach zu beschränken. Auf dieses Verständnis deutet die Regelung in Art. 27 Abs. 5 Alkoholstrukturrichtlinie hin, nach dem es dem in Art. 24 der Richtlinie Nr. 92/12/EWG des Rates vom 25.02.1992 über das allgemeine System, den Besitz, die Beförderung und die Kontrolle verbrauchsteuerpflichtiger Waren3 genannten Verbrauchsteuerausschuss vorbehalten ist, auf entsprechenden Antrag eines Mitgliedstaats in bestimmten Fällen denaturiertem Alkohol die Steuerbefreiung zu versagen. In diesen Fällen hängt die Steuerbefreiung nicht von der konkreten Verwendung des verbrauchsteuerpflichtigen Alkohols, sondern von dessen Vergällung nach den Vorschriften eines Mitgliedstaats ab. Nur für diejenigen Erzeugnisse, für die aufgrund ihrer Denaturierung eine verwendungsunabhängige Begünstigung vorgesehen ist, besteht die Möglichkeit eines Ausschlusses von der Befreiung. Eine solche Möglichkeit besteht für andere Erzeugnisse, wie z.B. für Arzneimittel, hingegen nicht. Bei diesen Erzeugnissen können die Mitgliedstaaten einem Missbrauch nur durch die Festlegung von Bedingungen -z.B. durch die Einführung eines nach Art. 27 Abs. 6 Alkoholstrukturrichtlinie ausdrücklich vorgesehenen Entlastungsverfahrens- begegnen. Diese dürfen jedoch nicht dazu führen, dass eine Steuerbefreiung von vornherein ausgeschlossen ist.

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Für dieses Rechtsverständnis sprechen auch die Ausführungen des EuGH zum national-rechtlichen Ausschluss unionsrechtlich festgelegter obligatorischer Mehrwertsteuer- und Energiesteuerbefreiungen. Zwar können die zur Mehrwertsteuer ergangenen Entscheidungen des EuGH nicht ohne Weiteres auf das Verbrauchsteuerrecht übertragen werden, doch sind ihnen Aussagen zu den allgemeinen Grundsätzen der Rechtssicherheit und der Verhältnismäßigkeit zu entnehmen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die in Art. 27 Abs. 1 Alkoholstrukturrichtlinie normierte Ermächtigung den Regelungen in Art. 14 Abs. 1 und Art. 28c Teil A Buchst. a Unterabs. 1 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17.05.1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern nachgebildet ist, die die Steuerbefreiungen in Fällen der Einfuhr und der innergemeinschaftlichen Lieferung betreffen. Hinsichtlich der Steuerbefreiung innergemeinschaftlicher Lieferungen ist der EuGH, Entscheidung4 zu entnehmen, dass die Maßnahmen, die die Mitgliedstaaten erlassen können, um eine genaue Erhebung der Steuer sicherzustellen und Steuerhinterziehungen zu verhindern, nicht so eingesetzt werden dürfen, dass sie im Ergebnis die Steuerbefreiung verhindern.

In Bezug auf die in Art. 14 Abs. 1 der Richtlinie 2003/96/EG (EnergieStRL) des Rates vom 27.10.2003 zur Restrukturierung der gemeinschaftlichen Rahmenvorschriften zur Besteuerung von Energieerzeugnissen und elektrischem Strom5 festgelegten obligatorischen Energiesteuerbefreiungen hat der EuGH unter Hinweis auf die zur Mehrwertsteuer ergangenen Entscheidungen ausgeführt, dass die Unbedingtheit einer Verpflichtung zur Steuerbefreiung nach ständiger Rechtsprechung keineswegs dadurch in Frage gestellt wird, dass den Mitgliedstaaten in einem ersten Satzteil wie dem in Art. 14 Abs. 1 EnergieStRL ein Gestaltungsspielraum eingeräumt wird, wonach die Befreiungen von den Mitgliedstaaten „unter den Voraussetzungen gewährt werden, die sie zur Sicherstellung der korrekten und einfachen Anwendung solcher Befreiungen und zur Verhinderung von Steuerhinterziehung und -vermeidung oder Missbrauch festlegen“6. Die Rechtsprechung, die zur Versagung einer Steuerbefreiung durch Versäumnisse bei der frist- und ordnungsgemäßen Umsetzung von Richtlinien ergangen ist, lässt sich auf den Fall übertragen, in dem ein Mitgliedstaat eine obligatorische Befreiung durch eine entsprechende Anordnung in den gesetzlichen Bestimmungen von vornherein nicht gewährt. Denn auch in diesem Fall wird die Unbedingtheit einer Verpflichtung zur Steuerbefreiung missachtet.

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Aus den dargestellten Grundsätzen folgt, dass Deutschland dadurch gegen seine Verpflichtung aus Art. 27 Abs. 1 Buchst. d Alkoholstrukturrichtlinie verstoßen hat, dass es als Arzneimittel zugelassene reine Alkohol-Wasser-Mischungen von der nach geltendem Unionsrecht zwingend zu gewährenden Befreiung ausgenommen hat. Dabei ist entgegen der Auffassung des Hauptzollamt unbeachtlich, dass die Europäische Kommission nach Übersendung des BranntwMonG zur Erfüllung der sich aus Art. 31 Abs. 2 RL 92/12/EWG ergebenden Verpflichtung die unzulängliche Umsetzung des Art. 27 Abs. 1 Buchst. d Alkoholstrukturrichtlinie gegenüber Deutschland nicht beanstandet hat.

Nach ständiger Rechtsprechung des Unionsgerichtshofs kann sich der Einzelne in den Fällen, in denen die Bestimmungen einer Richtlinie inhaltlich unbedingt und hinreichend genau sind, vor den nationalen Gerichten gegenüber dem Staat auf diese Bestimmungen berufen, wenn dieser die Richtlinie nur unzulänglich in das nationale Recht umgesetzt hat7. Im Streitfall erfüllt die in Art. 27 Abs. 1 Buchst. d Alkoholstrukturrichtlinie die an die Bestimmtheit einer Regelung zu stellenden Voraussetzungen, so dass sich die Arzneimittelherstellerin auf sie berufen kann. Da ihr somit ein Anspruch auf die begehrte Steuerbefreiung zusteht, bedarf es keiner Entscheidung darüber, ob sich die vom Hauptzollamt erteilte Erlaubnis auch auf den Ausschluss reiner Alkohol-Wasser-Mischungen nach § 132 Abs. 1 Nr. 1 BranntwMonG a.F. bzw. § 152 Abs. 1 Nr. 1 BranntwMonG bezogen hat.

Bundesfinanzhof, Urteil vom 5. Mai 2015 – VII R 22/14

  1. ABl.EG Nr. 22, 369/65[]
  2. ABl.EG Nr. L 311/67[]
  3. ABl.EG Nr. L 76/1[]
  4. EuGH, Urteil vom 27.09.2007 – C-409/04 -Teleos-, Slg. 2007, I-7797, m.w.N.[]
  5. ABl.EU Nr. L 283/51[]
  6. EuGH, Urteil vom 17.07.2008 – C-226/07 -Flughafen Köln/Bonn, Slg. 2008, I-5999, Zeitschrift für Zölle und Verbrauchsteuern 2008, 270[]
  7. EuGH, Urteile vom 11.07.2002 – C-62/00 -Marks & Spencer, Slg. 2002, I-6325; und vom 05.10.2004 – C-397/01 bis – C-403/01 -Pfeiffer, Slg. 2004, I-8835; BFH, Urteil vom 27.06.2006 – VII R 62/05, BFH/NV 2006, 2132[]
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