Das noch zu erschließende Grundstück – und die Bemessungsgrundlage der Grunderwerbsteuer

eräußert ein privater Erschließungsträger ein von ihm zu erschließendes, im Zeitpunkt des Erwerbs aber noch unerschlossenes Grundstück, und sind die in dem Kaufpreis enthaltenen Erschließungskosten nicht gesondert ausgewiesen, ist Gegenstand des Erwerbsvorgangs das Grundstück im erschlossenen Zustand.

Das noch zu erschließende Grundstück – und die Bemessungsgrundlage der Grunderwerbsteuer

Nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG unterliegt der Grunderwerbsteuer u.a. ein sich auf ein inländisches Grundstück beziehender Kaufvertrag, der den Anspruch auf Übereignung begründet. Bemessungsgrundlage der Grunderwerbsteuer ist nach § 8 Abs. 1 GrEStG die Gegenleistung.

Bei einem Grundstückskauf gilt nach § 9 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG als Gegenleistung u.a. der Kaufpreis einschließlich der vom Käufer übernommenen sonstigen Leistungen. Danach gehören zur grunderwerbsteuerrechtlichen Gegenleistung (Bemessungsgrundlage) alle Leistungen des Erwerbers, die dieser nach den vertraglichen Vereinbarungen gewährt, um das Grundstück zu erwerben1.

Der Gegenstand des Erwerbsvorgangs, nach dem sich gemäß § 8 Abs. 1 i.V.m. § 9 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG die als Bemessungsgrundlage der Grunderwerbsteuer anzusetzende Gegenleistung richtet, wird zunächst durch das den Steuertatbestand des § 1 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG erfüllende zivilrechtliche Verpflichtungsgeschäft bestimmt2. Für den Umfang der Gegenleistung im grunderwerbsteuerrechtlichen Sinne ist entscheidend, in welchem Zustand die Vertragsbeteiligten das Grundstück zum Gegenstand des Erwerbsvorgangs gemacht haben3.

Das gilt auch für den Erschließungszustand des Grundstücks. Die Frage, ob Erschließungskosten als Gegenleistung zu erfassen sind, richtet sich folglich grundsätzlich ebenfalls danach, ob das Grundstück unerschlossen oder erschlossen bzw. mit der Verpflichtung des Veräußerers, es erschlossen zu verschaffen, Gegenstand des Erwerbsvorgangs ist4.

  1. Ist ein Grundstück im Zeitpunkt des Abschlusses des Grundstückskaufvertrags bereits tatsächlich erschlossen, kann Gegenstand eines solchen Vertrags nur das erschlossene Grundstück sein. In diesem Fall gehören die im Kaufvertrag ausgewiesenen Kosten für die Erschließung zur Gegenleistung5.
  2. Ist ein Grundstück im Zeitpunkt des Abschlusses des Grundstückskaufvertrags noch nicht erschlossen, verpflichtet sich jedoch der Veräußerer, das Grundstück dem Erwerber in erschlossenem Zustand zu verschaffen, ist das Grundstück in diesem Zustand Gegenstand des Erwerbsvorgangs i.S. des § 1 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG. Der auf die Erschließung entfallende Teil des Kaufpreises ist Entgelt für den Grundstückserwerb. Ob das erschlossene Grundstück Gegenstand der Übereignungsverpflichtung ist, ist jeweils im Wege der Auslegung der getroffenen Vereinbarungen zu ermitteln6.
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Der Bundesfinanzhof hält an dieser Rechtsprechung fest. Auch künftig entstehende Erschließungskosten können zur grunderwerbsteuerrechtlichen Bemessungsgrundlage gehören. Der öffentlich-rechtliche Charakter der gemeindlichen Erschließungslast widerspricht diesen Grundsätzen nicht.

Die Gemeinde kann die Erschließung durch städtebaulichen Vertrag nach § 11 Abs. 1 Sätze 1, 2 Nr. 1 BauGB (vormals durch Erschließungsvertrag nach § 124 BauGB) auf einen privaten Rechtsträger übertragen. Es handelt sich um einen öffentlich-rechtlichen Vertrag7. Diese Qualifikation setzt sich in den Rechtsbeziehungen zwischen dem Erschließungsträger und Dritten nicht fort. Der Erschließungsträger, der Eigentümer des unerschlossenen Grundstücks ist, kann wie jeder private Dritte im Rahmen der Vertragsfreiheit zivilrechtlich wirksam das Grundstück in dem Zustand veräußern, auf den sich die Vertragsparteien geeinigt haben und in den es erst noch zu versetzen ist. In diesem Falle ist der Veräußerer nach § 433 Abs. 1 i.V.m. § 434 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) verpflichtet, dem Käufer das Grundstück in der vereinbarten Beschaffenheit zu übergeben, ggf. auch im erschlossenen Zustand.

Eine von der des hier entschiedenen Streitfalls abweichende Fragestellung ist es, ob Erschließungskosten in die Bemessungsgrundlage einzubeziehen sind, wenn es neben dem Grundstückskaufvertrag zu einer gesonderten Vereinbarung über die Erschließungskosten kommt, sei es mit einem Veräußerer, der gleichzeitig Erschließungsträger ist8, sei es bei Auseinanderfallen von Veräußerer und Erschließungsträger9. Dasselbe gilt für die Beurteilung, wie eine Veräußerung durch die erschließungsbelastete Gemeinde selbst zu behandeln ist10. Ebenso wenig vergleichbar sind reine Kostenerstattungsvereinbarungen über die Erschließungskosten, die dem Eigentümer eines Grundstücks regelmäßig keinen Leistungsanspruch gegen den Erschließungsträger auf Herstellung der Erschließungsanlage vermitteln11, deren Inhalt sich vielmehr in der mit der Kostenerstattung erkauften Befreiung von der Erschließungsbeitragspflicht erschöpft.

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Die Auslegung des Grundstückskaufvertrags hat nach zivilrechtlichen Maßstäben zu erfolgen.

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs gehört die Auslegung von Verträgen zum Bereich der tatsächlichen Feststellungen und bindet das Revisionsgericht gemäß § 118 Abs. 2 FGO, wenn sie den Grundsätzen der §§ 133, 157 BGB entspricht und nicht gegen Denkgesetze und Erfahrungssätze verstößt, d.h. jedenfalls möglich ist. Der BFH hat lediglich zu prüfen, ob die Auslegung durch das Finanzgericht Auslegungsregeln, Denkgesetze oder Erfahrungssätze verletzt. Ist das der Fall, entfällt die Bindungswirkung12.

Eine solche Auslegung ist eine Frage des Einzelfalls. Kriterien dafür, dass das Grundstück nicht als erschlossenes Grundstück verkauft werden, sondern die Vereinbarung über die Erschließungskosten als selbständige Ablösevereinbarung bestehen soll, können beispielsweise die Begründung zweier selbständiger Geldforderungen, zweier unterschiedlicher Leistungspflichten des Veräußerers, getrennter Fälligkeitsregeln sowie eine von der Erschließung unabhängige Wirksamkeit des Kaufvertrags sein13.

Ausgehend von diesen Grundsätzen hat das Finanzgericht Münster im vorliegenden Fall in der Vorinstanz zutreffend entschieden14, dass die im Kaufpreis kalkulatorisch enthaltenen Erschließungskosten Teil der grunderwerbsteuerlichen Bemessungsgrundlage sind. Nach der Auslegung durch das Finanzgericht hatte der Kaufvertrag das Grundstück im erschlossenen Zustand zum Gegenstand. Diese Auslegung ist nicht nur nicht zu beanstanden, sondern nahezu zwingend. Alle vorgenannten Kriterien sprechen gegen eine Aufteilung des äußerlich einheitlich gestalteten Vertrags. Vor allem haben die Parteien einen einheitlichen Kaufpreis für den Quadratmeter vereinbart, ohne in dem Vertrag auch nur den kalkulatorischen Erschließungskostenanteil zu nennen. Die Bezugnahme auf den zwischen anderen Vertragsparteien abgeschlossenen Erschließungsvertrag ersetzt dies nicht. Mit einer Aufteilung des Grundstückskaufvertrags in einen Kaufvertrag über ein unerschlossenes Grundstück und eine Kostenerstattungsvereinbarung über die Erschließungskosten wäre die zivilrechtliche Hauptleistungspflicht des Grundstückskäufers nicht mehr bestimmt. Für die Entscheidung im vorliegenden Fall ist unerheblich, wie das Finanzamt andere Kaufverträge in einem anderen Baugebiet behandelt hat.

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Bundesfinanzhof, Urteil vom 23. Februar 2022 – II R 9/21

  1. BFH, Urteil vom 06.12.2017 – II R 55/15, BFHE 261, 58, BStBl II 2018, 406, Rz 10, m.w.N.[]
  2. BFH, Urteil vom 08.03.2017 – II R 38/14, BFHE 257, 368, BStBl II 2017, 1005, Rz 27[]
  3. ständige Rechtsprechung, u.a. BFH, Urteile vom 21.03.2007 – II R 67/05, BFHE 215, 301, BStBl II 2007, 614, unter II. 1.; vom 23.09.2009 – II R 20/08, BFHE 227, 379, BStBl II 2010, 495, sowie – II R 21/08, BFH/NV 2010, 679, beide unter II. 1.a[]
  4. BFH, Urteil in BFHE 215, 301, BStBl II 2007, 614, unter II. 1.a[]
  5. BFH, Urteile in BFHE 215, 301, BStBl II 2007, 614, unter II. 1.b; in BFHE 227, 379, BStBl II 2010, 495, sowie in BFH/NV 2010, 679, beide unter II. 1.b[]
  6. ständige Rechtsprechung, vgl. BFH, Urteile in BFHE 128, 92, BStBl II 1979, 577; vom 15.03.2001 – II R 39/99, BFHE 194, 452, BStBl II 2002, 93, unter II. 1.b, sowie – II R 51/00, BFH/NV 2001, 1297, unter II.b; vom 11.02.2004 – II R 31/02, BFHE 204, 489, BStBl II 2004, 521; in BFHE 215, 301, BStBl II 2007, 614, unter II. 1.b; in BFH/NV 2010, 679; und vom 01.10.2014 – II R 20/13, BFH/NV 2015, 349, Rz 15[]
  7. BVerwG, Urteil in BVerwGE 138, 244, Rz 24[]
  8. dazu BFH, Urteil in BFHE 215, 301, BStBl II 2007, 614, unter II. 2.b[]
  9. dazu BFH, Urteile in BFHE 194, 452, BStBl II 2002, 93, unter II. 1.c; in BFH/NV 2001, 1297, unter II.c[]
  10. dazu Hess. FG, Urteile vom 24.08.2020 – 5 K 1394/19 und 5 K 1373/19, EFG 2021, 52, Revisionen anhänigig: BFH – II R 31, 32/20[]
  11. BVerwG, Urteil in BVerwGE 138, 244, Rz 26[]
  12. ständige Rechtsprechung, vgl. etwa BFH, Urteile vom 05.12.2019 – II R 37/18, BFHE 267, 524, BStBl II 2020, 236, Rz 15; und vom 10.11.2020 – IX R 32/19, BFHE 271, 218, Rz 18[]
  13. BFH, Urteil in BFHE 128, 92, BStBl II 1979, 577, unter 2.a[]
  14. FG Münster, Urteil vom 18.03.2021 – 8 K 1438/19 GrE[]
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