Es ist auch infolge der Nichtigerklärung des Kernbrennstoffsteuergesetzes durch das Bundesverfassungsgericht1 verfassungsrechtlich nicht geboten, eine entrichtete und in der Folge der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zurückerstattete Kernbrennstoffsteuer ab dem Zeitpunkt der Steuererstattung zu verzinsen.

Mit dieser Begründung wies jetzt das Bundesverfassungsgericht die Verfassungsbeschwerde einer Kernkraftwerksbetreiberin zurück. Diese gab entsprechend den Vorgaben des Kernbrennstoffsteuergesetzes eine Steuererklärung ab, in der sie die Steuer mit 54.725.320 € berechnete. Das Hauptzollamt Osnabrück erklärte die Festsetzung der Kernbrennstoffsteuer hinsichtlich der Vereinbarkeit des Kernbrennstoffsteuergesetzes mit dem Grundgesetz für vorläufig, weil die Frage der Vereinbarkeit des Kernbrennstoffsteuergesetzes mit dem Grundgesetz zu diesem Zeitpunkt schon Gegenstand eines vor dem Bundesverfassungsgericht anhängigen Normenkontrollverfahrens war. Am 25.07.2016 beglich die Kraftwerksbetreiberin ihre Steuerschuld. Sodann legte sie Einspruch gegen die Festsetzung von Kernbrennstoffsteuer ein. Der Einspruch wurde zunächst nicht beschieden. Eine Klage vor dem Finanzgericht erhob die Kraftwerksbetreiberin deswegen jedoch nicht.
Im Rahmen eines Verfahrens der konkreten Normenkontrolle erklärte das Bundesverfassungsgericht mit Beschluss vom 13.04.2017 das Kernbrennstoffsteuergesetz für mit dem Grundgesetz insgesamt unvereinbar und nichtig1. Daraufhin hob das Hauptzollamt seinen Bescheid auf und half dadurch dem Einspruch der Kraftwerksbetreiberin ab. Die aufgrund der Steueranmeldung entrichteten 54.725.320 € zahlte es zurück.
Die Kraftwerksbetreiberin beantragte eine Verzinsung dieses Betrages. Sie verlangte je 0, 5 % Zinsen für zehn volle Monate zwischen dem Zeitpunkt der Entrichtung der Steuer am 25.07.2016 und dem Eingang der Erstattung am 19.06.2017, mithin 2.736.265 €. Der Gesetzgeber hat in der Abgabenordnung einen solchen Zinsanspruch allerdings nicht vorgesehen. Das Hauptzollamt Osnabrück lehnte daher die beantragte Festsetzung von Zinsen ab. Der hiergegen eingelegte Einspruch blieb erfolglos. Das Finanzgericht Hamburg wies die gegen die Ablehnung der Verzinsung erhobene Klage ab und ließ die Revision nicht zu2. Die von der Kraftwerksbetreiberin eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde wies der Bundesfinanzhof als unbegründet zurück3. Mit ihrer Verfassungsbeschwerde rügt die Kraftwerksbetreiberin eine Verletzung ihrer Rechte aus Art. 14 Abs. 1 GG sowie aus Art. 3 Abs. 1 GG, jeweils in Verbindung mit Art.19 Abs. 4 GG. Allein durch Rückzahlung der Steuer sei die durch Erhebung der verfassungswidrigen Kernbrennstoffsteuer erfolgte Grundrechtsverletzung nicht behoben worden. Vielmehr sei zur vollständigen Kompensation des Eingriffs eine Verzinsung verfassungsrechtlich geboten.
Das Bundesverfassungsgericht wies die Verfassungsbeschwerde zruück; die angegriffenen fachbehördlichen und -gerichtlichen Entscheidungen verletzen die Kraftwerksbetreiberin durch Versagung des im Ausgangsverfahren begehrten Zinsanspruchs nicht in ihren Grundrechten:
Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig.
Die Kraftwerksbetreiberin kann sich als inländische juristische Person des Privatrechts gemäß Art.19 Abs. 3 GG grundsätzlich auf die von ihr geltend gemachten Grundrechte berufen. Dies gilt für das Eigentumsgrundrecht aus Art. 14 Abs. 1 GG und den allgemeinen Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG4 ebenso wie für die Garantie effektiven Rechtsschutzes gemäß Art.19 Abs. 4 Satz 1 GG5.
Die Kraftwerksbetreiberin hat den Rechtsweg im finanzgerichtlichen Verfahren erschöpft und dem in § 90 Abs. 2 BVerfGG enthaltenen Subsidiaritätsgrundsatz genügt.
Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts muss der Beschwerdeführer gemäß § 90 Abs. 2 BVerfGG über die Erschöpfung des Rechtswegs im engeren Sinne hinaus alle nach Lage der Sache zur Verfügung stehenden zumutbaren prozessualen Möglichkeiten ergreifen, um die geltend gemachte Grundrechtsverletzung in dem unmittelbar mit ihr zusammenhängenden sachnächsten Verfahren zu verhindern oder zu beseitigen6.
Diese Anforderungen hat die Kraftwerksbetreiberin erfüllt.
Sie war nicht gehalten, zur Vermeidung des vorliegenden Verfassungsbeschwerdeverfahrens Untätigkeitsklage gemäß § 46 FGO wegen fehlender Bescheidung ihres Einspruchs gegen die Festsetzung von Kernbrennstoffsteuer durch die Steueranmeldung zu erheben, um einen Anspruch auf Prozesszinsen nach § 236 AO zu erlangen. Die Zulässigkeit einer Untätigkeitsklage war – ungeachtet der späteren gegenteiligen Ausführungen des Finanzgerichts Hamburg – so zweifelhaft, dass ihre Erhebung der Kraftwerksbetreiberin nicht zumutbar war7. Angesichts der Vorläufigkeit der Steuerfestsetzung und der Anhängigkeit eines nicht von vornherein aussichtslosen Musterverfahrens bestanden ernsthafte Zweifel am Rechtsschutzbedürfnis für eine solche Klage.
Zwar berührt die Vorläufigkeitserklärung gemäß § 165 AO nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs die Statthaftigkeit der Klage zum Finanzgericht nicht. Allerdings muss ein Rechtsschutzbedürfnis gegeben sein, damit die Klage zulässig ist. Werden gegen einen Steuerbescheid ausschließlich Einwände erhoben, die sich auf die Verfassungsmäßigkeit des ihm zugrundeliegenden Gesetzes beziehen, kann das Rechtsmittel nicht zur Aufhebung oder Änderung des angefochtenen Steuerbescheides führen, solange das Gesetz, auf dem der Steuerbescheid beruht, nicht aufgehoben oder vom Bundesverfassungsgericht für nichtig erklärt worden ist. Deshalb kann die Klage zum Finanzgericht in diesem Fall in der Regel nur den Sinn haben, das Gesetz im Verfahren nach Art. 100 Abs. 1 GG oder im Wege einer Verfassungsbeschwerde gegen die abschließende gerichtliche Entscheidung zu Fall zu bringen. Für eine Anrufung des Gerichts mit diesem Ziel fehlt nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs jedoch grundsätzlich das Rechtsschutzbedürfnis, wenn der Steuerbescheid in dem verfassungsrechtlichen Streitpunkt vorläufig ergangen ist, die verfassungsrechtliche Streitfrage sich in einer Vielzahl im Wesentlichen gleichgelagerter Verfahren stellt und bereits ein nicht von vornherein aussichtsloses Musterverfahren beim Bundesverfassungsgericht anhängig ist. Etwas anderes gilt ausnahmsweise nur dann, wenn besondere Gründe materiell-rechtlicher oder verfahrensrechtlicher Art substantiiert geltend gemacht werden, die es rechtfertigen, trotz Anhängigkeit des Musterverfahrens Rechtsschutz gegen den im Streitpunkt für vorläufig erklärten Bescheid zu gewähren8.
Zum Zeitpunkt der Vorläufigkeitserklärung durch das Hauptzollamt Osna-brück am 22.07.2016 lag dem Bundesverfassungsgericht bereits aufgrund des Aussetzungs- und Vorlagebeschlusses des Finanzgerichts Hamburg vom 29.01.2013 die Frage der Unvereinbarkeit der Kernbrennstoffsteuer mit dem Grundgesetz zur Entscheidung vor9. Ob das Offenhalten eines Anspruchs auf Prozesszinsen von der Rechtsprechung als ein Grund materiell-rechtlicher oder verfahrensrechtlicher Art anerkannt werden würde, der ausnahmsweise ein Rechtsschutzbedürfnis für eine Untätigkeitsklage begründet, ist hingegen höchstrichterlich – auch durch den hier angegriffenen Beschluss des Bundesfinanzhofs vom 23.10.2019 – VII B 40/19 37 f. – nicht abschließend geklärt.
Die Kraftwerksbetreiberin war auch nicht gehalten, eine Aussetzung der Steuerfestsetzung gemäß § 165 Abs. 1 Satz 4 AO zu beantragen. Dabei kann offenbleiben, ob eine solche Aussetzung im Einspruchsverfahren nach einer Steueranmeldung noch in Betracht kommt und ob sie gegebenenfalls eine Erstattung der bereits geleisteten Kernbrennstoffsteuer zur Folge gehabt hätte10.
Die Aussetzung der Festsetzung gemäß § 165 Abs. 1 Satz 4 AO kann sich nach der fachgerichtlichen Rechtsprechung grundsätzlich auf alle Vorläufigkeitsgründe des § 165 Abs. 1 AO beziehen. Bei einer Aussetzung der Festsetzung in den Fällen des § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 und 3 AO ist jedoch – ebenso wie bei der Aussetzung oder Aufhebung der Vollziehung – zu beachten, dass sie nur bei Vorliegen eines (besonderen) berechtigten Aussetzungsinteresses des Steuerpflichtigen zu gewähren ist11.
Für die vergleichbare Situation der Gewährung einer Aussetzung oder Aufhebung der Vollziehung hatte der Bundesfinanzhof zum Zeitpunkt der Steueranmeldung durch die Kraftwerksbetreiberin für den Fall der Kernbrennstoffsteuer bereits entschieden, dass ausnahmsweise trotz ernstlicher Zweifel an der Rechtmäßigkeit eine solche nicht zu gewähren sei, wenn es sich um Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit einer dem Verwaltungsakt zugrundeliegenden Gesetzesvorschrift handele12.
Die Verfassungsbeschwerde ist unbegründet.
Die angegriffenen fachbehördlichen und -gerichtlichen Entscheidungen verletzen die Kraftwerksbetreiberin durch Versagung des im Ausgangsverfahren begehrten Zinsanspruchs nicht in ihren Grundrechten.
Der Zinsanspruch folgt nicht unmittelbar aus dem Grundgesetz. Die gesetzgeberische Entscheidung, den geltend gemachten Zinsanspruch in der Abgabenordnung nicht vorzusehen, ist nicht verfassungswidrig. Auslegung und Anwendung der gesetzlichen Vorschriften durch die angegriffenen Entscheidungen verstoßen ebenfalls nicht gegen das Grundgesetz.
Der im Ausgangsverfahren geltend gemachte Anspruch auf Verzinsung der Kernbrennstoffsteuererstattung in Höhe von 0,5 % pro Monat für den Zeitraum von der Entrichtung bis zur Rückerstattung der Kernbrennstoffsteuer gegenüber dem Hauptzollamt Osnabrück ergibt sich nicht unmittelbar aus dem Grundgesetz; dies gilt auch mit Blick auf die grundrechtliche Gewährleistung von Kompensationsansprüchen für verfassungswidrige Grundrechtseingriffe.
Die Erhebung der Kernbrennstoffsteuer aufgrund eines kompetenzwidrig erlassenen Gesetzes hat die Kraftwerksbetreiberin zwar in ihrer allgemeinen Handlungsfreiheit gemäß Art. 2 Abs. 1 GG verletzt. Grundrechtsverstöße, wie sie durch das kompetenzwidrige Kernbrennstoffsteuergesetz hervorgerufen wurden, können über Steuererstattungsansprüche hinaus grundsätzlich auch verfassungsrechtlich radizierte Kompensationsansprüche begründen. Aus dieser grundsätzlichen Gewährleistung von Kompensationsansprüchen folgt jedoch kein spezifischer verfassungsunmittelbarer Sekundäranspruch, wie er als Zinsanspruch im Ausgangsverfahren geltend gemacht wurde. Vielmehr sind grundrechtlich radizierte Kompensationsansprüche, auch soweit sie dem Grunde nach in der Verfassung angelegt sind, durch den einfachen Gesetzgeber auszugestalten, der die spezifischen Tatbestandsmerkmale und konkreten Rechtsfolgen der jeweiligen Sekundäransprüche (wie etwa Entschädigungs-, Schadensersatz-, Ausgleichs- oder Verzinsungsansprüche) operationalisierbar machen muss. Hierbei steht dem Gesetzgeber ein weitreichender Ausgestaltungs- und Konkretisierungsspielraum zu, der es ihm ermöglicht, im Einzelfall vollumfängliche Kompensation vorzusehen, ihn dazu aber verfassungsrechtlich nicht zwingt. Aus Art.19 Abs. 4 GG ergeben sich ebenfalls keine verfassungsunmittelbaren Ersatzansprüche. Dies steht mit den Wertungen der Europäischen Menschenrechtskonvention in Einklang.
Ob die Erhebung der Kernbrennstoffsteuer den Schutzbereich des Art. 14 Abs. 1 oder des Art. 12 Abs. 1 GG berührt, kann offenbleiben. Sie hat die Kraftwerksbetreiberin jedenfalls in ihrer allgemeinen Handlungsfreiheit gemäß Art. 2 Abs. 1 GG verletzt.
Unter den Schutz der Eigentumsgarantie fallen grundsätzlich alle vermögenswerten Rechte, die dem Berechtigten von der Rechtsordnung in der Weise zugeordnet sind, dass er die damit verbundenen Befugnisse nach eigener Entscheidung zu seinem privaten Nutzen ausüben darf13. Der verfassungsrechtliche Eigentumsschutz umfasst damit zwar erheblich mehr als den Schutz des zivilrechtlichen Eigentums und erstreckt sich auch auf nicht dingliche vermögenswerte Rechtspositionen. Er bleibt aber an Rechtspositionen gebunden. Kein Eigentum im Sinne von Art. 14 Abs. 1 GG ist das Vermögen, das selbst kein Recht, sondern den Inbegriff aller geldwerten Güter einer Person darstellt14.
14 Abs. 1 GG schützt daher grundsätzlich nicht vor der staatlichen Auferlegung von Geldleistungspflichten. Diese sind nicht mittels eines bestimmten Eigentumsobjekts zu erfüllen, sondern werden aus dem fluktuierenden Vermögen bestritten. Etwas anderes kommt nur dann in Betracht, wenn die Geldleistungspflichten den Betroffenen übermäßig belasten und seine Vermögensverhältnisse so grundlegend beeinträchtigen, dass sie eine erdrosselnde Wirkung haben15.
Lediglich für Steuern, die – wie etwa die Gewerbe- und die Einkommen-steuer – an den Hinzuerwerb oder das Innehaben vermögenswerter Rechtspositionen anknüpfen, hat das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass es sich um einen Eingriff in die Eigentumsgarantie des Art. 14 GG handelt. Ist es Sinn der Eigentumsgarantie, das private Innehaben und Nutzen vermögenswerter Rechtspositionen zu schützen, greift auch ein Steuergesetz in den Schutzbereich der Eigentumsgarantie ein, wenn der Steuerzugriff tatbestandlich an das Innehaben von vermögenswerten Rechtspositionen anknüpft und so deren privaten Nutzen zugunsten der Allgemeinheit einschränkt. Das Steuergesetz stellt sich insoweit als rechtfertigungsbedürftige Inhalts- und Schrankenbestimmung im Sinne des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG dar16.
Die Kernbrennstoffsteuer knüpfte aber nicht an den Hinzuerwerb oder das Innehaben von Kernbrennelementen an. Dies spricht dafür, dass mit der Auferlegung dieser Steuer ein Eingriff in das Eigentumsgrundrecht nicht verbunden war.
Art. 12 Abs. 1 GG gewährleistet die Freiheit der beruflichen Betätigung. Der Schutz des Grundrechts ist einerseits umfassend angelegt, schützt aber andererseits nur vor solchen Beeinträchtigungen, die gerade auf die berufliche Betätigung bezogen sind. Der Schutzbereich ist daher nicht schon dann eröffnet, wenn eine Rechtsnorm, ihre Anwendung oder andere hoheitliche Maßnahmen unter bestimmten Umständen Rückwirkungen auf die Berufstätigkeit entfalten17. Die Berufsfreiheit ist indes berührt, wenn sich die Maßnahmen zwar nicht auf die Berufstätigkeit selbst beziehen, aber die Rahmenbedingungen der Berufsausübung verändern und infolge ihrer Gestaltung in einem so engen Zusammenhang mit der Ausübung des Berufs stehen, dass sie objektiv eine berufsregelnde Tendenz haben18.
Eine solch enge Verbindung kann auch zwischen einer beruflichen Tätigkeit und der Erhebung von Steuern oder Abgaben bestehen19. Steuern und Abgaben sind an Art. 12 Abs. 1 GG zu messen, wenn sie in engem Zusammenhang zur Ausübung eines Berufes stehen und objektiv eine berufsregelnde Tendenz erkennen lassen. Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG kann grundsätzlich auch dann berührt sein, wenn eine Steuer oder Abgabe nicht unmittelbar auf die Berufsfreiheit abzielt, sondern nur in ihrer tatsächlichen Auswirkung geeignet ist, diese zu beeinträchtigen20. Maßgeblich können insbesondere der Umfang der Steuer- oder Abgabenpflicht und ihre Eignung sein, die Berufsausübung zu beeinflussen21.
Die Kernbrennstoffsteuer intendierte nach dem gesetzgeberischen Willen jedoch keine Steuerung des Betriebs von Kernkraftwerken, sondern allein die Generierung von Haushaltsmitteln, auch vor dem Hintergrund der hohen für die Sanierung der Schachtanlage Asse II entstehenden Kosten22. Ob ihre Auferlegung aufgrund der erheblichen Höhe sowie der engen Begrenzung des Kreises der Steuerpflichtigen eine objektiv berufsregelnde Tendenz besaß, kann offen bleiben.
Denn die Erhebung der Kernbrennstoffsteuer hat die Kraftwerksbetreiberin jedenfalls in ihrer durch Art. 2 Abs. 1 GG geschützten allgemeinen Handlungsfreiheit verletzt.
Art. 2 Abs. 1 GG gewährleistet die allgemeine Handlungsfreiheit in einem umfassenden Sinne23. Insbesondere gehört zur Handlungsfreiheit das Recht der Betroffenen, nur aufgrund solcher Rechtsvorschriften zu Steuern herangezogen zu werden, die formell und materiell mit der Verfassung vereinbar sind und deshalb zur verfassungsmäßigen Ordnung gehören24.
Die Erhebung der kompetenzwidrigen Kernbrennstoffsteuer stellte demnach zumindest einen verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigten25 Eingriff in die allgemeine Handlungsfreiheit der Kraftwerksbetreiberin dar.
Der im Gefolge dieser Grundrechtsverletzung entstandene Anspruch der Kraftwerksbetreiberin auf Erstattung der entrichteten Steuer ist zwar erfüllt. Grundrechtsverstöße, wie sie durch das kompetenzwidrige Kernbrennstoffsteuergesetz hervorgerufen wurden, können aber auch darüber hinaus verfassungsrechtlich radizierte Kompensationsansprüche begründen.
Die Grundrechte gewährleisten das grundsätzliche Bestehen angemessener Sekundäransprüche nach Grundrechtsverletzungen. Die Haftung für staatliches Unrecht ist insofern nicht nur eine Ausprägung des Legalitätsprinzips26, sondern auch Ausfluss der jeweils betroffenen Grundrechte, die insoweit den zentralen Bezugspunkt für die Einstandspflichten des Staates bilden27; sie folgt dem Grunde nach aus den beeinträchtigten Grundrechten selbst.
Die Grundrechte schützen nicht nur vor nicht gerechtfertigten Eingriffen des Staates in Freiheit und Gleichheit der Bürgerinnen und Bürger und sind insoweit Grundlage für Unterlassungs- und Beseitigungsansprüche, die die Effektivität des Grundrechtsschutzes sicherstellen28. Soweit dies nicht möglich ist, ergeben sich aus ihnen – und nicht allein aus dem auf einer politischen Entscheidung des Gesetzgebers beruhenden einfachen Recht – grundsätzlich auch Kompensationsansprüche, sei es als Schadensersatz, sei es als Entschädigungs- und Ausgleichsansprüche29.
Solche – als Sekundäransprüche konkretisierte – Kompensationsansprüche können zwar nicht die Integrität der betroffenen grundrechtlich geschützten Interessen wiederherstellen. Ohne grundrechtlich radizierte Sekundäransprüche blieben die Verletzungen grundrechtlich geschützter Interessen jedoch häufig sanktionslos30. Kompensationsansprüche können die Eingriffsintensität mindern und somit zumindest das vollständige Leerlaufen der in Rede stehenden grundrechtlich geschützten Interessen verhindern.
Aus der grundgesetzlichen Gewährleistung von Kompensationsansprüchen folgt indes nicht, dass sich aus dem Grundgesetz spezifische verfassungsunmittelbare Sekundäransprüche ableiten lassen, insbesondere nicht ein spezifischer Anspruch auf Verzinsung einer Steuererstattung. Art und Umfang grundrechtlicher Sekundäransprüche bedürfen vielmehr der Ausgestaltung und Konkretisierung durch den einfachen Gesetzgeber31. Dieser verantwortet die Ausgestaltung des grundgesetzlich gewährleisteten Kompensationsanspruchs, indem er die erforderliche Konkretisierung der Anspruchsvoraussetzungen und Rechtsfolgen spezifischer Sekundäransprüche vornimmt.
Bei der Ausgestaltung spezifischer Sekundäransprüche kommt dem Gesetzgeber ein Einschätzungs, Wertungs- und Gestaltungspielraum zu32, der Typisierungen und Pauschalisierungen nicht nur zulässt, sondern erfordert, um die Sekundäransprüche operationalisierbar zu machen.
Die verfassungsrechtliche Garantie grundrechtlicher Sekundäransprüche dem Grunde nach statuiert keine Pflicht des Gesetzgebers, sämtliche Folgen verfassungswidriger Eingriffe rückwirkend zu beseitigen33. Es gibt auch keine verfassungsrechtliche Pflicht, nach Nichtigerklärung eines Gesetzes durch das Bundesverfassungsgericht alle Eingriffsfolgen mit Wirkung für die Vergangenheit zu beheben. Bei der Ausgestaltung der Rechtsverhältnisse zwischen Bürger und Staat und der Statuierung spezifischer Kompensationsansprüche muss der Gesetzgeber neben dem grundrechtlich geschützten Folgenbeseitigungsinteresse der verletzten Grundrechtsträger und deren Interesse an einem entsprechenden Ausgleich im Einzelfall stets auch sonstige Verfassungsbelange berücksichtigen, insbesondere diejenigen der Rechtssicherheit und des Rechtsfriedens34, des wirksamen Grundrechtsschutzes Dritter35 sowie der Funktionsfähigkeit staatlicher Einrichtungen36. Der Gesetzgeber ist bei der Regelung grundrechtlicher Sekundäransprüche nicht auf die Regelung formeller Aspekte (etwa Verjährungsfristen) beschränkt, sondern er kann auch materielle Konkretisierungen vornehmen, etwa indem er Subsidiaritätserfordernisse vorsieht, Privilegierungen einführt oder eine gesamtschuldnerische Haftung des Staates gänzlich ausschließt37.
Auch Art. 34 GG hat ungeachtet daraus folgender Mindestanforderungen an die Amtshaftung die mittelbare Staatshaftung nicht zum lückenlosen Prinzip verdichtet. Die Vorschrift lässt Raum für Regelungen, die den Umfang der öffentlich-rechtlichen Haftungsübernahme modifizieren38. Der Spielraum des Gesetzgebers im Bereich spezifischer Kompensationsansprüche außerhalb der Schadensersatzansprüche wegen Amtshaftung im Anwendungsbereich von Art. 34 GG ist grundgesetzlich nicht strikter determiniert.
Dem Gesetzgeber obliegt die Entscheidung, ob und inwiefern gerade Zinsansprüche ein Bestandteil des grundgesetzlich gewährleisteten Kompensationsregimes sein sollen, das die Folgen einer verfassungswidrig erhobenen Steuer angemessen ausgleichen soll. Bei der Auswahl des Zinsgegenstands und der Bemessung des Zinssatzes kann er typisierende Regelungen treffen und sich dabei in erheblichem Umfang von Praktikabilitätserwägungen mit dem Ziel der Einfachheit der Zinsfestsetzung und -erhebung leiten lassen39. Falls Zinsansprüche vorgesehen werden, hat er – neben der Zinshöhe – zusätzlich festzulegen, ab wann die Zinsen geschuldet sind, etwa ab Zahlung, ab Rechtshängigkeit des Erstattungsanspruchs, nach Ablauf einer Karenzzeit oder ab einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, aus der sich die Nichtigkeit der Steuer ergibt.
Verfassungsunmittelbare Ansprüche folgen auch nicht aus Art.19 Abs. 4 GG. Sofern grundrechtlich radizierte Kompensationsansprüche bestehen, nehmen sie zwar am Schutz des Art.19 Abs. 4 GG teil40. Denn das Recht auf effektiven Rechtsschutz stellt die Durchsetzung und Effektivierung gerade der materiellen (Grund-)Rechte sicher. Art.19 Abs. 4 GG gewährleistet jedoch selbst weder den sachlichen Bestand noch den Inhalt materiell geschützter Rechtspositionen, sondern setzt diese vielmehr voraus41.
Die Verneinung einer verfassungsrechtlichen Pflicht zur umfassenden Kompensation sämtlicher – auch nur mittelbar mit einer Grundrechtsverletzung zusammenhängender – Vermögensnachteile steht mit den Wertungen der Europäischen Menschenrechtskonvention und der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in Einklang, die nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts als Auslegungshilfe für die Bestimmung von Inhalt und Reichweite von Grundrechten heranzuziehen sind42. Bereits aus dem Wortlaut von Art. 41 EMRK ergibt sich, dass auch bei einer festgestellten – regelmäßig nicht mehr (vollständig) rückgängig zu machenden – Verletzung der Konvention und ihrer Protokolle eine Entschädigung nicht in jedem Fall, sondern nur dann zuzusprechen ist, wenn dies notwendig ist.
Dass sich aus Art. 266 Abs. 1, beziehungsweise Art. 266 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 340 AEUV, aus denen der Gerichtshof der Europäischen Union eine Verzinsung von Rückerstattungsansprüchen ableitet43, wenn Beträge unter Verstoß gegen das Unionsrecht erhoben wurden, ein allgemeiner, auch bei der Auslegung des deutschen Staatshaftungsrechts zu berücksichtigender Grundsatz ergäbe, ist nicht erkennbar. Diese Vorschriften knüpfen an die allgemeinen Rechtsgrundsätze an, die den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten gemeinsam sind. Eine Differenzierung zwischen Primär- und Sekundärrechtsschutz ist auch den Rechtsordnungen anderer Mitgliedstaaten der Europäischen Union geläufig44.
Die gesetzgeberische Entscheidung, den geltend gemachten Zinsanspruch in der Abgabenordnung nicht vorzusehen, ist nicht verfassungswidrig. Weder fordern die verfassungsrechtlichen Mindestanforderungen an grundrechtliche Kompensationsansprüche im vorliegenden Fall vom Gesetzgeber, eine Verzinsung der Kernbrennstoffsteuererstattung zu regeln, noch begründet die fehlende Anordnung einer generellen Verzinsung der Kernbrennstoffsteuererstattung einen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG.
Der Gesetzgeber war hier nicht verpflichtet, den von der Kraftwerksbetreiberin begehrten, über § 236 AO hinausgehenden Zinsanspruch vorzusehen, um den verfassungsrechtlichen Mindestanforderungen grundrechtlicher Kompensationsansprüche zu genügen. Es reichte aus, in § 37 Abs. 2 AO die Erstattung des Nominalbetrags der Steuer anzuordnen.
Sieht der Gesetzgeber nach verfassungswidriger Erhebung von Steuern Rückerstattungsansprüche in Höhe der gezahlten Nominalbeträge vor, verlangen die Grundsätze des grundrechtlichen Kompensationsanspruchs jedenfalls bei niedrigen Marktzinsen und niedriger Inflation keine über die Rückzahlung des geleisteten Steuerbetrags hinausgehende Kompensation für Erstattungen, die regelmäßig binnen weniger Jahre – und nicht erst nach Jahrzehnten – erfolgen. Nach Erstattung der gezahlten Steuer verbleibt in einem solchen Fall regelmäßig keine verfassungsrechtlich erhebliche Beeinträchtigung von Grundrechten, die zu kompensieren wäre45. Insbesondere in einem von Niedrig- oder gar Negativzinsen geprägten Umfeld steht es dem Gesetzgeber mithin nach den Grundsätzen des grundrechtlichen Kompensationsanspruchs frei, gänzlich auf eine Verzinsung von Steuererstattungsansprüchen zu verzichten46.
Hier wurde die zu Unrecht gezahlte Kernbrennstoffsteuer der Kraftwerksbetreiberin binnen eines angemessen kurzen Zeitraums von nur zehn Monaten erstattet. In dem streitgegenständlichen Zeitraum war das Zinsumfeld von Niedrigzinsen geprägt47. Der Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers hat sich daher nicht zu einer Verpflichtung verdichtet, die Steuererstattungsansprüche zu verzinsen.
Die fehlende Anordnung einer generellen Verzinsung der Kernbrennstoffsteuererstattung verstößt auch nicht gegen den allgemeinen Gleichheitssatz nach Art. 3 Abs. 1 GG. Der allgemeine Gleichheitssatz gebietet es dem Gesetzgeber, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln (a). Er verlangt vom Gesetzgeber jedoch nicht, Steuererstattungen infolge Nichtigerklärung eines verfassungswidrigen Gesetzes und Steuererstattungen nach Unvereinbarkeitserklärung eines verfassungswidrigen Gesetzes dahingehend ungleich zu behandeln, dass in Fällen der Nichtigerklärung allen Betroffenen, soweit die Bestands- oder Rechtskraft nicht entgegensteht, eine Verzinsung der gezahlten Beträge unabhängig von der Rechtshängigkeit zu gewähren wäre (b). Art. 3 Abs. 1 GG verlangt vom Gesetzgeber auch nicht, Steuererstattungsgläubigern, die ohne Prozessrisiko in den Genuss einer Erstattung nach § 37 Abs. 2 AO kommen, Prozesszinsen zuzugestehen (c).
Der allgemeine Gleichheitssatz gemäß Art. 3 Abs. 1 GG gebietet dem Gesetzgeber, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln. Er gilt für ungleiche Belastungen wie auch für ungleiche Begünstigungen48. Zwar ist es grundsätzlich Sache des Gesetzgebers, diejenigen Sachverhalte auszuwählen, an die er dieselben Rechtsfolgen knüpft und die er so als rechtlich gleich qualifiziert. Diese Auswahl muss er jedoch sachgerecht treffen49.
Genauere Maßstäbe und Kriterien dafür, unter welchen Voraussetzungen der Gesetzgeber den Gleichheitssatz verletzt, lassen sich nicht abstrakt und allgemein, sondern nur in Bezug auf die jeweils betroffenen unterschiedlichen Sach- und Regelungsbereiche bestimmen50. Dabei ergeben sich je nach Regelungsgegenstand und Differenzierungsmerkmalen aus dem allgemeinen Gleichheitssatz im Sinne eines stufenlosen, am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit orientierten Prüfungsmaßstabs unterschiedliche Grenzen für den Gesetzgeber, die vom bloßen Willkürverbot bis zu einer strengen Bindung an den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit reichen. Differenzierungen bedürfen stets der Rechtfertigung durch Sachgründe, die dem Differenzierungsziel und dem Ausmaß der Ungleichbehandlung angemessen sind51.
Ungleichbehandlungen können dabei auch durch Vereinfachungs- und Typisierungsbefugnisse gerechtfertigt sein. Der Gesetzgeber darf unter bestimmten Voraussetzungen typisierende Regelungen verwenden, ohne allein schon wegen der damit unvermeidlich verbundenen Benachteiligung Einzelner gegen den allgemeinen Gleichheitssatz zu verstoßen52.
Typisierung bedeutet, bestimmte in wesentlichen Elementen gleich geartete Lebenssachverhalte normativ zusammenzufassen. Der Gesetzgeber darf sich dabei grundsätzlich am Regelfall orientieren und Besonderheiten, die im Tatsächlichen durchaus bekannt sind, generalisierend vernachlässigen53. Bei der Ordnung von Massenerscheinungen ist er berechtigt, die Vielzahl der Einzelfälle in dem Gesamtbild zu erfassen, das nach den ihm vorliegenden Erfahrungen die regelungsbedürftigen Sachverhalte zutreffend wiedergibt54.
Begünstigungen oder Belastungen können daher in einer gewissen Bandbreite zum Zwecke der Verwaltungsvereinfachung nach oben und unten pauschalierend bestimmt werden55. Bei Verzinsungsentscheidungen darf der Gesetzgeber sowohl bei der Auswahl des Zinsgegenstands als auch der Bemessung des Zinssatzes typisierende Regelungen treffen und sich dabei in erheblichem Umfang von Praktikabilitätserwägungen mit dem Ziel der Einfachheit der Zinsfestsetzung und -erhebung leiten lassen39.
Danach besteht kein verfassungsrechtliches Gebot, Steuererstattungen infolge der Nichtigerklärung eines verfassungswidrigen Gesetzes und Steuererstattungen nach der Unvereinbarkeitserklärung eines verfassungswidrigen Gesetzes dahingehend ungleich zu behandeln, dass in Fällen der Nichtigerklärung allen Betroffenen, soweit die Bestands- oder Rechtskraft nicht entgegensteht, eine Verzinsung der gezahlten Beträge unabhängig von der Rechtshängigkeit zu gewähren wäre.
Nichtig- und Unvereinbarkeitserklärung durch das Bundesverfassungsgericht kennzeichnen keine unterschiedlich gravierenden Verfassungsverstöße, die gemäß Art. 3 Abs. 1 GG ungleich zu behandeln wären. Die Nichtigerklärung knüpft nicht an einen besonders schwerwiegenden und offensichtlichen Rechtsverstoß an. Umgekehrt kennzeichnet eine Unvereinbarkeitserklärung keinen „Verfassungsverstoß minderer Art“.
Nichtig- und Unvereinbarkeitserklärung unterscheiden sich in ihrer Wirkung insoweit, als es im ersten Falle zum rückwirkenden Wegfall der verfassungswidrigen Norm kommt, während im zweiten Falle dem hierfür originär zuständigen Gesetzgeber die Aufgabe zugewiesen wird, auch für die Vergangenheit – mit Ausnahme bestands- oder rechtskräftig abgeschlossener Sachverhalte56 – eine verfassungskonforme Regelung zu treffen.
Ob ein verfassungswidriges Gesetz für nichtig oder aber für mit dem Grundgesetz unvereinbar erklärt wird, hängt nicht von der Schwere des Verfassungsverstoßes ab. Vielmehr ist die Nichtigerklärung eines Gesetzes die gesetzliche Regelfolge eines Verfassungsverstoßes, §§ 78, 95 BVerfGG. Das Bundesverfassungsgericht sieht zur Wiederherstellung eines verfassungsgemäßen Zustands lediglich von der Anordnung der Nichtigkeit ab, wenn der Gesetzgeber bei einer Verletzung des Gleichheitssatzes verschiedene Möglichkeiten hat, den Verfassungsverstoß zu beseitigen, oder wenn durch eine Nichtigerklärung ein Zustand geschaffen würde, der der verfassungsmäßigen Ordnung noch ferner stünde als die verfassungswidrige Regelung57.
Nach obigen Maßstäben ist auch gegen die gesetzgeberische Entscheidung, Prozesszinsen nach § 236 AO nur Steuerpflichtigen zuzubilligen, die Erstattungsansprüche erfolgreich im Klagewege geltend gemacht haben, Steuerpflichtigen, die infolge einer Vorläufigkeitserklärung gemäß § 165 Abs. 1 AO ohne Prozessrisiko in den Genuss der Erstattung kommen, hingegen nicht, von Verfassungs wegen nichts zu erinnern.
Der Gesetzgeber hat die vorläufige Steuerfestsetzung nach § 165 Abs. 1 AO geschaffen, damit einerseits Steuerpflichtige von sie begünstigenden gesetzlichen Neuregelungen oder einer (verfassungs-)gerichtlichen Entscheidung profitieren können, andererseits jedoch eine Überlastung von Verwaltung und Justiz vermieden wird. Insofern sind Steuerpflichtige infolge einer Vorläufigkeitserklärung nicht gezwungen, durch Rechtsbehelfe ihre Fälle offen zu halten, damit ihnen die Begünstigungen einer gesetzlichen Neuregelung beziehungsweise einer gerichtlichen Entscheidung zuteilwerden58.
Dass in Konsequenz dieser Regelung mangels Rechtsbehelfs auch keine Prozesszinsen zugunsten des Erstattungsgläubigers anfallen, ist dabei von der Ausgestaltungs- und Typisierungsbefugnis des Gesetzgebers gedeckt. Das Fehlen eines Prozessrisikos in Fällen der Vorläufigkeitserklärung stellt einen wesentlichen und die Differenzierung rechtfertigenden Unterschied der Interessenlagen der Betroffenen dar59. Während der Steuerpflichtige, der klageweise gegen eine Steuerfestsetzung vorgeht, stets auch sein Unterliegen im Rechtsstreit gewärtigen muss, profitiert der durch § 165 AO Begünstigte risikolos von den Vorteilen der von Anderen herbeigeführten gerichtlichen Entscheidung. Dass er zur Eingehung eines entsprechenden Risikos bereit gewesen wäre, steht der tatsächlichen Risikoübernahme nicht gleich. Die Kraftwerksbetreiberin ist das Risiko einer – vor dem Hintergrund der höchstrichterlichen Rechtsprechung möglicherweise, aber nicht unzweifelhaft zulässigen – Untätigkeitsklage gerade nicht eingegangen.
Die Auslegung und Anwendung der gesetzlichen Vorschriften durch die angegriffenen Entscheidungen verstößt ebenfalls nicht gegen das Grundgesetz.
Dass die Fachgerichte und -behörden die Systementscheidung des Gesetzgebers, keine Verzinsung nicht rechtshängig gewordener Kernbrennstoffsteuererstattungen vorzusehen, nicht überspielen, lässt verfassungsrechtliche Fehler nicht erkennen. Vielmehr entspricht es dem rechtsstaatlichen Grundsatz der Bindung des Richters an Gesetz und Recht (Art.20 Abs. 3 GG), die gesetzgeberischen Konkretisierungs- und Ausgestaltungsentscheidungen zu beachten, statt sie durch eigene Gerechtigkeitsvorstellungen der Fachgerichte zu ersetzen60.
Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 30. Juni 2022 – 2 BvR 737/20
- BVerfG, Beschluss vom 13.04.2017 – 2 BvL 6/13[↩][↩]
- FG Hamburg, Urteil vom 22.02.2019 – 4 K 123/18[↩]
- BVerfG, Beschluss vom 23.10.2019 – VII B 40/19[↩]
- vgl. BVerfGE 23, 153 <163> 41, 126 <149> 53, 336 <345> sowie – auch zur Berufsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG, BVerfGE 143, 246 <312 Rn. 182>[↩]
- vgl. BVerfGE 80, 244 <250>[↩]
- vgl. BVerfGE 68, 384 <388 f.> 77, 381 <401> 81, 97 <102> 86, 15 <22> 107, 395 <414> 112, 50 <60> stRspr[↩]
- vgl. BVerfGE 17, 252 <257> 107, 299 <309>[↩]
- vgl. BFHE 180, 217 <220 f.> m.w.N.[↩]
- vgl. BVerfGE 145, 171 <176 Rn. 12>[↩]
- verneinend Rüsken, in: Klein, AO, 15. Aufl.2020, § 165 Rn. 45[↩]
- vgl. BFHE 240, 202 <214 Rn. 59>[↩]
- vgl. BFHE 247, 182 <187 f. Rn. 10 ff.> vgl. auch BFHE 236, 206 <208 f. Rn. 8 ff.> BFH, Beschluss vom 28.08.2012 – VII B 22/12 11[↩]
- stRspr; vgl. BVerfGE 83, 201 <209> 95, 267 <300>[↩]
- stRspr; vgl. BVerfGE 4, 7 <17> 95, 267 <300> 105, 17 <32>[↩]
- vgl. BVerfGE 23, 288 <315> 30, 250 <271 f.> 63, 312 <327> 70, 219 <230> 78, 232 <243> 95, 267 <300>[↩]
- vgl. BVerfGE 115, 97 <110 ff.>[↩]
- stRspr; vgl. BVerfGE 105, 252 <265 ff.> 106, 275 <298 f.> 111, 191 <213>[↩]
- stRspr; vgl. BVerfGE 95, 267 <302> 98, 218 <258> 111, 191 <213>[↩]
- vgl. etwa BVerfGE 13, 181 <187> zur Schankerlaubnissteuer; BVerfGE 38, 61 <79> zur Straßengüterverkehrsteuer; BVerfGE 111, 191 <213> zu Notarkassenabgaben[↩]
- vgl. BVerfGE 81, 108 <121 f.> 110, 370 <393>[↩]
- vgl. BVerfGE 37, 1 <17 f.> zur Weinwirtschaftsabgabe; BVerfGE 81, 108 <121 f.> zur Aufhebung einer Steuervergünstigung für bestimmte Nebentätigkeiten; BVerfGE 110, 370 <393 f.> zur Klärschlammabgabe[↩]
- vgl. BT-Drs. 17/3054, S. 1, 5[↩]
- stRspr; vgl. BVerfGE 6, 32 <36> 80, 137 <152> 97, 332 <340>[↩]
- stRspr; vgl. BVerfGE 19, 206 <215 f.> 44, 216 <223 f.> 97, 332 <340 f.>[↩]
- vgl. BVerfGE 145, 171 ff.[↩]
- vgl. Papier/Shirvani, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 34 Rn. 12 ; Wieland, in: Dreier, GG, Bd. 2, 3. Aufl.2015, Art. 34 Rn. 30; v. Danwitz, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. 2, 7. Aufl.2018, Art. 34 Rn. 40; Sauer, Öffentliches Reaktionsrecht, 2021, S. 249 ff.[↩]
- vgl. Schoch, Die Verwaltung 34 <2001>, S. 261 <288> Höfling, VVDStRL 61 <2002>, S. 260 <269> Grzeszick, Rechte und Ansprüche, 2002, S. 358 ff.; Ossenbühl, in: Festschrift für Klaus Stern, 2012, S. 535 ff.; BVerfG, Beschluss vom 18.11.2020 – 2 BvR 477/17, Rn. 24[↩]
- vgl. Lübbe-Wolff, Die Grundrechte als Eingriffsabwehrrechte, 1988, S. 33 ff.[↩]
- vgl. BVerfG, Beschluss vom 18.11.2020 – 2 BvR 477/17, Rn. 25 m.w.N. sowie rechtsvergleichend Rn. 26[↩]
- vgl. BVerfG, Beschluss vom 18.11.2020 – 2 BvR 477/17, Rn. 25 ff.[↩]
- vgl. BVerfGE 91, 93 <111 f.> 125, 175 <224> BVerfG, Beschluss vom 18.11.2020 – 2 BvR 477/17, Rn. 30[↩]
- vgl. BVerfGE 96, 56 <64> 121, 317 <356> 133, 59 <76 Rn. 45 a.E.>[↩]
- vgl. BVerfGE 48, 327 <340>[↩]
- vgl. BVerfGE 37, 217 <261> 48, 327 <340> 73, 40 <102> 92, 53 <74> 119, 331 <383>[↩]
- vgl. BVerfGE 83, 130 <154>[↩]
- vgl. BVerfGE 83, 130 <154> 119, 331 <383>[↩]
- vgl. BVerfGE 61, 149 <199 f.> BVerfG, Beschluss vom 18.11.2020 – 2 BvR 477/17, Rn. 30[↩]
- vgl. BVerfGE 61, 149 <199 f.>[↩]
- vgl. BVerfGE 158, 282 <329 Rn. 115>[↩][↩]
- vgl. BVerfG, Beschluss vom 18.11.2020 – 2 BvR 477/17, Rn. 29[↩]
- vgl. BVerfGE 61, 82 <110> 78, 214 <226> 83, 182 <194 f.> 84, 34 <49> stRspr[↩]
- vgl. BVerfGE 128, 326 <367 ff.> m.w.N.[↩]
- vgl. EuGH, Urteile vom 12.02.2015, IPK International, – C-336/13 P, EU:C:2015:83, Rn. 30 f., 71 sowie Rn. 37; vom 20.01.2021, Printeos, – C-301/19 P, EU:C:2021:39, Rn. 68, 94, 122, 124 sowie Rn. 56[↩]
- vgl. Storr, in: v. Bogdandy/Huber/Marcusson, IPE IX, 2021, § 145 Rn. 116 ff.; für Italien: Fraenkel-Haeberle/Galetta, in: v. Bogdandy/Huber/Marcusson, IPE VIII, 2019, § 131 Rn. 159 ff.[↩]
- vgl. BVerfGE 158, 282 <329 f. Rn. 117 a.E.> sowie BVerfGE 148, 217 <248 Rn. 116>[↩]
- vgl. BVerfGE 158, 282 <379 f. Rn. 240 a.E., 381 f. Rn. 245 a.E.>[↩]
- vgl. BVerfGE 158, 282 <379 f. Rn. 240 a.E>[↩]
- stRspr; vgl. BVerfGE 145, 106 <141 f. Rn. 98> 148, 147 <183 Rn. 94> 152, 274 <311 Rn. 95> 158, 282 <327 Rn. 110>[↩]
- stRspr; vgl. BVerfGE 141, 1 <38 Rn. 93> 145, 106 <142 Rn. 98> 152, 274 <311 Rn. 95>[↩]
- stRspr; vgl. BVerfGE 133, 377 <407 Rn. 74> 145, 106 <142 Rn. 98> 152, 274 <312 Rn. 96> 158, 282 <327 Rn. 110>[↩]
- stRspr; vgl. BVerfGE 145, 106 <142 Rn. 98> 148, 147 <183 f. Rn. 94> 152, 274 <312 Rn. 96>[↩]
- vgl. BVerfGE 158, 282 <329 Rn. 114 f.> m.w.N.[↩]
- vgl. BVerfGE 152, 274 <314 Rn. 102> m.w.N.; 158, 282 <329 Rn. 115> stRspr[↩]
- vgl. BVerfGE 11, 245 <254> 78, 214 <227> 84, 348 <359> 122, 210 <232> 126, 268 <278> 133, 377 <412 Rn. 86> 145, 106 <145 f. Rn. 106> 152, 274 <314 Rn. 101>[↩]
- BVerfGE 111, 115 <137>[↩]
- stRspr; vgl. BVerfGE 99, 280 <298> 105, 73 <134> 148, 147 <211 Rn. 165>[↩]
- vgl. BVerfGE 149, 222 <290 Rn. 151> m.w.N.[↩]
- vgl. BT-Drs. 12/5630, S. 98[↩]
- vgl. BVerfG, Beschluss vom 05.09.1979 – 1 BvR 594/79, HFR 1979, S. 486[↩]
- vgl. BVerfGE 82, 6 <12 f.> 128, 193 <210> 132, 99 <127 Rn. 75>[↩]