Räume in einem Einfamilienhaus, die nach Art, Lage und Ausstattung in gleicher Weise für Wohn- wie für Geschäftszwecke verwendet werden können (indifferente Räume), sind als Wohnraum zu bewerten.

Der Einheitswert ist insoweit nach dem BewG im Ertragswertverfahren nach der mit Hilfe des Mietspiegels des Finanzamtes geschätzten Jahresrohmiete zu ermitteln. Die Vorschriften über die Einheitsbewertung dürfen nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 10.04.20181 weiter angewandt werden2.
Die fragliche Liegenschaft ist als Einfamilienhaus im Ertragswertverfahren zu bewerten. Die Bewertung bebauter Grundstücke erfolgt abhängig von der Grundstücksart (§ 75 BewG) nach Maßgabe des § 76 BewG. Einfamilienhäuser i.S. des § 75 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 5 BewG werden nach § 76 Abs. 1 Nr. 4 BewG vorbehaltlich des im Streitfall nicht einschlägigen § 76 Abs. 3 BewG im Ertragswertverfahren (§§ 78 bis 82 BewG) bewertet. Im Ertragswertverfahren umfasst der Grundstückswert nach § 78 Satz 1 BewG den Bodenwert, den Gebäudewert und den Wert der Außenanlagen und ergibt sich nach § 78 Satz 2 BewG durch Anwendung eines Vervielfältigers (§ 80 BewG) auf die Jahresrohmiete (§ 79 BewG) unter Berücksichtigung der §§ 81 und 82 BewG. Es handelt sich um ein vereinfachtes, typisiertes Verfahren3.
Für die Bewertung als Einfamilienhaus ist im Streitfall nicht entscheidend, ob die entsprechende Artfeststellung zutreffend ist, denn sie ist bestandskräftig, die Bewertung auf dieser Grundlage möglich. Die teilweise gewerbliche Nutzung einer als Einfamilienhaus bewerteten wirtschaftlichen Einheit ist in § 75 Abs. 5 Satz 4 BewG ausdrücklich vorgesehen.
Die maßgebliche Jahresrohmiete richtet sich gemäß § 79 Abs. 1 BewG nach der für das Grundstück aufgrund vertraglicher Vereinbarungen im Hauptfeststellungszeitpunkt gezahlten tatsächlichen Miete. Diese Vorgabe ist nur auf Grundstücke anwendbar, die im Hauptfeststellungszeitpunkt am 01.01.1964 bereits vermietet waren. Fehlt es daran, bestimmt sich die Jahresrohmiete gemäß § 79 Abs. 2 BewG nach der üblichen Miete. Diese ist nach § 79 Abs. 2 Satz 2 BewG in Anlehnung an die Jahresrohmiete zu schätzen, die für Räume gleicher oder ähnlicher Art, Lage und Ausstattung regelmäßig gezahlt wird. Auch bei Fortschreibungen und Nachfeststellungen bleiben nach §§ 27, 79 Abs. 5 BewG die Wertverhältnisse im Hauptfeststellungszeitpunkt zum 01.01.1964 maßgeblich4. Bei Gebäuden, die erst nach dem 01.01.1964 errichtet wurden, ist in entsprechender Anwendung von § 79 Abs. 2 BewG im Wege der Schätzung die hypothetische Miete zu ermitteln, die am Hauptfeststellungszeitpunkt für Räume gleicher oder ähnlicher Art, Lage und Ausstattung regelmäßig gezahlt worden wäre5.
Zur Ermittlung der üblichen Miete ziehen die Finanzbehörden überwiegend Mietspiegel heran, die auf den Hauptfeststellungszeitpunkt 01.01.1964 aufgestellt sind und nach den Eigenschaften des Mietobjekts differenzieren. Dies ist eine zulässige Methode zur Schätzung der üblichen Miete i.S. des § 79 Abs. 2 Satz 2 BewG, wenn eine Schätzung mangels ausreichender Vergleichsobjekte am 01.01.1964 nicht möglich ist und die Mietspiegel die Kriterien des § 79 Abs. 2 Satz 2 BewG (u.a. Art, Lage und Ausstattung) ausreichend abbilden6.
Ist ein Einfamilienhaus im Ertragswertverfahren im Wege der Schätzung mit Hilfe der üblichen Jahresrohmiete i.S. des § 79 Abs. 2 Satz 2 BewG zu bewerten, so ist für solche Räume, die nach Art, Lage und Ausstattung in gleicher Weise für Wohn- wie für Geschäftszwecke verwendet werden können (indifferente Räume), die übliche Jahresrohmiete für Wohnraum anzusetzen. Auf die tatsächliche Nutzung zum Wertfeststellungszeitpunkt kommt es insoweit nicht an. Das gilt jedenfalls für solche Räume, die im Hauptfeststellungszeitpunkt 01.01.1964 noch nicht genutzt werden konnten, weil sie noch nicht existierten.
§ 79 Abs. 2 Satz 2 BewG knüpft weder ausdrücklich noch inzident an die aktuelle, tatsächliche Nutzung an. Maßgebend sind nach dieser Vorschrift allein „Art, Lage und Ausstattung“ der betreffenden Räume. Indifferente Räume zeichnen sich gerade dadurch aus, dass sie nach Art, Lage und Ausstattung zu Wohn- wie gewerblichen Zwecken genutzt werden können. Die mit Hilfe von § 42 der Zweiten Berechnungsverordnung zu beantwortende Frage, welche Räume in die Wohnfläche einer Wohnung einzubeziehen sind7, betrifft den Umfang der anzusetzenden Flächen und nicht deren Zuordnung.
Es wäre ein Widerspruch zu der in §§ 27, 79 Abs. 5 BewG angeordneten Anknüpfung an die Wertverhältnisse im Hauptfeststellungszeitpunkt zum 01.01.1964, wenn im Rahmen einer schätzweisen Wertermittlung über § 79 Abs. 2 Satz 2 BewG bei ambivalenten Nutzungsmöglichkeiten die aktuelle, tatsächliche Nutzung von entscheidender Bedeutung wäre. Wurde ein Gebäude erst nach 1964 errichtet, beruht die Bewertung auf der hypothetischen Miete des Jahres 1964. Eine hypothetische Miete auf den 01.01.1964 kann aber nicht von einer tatsächlichen Nutzung im 21. Jahrhundert abhängen, wenn die nämlichen Räume ebenso gut anders genutzt werden könnten. Die Frage, wie indifferente Räume im Jahre 1964 genutzt worden wären, wenn sie im Jahre 1964 bereits existiert hätten, lässt sich durch einen Rückbezug nicht sinnvoll beantworten.
Indifferente Räume sind in solchen Fällen so zu bewerten wie die zu bewertende wirtschaftliche Einheit insgesamt. Das Einfamilienhaus ist hier durch die Wohnnutzung geprägt. Das Finanzamt weist zwar zu Recht darauf hin, dass die hier streitige Wertfeststellung von der Artfeststellung „Einfamilienhaus“ zu unterscheiden ist. Treten aber im Rahmen der Wertfeststellung für einzelne Räume Zuordnungsschwierigkeiten auf, ist es gerechtfertigt, diese an dem Grundmodell der jeweiligen Grundstücksart teilhaben zu lassen.
Beurteilte man dies abweichend, könnte sich die zutreffende Wertfeststellung indifferenter Räume bereits durch geringfügige Variationen von Möblierung und Nutzerverhalten auch in schneller Folge ändern. Dies wäre für einen außenstehenden Dritten nicht erkennbar und schüfe ein strukturelles Vollzugsdefizit. Das gilt erst recht, als sich dieses Problem nicht erst im Falle abgeschlossener Einheiten wie im Streitfall, sondern auch bereits im Falle gewerblich genutzter Arbeitszimmer stellt.
Vor diesem Hintergrund ist es unerheblich, dass der maßgebende Mietspiegel der Stadt B nach der tatsächlichen Nutzung und nicht der baulichen Gestaltung differenziert. Eine tatsächliche Nutzung zum 01.01.1964 gibt es nicht. Da es stattdessen auf die hypothetischen Verhältnisse des 01.01.1964 ankommt, ist folgerichtig auf die Mietzinsen der hypothetischen Nutzung abzustellen. Die hypothetische Nutzung ist hier nach Maßgabe des Vorstehenden die Wohnnutzung.
Bundesfinanzhof, Urteil vom 26. August 2020 – II R 6/19
- BVerfG, Urteil vom 10.04.2018- 1 BvL 11/14 u.a., BVerfGE 148, 147[↩]
- vgl. BFH, Urteil vom 18.09.2019 – II R 15/16, BFHE 266, 57, BFH/NV 2020, 121, Rz 16[↩]
- vgl. BFH, Urteil vom 19.09.2018 – II R 20/15, BFH/NV 2019, 193, Rz 19[↩]
- BFH, Urteil in BFH/NV 2019, 193, Rz 20; vgl. auch BFH, Urteil vom 22.05.2019 – II R 22/17, BFH/NV 2019, 1064, Rz 15[↩]
- vgl. BFH, Vorlagebeschluss vom 22.10.2014 – II R 16/13, BFHE 247, 150, BStBl II 2014, 957, Rz 67, 69[↩]
- vgl. dazu näher BFH, Urteile in BFH/NV 2019, 193, Rz 21, 22, und in BFH/NV 2019, 1064, Rz 16[↩]
- vgl. dazu BFH, Urteil vom 28.01.1987 – II R 234/81, BFH/NV 1988, 351[↩]