Ob der Nichtabbruch eines Gebäudes trotz Abbruchverpflichtung voraussehbar ist, ist anhand des Verhaltens der am konkreten Miet- oder Pachtvertragsverhältnis Beteiligten zu beurteilen. Auch das Verhalten der Rechtsvorgänger oder der Beteiligten vergleichbarer Miet- oder Pachtverhältnisse kann bei der Prognoseentscheidung berücksichtigt werden. Für die Voraussehbarkeit des Nichtabbruchs sind die Verhältnisse zum Feststellungszeitpunkt maßgeblich. Seit Vertragsschluss eingetretene Änderungen der tatsächlichen Verhältnisse sind zu berücksichtigen. Die Finanzbehörde trägt die Feststellungslast für die Tatsachen, die für einen Nichtabbruch des Gebäudes bei Vertragsende sprechen. Lassen sich solche Tatsachen nicht hinreichend sicher feststellen, ist der Abschlag zu gewähren.

Nach § 94 Abs. 3 Satz 1 BewG erfolgt die Bewertung von Gebäuden auf fremdem Grund und Boden nach § 76 BewG. Ist vereinbart, dass das Gebäude nach Ablauf der Miet- oder Pachtzeit abzubrechen ist, so ist dieser Umstand durch einen entsprechenden Abschlag zu berücksichtigen; der Abschlag unterbleibt, wenn vorauszusehen ist, dass das Gebäude trotz der Verpflichtung nicht abgebrochen werden wird (§ 94 Abs. 3 Satz 3 BewG).
Voraussetzung für die Gewährung des Abschlags ist, dass am Stichtag eine Abbruchverpflichtung eindeutig und unbedingt besteht. Eine solche Verpflichtung kann sich bei vermieteten oder verpachteten Grundstücken aus der Rückgabepflicht nach § 546 BGB i.d.F. ab 20021 oder aus einer gesonderten vertraglichen Vereinbarung ergeben.
Eine vertragliche Abbruchverpflichtung ist eindeutig und unbedingt, wenn die Vereinbarungen nach ihrem Wortlaut dem Mieter oder Pächter bei Beendigung des Miet- oder Pachtverhältnisses keine andere Wahl lassen, als die Gebäude abzureißen2. Sind Gebäude, die auf fremdem Grund und Boden nur für die Dauer des Miet- oder Pachtverhältnisses errichtet sind, aufgrund ausdrücklicher Vereinbarung nach Ablauf der Miet- oder Pachtzeit zu entfernen, steht das Vorliegen einer vertraglichen Abbruchverpflichtung außer Zweifel3. Vertragliche Gestaltungen hingegen, die Zweifel an dem Bestehen einer solchen Verpflichtung aufkommen lassen oder die Verpflichtung einschränken oder die es dem Mieter oder Pächter bei Beendigung des Vertrags im Ergebnis freistellen, das nur zu einem vorübergehenden Zweck errichtete Gebäude entweder abzubrechen oder durch Stehenlassen und Zeitablauf in das Eigentum des Vermieters oder Verpächters übergehen zu lassen, beinhalten keine Abbruchverpflichtung i.S. des § 94 Abs. 3 Satz 3 BewG4.
Eine Abbruchverpflichtung besteht, wenn sie der Mieter oder Pächter nach den vertraglichen Vereinbarungen nicht einseitig abwenden kann5. Er kann sie u.a. dann nicht einseitig abwenden, wenn der Vermieter oder Verpächter ein Wahlrecht hat, bei Vertragsende anstatt des Abbruchs die Gebäude gegen Entschädigung zu übernehmen. Wenn der Vermieter oder Verpächter die Gebäude6 übernimmt, so ist das seine freie Entscheidung, auf welche der Mieter oder Pächter mit rechtlichen Mitteln nicht einwirken kann. Die am Bewertungsstichtag bestehende tatsächliche Unsicherheit darüber, ob der Vermieter oder Verpächter von seinem Wahlrecht Gebrauch macht, beseitigt die rechtlich bestehende Abbruchverpflichtung des Mieters oder Pächters nicht7.
Der Abschlag nach § 94 Abs. 3 Satz 3 BewG ist zu versagen, wenn im Feststellungszeitpunkt trotz entsprechender Abbruchverpflichtung der Nichtabbruch des Gebäudes voraussehbar ist. Es muss konkrete Anhaltspunkte dafür geben, dass es nicht zum Abbruch kommt.
Für die Prognoseentscheidung ist maßgebend auf das Verhalten der Vertragsbeteiligten abzustellen8. Auch das Verhalten ihrer jeweiligen Rechtsvorgänger oder der Beteiligten vergleichbarer Miet- oder Pachtverhältnisse kann bei der Prognoseentscheidung über die Voraussehbarkeit des Nichtabbruchs berücksichtigt werden.
Wird ein Miet- oder Pachtvertrag trotz wiederholter Kündigungsmöglichkeit stillschweigend über einen Zeitraum von 25 Jahren verlängert, spricht dies dafür, dass die Abbruchverpflichtung des Mieters oder Pächters nicht oder zumindest nicht innerhalb der üblichen Lebensdauer der errichteten Anlagen realisiert wird9. Das Gleiche gilt, wenn ein Miet- oder Pachtverhältnis ausdrücklich mehrmals im Anschluss an den vorhergehenden Vertrag ohne grundsätzliche Änderungen der Vertragsbedingungen verlängert wird und hierdurch eine lange Gesamtdauer entsteht.
Haben sich die Verhältnisse zum Feststellungszeitpunkt in Bezug auf das Grundstück oder das Gebäude im Vergleich zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses bereits in wesentlicher Weise geändert, sind diese Änderungen in die Abwägung einzubeziehen. Eine wesentliche Änderung, die auf einen Gebäudeabbruch hindeutet, kann vorliegen, wenn ein Grundstück einer anderen Nutzung zugeführt werden soll oder ein vorhandenes Gebäude nicht mehr den technischen Anforderungen entspricht.
Die Versagung des Abschlags ist dagegen nicht bereits deshalb gerechtfertigt, weil die bloße Möglichkeit oder eine gewisse Wahrscheinlichkeit besteht, die Abbruchverpflichtung werde nicht realisiert. Erwägungen allgemeiner Art über die Behandlung bei Miet- oder Pachtverhältnissen in ähnlichen Fällen reichen ebenfalls nicht aus10. Selbst eine von vornherein vereinbarte lange Laufzeit des Miet- oder Pachtvertrags führt für sich allein genommen nicht dazu, dass der Nichtabbruch konkret voraussehbar ist; denn eine Abbruchverpflichtung nach § 94 Abs. 3 Satz 3 Halbsatz 1 BewG ist -unabhängig von der Laufzeit des Miet- oder Pachtvertrags- stets zu dessen Ende vereinbart. Ebenso muss die bloße Möglichkeit, der Mietvertrag werde vor seinem Ablauf durch Verlängerung über seine Laufzeit hinaus weiter fortgeführt, als künftiges ungewisses Ereignis für die Voraussehbarkeit des Nichtabbruchs außer Betracht bleiben11. Dies gilt auch für zukünftige Entwicklungen, die Veränderungen nach sich ziehen können, wie z.B. veränderte technische Anforderungen oder andere Nutzungsanforderungen an ein Grundstück; denn diese sind über einen längeren Zeitraum nicht abschätzbar12.
Die Voraussetzungen für die Voraussehbarkeit des Nichtabbruchs sind von Amts wegen zu erforschen, wobei die Beteiligten heranzuziehen sind (§§ 88 Abs. 1, 90 Abs. 1 AO, § 76 Abs. 1 Sätze 1 und 2 FGO). Die Beteiligten haben ihre Erklärungen über tatsächliche Umstände vollständig und der Wahrheit gemäß abzugeben und sich auf Anforderung des Gerichts zu den von den anderen Beteiligten vorgebrachten Tatsachen zu erklären (§ 90 Abs. 1 Satz 2 AO, § 76 Abs. 1 Satz 3 FGO).
Kann der entscheidungserhebliche Sachverhalt trotz Ausschöpfung aller zugänglichen und zumutbaren Ermittlungsmöglichkeiten nicht oder nicht vollständig aufgeklärt werden, ist unter Anwendung der Regeln über die Feststellungslast (objektive Beweislast) zu entscheiden, zu wessen Lasten die Nichterweislichkeit von maßgeblichen Tatsachen geht. Der Steuerpflichtige trägt nach ständiger Rechtsprechung die Feststellungslast (objektive Beweislast) für diejenigen Tatsachen, die den Steueranspruch einschränken13. Die objektive Beweislast für Tatsachen, die eine Steuerbegünstigung aufheben, trägt die Finanzbehörde. Ausgehend davon trägt der Mieter oder Pächter des Grundstücks die Feststellungslast für die Tatsachen, die zur Annahme einer Abbruchverpflichtung nach § 94 Abs. 3 Satz 3 Halbsatz 1 BewG des auf fremdem Grund und Boden errichteten Gebäudes erforderlich sind. Die Finanzbehörde trägt die Feststellungslast für die Tatsachen, die den Nichtabbruch des Gebäudes bei Vertragsende voraussehbar machen. Lassen sich konkrete Tatsachen für die Voraussehbarkeit des Nichtabbruchs nicht hinreichend sicher feststellen, bleibt es bei dem in § 94 Abs. 3 Satz 3 Halbsatz 1 BewG vorgesehenen Grundsatz, dass der Abschlag zu gewähren ist.
Im hier entschiedenen Fall führte dies dazu, dass der Bundesfinanzhof die Vorentscheidung des Finanzgerichts Berlin-Brandenburg14 aufhob:
Das Finanzgericht hat seine Entscheidung, dass zum Feststellungszeitpunkt mit einem Abriss des Gebäudes auf der von der Gebäudeeigentümerin gepachteten Parzelle beim Vertragsende nicht zu rechnen war, im Wesentlichen darauf gestützt, dass nach den Ausführungen des Finanzamt in der Einspruchsentscheidung die Verpachtung von Parzellen in der Siedlung nicht nur zur kleingärtnerischen Nutzung, sondern zu Wohnzwecken bereits seit 1945 und damit im Feststellungszeitpunkt seit rund 62 Jahren bestand. Die Gebäudeeigentümerin habe keine konkreten Angaben zur Verpachtung der von ihr genutzten Parzelle und zur Errichtung des dort befindlichen Wohnhauses gemacht. Die neuen Umstände im Zusammenhang mit der Bebauungsplanung, die für einen Abbruch des Gebäudes zum Ende der Vertragslaufzeit sprechen könnten, seien nach dem Vortrag der Gebäudeeigentümerin erst nach dem Feststellungszeitpunkt (01.01.2007) eingetreten und damit nicht zu berücksichtigen.
Selbst unter Einbeziehung der Ausführungen in der Einspruchsentscheidung fehlen aber in Bezug auf das Verhalten der anderen Pächter in der Siedlung Feststellungen dazu, ob die Pachtverträge zwischen den Verpächtern und den Pächtern jeweils stillschweigend oder ausdrücklich verlängert wurden oder ob sie von vornherein für eine lange Laufzeit abgeschlossen waren. Allein die Tatsache, dass eine Nutzung der Gebäude in der Siedlung zu Wohnzwecken möglich war, wobei zunächst Behelfsheime zugelassen waren und sich erst nach und nach eine Einfamilienhaussiedlung entwickelte, reicht nicht aus, um zum 1.01.2007 von einem Nichtabbruch des Wohnhauses auf der Parzelle der Gebäudeeigentümerin auszugehen. Allein die langjährige tatsächliche Nutzung von Gebäuden zu Wohnzwecken, die in dem zusammenhängenden Siedlungsgebiet auf gepachtetem Grund zu unterschiedlichen Zeitpunkten und in unterschiedlicher Weise errichtet wurden, begründet nicht die Annahme, das Gebäude auf der von der Gebäudeeigentümerin gepachteten Parzelle werde trotz Abbruchverpflichtung bei Ablauf des Pachtvertrags voraussichtlich nicht abgerissen. Ebenso fehlen zu dem Pachtverhältnis der Vorpächterin, die das Wohnhaus auf der Parzelle errichtet und an den damaligen Ehemann der Gebäudeeigentümerin verkauft hatte, entsprechende Feststellungen, die einen Schluss auf einen voraussehbaren Nichtabbruch des Wohnhauses zulassen.
Die Sache ist nicht spruchreif. Das Finanzgericht hat, soweit dies möglich ist, Feststellungen zur Voraussehbarkeit des Nichtabbruchs des Gebäudes bei Vertragsende im zweiten Rechtsgang nachzuholen.
Desweiteren hat der Bundesfinanzhof noch auf Folgendes hingewiesen:
Eine vertragliche Abbruchverpflichtung i.S. des § 94 Abs. 3 Satz 3 Halbsatz 1 BewG war im Streitfall gegeben. Die Gebäudeeigentümerin war nach dem Inhalt des Pachtvertrags verpflichtet, das Gebäude am Ende der Pachtzeit abzubrechen.
Die tatsächliche Würdigung, ob zum 1.01.2007 voraussehbar war, dass es trotz der vertraglichen Abbruchverpflichtung am Vertragsende nicht zum Abbruch des Gebäudes kommen würde, ist ausgehend vom Pachtvertrag zwischen den Verpächtern und der Gebäudeeigentümerin vorzunehmen. Sollten die Verpächter im Feststellungszeitpunkt ins Auge gefasst haben, mit großer Wahrscheinlichkeit den Pachtvertrag mit der Gebäudeeigentümerin über das Vertragsende am 31.03.2018 hinaus zu den gleichen oder ähnlichen Bedingungen zu verlängern, könnte dies für die Voraussehbarkeit des Nichtabbruchs sprechen.
Anhaltspunkte für die Beurteilung der Voraussehbarkeit des Nichtabbruchs des Gebäudes bei Vertragsende können sich auch aus dem Pachtverhältnis der Vorpächterin der Parzelle ergeben. Zu klären wäre insbesondere, wann das Gebäude auf dem Grundstück errichtet wurde, ob und ab wann es Gegenstand des Pachtvertrags war, wie lange der mögliche Pachtvertrag lief, ob und wie lange er ggf. verlängert wurde und welche Bedingungen (z.B. in Hinblick auf eine Abbruchverpflichtung) er enthielt. Für die Voraussehbarkeit des Nichtabbruchs des Gebäudes könnte es z.B. sprechen, wenn das Pachtverhältnis mit der Vorpächterin bereits eine Abbruchverpflichtung enthielt und mehrere Male zu ähnlichen Bedingungen verlängert wurde, ohne dass es am jeweiligen Vertragsende zum Abbruch eines bestehenden Gebäudes kam und das verlängerte Pachtverhältnis -unter Einbezug des Pachtverhältnisses mit der Gebäudeeigentümerin- insgesamt eine lange Laufzeit aufweist.
In die Abwägung können schließlich die Verhältnisse der übrigen 47 Pachtverträge einbezogen werden, da ihre Bedingungen nach den Feststellungen des Finanzgericht den Bedingungen des Pachtvertrags der Gebäudeeigentümerin entsprechen. Beispielsweise kann das Finanzgericht anhand einzelner Pachtverträge der übrigen 47 Pächter feststellen, wie lange diese laufen und ob und wie lange sie zu denselben oder ähnlichen Bedingungen verlängert wurden. Für die Voraussehbarkeit des Nichtabbruchs würde es sprechen, wenn die Pachtverträge wiederholt zu gleichen oder ähnlichen Bedingungen verlängert wurden und es am Vertragsende nicht zum Abbruch der auf dem gepachteten Grund errichteten Gebäude kam. Gegen die Voraussehbarkeit des Nichtabbruchs würde sprechen, wenn ein anderer Pächter bereits ein Gebäude abbrechen musste.
Auch eine Änderung der bauplanungsrechtlichen Verhältnisse zum Feststellungszeitpunkt im Vergleich zum Zeitpunkt des Abschlusses des Pachtvertrags kann in die Würdigung einfließen. Für die Voraussehbarkeit des Nichtabbruchs würde es sprechen, wenn z.B. durch eine zum Feststellungszeitpunkt bereits vorhandene Änderung des Flächennutzungsplans die Stellung der Gebäudeeigentümerin als Eigentümerin des Gebäudes über das Vertragsende am 31.03.2018 hinaus gestärkt wurde. Haben die Verpächter eine anderweitige Verpachtung, Nutzung oder Veräußerung des Grundstücks in Erwägung gezogen, spricht dies dagegen, dass das Gebäude bei Vertragsende voraussichtlich nicht abgebrochen wird.
Bundesfinanzhof, Urteil vom 16. Januar 2019 – II R 19/16
- vgl. BGH, Urteil vom 26.04.1994 – XI ZR 97/93, NJW-RR 1994, 847, zu § 556 BGB a.F.[↩]
- BFH, Urteil vom 03.07.1981 – III R 97/79, BFHE 134, 51, BStBl II 1981, 759, unter 1.[↩]
- vgl. BFH, Urteil vom 03.07.1981 – III R 102/80, BFHE 134, 48, BStBl II 1981, 764, unter 1.a[↩]
- BFH, Urteil in BFHE 134, 51, BStBl II 1981, 759, unter 1.[↩]
- vgl. BFH, Urteil vom 14.10.1992 – II R 110/89, BFH/NV 1993, 86, unter II.a[↩]
- gegen Entschädigung[↩]
- vgl. BFH, Urteil vom 07.11.1990 – II R 186/87, BFHE 162, 378, BStBl II 1991, 61, unter II. 1.[↩]
- vgl. BFH, Urteil in BFH/NV 1993, 86, unter II.b[↩]
- vgl. BFH, Urteile in BFHE 162, 378, BStBl II 1991, 61, unter II. 2., und in BFH/NV 1993, 86, unter II.b[↩]
- vgl. BFH, Urteil vom 03.03.1972 – III R 136/71, BFHE 106, 570, BStBl II 1972, 896, unter II. 2.[↩]
- vgl. BFH, Urteil vom 26.02.1986 – II R 217/82, BFHE 146, 174, BStBl II 1986, 449, unter 2.[↩]
- vgl. BFH, Urteil in BFHE 146, 174, BStBl II 1986, 449, unter 2.[↩]
- vgl. BFH, Urteil vom 12.12 2013 – X R 33/11, BFH/NV 2014, 693, Rz 37[↩]
- FG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 23.09.2015 – 3 K 2097/14[↩]
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