Erwerb gemeindeeigener erschließungspflichtiger Grundstücke – und die Grunderwerbsteuer

Veräußert eine erschließungspflichtige Gemeinde ein Grundstück und übernimmt der Erwerber dabei die vertragliche Verpflichtung, für die zukünftige Erschließung des Grundstücks einen bestimmten Betrag zu zahlen, ist Gegenstand des Erwerbsvorgangs regelmäßig nur das unerschlossene Grundstück1.

Erwerb gemeindeeigener erschließungspflichtiger Grundstücke – und die Grunderwerbsteuer

Beim Erwerb eines unerschlossenen Grundstücks von einer erschließungspflichtigen Gemeinde ist mithin die Grunderwerbsteuer regelmäßig nur auf den Preis für das unerschlossene Grundstück zu zahlen. Dies gilt auch dann, wenn der Erwerber sich vertraglich verpflichtet, für die künftige Erschließung einen bestimmten Betrag an die Gemeinde zu zahlen.

Die Erwerberin in dem hier vom Bundesfinanzhof entschiedenen Fall erwarb von der erschließungspflichtigen Gemeinde einen Miteigentumsanteil an einem unbebauten und unerschlossenen Grundstück. In dem Kaufvertrag waren Entgelte für das Grundstück und für die künftige Erschließung jeweils gesondert ausgewiesen.

Der BFH hat unter Hinweis auf seine frühere Rechtsprechung2 entschieden, dass ein solcher Vertrag regelmäßig in einen privatrechtlichen Vertrag über den Erwerb des unerschlossenen Grundstücks und einen öffentlich-rechtlichen Vertrag über die Ablösung des Erschließungsbeitrags aufzuteilen ist. Eine solche Ablösungsabrede ist nur öffentlich-rechtlich zulässig; als privatrechtliche Vereinbarung wäre sie nichtig. Das Vertragswerk ist aber so auszulegen, dass es weitestmöglich wirksam bleibt. Der Verkauf eines noch zu erschließenden Grundstücks durch die erschließungspflichtige Gemeinde ist dabei nicht zu verwechseln mit dem Verkauf durch einen privaten Erschließungsträger3.

Nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 des Grunderwerbsteuergesetzes (GrEStG) unterliegt der Grunderwerbsteuer u.a. ein sich auf ein inländisches Grundstück beziehender Kaufvertrag, der den Anspruch auf Übereignung begründet. Bemessungsgrundlage der Grunderwerbsteuer ist nach § 8 Abs. 1 GrEStG die Gegenleistung.

Bei einem Grundstückskauf gilt nach § 9 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG als Gegenleistung u.a. der Kaufpreis einschließlich der vom Käufer übernommenen sonstigen Leistungen. Danach gehören zur grunderwerbsteuerrechtlichen Gegenleistung (Bemessungsgrundlage) alle Leistungen des Erwerbers, die dieser nach den vertraglichen Vereinbarungen gewährt, um das Grundstück zu erwerben4.

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Der Gegenstand des Erwerbsvorgangs, nach dem sich gemäß § 8 Abs. 1 i.V.m. § 9 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG die als Bemessungsgrundlage der Grunderwerbsteuer anzusetzende Gegenleistung richtet, wird zunächst durch das den Steuertatbestand des § 1 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG erfüllende zivilrechtliche Verpflichtungsgeschäft bestimmt5. Für den Umfang der Gegenleistung im grunderwerbsteuerrechtlichen Sinne ist entscheidend, in welchem Zustand die Vertragsbeteiligten das Grundstück zum Gegenstand des Erwerbsvorgangs gemacht haben6.

Diese Grundsätze gelten auch für den Erschließungszustand des Grundstücks7.

Ist ein Grundstück im Zeitpunkt des Abschlusses des Grundstückskaufvertrags bereits tatsächlich erschlossen, kann Gegenstand eines solchen Vertrags nur das erschlossene Grundstück sein. In diesem Fall gehören die im Kaufvertrag ausgewiesenen Kosten für die Erschließung grundsätzlich auch dann zur Gegenleistung, wenn Veräußerer eine Gemeinde ist8.

Ist ein Grundstück im Zeitpunkt des Abschlusses des Grundstückskaufvertrags noch nicht erschlossen, ist im Wege der Auslegung der getroffenen Vereinbarungen zu ermitteln, ob das erschlossene Grundstück Gegenstand der Übereignungsverpflichtung ist, und zwar nach zivilrechtlichen Maßstäben9.

Ist eine nach öffentlichem Recht erschließungspflichtige Gemeinde selbst der Veräußerer und übernimmt der Erwerber die Verpflichtung, für die zukünftige Erschließung des Grundstücks einen bestimmten Betrag zu zahlen, ist Gegenstand des Erwerbsvorgangs regelmäßig nur das unerschlossene Grundstück. Das gilt nicht nur, wenn der Erwerber die Erschließungskosten mittels gesonderten Vertrags übernimmt10, sondern ebenso, wenn eine solche Vereinbarung in den Kaufvertrag über das Grundstück integriert ist. Sie enthält regelmäßig einen von dem Kaufvertrag über den Erwerb des Grundstücks zu trennenden öffentlich-rechtlichen Vertrag.

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Privatrechtliche Vereinbarungen über die der Gemeinde obliegende Erschließung sind nicht zulässig. Sie verstoßen gegen ein gesetzliches Verbot und sind nach § 134 BGB nichtig.

Die Erschließung ist nach § 123 Abs. 1 BauGB Aufgabe der Gemeinden, soweit sie nicht nach anderen gesetzlichen Vorschriften oder öffentlich-rechtlichen Verpflichtungen einem anderen obliegt. Die Gemeinden erheben unter den Voraussetzungen des § 127 Abs. 1 BauGB einen Erschließungsbeitrag, der nach § 134 Abs. 2 Alternative 1 BauGB als öffentliche Last auf dem Grundstück ruht und, wie sich aus § 134 Abs. 1 Satz 1 BauGB sowie § 135 Abs. 1 BauGB ergibt, durch Beitragsbescheid erhoben wird.

Auf Grundlage von § 133 Abs. 3 Satz 5 BauGB können die Gemeinden als Ausnahme von dem gesetzlichen Verbot vertraglicher Vereinbarungen über Erschließungskosten mit den Eigentümern oder Erbbauberechtigten eines Grundstücks vor Entstehung der Beitragspflicht einen öffentlich-rechtlichen Vertrag über die Ablösung des gesamten Erschließungsbeitrags schließen. Das wirksame Zustandekommen eines solchen Vertrags setzt die vollständige Ablösung des Erschließungsbeitrags vor Entstehen der Beitragspflicht voraus. Die jeweiligen Ablösungsbestimmungen der Gemeinde müssen einen Maßstab für die vorteilsgerechte Verteilung des mutmaßlichen Erschließungsaufwands schaffen, den die Vertragsparteien zugrunde legen können11. Eine solche Ablösungsabrede kann grundsätzlich auch mit einem Kaufvertrag verbunden werden, sofern sich die privatrechtlichen und die öffentlich-rechtlichen Elemente des Vertrags -Kaufpreis und Ablösungsbetrag- trennen lassen12.

Daraus ergibt sich im Gegenschluss, dass eine privatrechtliche Vereinbarung über die Ablösebeträge unzulässig ist. Andernfalls könnten durch Wahl der privatrechtlichen Handlungsform die Vorgaben des öffentlichen Rechts umgangen werden. Ein wegen Missachtung dieser Vorgaben unwirksamer öffentlich-rechtlicher Vertrag kann daher auch nicht als „hilfsweise“ wirksamer privatrechtlicher Vertrag verstanden oder in einen solchen umgedeutet werden, sondern behält seinen öffentlich-rechtlichen Charakter.

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Die Auslegung eines Kaufvertrags hat die vorgenannten Grundsätze zu beachten.

Die Auslegung von Verträgen gehört zum Bereich der tatsächlichen Feststellungen und bindet das Revisionsgericht gemäß § 118 Abs. 2 FGO, wenn sie den Grundsätzen der §§ 133, 157 BGB entspricht und nicht gegen Denkgesetze und Erfahrungssätze verstößt, d.h. jedenfalls möglich ist. Der BFH hat jedoch zu prüfen, ob die Auslegung durch das Finanzgericht Auslegungsregeln, Denkgesetze oder Erfahrungssätze verletzt. Ist das der Fall, entfällt die Bindungswirkung13. Hat das Finanzgericht eine Auslegung unterlassen oder ist diese fehlerhaft, kann der Bundesfinanzhof die Auslegung selbst vornehmen, wenn alle für die Auslegung erforderlichen tatsächlichen Feststellungen getroffen sind und weitere tatsächliche Feststellungen nicht in Betracht kommen14.

Zu den Auslegungsgrundsätzen nach §§ 133, 157 BGB gehört der Grundsatz der gesetzeskonformen Auslegung, d.h. einer Auslegung, die nicht zur Unwirksamkeit einer Vereinbarung führt15. Zwar kommt es auf die Gesetzeskonformität eines Auslegungsergebnisses nicht an, wenn dieses nach Wortlaut sowie Sinn und Zweck eindeutig ist16. Ist das Auslegungsergebnis jedoch nicht eindeutig, ist nur die Auslegung interessengerecht, die die Nichtigkeit des angestrebten Vertrags nach § 134 oder § 138 BGB vermeidet17.

Dieser Auslegungsgrundsatz ist auch bei der Vertragsauslegung für steuerrechtliche Zwecke zu befolgen. § 40 AO steht dem nicht entgegen. Die Vorschrift greift erst ein, wenn die Vereinbarung auch unter den vorgenannten Regeln so ausgelegt werden muss, dass ein Gesetzesverstoß vorliegt. Wie ein Vertrag auszulegen ist, wenn die Vereinbarung über die Erschließungskosten nicht den öffentlich-rechtlichen Anforderungen an deren Berechnung genügt und die Beteiligten den auf das Grundstück entfallenden Kaufpreisanteil einvernehmlich bewusst zu niedrig ausweisen, ist eine davon abweichende, möglicherweise unter Beachtung des § 42 AO zu beantwortende Frage.

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Für den vorliegenden Fall bedeutet das, dass der notarielle Kaufvertrag in der Weise zu verstehen ist, dass die Vertragsparteien eine (zivilrechtliche) Vereinbarung über den Kauf des unerschlossenen Grundstücks getroffen haben und dass sie daneben eine öffentlich-rechtliche Vereinbarung i.S. des § 133 Abs. 3 Satz 5 BauGB über die Ablösung des Erschließungsbeitrags schließen wollten. Der Vertrag ist nicht eindeutig. Er benennt einerseits einen Gesamtkaufpreis, schlüsselt diesen andererseits in einen Teilbetrag für den verkauften Grund und Boden sowie einen Teilbetrag für die Erschließungskosten auf. Also ist der Vertrag so auszulegen, dass er insgesamt so weit wie möglich wirksam ist.

Es bedarf keiner Entscheidung, ob die Ablösevereinbarung ihrerseits den öffentlich-rechtlichen Anforderungen genügt und wirksam geworden ist. Sollte dies der Fall sein, besteht der Kaufvertrag aus einem zivilrechtlichen und einem öffentlich-rechtlichen Teil. Sollten die Anforderungen an die Wirksamkeit einer öffentlich-rechtlichen Vereinbarung nicht erfüllt sein, könnte die Ablösevereinbarung nicht unter Umgehung zwingenden öffentlichen Rechts als zivilrechtliche Vereinbarung verstanden werden. Sie wäre unwirksam. Es bliebe bei dem zivilrechtlichen Kaufvertrag über das unerschlossene Grundstück. Die Erschließungsbeiträge wären durch Beitragsbescheid festzusetzen.

Der Streitfall bietet keinen Anlass zu entscheiden, wie zu verfahren wäre, wenn sich die anteiligen Erschließungskosten dem Kaufvertrag selbst nicht entnehmen ließen. Anhaltspunkte dafür, dass die Gemeinde sowie die Erwerberin und deren Ehemann den Kaufpreisanteil sehenden Auges zu niedrig angesetzt hätten, etwa um Grunderwerbsteuer zu sparen, wurden nicht festgestellt und sind auch weder vorgetragen noch ersichtlich.

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Bundesfinanzhof, Urteil vom 28. September 2022 – II R 32/20

  1. Fortsetzung von BFH, Urteil vom 15.03.2001 – II R 39/99[]
  2. BFH, Urteil vom 15.03.2001 – II R 39/99[]
  3. vgl. BFH Urteil vom 23.02.2022 – II R 9/21[]
  4. BFH, Urteil vom 06.12.2017 – II R 55/15, BFHE 261, 58, BStBl II 2018, 406, Rz 10, m.w.N.[]
  5. BFH, Urteil vom 08.03.2017 – II R 38/14, BFHE 257, 368, BStBl II 2017, 1005, Rz 27[]
  6. ständige Rechtsprechung, u.a. BFH, Urteile vom 21.03.2007 – II R 67/05, BFHE 215, 301, BStBl II 2007, 614, unter II. 1.; vom 23.09.2009 – II R 20/08, BFHE 227, 379, BStBl II 2010, 495, sowie – II R 21/08, BFH/NV 2010, 679, beide unter II. 1.a[]
  7. vgl. BFH, Urteil in BFHE 215, 301, BStBl II 2007, 614, unter II. 1.a[]
  8. BFH, Urteile in BFHE 215, 301, BStBl II 2007, 614, unter II. 1.b; in BFHE 227, 379, BStBl II 2010, 495, sowie in BFH/NV 2010, 679, beide unter II. 1.b[]
  9. ständige Rechtsprechung, vgl. BFH, Urteile vom 09.05.1979 – II R 56/74, BFHE 128, 92, BStBl II 1979, 577, dort auch zu den Auslegungskriterien; vom 15.03.2001 – II R 39/99, BFHE 194, 452, BStBl II 2002, 93, unter II. 1.b, sowie – II R 51/00, BFH/NV 2001, 1297, unter II.b; vom 11.02.2004 – II R 31/02, BFHE 204, 489, BStBl II 2004, 521; in BFHE 215, 301, BStBl II 2007, 614, unter II. 1.b; in BFH/NV 2010, 679, unter II. 1.a; und vom 01.10.2014 – II R 20/13, BFH/NV 2015, 349, Rz 15[]
  10. dazu BFH, Urteil in BFHE 194, 452, BStBl II 2002, 93[]
  11. vgl. im Einzelnen Urteil des Bundesverwaltungsgerichts -BVerwG- vom 21.01.2015 – 9 C 1/14, BVerwGE 151, 171, Rz 10 f., m.w.N.[]
  12. BVerwG, Urteil vom 01.12.1989 – 8 C 44/88, BVerwGE 84, 183[]
  13. ständige Rechtsprechung, vgl. etwa BFH, Urteile vom 05.12.2019 – II R 37/18, BFHE 267, 524, BStBl II 2020, 236, Rz 15; und vom 10.11.2020 – IX R 32/19, BFHE 271, 218, Rz 18[]
  14. vgl. BFH, Urteile vom 14.01.2004 – X R 37/02, BFHE 205, 96, BStBl II 2004, 493, unter II. 4. zur unterlassenen Auslegung; und vom 03.07.2019 – II R 6/16, BFHE 265, 421, BStBl II 2020, 61, Rz 29 zur fehlerhaften Auslegung[]
  15. MünchKomm-BGB/Busche, 8. Aufl., § 133 Rz 64; Grüneberg/Ellenberger, Bürgerliches Gesetzbuch, 81. Aufl., § 133 Rz 25[]
  16. vgl. BGH, Urteile vom 21.10.2014 – II ZR 84/13, NJW 2015, 859, Rz 15; und vom 15.02.2017 – VIII ZR 59/16, NJW 2017, 1660, Rz 22[]
  17. BGH, Urteile vom 03.03.1971 – VIII ZR 55/70, NJW 1971, 1034, unter 2.a, und „Anwalts-Hotline“ vom 26.09.2002 – I ZR 44/00, BGHZ 152, 153, NJW 2003, 819, unter II. 2.c[]
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