Der Erlass der Grundsteuer wegen einer Minderung des Rohertrags gemäß § 33 Abs. 1 GrStG setzt – entgegen der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltugnsgerichtshofs Baden-Württemberg – nicht voraus, dass die Ertragsminderung auf atypischen und vorübergehenden Umständen beruht.

Die Frage, ob der Eigentümer (oder im entschiedenen Fall der Erbbauberechtigten) einen Erlass der Grundsteuer beanspruchen kann, richtet sich nach § 33 GrStG in der Fassung des Jahressteuergesetzes 20091, die nach § 38 GrStG erstmals für die Grundsteuer des Kalenderjahres 2008 anzuwenden ist. Nach § 33 Abs. 1 GrStG wird die Grundsteuer in Höhe von 25% erlassen, wenn bei bebauten Grundstücken der normale Rohertrag des Steuergegenstands um mehr als 50% gemindert ist und der Steuerschuldner die Minderung des Rohertrags nicht zu vertreten hat (S. 1). Beträgt die Minderung des normalen Rohertrags 100%, ist die Grundsteuer in Höhe von 50% zu erlassen (S. 2).
Darauf, ob die nach § 33 Abs. 1 GrStG erforderliche Minderung des normalen Rohertrags des Steuergegenstands auf typische oder atypische, strukturell bedingte oder nicht strukturell bedingte, vorübergehende oder nicht vorübergehende Umstände zurückzuführen ist, kommt es hierfür nicht an. Die Frage, ob der Leerstand des Gebäudes strukturell bedingt ist, bedarf deshalb keiner Beantwortung.
Das Bundesverwaltungsgericht hat allerdings in seiner früheren Rechtsprechung zu § 33 GrStG a.F.2 angenommen, dass die Voraussetzungen eines Grundsteuererlasses wegen Minderung des normalen Rohertrags eines Grundstücks nur erfüllt sein könnten, wenn die Minderung des Rohertrags auf vorübergehend vorliegende Umstände zurückgehe, die im Vergleich zu den vom Gesetz erfassten Regelfällen atypisch seien. Es hat daraus weiter geschlossen, dass zu einem Erlass nach § 33 GrStG nur solche Ertragsminderungen führen könnten, die von erkennbar vorübergehender Natur seien. Auf dieser Grundlage hat das Bundesverwaltungsgericht ferner entschieden, die Ertragsminderung eines Grundstücks, die darauf zurückgehe, dass die auf dem Grundstück befindlichen Wohnungen wegen des strukturell bedingten Überangebots in einer Gemeinde nicht vermietbar seien, rechtfertige keinen Grundsteuererlass3.
Auf die an dieser Rechtsprechung geäußerte Kritik des Bundesfinanzhofs4 hat jedoch das Bundesverwaltungsgericht seine Auffassung inzwischen geändert und sich mit Beschluss vom 24. April 20075 der Auffassung des Bundesfinanzhofs angeschlossen, dass ein Grundsteuererlass gemäß § 33 Abs. 1 GrStG nicht nur bei atypischen und vorübergehenden Ertragsminderungen in Betracht komme, sondern auch strukturell bedingte Ertragsminderungen von nicht nur vorübergehender Natur erfassen könne. Der Bundesfinanzhof hat seine Kritik an der Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts u.a. damit begründet, dass die Beschränkung des § 33 Abs. 1 GrStG auf atypische und nur vorübergehende Ertragsminderungen eine teleologische Reduktion der Vorschrift darstelle, die nicht nur nicht geboten sei, sondern gerade diejenigen Steuerpflichtigen um die Steuerentlastung bringe, die besonders auf sie angewiesen seien. Er hat dabei außerdem darauf hingewiesen, dass den Eigentümern leer stehender Räume auch mit einer neuen Hauptfeststellung unter Berücksichtigung gesunkener Wertverhältnisse nur geringfügig geholfen wäre, weil dies lediglich eine Minderung der Bezugsgröße der üblichen Miete bewirkte, aber einen völligen Einnahmeausfall unberücksichtigt ließe.
Der Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 24.4.2007 kann vor diesem Hintergrund in Übereinstimmung mit dem Bundesfinanzhof6 und dem Oberverwaltungsgericht Sachsen7 nur so verstanden werden, dass auch das Bundesverwaltungsgericht nunmehr der Meinung ist, ein Grundsteuererlass setze nicht voraus, dass die Ertragsminderung auf atypischen und nur vorübergehenden Umständen beruhe8.
Diese Auslegung des § 33 Abs. 1 GrStG erscheint dem Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg im Übrigen aus dem vom Bundesfinanzhof9 angeführten Gründen auch allein sachgerecht. Sie entspricht zudem offensichtlich dem Willen des Gesetzgebers. Der Gesetzgeber knüpft den Erlass der Grundsteuer außer an ein bestimmtes Maß der Minderung des Rohertrags des Grundstücks zum einen an die Voraussetzung, dass der Steuerschuldner die Minderung des Rohertrags nicht zu vertreten hat, und zum anderen daran, dass die Ertragsminderung für den Erlasszeitraum weder durch Fortschreibung des Einheitswerts berücksichtigt werden kann noch bei rechtzeitiger Stellung des Antrags auf Fortschreibung hätte berücksichtigt werden können. Dafür, dass der Gesetzgeber eine darüberhinausgehende Einschränkung des Anwendungsbereichs der Norm durch weitere ungeschriebene Tatbestandsmerkmale beabsichtigt hätte, ist nichts zu erkennen.
Was § 33 GrStG in seiner hier maßgeblichen Fassung des Jahressteuergesetzes 2009 vom 19.12.2008 betrifft, kommt hinzu, dass die mit diesem Gesetz vorgenommene Novellierung der Vorschrift erfolgte, um die in Folge der geänderten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu erwartenden Grundsteuerausfälle in Grenzen zu halten10. In den Empfehlungen der Ausschüsse des Bundesrats11 wird dabei außer auf den Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 24. April 2007 ausdrücklich auch auf das Urteil des Bundesfinanzhofs vom 24. Oktober 20076 hingewiesen. Der Bundesfinanzhof hat in diesem Urteil im Hinblick auf den Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts die Meinung geäußert, dass damit alle Differenzierungen nach typischen oder atypischen, nach strukturell bedingten oder nicht strukturell bedingten, nach vorübergehenden oder nicht vorübergehenden Ertragsminderungen und nach den verschiedenen Möglichkeiten, diese Merkmale zu kombinieren, hinfällig seien. § 33 GrStG in der Fassung des Jahressteuergesetzes 2009 verlangt deshalb eine Ertragsminderung von mindestens 50% (bisher 20%) und sieht als Rechtsfolge – von dem in Abs. 1 S. 2 genannten Sonderfall abgesehen – einen Erlass der Grundsteuer in Höhe von nur 25% (bisher vier Fünfteln des Prozentsatzes der Minderung) vor. Eine „Anreicherung“ des Tatbestands der Vorschrift durch zusätzliche Voraussetzungen nach dem Beispiel der früheren Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist dabei unterblieben. Der Gesetzgeber hat sich damit das im Urteil des Bundesfinanzhofs vom 24. Oktober 2007 geäußerte Verständnis der Vorschrift zu eigen gemacht. Der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg hält deshalb an seinen bisherigen, mit der früheren Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts übereinstimmenden Rechtsprechung12 nicht länger fest.
Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, Urteil vom 2. Dezember 2010 – 2 S 1729/10
- vom 19.12.2008, BGBl. I, S. 2794[↩]
- BVerwG, Urteil vom 03.05.1991 – 8 C 13.89, NVwZ-RR 1992, 93[↩]
- BVerwG, Urteil vom 04.04.2001 – 11 C 12.00, BVerwGE 114, 132[↩]
- BFH, Beschluss vom 13.09.2006 – II R 5/05, BFHE 213, 390[↩]
- BVerwG, Beschluss vom 24.04.2007 – GmS-OGB 1/07, ZKF 2007, 211[↩]
- BFH, Urteil vom 24.10.2007 – II R 6/05, BFH/NV 2008, 407[↩][↩]
- OVG Sachsen, Beschluss vom 23.12.2009 – 5 B 449/06, SächsVBl 2010, 121[↩]
- a.M. OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 26.03.2009 – 14 A 3168/07[↩]
- BFH, Beschluss vom 13.9.2006, aaO[↩]
- vgl. die Beschlussempfehlung des Finanzausschusses des Bundestags, BT-Drs. 16/11055, S. 1, 3[↩]
- BR-Drs. 545/1/08, S. 102 f.[↩]
- vgl. u.a. VGH Bad.-Württ., Urteil vom 16.03.2006 – 2 S 1002/05, VBlBW 2006, 321[↩]