Nach Insolvenzeröffnung entstandene Kraftfahrzeugsteuer ist eine Masseverbindlichkeit i.S. von § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO, wenn das Fahrzeug, für dessen Halten die Kraftfahrzeugsteuer geschuldet wird, Teil der Insolvenzmasse ist. Die Freigabe der selbstständigen Tätigkeit des Insolvenzschuldners nach § 35 Abs. 2 InsO durch den Insolvenzverwalter ist für die Beurteilung der Kraftfahrzeugsteuer als Masseverbindlichkeit oder insolvenzfreie Verbindlichkeit ohne Bedeutung.

Mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens gemäß § 80 Abs. 1 InsO geht das Recht des Schuldners, das zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen (§ 35 Abs. 1 InsO) zu verwalten, auf den Insolvenzverwalter über. Dieser hat als Vermögensverwalter gemäß § 34 Abs. 3 i.V.m. Abs. 1 AO die steuerlichen Pflichten des Schuldners zu erfüllen, soweit seine Verwaltung reicht1.
Als Vermögensverwalter ist der Insolvenzverwalter Steuerpflichtiger (§ 33 Abs. 1 AO2) und richtiger Bekanntgabe- und Inhaltsadressat von Steuerbescheiden, mit denen eine Finanzbehörde bestehende Masseverbindlichkeiten geltend macht. Demgegenüber sind Steuerforderungen, die sich gegen das insolvenzfreie Vermögen des Schuldners richten, gegen den Schuldner festzusetzen3.
§ 35 Abs. 2 InsO ist für die Beantwortung der Frage, ob es sich bei der Kraftfahrzeugsteuer um eine Masseverbindlichkeit handelt, ohne Bedeutung.
Übt der Schuldner eine selbstständige Tätigkeit aus oder beabsichtigt er, demnächst eine solche Tätigkeit auszuüben, hat der Insolvenzverwalter gemäß § 35 Abs. 2 InsO ihm gegenüber zu erklären, ob Vermögen aus der selbstständigen Tätigkeit zur Insolvenzmasse gehört und ob Ansprüche aus dieser Tätigkeit im Insolvenzverfahren geltend gemacht werden können. „Ansprüche aus dieser Tätigkeit“ sind entgegen des missverständlichen Wortlauts nicht Ansprüche des Schuldners, sondern Ansprüche gegen den Schuldner, also Verbindlichkeiten des Schuldners4.
Die Kraftfahrzeugsteuer ist keine Verbindlichkeit des Schuldners aus einer selbstständigen Tätigkeit.
Steuergegenstand der Kraftfahrzeugsteuer ist nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 des Kraftfahrzeugsteuergesetzes neben weiteren hier nicht bedeutsamen Tatbeständen (wie z.B. die widerrechtliche Benutzung von Fahrzeugen) das Halten von inländischen Fahrzeugen zum Verkehr auf öffentlichen Straßen. Der steuerrechtliche Tatbestand des Haltens eines Kfz ist mit der Zulassung des Kfz erfüllt, unabhängig davon, ob überhaupt oder in welchem Umfange von dem durch die Zulassung eingeräumten Recht, das Kfz auf öffentlichen Straßen in Betrieb zu setzen, im Einzelfall tatsächlich Gebrauch gemacht wird5. Da es für das Entstehen der Kraftfahrzeugsteuer nicht darauf ankommt, ob und wie das Fahrzeug genutzt wird, besteht kein unmittelbarer Zusammenhang zwischen dem Entstehen der Kraftfahrzeugsteuer und einer selbstständigen Tätigkeit des Halters.
Allerdingds kann die nach Insolvenzeröffnung begründete Kraftfahrzeugsteuer nicht mit der Begründung als Masseverbindlichkeit i.S. des § 55 Abs. 1 Nr. 1 Alternative 2 InsO beurteilt werden, dass die Rechtsposition als Halter des Kfz zur Insolvenzmasse gehöre. Maßgebend ist vielmehr, ob das Fahrzeug Teil der Insolvenzmasse ist3. Soweit der Bundesfinanzhof dazu früher eine andere Auffassung vertreten hat, hat er sie in diesem Urteil aufgegeben.
Der hier entscheidende II. Senat des Bundesfinanzhofs teilt ferner nicht die im BFH-Urteil vom 16. Oktober 20076 vertretene Auffassung des IX. Senats, die nach Insolvenzeröffnung entstandene Kraftfahrzeugsteuer sei unbeschadet einer vom Insolvenzverwalter ausgesprochenen Freigabe des Fahrzeugs Masseverbindlichkeit i.S. von § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO, solange die Steuerpflicht wegen der verkehrsrechtlichen Zulassung des Fahrzeugs auf den Schuldner noch andauere. Entgegen der Ansicht des IX. Senatss kommt es für die Beurteilung der Kraftfahrzeugsteuer als Masseverbindlichkeit nicht auf eine Verwendungsmöglichkeit des Fahrzeugs „im Geschäft“ des Schuldners und damit auf dessen Nutzung für die Insolvenzmasse an. Denn nach dem Wortlaut des § 55 Abs. 1 Nr. 1 Alternative 2 InsO („durch die Verwaltung … der Insolvenzmasse“) liegen Masseverbindlichkeiten nur vor, wenn ein Massegegenstand verwaltet wird und daraus eine (Steuer-)Verbindlichkeit resultiert. Dementsprechend ist auch die nach Insolvenzeröffnung durch sonstige Leistungen des Schuldners begründete Umsatzsteuer jedenfalls dann keine Masseverbindlichkeit, wenn die Umsätze nicht im Wesentlichen auf der Nutzung von Massegegenständen beruhen7.
Zur Beantwortung der Frage, ob das Fahrzeug Teil der Insolvenzmasse ist und damit ein Bezug der Kraftfahrzeugsteuer zur Insolvenzmasse besteht, ist zwischen der Freigabe des Fahrzeugs (sog. echte Freigabe) und der Freigabe der selbstständigen Tätigkeit des Schuldners nach § 35 Abs. 2 InsO zu unterscheiden.
Hat der Insolvenzverwalter eine echte Freigabe des Fahrzeugs erklärt, entfällt ein Bezug der Kraftfahrzeugsteuer zur Insolvenzmasse. Denn durch die Freigabeerklärung wird das Fahrzeug aus der Insolvenzmasse entlassen und fällt in das insolvenzfreie Schuldnervermögen zurück8.
Im Gegensatz zur echten Freigabe des Fahrzeugs hat die Freigabe der selbstständigen Tätigkeit des Schuldners nach § 35 Abs. 2 InsO keine Auswirkungen auf die Massezugehörigkeit eines im Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung vorhandenen Fahrzeugs. Durch diese Erklärung wird das Fahrzeug nicht aus der Insolvenzmasse entlassen. Denn eine Freigabe der selbstständigen Tätigkeit gemäß § 35 Abs. 2 InsO umfasst nur den Neuerwerb und nicht das im Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung bereits vorhandene Vermögen9. Dies ergibt sich bereits aus dem Wortlaut des § 35 Abs. 2 InsO, wonach die Freigabe „Vermögen aus der selbstständigen Tätigkeit“, also den Neuerwerb betrifft. Ferner bestand auch kein Bedürfnis für den Gesetzgeber, in § 35 Abs. 2 InsO die Freigabe von im Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung vorhandenem Vermögen zu regeln. Denn der Insolvenzverwalter konnte bereits nach der vor dem 1.07.2007 bestehenden Rechtslage einzelne Vermögensgegenstände aus der Insolvenzmasse freigeben10. Zudem wird Vermögen, das für die selbstständige Tätigkeit des Schuldners erforderlich ist, meist schon nach § 811 Abs. 1 Nr. 5 ZPO pfändungsfrei und daher gemäß § 36 InsO insolvenzfrei sein, so dass schon die Voraussetzungen einer Freigabe nicht vorliegen. Schließlich widerspräche es dem Normzweck des § 35 Abs. 2 InsO, wenn die Freigabe der selbstständigen Tätigkeit auch das schon vorhandene Vermögen umfasste. Denn dieser besteht u.a. darin, eine Gefährdung der Masse durch eine selbstständige Tätigkeit des Schuldners zu verhindern11. Führte die Freigabe nach § 35 Abs. 2 InsO jedoch dazu, dass das gesamte unternehmerische Vermögen aus der Insolvenzmasse entlassen würde, hätte dies eine erhebliche Verkürzung der Insolvenzmasse und damit gerade deren Gefährdung zur Folge.
Ebenso wenig kann eine Freigabe der selbstständigen Tätigkeit nach § 35 Abs. 2 InsO dahin ausgelegt werden, dass der Insolvenzverwalter neben der selbstständigen Tätigkeit zugleich im Wege der echten Freigabe (sämtliches) bereits vorhandenes unternehmerisches Vermögen des Schuldners freigegeben hat. Der Erklärungsinhalt einer Freigabe der selbstständigen Tätigkeit nach § 35 Abs. 2 InsO erfüllt nicht die inhaltlichen Voraussetzungen einer echten Freigabe eines Gegenstandes. Denn der Insolvenzverwalter ist nur zu einer echten Freigabe einzelner Gegenstände aus der Insolvenzmasse befugt12. Diese müssen mit ausreichender Bestimmtheit bezeichnet sein13. Hieran fehlt es bei einer Freigabe nach § 35 Abs. 2 InsO.
Bundesfinanzhof, Urteil vom 8. September 2011 – II R 54/10
- vgl. BFH, Urteil vom 13.04.2011 – II R 49/09, ZIP 2011, 1728, m.w.N.[↩]
- vgl. auch BFH, Urteil vom 21.12.1988 – V R 29/86, BFHE 155, 475, BStBl II 1989, 434, allgemein zu Vermögensverwalter[↩]
- BFH, Urteil in ZIP 2011, 1728[↩][↩]
- vgl. Smid, Deutsche Zeitschrift für Wirtschafts- und Insolvenzrecht 2008, 133[↩]
- BFH, Beschluss vom 20.04.2006 – VII B 332/05, BFH/NV 2006, 1519[↩]
- BFH, Urteil vom 16.10.2007 – IX R 25/07, BFH/NV 2008, 250[↩]
- vgl. BFH, Urteil vom 17.03.2010 – XI R 2/08, BFHE 229, 394[↩]
- vgl. Hirte in Uhlenbruck, Insolvenzordnung, 13. Aufl., § 35 Rz 82, m.w.N.[↩]
- vgl. Urteil des Verwaltungsgerichts Trier vom 14.04.2010 5 K 11/10.TR, ZIP 2010, 1141; Hirte in Uhlenbruck, a.a.O., § 35 Rz 100; Schumacher in FKInsO, 6. Aufl., § 35 Rz 13; Wischemeyer, Zeitschrift für das gesamte Insolvenzrecht 2009, 2121, 2125 f.; a.A. Dahl, NJWSpezial 2007, 485[↩]
- vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Vereinfachung des Insolvenzverfahrens vom 02.11.2006, BT-Drucks 16/3227, S. 17[↩]
- vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Vereinfachung des Insolvenzverfahrens vom 02.11.2006, BT-Drucks 16/3227, S. 11[↩]
- vgl. BGH, Urteil vom 21.04.2005 – IX ZR 281/03, BGHZ 163, 32; Lwowski/Peters in MünchKomm-InsO, 2. Aufl., § 35 Rz 100[↩]
- vgl. BAG, Urteil vom 10.04.2008 – 6 AZR 368/07, BAGE 126, 229[↩]