Teilerlass der Grundsteuer bei gemindertem Mietertrag

Der Bundesfinanzhof hält die Neuregelung des Anspruchs auf Teilerlass der Grundsteuer bei einem geminderten Mietertrag durch das Jahressteuergesetz 20091 und die Anwendung der Neuregelung bereits für das Jahr 2008 mit dem Grundgesetz vereinbar sind. Die mit Wirkung ab dem Kalenderjahr 2008 erfolgte Neuregelung des Erlasses von Grundsteuer wegen wesentlicher Ertragsminderung verstößt nach Ansicht des Bundesfinanzhofs nicht gegen die verfassungsrechtlichen Anforderungen an Steuergesetze und deren Rückwirkung. In einem auf Erlass von Grundsteuer wegen wesentlicher Ertragsminderung gerichteten Verfahren ist nicht zu prüfen, ob die Anknüpfung der Grundsteuer an die Einheitswerte für die Jahre ab 2008 noch verfassungsgemäß ist.

Teilerlass der Grundsteuer bei gemindertem Mietertrag

Die gesetzliche (Neu-)Regelung[↑]

Nach § 33 Abs. 1 GrStG in der bis zum 31. Dezember 2007 geltenden Fassung bestand ein Anspruch auf Teilerlass der Grundsteuer bereits dann, wenn der tatsächliche Rohertrag aus der Vermietung oder Verpachtung eines bebauten Grundstücks in einem Jahr um mehr als 20 % niedriger als der normale Rohertrag war und der Steuerschuldner die Mindereinnahmen nicht zu vertreten hatte. Waren diese Voraussetzungen erfüllt, war die Grundsteuer in Höhe des Prozentsatzes zu erlassen, der vier Fünfteln des Prozentsatzes entsprach, um den der tatsächliche Rohertrag niedriger als der normale Rohertrag war.

Nach der ab dem Jahr 2008 geltenden Neuregelung besteht ein Anspruch auf Teilerlass der Grundsteuer demgegenüber erst dann, wenn der tatsächliche Rohertrag in einem Jahr um mehr als 50 % niedriger als der normale Rohertrag ist. Zudem ist die Grundsteuer in diesem Fall nur in Höhe von 25 % zu erlassen. Wird überhaupt kein Rohertrag erzielt, ist die Grund-steuer in Höhe von 50 % zu erlassen.

Die Entscheidung des Bundesfinanzhofs[↑]

Der Bundesfinanzhof hat dazu entschieden, dass der Gesetzgeber dadurch, dass er den Anspruch auf Teilerlass der Grundsteuer von einer Abweichung des tatsächlichen Rohertrags vom normalen Rohertrag von mehr als 50 % abhängig macht und dies bereits für das Jahr 2008 gilt, den ihm vom Grundgesetz eingeräumten weiten Gestaltungsspielraum nicht überschritten hat. Für diese Regelungen bestünden hinreichende sachliche Gründe. Nicht zu prüfen war, ob die Anknüpfung der Grundsteuer an die Einheitswerte für die Jahre ab 2008 noch verfassungsgemäß ist oder ob dies wegen der für die Einheitsbewertung maßgebenden Wertverhältnisse vom 1. Januar 1964 bzw. im Beitrittsgebiet vom 1. Januar 1935 nicht der Fall ist.

Grundsteuer und Einheitswerte[↑]

Im vorliegenden Verfahren ist nicht zu prüfen, ob die Anknüpfung der Grundsteuer an die Einheitswerte (§ 13 Abs. 1 GrStG) für die Jahre ab 2008 noch verfassungsgemäß ist oder ob dies wegen der für die Einheitsbewertung maßgebenden Wertverhältnisse vom 1. Januar 1964 bzw. im Beitrittsgebiet vom 1. Januar 1935 nicht der Fall ist2. Ein Anspruch auf Erlass von Grundsteuer nach § 33 GrStG n.F. setzt nämlich ebenso wie nach § 33 GrStG a.F. eine Minderung des normalen Rohertrags in einem bestimmten Umfang voraus und kann daher nicht darauf gestützt werden, dass die Heranziehung der Einheitswerte bei der Bemessung der Grundsteuer nicht mehr verfassungsgemäß sei. Die Rechtmäßigkeit des für die Grundsteuerfestsetzung maßgebenden Einheitswerts, des Grundsteuermessbetrags (§ 13 Abs. 1 GrStG) und der festgesetzten Grundsteuer (§ 27 GrStG) ist nicht Gegenstand eines auf Erlass von Grundsteuer nach § 33 GrStG gerichteten Rechtsbehelfsverfahrens. Im Übrigen können wegen der bindenden Wirkung des Grundsteuermessbescheids (§§ 13, 25 Abs. 1 GrStG i.V.m. § 182 Abs. 1 und § 184 Abs. 1 AO) mit einem Rechtsbehelf gegen die Festsetzung von Grundsteuer Mängel im System der Grundstücksbewertung nicht mit Erfolg geltend gemacht werden3. Dies gilt erst recht für den Antrag auf Erlass von Grundsteuer nach § 33 Abs. 1 GrStG.

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Rohertragminderung um mehr aus 50%[↑]

Es ist nicht verfassungswidrig, dass § 33 Abs. 1 Satz 1 GrStG n.F. den Anspruch auf Erlass von Grundsteuer u.a. davon abhängig macht, dass der normale Rohertrag (§ 33 Abs. 1 Satz 4 GrStG n.F.) um mehr als 50 % gemindert ist.

Die Neufassung des § 33 Abs. 1 GrStG beruht auf der Stellungnahme des Bundesrates zum Entwurf eines JStG 20094. Zur Begründung führte der Bundesrat aus, nach § 33 GrStG a.F. sei die Grundsteuer für Betriebe der Land- und Forstwirtschaft und bebaute Grundstücke teilweise zu erlassen, wenn der normale Rohertrag um mehr als 20 % gemindert sei und der Steuerschuldner diese Minderung nicht zu vertreten habe. Nach jüngster höchstrichterlicher Rechtsprechung zu § 33 GrStG5 komme ein Erlass auch in den Fällen des strukturell bedingten Leerstands (z.B. bei mangelnder Mieternachfrage) in Betracht. Infolge der damit ausgeweiteten Anwendung des § 33 GrStG würden von den Gemeinden erhebliche Grundsteuerausfälle befürchtet. Der Vorschlag zur inhaltlichen Änderung des § 33 GrStG solle vor diesem Hintergrund zu einer „gerechteren Lastenverteilung“ zwischen dem Grundstückseigentümer und der Gemeinde beitragen. Durch die Erhöhung des Ausmaßes der Ertragsminderung, ab dem ein Erlass in Betracht komme, von derzeit mehr als 20 % auf mehr als 50 % würden einerseits die Mindereinnahmen für die Gemeinden in Grenzen gehalten, andererseits bleibe aber weiterhin wenn auch eingeschränkt- ein Erlass für den Steuerschuldner grundsätzlich möglich. Der Erlass werde in zwei Billigkeitsstufen gewährt. Bei einer Ertragsminderung von mehr als 50 % sei die Grundsteuer in Höhe von 25 % und bei einer Ertragsminderung von 100 % in Höhe von 50 % zu erlassen. Bei bebauten Grundstücken werde die Ermittlung der Ertragsminderung dadurch vereinfacht, dass sie generell aus dem Unterschiedsbetrag der nach den Verhältnissen zu Beginn des Erlasszeitraums geschätzten üblichen Jahresrohmiete zur tatsächlich im Erlasszeitraum erzielten Jahresrohmiete berechnet werden solle. Somit sei nicht mehr relevant, ob zu Beginn des Kalenderjahres eine Vermietung vorliege bzw. welcher Mietpreis erzielt werde; abgestellt werde auf den Erlasszeitraum.

Der Deutsche Bundestag ist trotz der von der Bundesregierung in ihrer Gegenäußerung6 erhobenen Bedenken dem Vorschlag des Bundesrats gefolgt. Der Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages nahm an, das Mehraufkommen an Grundsteuer aufgrund der Änderung des § 33 Abs. 1 GrStG werde jährlich 300 Mio. EUR betragen7.

Es ist unter Berücksichtigung dieser Erwägungen des Gesetzgebers verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, dass der Anspruch auf einen Grundsteuererlass nunmehr eine Minderung des normalen Rohertrags (§ 33 Abs. 1 Satz 4 GrStG n.F.) um mehr als 50 % voraussetzt.

Der Gesetzgeber ist von Verfassungs wegen auch unter Berücksichtigung des allgemeinen Gleichheitssatzes (Art. 3 Abs. 1 GG) nicht verpflichtet, bereits bei einer geringeren Minderung des Rohertrags einen Erlassanspruch einzuräumen. Er konnte vielmehr im Rahmen des ihm zustehenden weiten Gestaltungsspielraums bei der Abwägung der Interessen der Steuerpflichtigen mit dem Interesse der Gemeinden am Aufkommen aus der Grundsteuer, die der Erfüllung der im öffentlichen Interesse liegenden Aufgaben der Gemeinden dient, zu dem Ergebnis kommen, dass es den Steuerpflichtigen zumutbar ist, die volle Grundsteuer zu entrichten, wenn der normale Rohertrag des Grundstücks nicht um mehr als 50 % gemindert ist. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass die Grundsteuer aufgrund ihres Charakters als Realsteuer (§ 3 Abs. 2 AO) grundsätzlich ohne Rücksicht auf die persönlichen Verhältnisse und die persönliche Leistungsfähigkeit des Eigentümers erhoben wird8 und dass der in § 33 Abs. 1 GrStG vorgesehene Teilerlass von Grundsteuer bei einer Minderung des normalen Rohertrags somit einen Fremdkörper im Grundsteuerrecht darstellt9. Die Grundsteuer gehört zudem bei vermieteten oder verpachteten oder zur Vermietung oder Verpachtung bestimmten Grundstücken zu den Betriebsausgaben (§ 4 Abs. 4 EStG, ggf. i.V.m. § 8 Abs. 1 Satz 1 KStG)) oder Werbungskosten (§ 2 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2, § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 EStG) und mindert somit die Belastung mit Einkommensteuer oder Körperschaftsteuer und ggf. auch Gewerbesteuer. Zugleich hat dies zur Folge, dass ein Teilerlass der Grundsteuer dem Steuerpflichtigen in solchen Fällen im Ergebnis nicht in vollem Umfang zugutekommt, es sei denn, dass im Ausnahmefall keine Ertragsteuer anfällt. Zu den Betriebsausgaben gehört die Grundsteuer auch bei den eigengewerblich genutzten bebauten Grundstücken sowie bei den Betrieben der Land- und Forstwirtschaft, soweit der Ansatz einer entsprechenden Betriebsausgabe bei diesen Betrieben nicht aufgrund einer Ermittlung des Gewinns nach Durchschnittssätzen (§ 13a EStG) ausgeschlossen ist. Der Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages nahm demgemäß an, aufgrund der Änderung des § 33 Abs. 1 GrStG werde sich bei der Einkommensteuer, Körperschaftsteuer und Gewerbesteuer ab dem Kassenjahr 2011 ein jährliches Minderaufkommen von insgesamt 70 Mio. € (im Kassenjahr 2010 40 Mio. €) ergeben10.

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Die Neufassung des § 33 Abs. 1 GrStG dient darüber hinaus auch der Verwaltungsvereinfachung. Da nach § 33 Abs. 1 Satz 1 GrStG a.F. die Grundsteuer in Höhe des Prozentsatzes zu erlassen war, der vier Fünfteln des Prozentsatzes der Minderung des normalen Rohertrags entsprach, mussten in Fällen, in denen der Erlassanspruch dem Grunde nach gegeben war, zur Berechnung von dessen Höhe sowohl der normale Rohertrag als auch der tatsächlich erzielte Ertrag genau ermittelt werden. Nach § 33 Abs. 1 Sätze 1 und 2 GrStG n.F. kommt es nur noch darauf an, ob der normale Rohertrag um mehr als 50 % oder um 100 % gemindert ist. Steht dies fest, bedarf es keiner weiteren Wertermittlungen. Die Höhe des zu gewährenden Erlasses bemisst sich nämlich nicht mehr nach dem Prozentsatz der Minderung des normalen Rohertrags, sondern beträgt bei einer Minderung des normalen Rohertrags um mehr als 50 % einheitlich 25 % der Grundsteuer und bei einer Minderung um 100 % 50 % der Steuer. Ob die in § 33 Abs. 1 Sätze 1 und 2 GrStG n.F. für die Fälle, in denen dem Grunde nach ein Erlassanspruch besteht, bestimmte Höhe des Erlassanspruchs den verfassungsrechtlichen Anforderungen entspricht, braucht im vorliegenden Verfahren nicht geprüft zu werden, da es darauf nicht ankommt.

Ein anderes Ergebnis folgt auch nicht daraus, dass fraglich ist, ob die Anknüpfung der Grundsteuer an die Einheitswerte (§ 13 Abs. 1 Satz 2 GrStG) für die Jahre ab 2008 noch verfassungsgemäß ist oder ob dies wegen der für die Einheitsbewertung maßgebenden Wertverhältnisse vom 1. Januar 1964 bzw. im Beitrittsgebiet vom 01.01.1935 nicht der Fall ist. Die zu den verfassungsrechtlichen Bedenken führenden Bewertungsschwierigkeiten und möglichen Wertverzerrungen, die sich aus den lange zurückliegenden Hauptfeststellungszeitpunkten ergeben, würden nämlich auch durch den Erlassanspruch nach § 33 GrStG a.F. nicht ausgeglichen, und zwar wegen des eingeschränkten, auf eine Minderung des normalen Rohertrags um mehr als 20 % bezogenen Anwendungsbereichs dieser Vorschrift.

Sollte das Bundesverfassungsgericht in einem bereits anhängigen oder künftigen Verfahren zu dem Ergebnis kommen, dass die Heranziehung der nach den Wertverhältnissen vom 1. Januar 1964 bzw.1. Januar 1935 festgestellten Einheitswerte bei der Bemessung der Grundsteuer ab einem bestimmten Stichtag nicht mehr verfassungsgemäß war bzw. ist, müssen der Grundsteuer (spätestens) ab dem vom Bundesverfassungsgericht bestimmten Zeitpunkt neue Grundbesitzwerte zugrunde gelegt werden. Die bloße Anwendung der Vorschrift des § 33 Abs. 1 GrStG a.F. wäre dann nicht ausreichend, um den Verfassungsverstoß zu beseitigen.

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Die Ausführungen in dem BFH-Urteil vom 30. Juli 200811, nach denen mit den Regelungen des § 33 Abs. 1 Satz 1 und Satz 3 Nr. 3 GrStG a.F. über den Grundsteuererlass ein ausreichendes Korrektiv zur Verfügung steht, um im Einzelfall eine verfassungswidrige Besteuerung zu vermeiden, betreffen ausdrücklich nur bebaute, im Sachwertverfahren bewertete Grundstücke, die nicht (mehr) zu Wohnzwecken oder eigengewerblichen Zwecken genutzt werden und schwer oder gar nicht vermietbar sind und deren gemeine Werte die jeweiligen Einheitswerte nicht übersteigen, und somit nur ausnahmsweise gegebene Fälle, die auch von § 33 Abs. 1 GrStG n.F. erfasst werden. Dass § 33 Abs. 1 GrStG n.F. verfassungswidrig sei, lässt sich entgegen der Ansicht des Klägers diesen Ausführungen somit nicht entnehmen.

Ebenfalls mit den verfassungsrechtlichen Anforderungen vereinbar ist es, dass § 33 Abs. 1 GrStG n.F. nicht nur für die Jahre ab 2009, sondern nach § 38 GrStG n.F. bereits für die Grundsteuer des Kalenderjahres 2008 gilt. Es liegt keine verfassungsrechtlich unzulässige Rückwirkung vor.

Rückwirkung[↑]

Die Frage, ob ein rückwirkendes Gesetz mit den Anforderungen des Grundgesetz vereinbar ist, richtet sich nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nach folgenden Grundsätzen12:

Wenn der Gesetzgeber die Rechtsfolge eines der Vergangenheit zugehörigen Verhaltens nachträglich belastend ändert, bedarf dies einer besonderen Rechtfertigung vor dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) und den Grundrechten des GG, unter deren Schutz Sachverhalte „ins Werk gesetzt“ worden sind. Die Grundrechte wie auch das Rechtsstaatsprinzip garantieren im Zusammenwirken die Verlässlichkeit der Rechtsordnung als wesentliche Voraussetzung für die Selbstbestimmung über den eigenen Lebensentwurf und damit als eine Grundbedingung freiheitlicher Verfassungen. Es würde den Einzelnen in seiner Freiheit erheblich gefährden, dürfte die öffentliche Gewalt an sein Verhalten oder an ihn betreffende Umstände ohne weiteres im Nachhinein belastendere Rechtsfolgen knüpfen, als sie zum Zeitpunkt seines rechtserheblichen Verhaltens galten.

Eine Rechtsnorm entfaltet „echte“ Rückwirkung, wenn ihre Rechtsfolge mit belastender Wirkung schon vor dem Zeitpunkt ihrer Verkündung für bereits abgeschlossene Tatbestände gelten soll („Rückbewirkung von Rechtsfolgen“). Das ist grundsätzlich verfassungsrechtlich unzulässig. Erst mit der Verkündung, das heißt, mit der Ausgabe des ersten Stücks des Verkündungsblattes, ist eine Norm rechtlich existent. Bis zu diesem Zeitpunkt, zumindest aber bis zum endgültigen Gesetzesbeschluss, muss der von einem Gesetz Betroffene grundsätzlich darauf vertrauen können, dass seine auf geltendes Recht gegründete Rechtsposition nicht durch eine zeitlich rückwirkende Änderung der gesetzlichen Rechtsfolgenanordnung nachteilig verändert wird.

Soweit belastende Rechtsfolgen einer Norm erst nach ihrer Verkündung eintreten, tatbestandlich aber von einem bereits ins Werk gesetzten Sachverhalt ausgelöst werden („tatbestandliche Rückanknüpfung“), liegt eine „unechte“ Rückwirkung vor. Eine solche unechte Rückwirkung ist nicht grundsätzlich unzulässig, denn die Gewährung vollständigen Schutzes zu Gunsten des Fortbestehens der bisherigen Rechtslage würde den dem Gemeinwohl verpflichteten Gesetzgeber in wichtigen Bereichen lähmen und den Konflikt zwischen der Verlässlichkeit der Rechtsordnung und der Notwendigkeit ihrer Änderung im Hinblick auf einen Wandel der Lebensverhältnisse in nicht mehr vertretbarer Weise zu Lasten der Anpassungsfähigkeit der Rechtsordnung lösen. Der verfassungsrechtliche Vertrauensschutz geht insbesondere nicht so weit, den Staatsbürger vor jeder Enttäuschung zu bewahren. Soweit nicht besondere Momente der Schutzwürdigkeit hinzutreten, genießt die bloß allgemeine Erwartung, das geltende Recht werde zukünftig unverändert fortbestehen, keinen besonderen verfassungsrechtlichen Schutz.

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Der Gesetzgeber muss aber, soweit er für künftige Rechtsfolgen an zurückliegende Sachverhalte anknüpft, dem verfassungsrechtlich gebotenen Vertrauensschutz in hinreichendem Maß Rechnung tragen. Die Interessen der Allgemeinheit, die mit der Regelung verfolgt werden, und das Vertrauen des Einzelnen auf die Fortgeltung der Rechtslage sind abzuwägen. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit muss gewahrt sein. Eine unechte Rückwirkung ist mit den Grundsätzen grundrechtlichen und rechtsstaatlichen Vertrauensschutzes daher nur vereinbar, wenn sie zur Förderung des Gesetzeszwecks geeignet und erforderlich ist und wenn bei einer Gesamtabwägung zwischen dem Gewicht des enttäuschten Vertrauens und dem Gewicht und der Dringlichkeit der die Rechtsänderung rechtfertigenden Gründe die Grenze der Zumutbarkeit gewahrt bleibt.

Die maßgebliche Rechtsfolge steuerrechtlicher Normen ist das Entstehen der Steuerschuld. Im Sachbereich des Steuerrechts liegt eine echte Rückwirkung (Rückbewirkung von Rechtsfolgen) daher nur vor, wenn der Gesetzgeber eine bereits entstandene Steuerschuld nachträglich abändert. Für den Bereich des Einkommensteuerrechts bedeutet dies, dass die Änderung von Normen mit Wirkung für den laufenden Veranlagungszeitraum der Kategorie der unechten Rückwirkung zuzuordnen ist; denn nach § 38 AO i.V.m. § 36 Abs. 1 EStG entsteht die Einkommensteuer erst mit dem Ablauf des Veranlagungszeitraums, das heißt nach § 25 Abs. 1 EStG des Kalenderjahres.

Das Bundesverfassungsgericht hat an diesen Grundsätzen in den o.g. Entscheidungen trotz der im Schrifttum geäußerten Kritik festgehalten und ausgeführt, die Kategorie der echten Rückwirkung verstanden als zeitliche Rückbewirkung von Rechtsfolgen auf abgeschlossene Tatbestände- finde ihre Rechtfertigung darin, dass mit ihr eine Fallgruppe gekennzeichnet sei, in der der Vertrauensschutz regelmäßig Vorrang habe, weil der in der Vergangenheit liegende Sachverhalt mit dem Eintritt der Rechtsfolge kraft gesetzlicher Anordnung einen Grad an Abgeschlossenheit erreicht habe, über den sich der Gesetzgeber vorbehaltlich besonders schwerwiegender Gründe nicht mehr hinwegsetzen dürfe. Das ändere aber nichts daran, dass auch im Übrigen, auf dem weiten und vielgestaltigen Feld unechter Rückwirkungen, auf dem ein allgemeiner Grundsatz unzulässiger Rückwirkung nicht gelte, die belastenden Wirkungen einer Enttäuschung schutzwürdigen Vertrauens stets einer hinreichenden Begründung nach den Maßstäben der Verhältnismäßigkeit bedürften. Das gelte auch, wenn der Gesetzgeber das Einkommensteuerrecht während des laufenden Veranlagungszeitraums umgestalte und die Rechtsänderungen auf dessen Beginn beziehe. Auch hier müsse der Normadressat eine Enttäuschung seines Vertrauens in die alte Rechtslage nur hinnehmen, soweit dies aufgrund besonderer, gerade die Rückanknüpfung rechtfertigender öffentlicher Interessen unter Wahrung der Verhältnismäßigkeit gerechtfertigt sei. Wäre dies anders, so fehlte den Normen des Einkommensteuerrechts als Rahmenbedingung wirtschaftlichen Handelns ein Mindestmaß an grundrechtlich und rechtsstaatlich gebotener Verlässlichkeit.

Der allgemeine Finanzbedarf der öffentlichen Hand und das Ziel, mehr Einkünfte zu erzielen, sind für sich genommen grundsätzlich noch keine den Vertrauensschutz betroffener Steuerpflichtiger überwindende Interessen; denn dies würde bedeuten, dass der Vertrauensschutz gegenüber rückwirkenden Verschärfungen des Steuerrechts praktisch leerliefe. Anders kann es zu beurteilen sein, wenn mit der Verschärfung steuerrechtlicher Vorschriften im Rahmen unechter Rückwirkung unerwartete Mindereinnahmen oder ein sonstiger außerordentlicher Finanzbedarf aufgefangen werden soll13.

Diese Grundsätze gelten für alle belastenden Steuergesetze, also auch für solche, die eine Vergünstigung einschränken oder aufheben14.

Die Anwendbarkeit des § 33 Abs. 1 GrStG n.F. auf die Grundsteuer des Kalenderjahres 2008 ist nach diesen Grundsätzen verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.

Es handelt sich um einen Fall unechter Rückwirkung15. Bei der Verkündung des JStG 2009 am 24.12.2008 handelte es sich bei der Frage, ob ein Anspruch auf Erlass von Grundsteuer nach § 33 GrStG für das Jahr 2008 bestand, noch nicht um einen abgeschlossenen Sachverhalt. Zwar entsteht die Grundsteuer nach § 9 Abs. 2 GrStG mit dem Beginn des Kalenderjahres, für das die Steuer festzusetzen ist. Der Anspruch auf Erlass wegen wesentlicher Ertragsminderung gemäß § 33 GrStG entsteht aber erst mit Ablauf des Kalenderjahres (§ 38 AO). Der Erlass wird nach § 34 Abs. 1 Satz 1 GrStG jeweils nach Ablauf eines Kalenderjahres für die Grundsteuer ausgesprochen, die für das Kalenderjahr festgesetzt worden ist (Erlasszeitraum). Maßgebend für die Entscheidung über den Erlass sind gemäß § 34 Abs. 1 Satz 2 GrStG die Verhältnisse des Erlasszeitraums. Erst mit Ende des Erlasszeitraums steht fest, inwieweit der tatsächliche Ertrag in diesem Jahr vom normalen Rohertrag abgewichen ist und ob auch die übrigen Voraussetzungen für einen teilweisen oder vollständigen Grundsteuererlass erfüllt sind.

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Dass die Änderung des § 33 Abs. 1 GrStG noch vor Ablauf des Erlasszeitraums im BGBl. I verkündet wurde, ist für die Abgrenzung der unechten von der echten Rückwirkung entscheidend. Unerheblich ist, dass bei der Verkündung des JStG 2009 kurz vor Ende des Jahres 2008 die tatsächlichen Grundstückserträge und somit die Minderung des normalen Rohertrags bereits weitgehend feststanden. Maßgebend ist vielmehr, dass die Steuerpflichtigen zu diesem Zeitpunkt noch keine durchsetzbare vermögenswerte Rechtsposition erlangt hatten. Insoweit gilt nichts anderes als für die Einkommensteuer, bei der auch dann eine unechte Rückwirkung gegeben ist, wenn eine Vorschrift kurz vor Jahresende rückwirkend für den laufenden Veranlagungszeitraum geändert wird. In einem solchen Fall liegt lediglich eine Neubestimmung einer bislang noch nicht eingetretenen Rechtsfolge vor16.

Die unechte Rückwirkung des § 33 Abs. 1 GrStG n.F. auf die Grundsteuer für das Kalenderjahr 2008 ist mit den verfassungsrechtlichen Anforderungen vereinbar17. Sie dient dem Ziel, die durch die geänderte Auslegung des § 33 Abs. 1 GrStG a.F. durch die höchstrichterliche Rechtsprechung eintretenden Steuermindereinnahmen bei den Gemeinden auszugleichen. Hierbei handelt es sich um unerwartete Mindereinnahmen im Sinne der angeführten Rechtsprechung des BVerfG.

Nach der Rechtsprechung des BVerwG war ein Anspruch auf Grundsteuererlass nach § 33 Abs. 1 GrStG in Fällen strukturell bedingter Ertragsminderungen von gewisser Dauer ausgeschlossen18. Der Bundesfinanzhof ist demgegenüber dieser Rechtsprechung mit Zustimmung des BVerwG19 nicht gefolgt((BFH, Urteil in BFHE 218, 396, BStBl II 2008, 384)), sondern hat entschieden, dass eine Ertragsminderung, die das nach § 33 Abs. 1 Satz 1 GrStG a.F. erforderliche Ausmaß erreicht, auch dann zu einem Grundsteuererlass führt, wenn sie strukturell bedingt und nicht nur vorübergehender Natur ist. Alle Differenzierungen nach typischen oder atypischen, nach strukturell bedingten oder nicht strukturell bedingten, nach vorübergehenden oder nicht vorübergehenden Ertragsminderungen und nach den verschiedenen Möglichkeiten, diese Merkmale zu kombinieren, waren somit hinfällig.

Aufgrund dieser Rechtsprechungsänderung zu Gunsten der Steuerpflichtigen waren bei den Gemeinden Mindereinnahmen bei der Grundsteuer zu erwarten, ohne dass auf der Grundlage der früheren Rechtsprechung des BVerwG damit hätte gerechnet werden müssen. Dies berechtigte den Gesetzgeber, durch eine Änderung des § 33 Abs. 1 GrStG bereits für das Jahr 2008 einen Ausgleich zu schaffen. Der Gesetzgeber konnte dabei den Ausgleich innerhalb der Gruppe von Steuerpflichtigen vornehmen, bei denen ein Erlassanspruch nach § 33 Abs. 1 GrStG in Betracht kommt. Er brauchte die Gemeinden nicht auf die Möglichkeit zu verweisen, das Grundsteueraufkommen durch eine alle in der Gemeinde liegenden Grundstücke betreffende Erhöhung des Hebesatzes (§ 25 GrStG) sicherzustellen.

Die Anwendung des § 33 Abs. 1 GrStG n.F. auf die Grundsteuer für das Kalenderjahr 2008 ist unter Berücksichtigung einerseits des damit verfolgten Ziels und andererseits des den Steuerpflichtigen zustehenden Vertrauensschutzes auch nicht unverhältnismäßig. Der durch die Anhebung der Grenze, ab der eine Minderung des normalen Rohertrags zu einem Erlassanspruch führt, von mehr als 20 % auf mehr als 50 % des normalen Rohertrags in bestimmten Fällen entfallende Anspruch auf Erlass von Grundsteuer ist im Vergleich zu den Verkehrswerten der betroffenen Grundstücke von relativ geringer Bedeutung, insbesondere wenn man berücksichtigt, dass die Grundsteuer zu den ertragsteuerrechtlich abziehbaren Betriebsausgaben oder Werbungskosten gehört. Zudem knüpft der Erlassanspruch nicht wie eine Lenkungsnorm, die ein aus der Sicht des Gesetzgebers erwünschtes Verhalten begünstigen soll, an bestimmte, möglicherweise unter Vertrauen auf die Beständigkeit steuerlicher Vorschriften vorgenommene Dispositionen des Steuerpflichtigen an, sondern an eine Ertragsminderung und die weitere Voraussetzung, dass die Ertragsminderung vom Steuerschuldner nicht zu vertreten sein darf (§ 33 Abs. 1 Satz 1 GrStG a.F. und n.F.). Der Erlass kann somit nicht beansprucht werden, wenn der Steuerpflichtige sich nicht nachhaltig um eine Vermietung der Räumlichkeiten zu einem marktgerechten Mietzins bemüht, sondern dies im Hinblick auf den Erlassanspruch unterlassen hat20.
Bundesfinanzhof, Urteil vom 18. April 2012 – II R 36/10

  1. vom 19.12.2008, BGBl I 2008, 2794[]
  2. vgl. BFH, Urteile vom 30.06.2010 – II R 60/08, BFHE 230, 78, BStBl II 2010, 897; vom 30.06.2010 – II R 12/09, BFHE 230, 93, BStBl II 2011, 48, und vom 06.07.2011 – II R 35/10, BFH/NV 2011, 2019[]
  3. BVerfG, Kammerbeschluss vom 18.02.2009 – 1 BvR 1334/07, BVerfGK 15, 89[]
  4. BR-Drucks 545/08, Beschluss, S. 86 bis 88; BT-Drucks 16/10494, S. 32 f.[]
  5. BFH, Urteil vom 24.10.2007 – II R 5/05, BFHE 218, 396, BStBl II 2008, 384; GmS-OGB, Beschluss vom 24.04.2007 – GmS-OGB 1.07, ZKF 2007, 211[]
  6. BT-Drucks 16/10494, S. 41 f.[]
  7. BT-Drucks 16/11086, S. 5[]
  8. BVerfG, Beschluss in BVerfGK 15, 89; BFH, Beschluss vom 12.10.2005 – II B 36/05, BFH/NV 2006, 369[]
  9. Puhl, KStZ 2010, 67, 68 f.[]
  10. BT-Drucks 16/11086[]
  11. BFH, Urteil vom 30.07.2008 – II R 5/07, BFH/NV 2009, 7[]
  12. BVerfG, Beschlüsse vom 07.07.2010 – 2 BvL 14/02 u.a., BVerfGE 127, 1, unter C.II.01.; und vom 07.07.2010 – 2 BvR 748/05 u.a., BVerfGE 127, 61, unter B.I.01., je m.w.N.; vgl. ferner BVerfG, Beschluss vom 07.07.2010 – 2 BvL 1/03 u.a., BVerfGE 127, 31, unter C.II.01.[]
  13. BVerfG, Beschlüsse vom 05.02.2002 – 2 BvR 305, 348/93, BVerfGE 105, 17, unter C.II.03.b dd; in BVerfGE 127, 1, unter C.II.02.b cc (2); in BVerfGE 127, 31, unter C.II.01.b bb (1), und in BVerfGE 127, 61, unter B.I.02.b cc (1) []
  14. BVerfG, Beschluss in BVerfGE 105, 17, unter C.II.03.a[]
  15. ebenso VG Düsseldorf, Urteil vom 07.10.2009 – 5 K 4144/09, ZKF 2010, 95; und VG Halle (Saale), Urteil vom 13.04.2011 – 5 A 19/10; Troll/Eisele, Grundsteuergesetz, Kommentar, 10. Aufl., § 33 Rz 1[]
  16. BVerfG, Beschluss vom 14.05.1986 – 2 BvL 2/83, BVerfGE 72, 200, unter C.II.02.a[]
  17. VG Düsseldorf, Urteil in ZKF 2010, 95; VG Halle (Saale), Ureil vom 13.04.2011 – 5 A 19/10, n.v.; Troll/Eisele, a.a.O., § 33 Rz 1[]
  18. BVerwG, Urteile vom 03.05.1991 – 8 C 13.89, BStBl II 1992, 580; und vom 04.04.2001 – 11 C 12.00, BVerwGE 114, 132, BStBl II 2002, 889[]
  19. BVerwG, Beschluss in ZKF 2007, 211; vgl. nunmehr BVerwG, Urteil vom 25.06.2008 – 9 C 8.07, KStZ 2008, 214[]
  20. BFH, Urteil in BFHE 218, 396, BStBl II 2008, 384; BVerwG, Urteil in KStZ 2008, 214[]
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