Neustrukturierung von Kirchengemeinden – und die Grunderwerbsteuer

Führt die Errichtung einer neuen Kirchengemeinde durch Vereinigung anderer Kirchengemeinden dazu, dass sich unmittelbar oder mittelbar mindestens 95 % (heute: 90 %) der Anteile an grundbesitzenden Gesellschaften bei der neu errichteten Kirchengemeinde vereinigen, unterliegt diese Anteilsvereinigung zu dem Zeitpunkt nach § 1 Abs. 3 Nr. 2 GrEStG der Grunderwerbsteuer, an dem die staatliche Anerkennung wirksam erteilt wird.

Neustrukturierung von Kirchengemeinden – und die Grunderwerbsteuer

Die Besteuerung der Vereinigung von mindestens 95 % von Anteilen an grundbesitzenden Gesellschaften nach § 1 Abs. 3 Nr. 2 GrEStG als Folge der staatlich anerkannten Bildung oder Veränderung von Kirchengemeinden verstößt nicht gegen das verfassungsrechtlich garantierte kirchliche Selbstbestimmungsrecht (Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 WRV) und auch nicht gegen die verfassungsrechtlich garantierte Kirchengutsgarantie (Art. 140 GG i.V.m. Art. 138 Abs. 2 WRV).

Erhält im Zuge der Vereinigung von Kirchengemeinden die neu errichtete Kirchengemeinde Vermögenswerte, liegt keine freigebige Zuwendung der Gesellschaftsanteile von den aufgelösten Kirchengemeinden an die neu errichtete Kirchengemeinde im Sinne der Steuerbefreiungsvorschrift des § 3 Nr. 2 Satz 1 GrEStG vor.

Entsteht durch die Zusammenlegung von mehreren Kirchengemeinden eine neue Kirchengemeinde, wird mithin hierdurch Grunderwerbsteuer ausgelöst, wenn die ursprünglichen Kirchengemeinden Anteile an grundbesitzenden GmbHs hielten und diese GmbH-Beteiligungen nach der Zusammenlegung sich alle in der Hand der neu errichteten Kirchengemeinde befinden. Nach einem Urteil des Bundesfinanzhofs gilt dies auch dann, wenn die grundbesitzenden GmbHs caritative Einrichtungen wie Krankenhäuser oder Altenheime betreiben.

In dem hier vom Bundesfinanzhof entschiedenen Fall wurde die klagende Kirchengemeinde mit dem Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts aufgrund Dekrets des zuständigen Bischofs durch die Vereinigung verschiedener Kirchengemeinden errichtet. Die vereinigten Kirchengemeinden waren ebenfalls Körperschaften des öffentlichen Rechts. Das gesamte Vermögen der ursprünglichen Kirchengemeinden einschließlich der Beteiligungen an den grundbesitzenden GmbHs wurde der Kirchengemeinde zugeführt. Das Finanzamt hielt diesen Vorgang für grunderwerbsteuerbar und erließ einen entsprechenden Feststellungsbescheid über die Besteuerungsgrundlagen.

Das Finanzgericht Münster wies die daraufhin erhobene Klage der Kirchengemeinde ab1. Der Bundesfinanzhof bestätigte nun ebenrfalls die Auffassung des Finanzamtes und wies auch die Revision der Kirchengemeinde als unbegründet zurück:

Er führte aus, dass die Neuerrichtung der Kirchengemeinde durch Zusammenlegung verschiedener Kirchengemeinden in dem Augenblick der Grunderwerbsteuer unterliege, in dem die Zusammenlegung für den staatlichen Bereich wirksam werde. Dem stehe nicht entgegen, dass die Umstrukturierung der Kirchengemeinden zunächst nach rein innerkirchlichem Recht – sozusagen kirchenintern – erfolgt sei. Ab dem Zeitpunkt, in dem die Zusammenlegung für den staatlichen Bereich anerkannt werde, habe die Kirchengemeinde den Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts mit der Folge erlangt, dass sie grunderwerbsteuerpflichtig werde.  Dem stehe weder das kirchliche Selbstbestimmungsrecht noch die sogenannte Kirchengutsgarantie im Hinblick auf das für Wohltätigkeitszwecke bestimmte Vermögen entgegen. Denn dieses Recht bzw. diese Garantie bestünden nur innerhalb der Schranken der für alle geltenden Gesetze. Eine solche Schranke sei die Grunderwerbsteuer; letztere sei daher auch von der Kirche zu entrichten. Der Bundesfinanzhof entschied schließlich, dass auch kein grunderwerbsteuerrechtlicher Befreiungstatbestand bei einer Zusammenlegung von Kirchengemeinden eingreift. So könne ein Vorgang zwar von der Grunderwerbsteuer befreit sein, wenn er gleichzeitig eine Schenkung darstelle, wodurch eine Doppelbelastung mit Grunderwerbsteuer und Schenkungsteuer vermieden werden solle. Dies sei aber bei der Neuerrichtung einer Kirchengemeinde durch Zusammenlegung von Kirchengemeinden nicht der Fall, weil die aufgelösten Kirchengemeinden der Kirchengemeinde nichts geschenkt hätten, sondern der Vermögensübergang auf die Kirchengemeinde in Vollzug von innerkirchlichen Gesetzen erfolgt sei. Der bei Übergang eines Grundstücks durch eine Körperschaft des öffentlichen Rechts auf eine andere Körperschaft des öffentlichen Rechts bei gleichzeitigem Übergang von öffentlich-rechtlichen Aufgaben, wie z.B. der Erfüllung caritativer Zwecke, vorgesehene Befreiungstatbestand, sei ebenfalls nicht einschlägig. Denn nach dem eindeutigen Wortlaut erfasse dieser Tatbestand nur den direkten Übergang eines Grundstücks von einer Körperschaft des öffentlichen Rechts auf eine andere, nicht aber die Vereinigung von Anteilen an grundbesitzenden GmbHs.

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Grunderwerbsteuer - und die mittelbare Anteilsvereinigung bei einer zwischengeschalteten Personengesellschaft

Das Finanzgericht Münster hat zutreffend angenommen, dass die unmittelbare Vereinigung aller Anteile an der grundbesitzenden F-GmbH und die dadurch bedingte mittelbare Vereinigung aller Anteile an der grundbesitzenden F-Krankenhaus-GmbH in der Hand der Kirchengemeinde der Grunderwerbsteuer nach § 1 Abs. 3 Nr. 2 GrEStG unterliegen.

Gehört zum Vermögen einer Gesellschaft ein inländisches Grundstück, so unterliegt der Steuer, soweit eine Besteuerung nach § 1 Abs. 2a GrEStG nicht in Betracht kommt, die Vereinigung unmittelbar oder mittelbar von mindestens 95 % der Anteile der Gesellschaft, wenn kein schuldrechtliches Geschäft im Sinne des § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG vorausgegangen ist (§ 1 Abs. 3 Nr. 2 GrEStG).

Der Tatbestand knüpft zwar an die Vereinigung von Gesellschaftsanteilen an, erfasst aber die infolge der Vereinigung der Anteile der Gesellschaft mit Grundbesitz in einer Hand spezifisch grunderwerbsteuerrechtlich veränderte Zuordnung von Grundstücken. Derjenige, in dessen Hand sich die Anteile vereinigen, wird so behandelt, als habe er die Grundstücke von der Gesellschaft erworben, deren Anteile sich in seiner Hand vereinigen2. Die Vereinigung von Anteilen in einer Hand im Sinne von § 1 Abs. 3 Nr. 2 GrEStG setzt nicht voraus, dass der Erwerber sämtliche Anteile der grundstücksbesitzenden Gesellschaft unmittelbar in seine Hand bekommt. Es genügt, dass dies ganz oder teilweise mittelbar durch Zwischenschaltung einer Gesellschaft oder mehrerer Gesellschaften geschieht, an der oder an denen der Erwerber seinerseits direkt oder indirekt beteiligt ist3.

Erhält eine neu errichtete Kirchengemeinde durch Vereinigung von Kirchengemeinden (vgl. § 1 KathKiGemVbgBek NW), die unmittelbar oder mittelbar Anteile an grundbesitzenden Gesellschaften halten, das Vermögen der vereinigten und anschließend aufgelösten Kirchengemeinden (can. 121 CIC) und vereinigen sich dadurch unmittelbar oder mittelbar mindestens 95 % der Anteile der grundbesitzenden Gesellschaften bei der neu errichteten Kirchengemeinde, unterliegt die Anteilsvereinigung der Grunderwerbsteuer nach § 1 Abs. 3 Nr. 2 GrEStG zu dem Zeitpunkt, an dem die staatliche Anerkennung gemäß § 6 KathKiGemVbgBek NW wirksam erteilt wird.

Für die Erfüllung des Tatbestands des § 1 Abs. 3 Nr. 2 GrEStG ist es ausreichend, dass die Anteilsvereinigung Folge des innerkirchlichen Umstrukturierungsvorgangs ist. § 1 Abs. 3 Nr. 2 GrEStG setzt seinem Wortlaut nach gerade keinen Rechtsvorgang des bürgerlichen oder des öffentlichen Rechts voraus. Maßgeblich ist allein der fiktive Erwerb der Grundstücke aufgrund der Vereinigung der Anteile an der grundbesitzenden Gesellschaft. Er knüpft nicht an den Rechtsvorgang des Erhalts der Vermögenswerte an, sondern an die dadurch hervorgerufene Folge der erstmaligen Vereinigung von mindestens 95 % der Anteile der grundbesitzenden Gesellschaften bei der neu errichteten Kirchengemeinde und die dadurch hervorgerufene veränderte Zuordnung der Grundstücke der Gesellschaften an sie.

Diese veränderte Zuordnung wird in dem Zeitpunkt wirksam, in dem mit der staatlichen Anerkennung die neu gebildete Kirchengemeinde für den staatlichen Bereich rechtlich wirksam wird. Nach § 6 KathKiGemVbgBek NW erhält die neu gebildete Kirchengemeinde ab dem Zeitpunkt der staatlichen Anerkennung den Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts. Sie kann infolgedessen am Rechtsverkehr teilnehmen und den Grunderwerbsteuertatbestand nach § 1 Abs. 3 Nr. 2 GrEStG verwirklichen. Die staatliche Anerkennung entfaltet die Wirkungen einer Genehmigung im Sinne des § 14 Nr. 2 GrEStG. Die Grunderwerbsteuer nach § 1 Abs. 3 Nr. 2 GrEStG entsteht somit zu dem Zeitpunkt, der in der kirchlichen Errichtungsurkunde angegeben ist, frühestens jedoch an dem Tage der staatlichen Anerkennung. Von diesem Zeitpunkt an kann die neu errichtete Kirchengemeinde Schuldnerin der Grunderwerbsteuer im Sinne des § 13 Nr. 5 Buchst. a GrEStG sein4.

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Bauvorgaben des Grundstücksverkäufers - und der einheitliche Erwerbsgegenstand bei der Grunderwerbsteuer

Die Besteuerung der Vereinigung von mindestens 95 % von Anteilen an grundbesitzenden Gesellschaften nach § 1 Abs. 3 Nr. 2 GrEStG als Folge der staatlich anerkannten Bildung oder Veränderung von Kirchengemeinden verstößt nicht gegen das verfassungsrechtlich garantierte kirchliche Selbstbestimmungsrecht (Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 WRV). Durch die Besteuerung erfolgt kein Eingriff in dessen Schutzbereich.

Das kirchliche Selbstbestimmungsrecht garantiert den Kirchen die Freiheit, ihre Angelegenheiten innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes selbständig zu ordnen und zu verwalten. Hierzu rechnet alles, was materiell, der Natur der Sache oder der Zweckbestimmung nach als eigene Angelegenheit der Kirche anzusehen ist, wobei das Selbstverständnis der Kirchen und Religionsgemeinschaften für die Qualifizierung einer Angelegenheit als eigene im Sinne des Art. 137 Abs. 3 WRV maßgebend ist. Das Ordnen und Verwalten umfasst das Recht der Kirchen, alle eigenen Angelegenheiten gemäß den spezifischen kirchlichen Ordnungsgesichtspunkten, also auf der Grundlage des kirchlichen Selbstverständnisses, rechtlich zu gestalten. Hierunter fallen alle Maßnahmen, die in Verfolgung der vom kirchlichen Grundauftrag her bestimmten Aufgaben zu treffen sind, beispielsweise Vorgaben struktureller Art, die Personalauswahl und die mit derartigen Entscheidungen untrennbar verbundene Vorsorge zur Sicherstellung der religiösen Dimension des Wirkens im Sinne kirchlichen Selbstverständnisses. Die Garantie freier Ordnung und Verwaltung der eigenen Angelegenheiten erweist sich als notwendige Sicherung, die der Freiheit des religiösen Lebens und Wirkens die zur Wahrnehmung dieser Aufgaben unerlässliche Freiheit der Bestimmung über Organisation, Normsetzung und Verwaltung hinzufügt5. Auch wenn dieses Recht den Kirchen gewährleistet, alle eigenen Angelegenheiten gemäß den spezifischen kirchlichen Ordnungsgesichtspunkten rechtlich zu gestalten, gehören die Regelungen des materiellen Steuerrechts zu dem für alle geltenden Recht, das daher auch die Kirchen als juristische Personen des öffentlichen Rechts zu beachten haben6.

Die Anwendung von § 1 Abs. 3 Nr. 2 GrEStG auf die Bildung und Änderung von Kirchengemeinden, die zu einer unmittelbaren oder mittelbaren Vereinigung von mindestens 95 % der Anteile von grundbesitzenden Gesellschaften führt, verletzt nicht das Selbstbestimmungsrecht der Kirche. Den Kirchen bleibt es unbenommen, ihre Angelegenheiten selbst zu organisieren und nach innerkirchlichem Recht Pfarreien zu errichten, aufzuheben und zu ändern (vgl. can. 515 § 2 CIC) mit der gesetzlich angeordneten Folge, dass die neu errichtete Kirchengemeinde Güter und Vermögen von aufgelösten Pfarreien erhält (vgl. can. 121 CIC). Die Vereinigung, Auflösung und Neuerrichtung von Kirchengemeinden nach Kirchenrecht ist ein rein innerkirchlicher Organisationsakt; insoweit nimmt die Kirche nicht am allgemeinen Rechtsverkehr teil. § 1 Abs. 1 KathKiGemVbgBek NW bringt zum Ausdruck, dass die Bildung und die Veränderung von Kirchengemeinden, um für den staatlichen Bereich rechtlich wirksam zu werden, der staatlichen Anerkennung bedürfen. Daraus ergibt sich aber auch, dass mit der Anerkennung der Bildung oder Änderung der Kirchengemeinde die dadurch bedingten rein innerkirchlichen Änderungen -zum Beispiel die veränderte Zuordnung von Vermögen, insbesondere von Grundstücken- für den staatlichen Bereich wirksam werden. § 6 KathKiGemVbgBek NW regelt überdies, dass die neu errichtete Kirchengemeinde (erst) mit der Anerkennung den Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts erhält. Ab diesem Zeitpunkt unterliegt sie dann wie andere Körperschaften des öffentlichen Rechts den staatlichen Regelungen, unter anderem dem Grunderwerbsteuergesetz.

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Aufgehobene Grundstücksschenkung

Werden bei einer Kirchengemeinde erstmals mindestens 95 % der Anteile an grundbesitzenden Gesellschaften vereinigt, die vorher zum Vermögen von aufgelösten Kirchengemeinden gehörten, sind diese Anteile auch zivilrechtlich der einzelnen neu errichteten Kirchengemeinde als Körperschaft des öffentlichen Rechts zuzuordnen und nicht der Institution „Kirche“ als solche. Zu diesem Zeitpunkt, an dem die neu errichtete Kirchengemeinde Teil des staatlichen Bereichs wird, wird der Tatbestand des § 1 Abs. 3 Nr. 2 GrEStG verwirklicht. Es gibt dann keinen Grund, die Kirchengemeinde von einer Belastung mit Grunderwerbsteuer zu verschonen. Es liegen keine „rein innerkirchlichen Angelegenheiten“ mehr vor, für die ein staatliches Gesetz für die Kirche überhaupt keine Schranke ihres Handelns bilden kann7.

Ebenso wenig greift die Besteuerung in die Kirchengutsgarantie nach Art. 140 GG i.V.m. Art. 138 Abs. 2 WRV bezüglich des für Wohltätigkeitszwecke bestimmten Vermögens ein. Steuerbelastungen fallen zwar grundsätzlich in den Schutzbereich der Eigentumsgarantie des Art. 14 GG8. Art. 138 Abs. 2 WRV schützt das Vermögen der Religionsgesellschaften aber nur in dem Umfang, wie es nach Maßgabe des einschlägigen zivilen oder öffentlichen Rechts begründet ist9. Zum öffentlichen Recht gehört auch das Steuerrecht, sodass die Kirchengutsgarantie nach Art. 138 Abs. 2 WRV von vornherein durch diejenigen Steuerbelastungen begrenzt ist, die für alle gelten.

Danach unterliegt die Anteilsvereinigung nach § 1 Abs. 3 Nr. 2 GrEStG der Grunderwerbsteuer.

Die Steuer ist mit der staatlichen Anerkennung am YY.YY.YYYY entstanden. An diesem Tag wurden die Folgen aus der im innerkirchlichen Bereich stattfindenden Neuerrichtung der Kirchengemeinde für den staatlichen Bereich wirksam. Folge der Wirksamkeit im staatlichen Bereich war, dass die Kirchengemeinde zivilrechtlich nunmehr Eigentümerin aller Anteile an der F-GmbH war und grunderwerbsteuerrechtlich eine unmittelbare Vereinigung aller Anteile der F-GmbH und eine mittelbare Vereinigung aller Anteile der F-Krankenhaus-GmbH bei der Kirchengemeinde stattfand und der gesamte Grundbesitz der F-GmbH der Kirchengemeinde unmittelbar sowie der gesamte Grundbesitz der F-Krankenhaus-GmbH der Kirchengemeinde mittelbar über die F-Krankenhaus-GmbH zugeordnet war.

Eine Steuerpflicht gemäß § 1 Abs. 3 Nr. 4 GrEStG, wonach der Übergang unmittelbar oder mittelbar von mindestens 95 % der Anteile der Gesellschaft auf einen anderen der Grunderwerbsteuer unterliegt, ist hingegen -anders, als die Kirchengemeinde meint- nicht gegeben. Im Streitfall waren die Anteile der F-GmbH, vor der Neugründung der Kirchengemeinde und dem dadurch erfolgten Vermögensübergang von den aufgelösten Kirchengemeinden auf die Kirchengemeinde, nicht alle vereinigt, sondern gehörten anteilig jeweils den Kirchengemeinden A (zu 80 %) und B (zu 20 %). Ein Übergang von bereits mindestens zu 95 % vereinigten Anteilen auf die Kirchengemeinde lag daher nicht vor.

Dem Erlass des Feststellungsbescheids steht auch die nach § 89 Abs. 2 AO erteilte verbindliche Auskunft vom 26.04.2007 nicht entgegen. Die verbindliche Auskunft wurde zu einem anderen Sachverhalt erteilt als demjenigen, der letztlich verwirklicht worden ist. Sie betraf die grunderwerbsteuerrechtliche Behandlung der unentgeltlichen Übertragung von Anteilen der F-GmbH von der Kirchengemeinde A auf die Kirchengemeinde B und nicht die tatsächlich durchgeführte Vereinigung der Anteile der F-GmbH unmittelbar und der Anteile der F-Krankenhaus-GmbH mittelbar bei der Kirchengemeinde im Zuge von deren Neuerrichtung unter Auflösung der Kirchengemeinden A und B.

Das Finanzgericht hat schließlich zutreffend entschieden, dass Steuerbefreiungstatbestände nicht greifen.

Nach § 3 Nr. 2 Satz 1 GrEStG sind von der Besteuerung ausgenommen der Grundstückserwerb von Todes wegen und Grundstücksschenkungen unter Lebenden im Sinne des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes (ErbStG).

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Die Steuerbefreiung des § 3 Nr. 2 Satz 1 GrEStG ist dem Grunde nach auch auf eine Anteilsvereinigung im Sinne des § 1 Abs. 3 Nr. 2 GrEStG anzuwenden, die auf einer schenkweisen Übertragung von Gesellschaftsanteilen beruht. In einem solchen Fall liegt zwar keine Grundstücksschenkung im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG vor. Denn der Schenkungsteuer unterliegt nicht der durch die schenkweise Anteilsübertragung ausgelöste fiktive Grundstückserwerb, sondern die freigebige Zuwendung der Gesellschaftsanteile. Grunderwerbsteuerrechtlich ist jedoch der fiktive Erwerb der Gesellschaftsgrundstücke durch den Anteilserwerber steuerbar. Dieser fiktive Erwerb der Gesellschaftsgrundstücke beruht ebenso wie der Erwerb der Gesellschaftsanteile auf einer Schenkung10.

Erhält -wie im Streitfall- im Zuge der Vereinigung von Kirchengemeinden die neu errichtete Kirchengemeinde Vermögenswerte -unter anderem Anteile an grundbesitzenden Kapitalgesellschaften- von den aufgelösten Kirchengemeinden gemäß can. 121 CIC, liegt keine freigebige Zuwendung der Gesellschaftsanteile von den aufgelösten Kirchengemeinden an die neu errichtete Kirchengemeinde im Sinne des § 3 Nr. 2 Satz 1 GrEStG vor. Die vereinigten Kirchengemeinden wenden der neu errichteten Kirchengemeinde die Gesellschaftsanteile nicht zu. Der Vermögensübergang auf die neu errichtete Kirchengemeinde erfolgt aufgrund gesetzlicher Anordnung und nicht aufgrund einer Leistung der vereinigten Gemeinden an die neu errichtete Kirchengemeinde. Daher fehlt es auch an einer Doppelbelastung eines Lebenssachverhalts mit Erbschaft- und Schenkungsteuer einerseits sowie Grunderwerbsteuer andererseits, die § 3 Nr. 2 Satz 1 GrEStG vermeiden will.

Nach § 4 Nr. 1 GrEStG ist der Erwerb eines Grundstücks durch eine juristische Person des öffentlichen Rechts von der Besteuerung ausgenommen, wenn das Grundstück aus Anlass des Übergangs von öffentlich-rechtlichen Aufgaben oder aus Anlass von Grenzänderungen von der einen auf die andere juristische Person übergeht und nicht überwiegend einem Betrieb gewerblicher Art dient.

Nach ihrem Wortlaut erfasst die Vorschrift nur Erwerbsvorgänge, die sich auf Grundstücke beziehen. Anteilsvereinigungen oder -übergänge nach § 1 Abs. 3 GrEStG begünstigt sie hingegen nicht11. Der Wortlaut des § 4 Nr. 1 GrEStG ist eindeutig. Anders als die Befreiungsvorschrift des § 4 Nr. 4 GrEStG (Zusammenschluss kommunaler Gebietskörperschaften), in die der Gesetzgeber Erwerbsvorgänge nach § 1 Abs. 3 Nr. 2 und 4 GrEStG ausdrücklich aufgenommen hat, enthält § 4 Nr. 1 GrEStG keinen Verweis auf Tatbestände des § 1 Abs. 3 GrEStG.

Eine erweiternde Auslegung (teleologische Extension) der Vorschrift auf von ihrem Wortlaut nicht erfasste Sachverhalte kommt nicht in Betracht. Dem Zweck des § 4 Nr. 1 GrEStG entspricht es, seine Anwendung auf den Erwerb von Grundstücken zu beschränken und Anteilsvereinigungen aus der Steuerbegünstigung auszunehmen.

Eine erweiternde Auslegung setzt eine Regelungslücke voraus. Die Norm muss gemessen an ihrem Zweck unvollständig, das heißt ergänzungsbedürftig sein. Ihre Ergänzung darf nicht einer vom Gesetzgeber beabsichtigten Beschränkung auf bestimmte Tatbestände widersprechen. Dass eine gesetzliche Regelung rechtspolitisch als verbesserungsbedürftig anzusehen ist („rechtspolitische Fehler“), reicht nicht aus. Die Unvollständigkeit muss sich vielmehr aus dem gesetzesimmanenten Zweck ergeben und kann auch bei einem eindeutigen Wortlaut vorliegen. Die Gesetzeslücke ist in einer dem Gesetzeszweck, der Entstehungsgeschichte und der Gesetzessystematik entsprechenden Weise durch Analogie, teleologische Extension oder Reduktion zu schließen. Dies ist Aufgabe der Fachgerichte12.

Diese Voraussetzungen sind im Zusammenhang mit § 4 Nr. 1 GrEStG nicht erfüllt. Es fehlt an einer Regelungslücke. Die Beschränkung des Anwendungsbereichs dieser Norm auf den Erwerb von Grundstücken ist nicht sinnwidrig. Sie entspricht der Absicht des Gesetzgebers, der allein den Erwerb von Grundstücken begünstigen wollte und den § 1 Abs. 3 GrEStG nicht in die Begünstigung aufgenommen hat. Nach § 4 Abs. 1 Nr. 5 des Grunderwerbsteuergesetzes 1940 -GrEStG 1940-13 war von der Besteuerung ausgenommen der Erwerb eines Grundstücks durch eine Körperschaft des öffentlichen Rechts, wenn das Grundstück aus Anlass des Übergangs von Aufgaben oder aus Anlass von Grenzänderungen von der einen auf die andere Körperschaft überging. Nach den Gesetzesmaterialien14 sollte der Übergang von Grundstücken zwischen Reich, Ländern, Gemeinden und sonstigen Körperschaften des öffentlichen Rechts steuerfrei bleiben, wenn der Übergang aus Anlass einer Aufgabenverschiebung eintrat. Die Intention war danach die grunderwerbsteuerrechtliche Privilegierung der öffentlichen Hand bei Eigentumswechsel an Grundstücken innerhalb der öffentlichen Hand bei Übergang von Verwaltungsaufgaben15. § 4 Nr. 1 des Grunderwerbsteuergesetzes i.d.F. ab dem 01.01.1983, der § 4 Abs. 1 Nr. 5 GrEStG 1940 nahezu entsprach, wurde durch Art. 15 Nr. 2 des Steuerentlastungsgesetzes 1999/2000/2002 vom 24.03.199916 neu geregelt. Er wurde auf alle juristischen Personen des öffentlichen Rechts erweitert und es wurde die zusätzliche Voraussetzung eingefügt, dass das Grundstück nicht überwiegend einem Betrieb gewerblicher Art dienen darf. Die Steuerbegünstigung des Erwerbs von Grundstücken -und nicht von Anteilsvereinigungen- wurde jedoch beibehalten.

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Auch wenn man bei § 1 Abs. 3 Nr. 2 GrEStG einen fiktiven Erwerb der Grundstücke der Gesellschaft durch den Anteilserwerber annimmt17, ist § 4 Nr. 1 GrEStG nicht anwendbar, wenn -fiktiver- Veräußerer eine juristische Person des Privatrechts, zum Beispiel eine GmbH, ist. Das gilt auch dann, wenn im Zeitpunkt der Übertragung des Grundstücks eine juristische Person des öffentlichen Rechts alleiniger Gesellschafter der juristischen Person des privaten Rechts ist. Die Steuerbefreiung erfordert als Veräußerer und als Erwerber des Grundstücks jeweils juristische Personen des öffentlichen Rechts18. Hält eine juristische Person des öffentlichen Rechts alle Anteile an einer juristischen Person des privaten Rechts, wird der private Rechtsträger der Grundstücke trotzdem nicht zu einer juristischen Person des öffentlichen Rechts und damit nicht selbst zum begünstigten Rechtsträger19.

Ein weiteres Verständnis des § 4 Nr. 1 GrEStG ergibt sich nicht daraus, dass § 3 Nr. 2 Satz 1 GrEStG auch auf die freigebige Zuwendung von Gesellschaftsanteilen Anwendung findet, wenn diese zu einer Anteilsvereinigung nach § 1 Abs. 3 Nr. 2 GrEStG führt. § 3 Nr. 2 Satz 1 GrEStG hat eine andere Zielsetzung als § 4 Nr. 1 GrEStG. § 3 Nr. 2 Satz 1 GrEStG soll als allgemeine Ausnahme von der Besteuerung die doppelte Besteuerung desselben Lebenssachverhalts mit Erbschaft- und Schenkungsteuer sowie Grunderwerbsteuer vermeiden. § 4 Nr. 1 GrEStG hingegen gehört zu den in § 4 GrEStG verfassten besonderen Ausnahmen von der Besteuerung. Mit diesen wollte der Gesetzgeber nur die dort spezifisch geregelten Sachverhalte von der Grunderwerbsteuer befreien.

§ 4 Nr. 1 GrEStG kann nicht deshalb dahingehend ausgelegt werden, dass er eine Anteilsvereinigung nach § 1 Abs. 3 Nr. 2 GrEStG umfasse, weil § 4 Nr. 4 GrEStG sich neben dem Übergang von Grundstücken auch auf den Übergang von Gesellschaftsanteilen bezieht. Der Wortlaut von § 4 Nr. 4 GrEStG enthält im Gegensatz zu § 4 Nr. 1 GrEStG ausdrücklich eine Verweisung auf den Übergang von Gesellschaftsanteilen nach § 1 Abs. 3 Nr. 2 und 4 GrEStG als unmittelbare Rechtsfolge eines Zusammenschlusses. Er ist zudem ausdrücklich auf Gebietskörperschaften und die Aufhebung der Kreisfreiheit von Gemeinden beschränkt worden. Nur diese spezifischen Konstellationen wollte der Gesetzgeber dort von der Besteuerung ausnehmen. Auf eine Vereinigung von Kirchengemeinden ist § 4 Nr. 4 GrEStG weder anwendbar noch erlaubt er eine erweiterte Auslegung von § 4 Nr. 1 GrEStG auf eine solche Vereinigung.

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§ 4 Nr. 1 GrEStG ist nicht aufgrund einer verfassungskonformen Auslegung nach Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 WRV auf eine Anteilsvereinigung nach § 1 Abs. 3 Nr. 2 GrEStG als Folge der Vereinigung von Kirchengemeinden zu beziehen. § 4 Nr. 1 GrEStG gehört zu den staatlichen Vorschriften, durch die die innerkirchliche Selbstbestimmung nicht berührt wird.

Danach ist im Streitfall die durch die staatlich anerkannte Vereinigung der Kirchengemeinden bewirkte Anteilsvereinigung nicht nach § 4 Nr. 1 GrEStG steuerbefreit.

Der Rechtsvorgang ist schließlich auch nicht aufgrund einer Zusammenschau -Interpolation- mehrerer Steuerbefreiungsnormen, die für sich allein nicht erfüllt sind, von der Steuer befreit.

Eine Steuerbefreiung aufgrund interpolierender Betrachtung kann sich insbesondere ergeben, wenn sich der tatsächlich verwirklichte Grundstückserwerb als abgekürzter Weg darstellt und die unterbliebenen Zwischenerwerbe, wenn sie durchgeführt worden wären, ebenfalls steuerfrei wären. Dieser Auslegungsmethode sind jedoch Schranken gesetzt. So darf diese immer nur an einen real verwirklichten, nicht aber an einen fiktiven Sachverhalt anknüpfen. Des Weiteren darf kein Gestaltungsmissbrauch im Sinne des § 42 AO vorliegen20.

Eine Steuerbefreiung aufgrund einer Zusammenschau von § 3 Nr. 2 Satz 1 GrEStG und § 4 Nr. 1 GrEStG scheidet danach im Streitfall aus. Die Anteilsvereinigung nach § 1 Abs. 3 Nr. 2 GrEStG stellt sich nicht als abgekürzter Weg dar. Zudem ist § 4 Nr. 1 GrEStG auf die Vereinigung von Anteilen nach § 1 Abs. 3 Nr. 2 GrEStG nicht anwendbar.

Bundesfinanzhof, Urteil vom 10. Mai 2023 – II R 24/21

  1. FG Münster, Urteil vom 17.06.2021 – 8 K 364/21 GrE[]
  2. vgl. BFH, Urteil vom 04.03.2020 – II R 35/17, BFHE 268, 545, BStBl II 2020, 514, Rz 13[]
  3. BFH, Urteil vom 04.03.2020 – II R 35/17, BFHE 268, 545, BStBl II 2020, 514, Rz 14[]
  4. vgl. BFH, Urteil vom 04.03.2020 – II R 35/17, BFHE 268, 545, BStBl II 2020, 514, Rz 18[]
  5. BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 17.10.2007 – 2 BvR 1095/05, Deutsches Verwaltungsblatt -DVBl- 2007, 1555, unter B.II. 4.a und b[]
  6. vgl. BVerfG, Beschluss vom 04.10.1965 – 1 BvR 498/62, BVerfGE 19, 129, unter III. 4.; BFH, Urteil vom 17.05.2017 – V R 52/15, BFHE 258, 124, BStBl II 2018, 218, Rz 30; BFH, Beschluss vom 07.08.2019 – V B 7/18, Rz 5 ff.[]
  7. BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 17.10.2007 – 2 BvR 1095/05, DVBl 2007, 1555, unter B.II. 4.c[]
  8. BVerfG, Beschluss vom 18.01.2006 – 2 BvR 2194/99, BVerfGE 115, 97, unter C.II.[]
  9. BVerfG, Beschluss vom 13.10.1998 – 2 BvR 1275/96, BVerfGE 99, 100, unter C.II. 1.e[]
  10. vgl. BFH, Urteil vom 22.02.2017 – II R 52/14, BFHE 257, 363, BStBl II 2017, 653, Rz 14, zu § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG[]
  11. vgl. Viskorf/Kugelmüller-Pugh, § 4 GrEStG, Rz 13 (20. Aufl.2021) []
  12. BFH, Urteil vom 29.11.2017 – II R 14/16, BFHE 260, 372, BStBl II 2018, 362, Rz 17[]
  13. RGBl I 1940, 585[]
  14. RStBl 1940, 387[]
  15. BFH, Urteil vom 09.11.2016 – II R 12/15, BFHE 255, 540, BStBl II 2017, 211, Rz 19[]
  16. BGBl I 1999, 402[]
  17. vgl. hierzu BFH, Urteil vom 22.02.2017 – II R 52/14, BFHE 257, 363, BStBl II 2017, 653, Rz 14[]
  18. BFH, Urteil vom 09.11.2016 – II R 12/15, BFHE 255, 540, BStBl II 2017, 211, Rz 16[]
  19. vgl. BFH, Urteil vom 09.11.2016 – II R 12/15, BFHE 255, 540, BStBl II 2017, 211, Rz 22[]
  20. BFH, Urteil vom 16.12.2015 – II R 49/14, BFHE 251, 513, BStBl II 2016, 292, Rz 9[]