Nach § 119 Nr. 6 FGO ist ein Urteil stets als auf der Verletzung von Bundesrecht beruhend anzusehen, wenn die Entscheidung nicht –wie nach den §§ 96 Abs. 1 Satz 3, 105 Abs. 2 Nr. 5 FGO erforderlich– mit Gründen versehen ist; der Begründungsmangel ist folglich ein absoluter Revisionsgrund. Ein Verfahrensmangel i.S. von § 119 Nr. 6 FGO liegt vor, wenn die Urteilsgründe ganz oder zum Teil fehlen und sie den Prozessbeteiligten keine Kenntnis darüber vermitteln, auf welchen Feststellungen, Erkenntnissen und rechtlichen Überlegungen das Urteil beruht.

Dies erfordert nicht, dass jedes Vorbringen der Beteiligten im Einzelnen erörtert werden müsste. Ein Verfahrensmangel i.S. von § 119 Nr. 6 FGO liegt erst dann vor, wenn den Beteiligten –zumindest in Bezug auf einen der wesentlichen Streitpunkte– die Möglichkeit entzogen ist, die getroffene Entscheidung auf ihre Rechtmäßigkeit hin zu überprüfen1. Bei nur zum Teil fehlenden Entscheidungsgründen setzt eine Verletzung des § 105 Abs. 2 Nr. 5 FGO grobe Begründungsmängel in einem Ausmaß voraus, dass die vom Finanzgericht fixierten Entscheidungsgründe zum Nachweis der Rechtmäßigkeit des Urteilsspruchs schlechterdings ungeeignet erscheinen und den Beteiligten keine (hinlängliche) Kenntnis darüber vermitteln, auf welchen Feststellungen, Erkenntnissen und rechtlichen Erwägungen das Urteil beruht2. Begründungsmängel können sich damit auf einen selbständigen Anspruch oder ein selbständiges Angriffs- oder Verteidigungsmittel beziehen. Dabei sind unter selbständigen Ansprüchen und selbständigen Angriffs- und Verteidigungsmitteln die eigenständigen Klagegründe und solche Angriffs- und Verteidigungsmittel zu verstehen, die den vollständigen Tatbestand einer mit selbständiger Wirkung ausgestatteten Rechtsnorm bilden3. Dementsprechend hat die Rechtsprechung des Bundefinanzhofs einen wesentlichen Verfahrensmangel auch dann bejaht, wenn das Urteil hinsichtlich eines „wesentlichen Streitpunkts“ nicht mit Gründen versehen ist4.
Nach diesen Maßstäben leidet im hier vom Bundesfinanzhof entschiedenen Beschwerdeverfahren die angefochtene Entscheidung unter einem Verfahrensfehler i.S. des § 119 Nr. 6 FGO, soweit das Finanzgericht im Tenor seines Urteils ausgesprochen hat, dass nach Maßgabe der Vorgaben des Finanzgericht zu den streitbefangenen Gewinnen aus Restaurationsbetrieb „die Gewerbesteuer-Rückstellung zu berechnen“ sei, ohne in den Entscheidungsgründen mitzuteilen, auf welche tatsächlichen Feststellungen und rechtlichen Erwägungen sich die getroffene Entscheidung insoweit stützt. Die Frage, ob eine Rückstellung (auch) hinsichtlich der auf Gewinnzuschätzungen entfallenden Gewerbesteuer zu bilden ist, hängt mit der streitbefangenen Frage, in welcher Höhe die Gewinne der Klägerin aus Gewerbebetrieb zu bemessen sind, unmittelbar zusammen. Dabei weist das Finanzamt darauf hin, dass es im Hinblick auf die „vorliegenden Steuerhinterziehungen“ keine Steuerrückstellung für die Mehrsteuern aufgrund der Feststellungen der Steuerfahndung und der Betriebsprüfung berücksichtigt habe. Es stellt damit –zutreffend– auf die höchstrichterliche Rechtsprechung ab, nach der eine Rückstellung für hinterzogene Mehrsteuern erst zu dem Bilanzstichtag gebildet werden kann, zu dem der Steuerpflichtige mit der Aufdeckung der Steuerhinterziehung rechnen musste5. Insoweit lassen sich dem angegriffenen Finanzgericht, Urteil neben den rechtlichen Erwägungen, die nach Ansicht des Finanzgericht für die (erstmalige) Bildung einer Gewerbesteuerrückstellung sprechen, auch keine hinreichenden tatsächlichen Feststellungen zur Beantwortung der Frage entnehmen, bis zu welchem Zeitpunkt die Klägerin davon ausgehen konnte, dass der den Zuschätzungen zugrunde liegende Sachverhalt –ungeachtet seiner strafrechtlichen Bewertung– unentdeckt bleiben würde. Lediglich die Feststellung, dass erste Steuerfahndungsmaßnahmen bei der Klägerin im August 2004 durchgeführt worden sind, deutet darauf hin, dass die Klägerin jedenfalls in den vom Finanzamt in seiner Beschwerde aufgegriffenen Streitjahren noch nicht mit der Aufdeckung der Tat rechnen musste.
Bundesfinanzhof, Beschluss vom 30. Juli 2013 – IV B 107/12
- z.B. BFH, Beschlüsse vom 10.11.2011 – – X B 211/10, BFH/NV 2012, 426, m.w.N.; vom 11.04.2012 – – X B 56/11, BFH/NV 2012, 1331; vom 26.09.2012 – – III B 222/10, BFH/NV 2013, 71[↩]
- BFH-Beschlüsse in BFH/NV 2012, 426, und in BFH/NV 2013, 71[↩]
- z.B. BFH, Beschlüsse vom 17.07.2000 – – IX R 66/99, BFH/NV 2001, 51, und vom 01.09.2003 – – X B 130/02, m.w.N.[↩]
- BFH, Beschluss in BFH/NV 2012, 426, m.w.N.[↩]
- näher dazu z.B. BFH, Urteile vom 27.11.2001 – – VIII R 36/00, BFHE 197, 394, BStBl II 2002, 731, und vom 22.08.2012 – – X R 23/10, BFHE 238, 173, BStBl II 2013, 76, jeweils m.w.N.[↩]