Verzicht auf die mündliche Verhandlung – und sein Widerruf

Gemäß § 90 Abs. 1 Satz 1 FGO entscheidet das Finanzgericht in Urteilsverfahren aufgrund mündlicher Verhandlung. Nach § 90 Abs. 2 FGO kann das Finanzgericht mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheiden. Ein Verzicht auf die mündliche Verhandlung ist als Prozesshandlung nicht wegen Irrtums (auch über die Tragweite des Verzichts) anfechtbar und auch nicht frei widerrufbar1.

Verzicht auf die mündliche Verhandlung – und sein Widerruf

Der Verzicht auf die mündliche Verhandlung kann daher nur ausnahmsweise widerrufen werden, wenn sich die Prozesslage nach Abgabe der Einverständniserklärung wesentlich geändert hat2. Dies ist vom Finanzgericht nach pflichtgemäßem Ermessen zu prüfen3.

In dem hier vom Bundesfinanzhof beurteilten Verfahren haben die Kläger nicht dargelegt, dass sich die Prozesslage nach Durchführung der mündlichen Verhandlung wesentlich geändert hat: Der bloße Wechsel des Prozessbevollmächtigten als solcher führt noch nicht zu einer wesentlichen Änderung der Prozesslage4. Die Kläger benennen auch keine sonstigen Umstände, die zu einer wesentlichen Änderung der Sach- und Rechtslage geführt haben.

Bundesfinanzhof, Beschluss vom 19. April 2016 – IX B 110/15

  1. vgl. BFH, Urteil vom 31.08.2010 – VIII R 36/08, BFHE 231, 1, BStBl II 2011, 126; BFH, Beschluss vom 10.03.2011 – VI B 147/10, BFHE 232, 322, BStBl II 2011, 556[]
  2. vgl. z.B. BFH, Urteil vom 11.05.2010 – IX R 28/09, BFH/NV 2010, 2076; BFH, Beschlüsse vom 04.05.2011 – IX S 2/11 (PKH), BFH/NV 2011, 1383; und vom 17.10.2011 – IX B 108/11, BFH/NV 2012, 245; vom 23.06.2014 – X B 167/13, BFH/NV 2014, 1566; Gräber/Herbert, Finanzgerichtsordnung, 8. Aufl., § 90 Rz 13 f., m.w.N.; Schallmoser in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 90 FGO Rz 53 ff.[]
  3. vgl. Brandis in Tipke/Kruse, § 90 FGO Rz 14[]
  4. vgl. BFH, Beschluss vom 23.05.2012 – III B 209/11, BFH/NV 2012, 1477, unter II. 1.a, m.w.N.[]
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