Dem Sachverständigen ist Wiedereinsetzung in die Vergütungsantrags-Ausschlussfrist mangels Verschulden zu gewähren, wenn er über den im konkreten Fall (u. a. bei mehrfacher Heranziehung) maßgeblichen Fristbeginn unzureichend belehrt worden ist.

Beginn der Ausschlussfrist
Der Beginn der Vergütungsantrags-Ausschlussfrist bestimmt sich bei mündlicher Begutachtung grundsätzlich und vorrangig gemäß der Spezialregelung § 2 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 JVEG nach der Beendigung der mündlichen Begutachtung.
Im Fall mehrfacher Heranziehung in demselben Verfahren in demselben Rechtszug ist die letzte Heranziehung maßgeblich, wie § 2 Abs. 1 Satz 3 in der ab August 2013 geltenden Fassung zur Vermeidung vorher beklagter Missverständnisse klarstellt [1].
Soweit der in seinem Umfang gemäß § 82 FGO i. V. m. § 404a ZPO bestimmte Auftrag zur mündlichen Begutachtung nicht durch eine solche im Termin beendet wird, ist die Spezialregelung § 2 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 JVEG nicht abschließend einschlägig, sondern gilt die allgemeine Drei-Monats-Regelung des § 2 Abs. 1 Satz 1 JVEG i. V. m. der Klarstellung in § 2 Abs. 1 Satz 3 JVEG und beginnt diese Frist nach Beendigung des Auftrags nach der letzten Heranziehung. Der Fristbeginn setzt stets voraus, dass die Leistung des Sachverständigen abgeschlossen ist und dies dem Sachverständigen deutlich ist oder durch das Gericht deutlich gemacht oder mitgeteilt worden ist [2].
Dementsprechend begann die Frist trotz der gleichzeitigen oder äußerlich einheitlichen Auftragserteilung für jedes Verfahren desselben Rechtszugs gesondert.
Wiedereinsetzung bei Fristversäumung
Nach § 2 Abs. 1 Satz 1 letzter Halbsatz und Abs. 2 Satz 2 JVEG i. d. F. vom 23.07.2013 ist der Sachverständige über die dreimonatige Ausschlussfrist und ihren Beginn zu belehren und wird bei unterbliebener oder fehlerhafter Belehrung das Fehlen seines Verschuldens vermutet.
Diese Neuregelung ist mit Wirkung ab 1.08.2013 in Kraft getreten, das heißt hier z. T. vor Auftragsbeendigung oder Fristbeginn.
Die Neuregelung dient im Übrigen der Korrektur oder Klarstellung des Gesetzes [3]; sie richtet sich gegen die immer wieder beklagten Fristversäumnisse infolge Unkenntnis über die Ausschlussfrist oder Missverständnis über den Fristbeginn [4].
Mit der Verschuldensregelung entspricht die Neuregelung im Wesentlichen zugleich der bisherigen Rechtsprechung. Danach hat das Gericht davon auszugehen, dass ein Sachverständiger grundsätzlich nicht unentgeltlich tätig wird, und verstößt es gegen seine Fürsorge- und Treuepflicht ihm gegenüber, wenn es ihn nach der Begutachtung nicht zur Bezifferung seines Vergütungsanspruchs auffordert und ihn nicht spätestens dann auf die Frist hinweist [5].
Dieser Verstoß gegen die Fürsorge- und Treuepflicht wird erst recht evident, wenn das Gericht bereits nach Aktenlage – wie hier in nicht ausgeführter Verfügung – von der Entgeltlichkeit ausgegangen ist [6].
Bei der Entscheidung über die Wiedereinsetzung darf das Versagen organisatorischer Vorkehrungen im Gericht einem Betroffenen – hier dem Sachverständigen als Antragsteller – nicht zur Last gelegt werden; und zwar gemäß dem aus Art. 2 GG und dem Rechtsstaatsprinzip Art.20 Abs. 3 GG (vgl. Art. 6 EMRK, Art. 47 Abs. 2 EUGrCH), folgenden Grundrecht auf ein faires Verfahren [7], einschließlich der sich daraus auch ergebenden nachwirkenden Fürsorgepflicht [8].
Selbst wenn dem Sachverständigen gespeicherte Textbaustein-Hinweise bei anderer oder früherer Gelegenheit zugegangen sind und er diese seinerzeit nur inhaltlich nicht im Einzelnen zur Kenntnis genommen hat, fällt ihm dies bei den vorliegenden Vergütungsanträgen und der für sie jeweils geltenden Ausschlussfrist nicht als Verschulden zur Last.
Es handelt sich nämlich nicht um anlässlich der Auftragserteilung oder der Auftragsbeendigung speziell für die vorliegenden Vergütungsanträge übermittelte eindeutige und unmissverständliche Hinweise oder Antragsformulare, deren Nichtbeachtung als Verschulden die Wiedereinsetzung ausschließen würde [9].
Die – inzwischen auch nach § 3 Abs. 1 Satz 1 letzter Halbsatz JVEG vorgeschriebene – Belehrung über den Fristbeginn reicht nämlich nur dann aus, wenn sie den für den konkreten Auftrag zutreffenden Fristbeginn deutlich macht. Das gilt auch für die vorliegenden Fälle der nicht bereits mit Durchführung eines Begutachtungstermins abgeschlossenen Heranziehung, wie aus der Klarstellung in § 2 Abs. 1 Satz 3 JVEG folgt.
Danach kann mangels Fallbezugs dahingestellt bleiben, inwieweit der 58-teilige Textbaustein betreffend den Fristbeginn missverständlich ist [10] oder infolge Ungenauigkeit („verjährt“) bei der zwischen Ausschlussfrist und Verjährung unterscheidenden Regelung dazu führt, dass diese schwer nachvollziehbar wird [11]. Ebenso ist hier nicht mehr zu prüfen, inwieweit zur Vermeidung einer Überraschung und zur Verbesserung der Transparenz in Aufmachung und Umfang eine Aufteilung möglich ist in Hinweise zur Auftragserteilung einerseits und zur Auftragsbeendigung andererseits (vgl. entsprechend § 305c Abs. 1, § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB).
Soweit der Sachverständige den Einzelrichter und Vorsitzenden des Bewertungs- und Kostensenats vor Fristablauf auf die noch einzureichenden Rechnungen angesprochen und dabei der Vorsitzende nicht auf die ihm selbst nicht geläufige Ausschlussfrist hingewiesen hat, wird zusätzlich hierdurch die Fristversäumnis entschuldigt.
Aufgrund der hier gegenüber dem Sachverständigen nachwirkend bestehenden gerichtlichen Fürsorgepflicht genügte nämlich selbst eine zutreffende Antwort des Vorsitzenden ohne einen Hinweis auf die Ausschlussfrist nicht, wenn danach dem Sachverständigen die Ausschlussfrist nicht bewusst wurde [12]. Ein unterlassener oder unzureichender Hinweis des Vorsitzenden darf sich gemäß dem Grundrecht auf faires Verfahren nicht zum Nachteil des Betroffenen auswirken [13].
Im Übrigen werden den Anforderungen an die Rechtskenntnisse und das Verhalten eines juristischen Laien bei der Entscheidung über die Wiedereinsetzung durch das Grundrecht auf ein faires Verfahren Grenzen gesetzt [14] und müssen die Gerichte es vermeiden, durch eigenes Verhalten zusätzliche Verwirrung zu stiften [11].
Das gilt insbesondere bei einem in erster Linie anderweitig geschäftlich tätigen Sachverständigen, der als solcher nur noch wenige Begutachtungsaufträge annimmt [15]
Erst recht können von einem Sachverständigen nicht ohne weiteres bessere Rechtskenntnisse erwartet werden als von dem seit Jahrzehnten richterlich tätigen Vorsitzenden und von den weiteren Mitgliedern des Bewertungs- und Kostensenats.
Aufgrund der danach zu gewährenden Wiedereinsetzung kommt es nicht mehr an auf die Auslegung der Rechnungsankündigung als formlos oder mündlich fristwahrender Vergütungsantrag [16] oder zumindest sinngemäß als Antrag auf Fristverlängerung ((vgl. Schneider, JVEG, § 2 Rz. 3; Meyer/Höfer/Bach/Oberlack, JVEG, 26. A., § 2 Rz
Finanzgericht Hamburg, Beschluss vom 11. Juli 2014 – 3 K 207/11
- vgl. BT-Drs. 517/12, 398 f.; Meyer/Höfer/Bach/Oberlack, JVEG, 26. A., § 2 Rz. 3 Seite 37 f.[↩]
- OLG Bremen, Beschluss vom 21.03.2013 – 5 W 4/13, JurBüro 2013, 486; Brandenburgisches OLG, Beschluss vom 23.01.2007 – 10 WF 21/07[↩]
- vgl. BT-Drs. 517/12 Seite 3[↩]
- BT-Drs. 517/12 Seite 398 f.[↩]
- OLG Hamm, Beschluss vom 18.10.2005 – 21 U 12/05, OLGR Hamm 2006, 97; LSG Berlin vom, Beschluss 23.08.1982 – L 16/11 Z‑F 1/82, Breithaupt 1983, 940; vgl. bei rechtskundig vertretenen Sachverständigen anders Thüringer LSG, Beschluss vom 26.08.2011 – L 6 SF 84/11[↩]
- OLG Nürnberg, Beschluss vom 02.10.1989 m. w. N.[↩]
- BVerfG, Beschlüsse vom 21.03.2005 2 BvR 975/03, NStZ 2005, 238; vom 04.05.2004 1 BvR 1892/03, BVerfGE 110, 339; vom 06.04.1998 1 BvR 2194/97, NJW 1998, 2044; ständ. Rspr.[↩]
- vgl. BVerfG, Beschluss vom 20.06.1995 1 BvR 166/93, BVerfGE 93, 99[↩]
- vgl. SG Köln, Beschluss vom 02.02.2007 S 6 RA 328/04[↩]
- vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 18.08.2009 – 34 U 152/05 u. a., BauR 2010, 1273[↩]
- vgl. BVerfG, Beschluss vom 04.05.2004 – 1 BvR 1892/03, BVerfGE 110, 339 Rz. 18[↩][↩]
- OLG Hamm, Beschluss vom 18.10.2005 – 21 U 12/05, BauR 2006, 414[↩]
- Brandenburgisches OLG, Beschluss vom 07.10.2010 – 12 U 96/09, Rz. 25; BVerfG, Beschluss vom 22.08.1980 – 2 BvR 653/79, StRK FGO § 115 R 203; BFH, Urteil vom 06.07.2005 – XI R 15/04, BFHE 210, 4, BStBl II 2005, 644; vgl. Greger in Zöller, ZPO, 30. A., § 233 Rz. 22a; oben b dd m. w. N.[↩]
- BVerfG, Beschluss vom 21.03.2005 – 2 BvR 975/03, NStZ-RR 2005, 238[↩]
- vgl. FG Hamburg, Urteil vom 30.08.2013 – 3 K 206/11, EFG 2014, 113, m. w. N.[↩]
- vgl. OLG Nürnberg, Beschluss vom 02.10.1989, a.a.O., m. w. N.; Meyer/Höfer/Bach/Oberlack JVEG, 26. A, § 2 Rz. 2[↩]