Die unterlassene Übermittlung eines wiederholenden Schriftsatzes stellt regelmäßig keine Verletzung rechtlichen Gehörs dar.

Nach § 96 Abs. 2 FGO darf das Urteil nur auf Tatsachen und Beweisergebnisse gestützt werden, zu denen die Beteiligten sich äußern konnten. Es besteht ein umfassender Anspruch, über den gesamten Prozessstoff kommentarlos und ohne Einschränkungen unterrichtet zu werden. Das FG ist verpflichtet, entscheidungserhebliche Fakten und Unterlagen nicht nur zur Kenntnis zu nehmen, sondern diese auch nach § 77 Abs. 1 Satz 4 FGO dem jeweils anderen Beteiligten von Amts wegen zur Kenntnis zu geben. Die unterlassene Übersendung oder ggf. Übergabe eines entsprechenden Schriftsatzes in der mündlichen Verhandlung verletzt daher grundsätzlich das rechtliche Gehör1.
Das setzt allerdings voraus, dass dieser Schriftsatz für die Entscheidung des FG erheblich gewesen sein kann2. Die Kausalitätsvermutung des § 119 FGO ist nach ständiger Rechtsprechung auf diejenigen Fälle beschränkt, in denen sich die Verletzung rechtlichen Gehörs auf das Gesamtergebnis des Verfahrens bezieht. Betrifft sie nur einzelne Feststellungen oder rechtliche Gesichtspunkte, hat der Beschwerdeführer darzulegen, was er im Falle der Gewährung rechtlichen Gehörs noch vorgetragen hätte und inwiefern bei Berücksichtigung dieses Vorbringens eine andere Entscheidung möglich gewesen wäre3.
Wiederholt ein Schriftsatz nur bisheriges Vorbringen, begründet deshalb die unterlassene Übermittlung regelmäßig keine Gehörsverletzung mehr4.
So auch in dem vorliegenden Verfahren vor dem Finanzgericht Berlin-Brandenburg5: Zwar hat nach Aktenlage der Schriftsatz vom 30.08.2021 den Prozessbevollmächtigten der Kläger bis zur mündlichen Verhandlung tatsächlich nicht erreicht. Die beanstandete Passage des Schriftsatzes vom 30.08.2021 war jedoch wiederholendes Vorbringen, das bereits in der Einspruchsentscheidung gegenüber der Klägerin enthalten war. Die Einspruchsentscheidung hatte das FA durch Bezugnahme bereits zum Gegenstand seiner Klageerwiderung gemacht. Soweit die Einspruchsentscheidung nur gegenüber der Klägerin, nicht aber gegenüber dem Kläger, ergangen war, ist das ebenfalls unerheblich, weil der gemeinsame Prozessbevollmächtigte sie angesichts der Anlage zur Klageschrift nachweislich kannte. Diese Kenntnis ist dem Kläger zuzurechnen. Inhaltlich unterscheiden sich die Einspruchsentscheidung und der Schriftsatz vom 30.08.2021 in dem streitigen Punkt nicht. In der Einspruchsentscheidung heißt es, es „dürfte … kein Problem sein, die Aktenteile, die z.B. Gesundheitszustand … betreffen, auszusondern“, in dem Schriftsatz, „dürfte … unproblematisch sein, etwaige, … Angaben zu seinen gesundheitlichen Einschränkungen betreffende Aktenstücke auszusondern“. Auf die Frage, ob auch die Einlassung des FA in der mündlichen Verhandlung inhaltlich dieser Aussage entsprach, kommt es deshalb nicht mehr an.
Bundesfinanzhof, Beschluss vom 28. Juni 2022 – II B 94/21
- BFH, Beschluss vom 08.05.2017 – X B 150/16, BFH/NV 2017, 1185, Rz 14 f., m.w.N.[↩]
- BFH, Beschlüsse vom 15.02.2012 – IV B 126/10, BFH/NV 2012, 774, Rz 14, und in BFH/NV 2017, 1185, Rz 15[↩]
- vgl. BFH, Beschlüsse vom 10.10.1994 – VI B 139/93, BFH/NV 1995, 326, und in BFH/NV 2017, 1185, Rz 17, m.w.N.[↩]
- vgl. BFH, Beschluss vom 19.11.2003 – I R 41/02, BFH/NV 2004, 604, unter II. 2.[↩]
- FG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 22.09.2021 – 14 K 14128/19[↩]