Im Zweifel hat die Behörde den Zugang und den Zeitpunkt des Zugangs nachzuweisen. Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs kann der Nachweis des Zugangs nicht nach den Grundsätzen des Anscheinsbeweises (prima-facie-Beweis) geführt werden. Es gelten vielmehr die allgemeinen Beweisregeln (vgl. BFH, Urteil vom 14.03.1989, BStBl II 1989, 534).

Der Beweis des ersten Anscheins beruht auf allgemeinen Lebenserfahrungen, und zwar in der Art, dass wesensgleiche Ereignisse serienmäßig typisch gleich verlaufen müssen. Diese Erfahrungssätze werden unter dem Schlagwort vom „typischen Geschehensablauf“ zusammengefasst. Typische und daher dem Anscheinsbeweis zugängliche Geschehensabläufe sind dabei nur solche, die vom menschlichen Willen unabhängig sind, die also gleichsam mechanisch „abrollen“. Vor diesem Hintergrund ist die Frage, ob ein als einfacher Brief aufgegebenes Schriftstück tatsächlich zugegangen ist, dem Nachweis durch Anscheinsbeweis nicht zugänglich. Im Übrigen kommt es unter normalenPostverhältnissen immer wieder vor, dass abgesandte Briefe den Empfänger nicht erreichen. Gerade angesichts des Gesetzeswortlauts kann von dem (potentiellen) Empfänger nicht verlangt werden, einen anderen als den (angeblich) typischen Geschehensablauf darzulegen.
Wie der BFH in dem vorgenannten Urteil weiter ausgeführt hat, können allerdings bestimmte Verhaltensweisen, die der Empfänger längere Zeit nach Absendung des Bescheids an den Tag gelegt hat, im Rahmen einer Gesamtwürdigung aller Umstände des Falles berücksichtigt werden. In diese Gesamtwürdigung ist dann auch die allgemeine Lebenserfahrung einzubeziehen, dass ein nachweislich abgesandtes Schriftstück den Empfänger mit hoher Wahrscheinlichkeit tatsächlich erreicht. Aufgrund der verschiedenen Indizien muss das Gericht gemäß § 96 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) die Tatsache des Zugangs mit so hoher Wahrscheinlichkeit als festgestellt ansehen, dass kein vernünftiger Mensch mehr zweifelt.
Hessisches Finanzgericht, Urteil vom 29. Oktober 2007 – 3 K 523/05