Eine -durch § 563 Abs. 1 Satz 2 ZPO ermöglichte- Zurückverweisung an einen anderen Bundesfinanzhof des Finanzgerichts setzt besondere sachliche Gründe voraus. Gravierende Verfahrensfehler des Finanzgerichts allein reichen hierfür grundsätzlich nicht aus. Hinzukommen muss vielmehr im Regelfall, dass ernstliche Zweifel an der Unvoreingenommenheit der Vorinstanz bestehen.

Auch wenn das Wahlrecht des § 563 Abs. 1 Satz 2 ZPO in einem Spannungsverhältnis zum Anspruch auf den -abstrakt vorherbestimmten- gesetzlichen Richter (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) steht, ist diese Vorschrift verfassungsgemäß1. Das BVerfG hat hierzu ausgeführt, dasjenige, was Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG allen nichtgerichtlichen Einrichtungen einschließlich der Justizverwaltung verbiete -nämlich auf die Entscheidung eines bestimmten Gerichtsverfahrens Einfluss zu nehmen-, sei dem Revisionsgericht gerade aufgetragen. Es sei dazu berufen, die Entscheidungen der Instanzgerichte auf Rechtsfehler zu überprüfen und ihnen ggf. bindende Rechtsanweisungen zu geben, um die nach menschlichem Ermessen gerechteste Endentscheidung herbeizuführen. Es könne aus vielerlei Gründen -u.a. beim möglichen Anschein einer Voreingenommenheit der Vorinstanz- geboten sein, im weiteren Verlauf nicht mehr das Gericht, dessen Entscheidung aufgehoben worden ist, mit der Sache zu befassen. Die Berücksichtigung derartiger Gesichtspunkte gehöre zur Rechtsfindung, die dem Rechtsmittelgericht obliege. Allerdings dürfe das Rechtsmittelgericht bei seiner Entscheidung nach § 563 Abs. 1 Satz 2 ZPO nicht willkürlich verfahren.
Wird dies beachtet, beanstandet es das BVerfG sogar noch nicht einmal, wenn das Rechtsmittelgericht eine auf § 563 Abs. 1 Satz 2 ZPO gestützte Entscheidung nicht ausdrücklich begründet2.
Gleichwohl macht der BFH -zu Recht- von der Möglichkeit des § 563 Abs. 1 Satz 2 ZPO nur in äußerst seltenen Ausnahmefällen Gebrauch. Um eine willkürfreie Ermessensausübung zu gewährleisten, sind besondere sachliche Gründe erforderlich. Allein der Umstand, dass eine vorinstanzliche Entscheidung wegen eines -auch gravierenden- Verfahrensfehlers aufgehoben werden muss, reicht dazu grundsätzlich nicht aus. Hinzukommen muss vielmehr im Regelfall, dass ernstliche Zweifel an der Unvoreingenommenheit der Vorinstanz bestehen3. Solche Zweifel können insbesondere dann ausgeschlossen werden, wenn die Vorinstanz ihre Entscheidung im Hinblick auf ihre eigene Unsicherheit über die Rechtmäßigkeit des von ihr gewählten Verfahrens durch Zulassung der Revision in besonderer Weise überprüfbar gemacht hat4.
Der hier vorliegende Fall ist durch die Besonderheit gekennzeichnet, dass dem Finanzgericht nicht allein mehrere gravierende Verfahrensfehler -insbesondere in Gestalt von gegenüber den Beteiligten nicht mitgeteilten Sachverhaltsermittlungen- vorzuhalten sind, die die Verfahrensrechte vor allem der Kläger -aber auch die des Finanzamtes- erheblich eingeschränkt haben. Vielmehr befinden sich in den Akten in großer Zahl Schriftsätze sowohl der Beteiligten als auch dritter Personen, in denen auf Telefongespräche mit dem Vorsitzenden Bezug genommen wird. Jedoch ist weder der erforderliche Gesprächsvermerk erstellt und zu den Akten genommen worden noch ist die andere Seite über den Inhalt des Telefongesprächs unterrichtet worden.
Richterliche Hinweise, die mündlich oder telefonisch erteilt werden -was grundsätzlich zulässig ist-, müssen nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum einen vollständig dokumentiert werden, so dass sich nachvollziehbar aus den Akten ergibt, wer wann wem gegenüber welchen Hinweis gegeben hat. Darüber hinaus ist es verfassungsrechtlich geboten, den jeweiligen Gegner vor Erlass einer Entscheidung in den gleichen Kenntnisstand zu versetzen, indem auch ihm die richterlichen Hinweise zeitnah mitgeteilt werden5.
Verstöße des Richters gegen diese Gebote der Neutralität und Parteiöffentlichkeit werden in der Regel einen Grund für eine Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit (§ 42 ZPO) darstellen6.
Eine solche Verfahrensführung, bei der es sich nicht um ein einmaliges Versehen handelt, sondern die sich über einen langen Zeitraum erstreckt, widerspricht grundlegenden prozessualen Vorgaben und beteiligtenschützenden Garantien der FGO und des GG.
Bundesfinanzhof, Urteil vom 19. Mai 2020 – X R 27/19
- vgl. zur Parallelvorschrift des § 354 Abs. 2 StPO ausführlich: BVerfG, Beschluss vom 25.10.1966 – 2 BvR 291/64, 656/64, BVerfGE 20, 336; aus neuerer Zeit ferner BVerfG, Beschluss vom 14.02.2006 – 2 BvR 109/06[↩]
- vgl. BVerfG, Beschluss vom 14.02.2006 – 2 BvR 109/06[↩]
- zum Ganzen vgl. BFH, Urteile vom 04.09.2002 – XI R 67/00, BFHE 200, 1, BStBl II 2003, 142, unter II. 3.; und vom 09.01.2018 – IX R 34/16, BFHE 260, 440, BStBl II 2018, 582, Rz 38[↩]
- BFH, Urteil vom 19.10.2011 – X R 65/09, BFHE 235, 304, BStBl II 2012, 345, Rz 115[↩]
- zum Ganzen BVerfG, Beschluss vom 30.09.2018 – 1 BvR 1783/17, Neue Juristische Wochenschrift -NJW- 2018, 3631, Rz 24; vgl. auch Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 11.04.2013 – I ZB 91/11, HFR 2014, 266, Rz 23[↩]
- Zöller/Vollkommer, Zivilprozessordnung, 33. Aufl., § 42 Rz 25, m.w.N.[↩]