Zustellung statt Verkündung – bei Urteilen des Einzelrichters

Nach § 104 Abs. 2 FGO st statt der Verkündung die Zustellung des Urteils zulässig; dann ist das Urteil binnen zwei Wochen nach der mündlichen Verhandlung der Geschäftsstelle zu übermitteln.

Zustellung statt Verkündung – bei Urteilen des Einzelrichters

Zweck der Regelung ist es nicht nur, den Beteiligten alsbald Gewissheit über die getroffene Entscheidung zu verschaffen; sie dient vielmehr vornehmlich dazu, den notwendigen Zusammenhang zwischen mündlicher Verhandlung und Urteil zu wahren und sicherzustellen, dass der Inhalt des Urteils dem Gesamtergebnis des Verfahrens einschließlich der in der mündlichen Verhandlung gewonnenen Überzeugung der beteiligten Richter entspricht.

Dieser zeitliche Zusammenhang ist in der Regel nicht gewahrt, wenn das Urteil erst nach Ablauf von zwei Wochen nach der mündlichen Verhandlung gefällt wird1. Das Urteil muss somit vor Ablauf der in § 104 Abs. 2 FGO bestimmten Frist von zwei Wochen beschlossen worden sein2.

Das Bundesverwaltungsgericht hat deshalb ein Urteil wegen eines Verstoßes gegen § 116 Abs. 2 VwGO, der dem § 104 Abs. 2 FGO entspricht, aufgehoben, weil die Urteilsformel erst dreieinhalb Monate nach Schluss der mündlichen Verhandlung beschlossen worden war3.

Das Urteil ist gefällt, wenn die Entscheidungsformel vom Gericht festgelegt wurde. Es kann bereits dann auf einem Verstoß gegen § 104 Abs. 2 Halbsatz 2 FGO beruhen, wenn zweifelhaft ist, ob die Entscheidungsformel in hinreichend engem zeitlichen Zusammenhang mit der mündlichen Verhandlung vom Gericht festgelegt wurde4.

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Während bei BFH, Urteilen des Finanzgericht, bei denen die Entscheidungsformel nach Beratung aller mitwirkenden Richter einschließlich der ehrenamtlichen Richter (§ 5 Abs. 3 Satz 1 FGO) üblicherweise an dem Tag beschlossen wird, an dem die mündliche Verhandlung stattgefunden hat, weil die ehrenamtlichen Richter im Regelfall nur an diesem Tag im Gericht anwesend sind5, kann bei der Entscheidung durch einen Einzelrichter davon nicht ausgegangen werden. Eine etwaige vom Einzelrichter gedanklich getroffene Entscheidung über das Ergebnis des Urteils ist eine innere Tatsache, die wie alle sich in der Vorstellung von Menschen abspielenden Vorgänge nur anhand äußerlicher Merkmale beurteilt werden kann6. Solange es an solchen äußerlichen Merkmalen fehlt, kann die bloße gedanklich getroffene Entscheidung des Einzelrichters nicht als Festlegung der Urteilsformel und somit als Fällung des Urteils beurteilt werden. Der Einzelrichter kann eine solche Entscheidung jederzeit problemlos ändern, ohne auf die Mitwirkung anderer Richter angewiesen zu sein. Etwaige schriftliche Notizen des Einzelrichters, die lediglich für seine persönliche Verwendung bestimmt sind, sind ebenfalls nicht zur Beseitigung von Zweifeln geeignet, ob er die Entscheidungsformel in hinreichend engem zeitlichen Zusammenhang mit der mündlichen Verhandlung festgelegt hat. Solche Notizen bringen lediglich die vorläufige Ansicht des Einzelrichters zum Ausdruck. Sie hindern ihn nicht daran, diese Ansicht noch zu ändern. Hat sich der Einzelrichter für eine Urteilsformel entschieden, kann er diese in entsprechender Anwendung des § 105 Abs. 4 Satz 2 FGO in der Form eines von ihm unterschriebenen Urteils ohne Tatbestand, Entscheidungsgründe und Rechtsmittelbelehrung an die Geschäftsstelle übermitteln7. Solange dies nicht geschehen ist, bestehen zumindest Zweifel, ob sich der Einzelrichter bereits für ein bestimmtes Ergebnis entschieden hat.

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Diese Zweifel können nicht durch eine Vernehmung des Einzelrichters als Zeugen beseitigt werden. Selbst wenn er aussagen würde, er habe sich innerhalb der in § 104 Abs. 2 FGO bestimmten Frist von zwei Wochen für ein bestimmtes Ergebnis entschieden, könnte diese gedanklich oder in einer schriftlichen Notiz für den Eigengebrauch getroffene Entscheidung nicht als Festlegung der Urteilsformel und Fällung des Urteils gewertet werden; denn der Einzelrichter hätte eine solche Entscheidung problemlos ohne Mitwirkung anderer Richter jederzeit ändern können.

Einzelrichterurteile unterscheiden sich dadurch von BFH, Urteilen, bei denen die beteiligten Richter einschließlich der ehrenamtlichen Richter über das Urteil beraten und abstimmen (§ 52 Abs. 1 FGO i.V.m. §§ 194 bis 197 des Gerichtsverfassungsgesetzes). Aufgrund der Abstimmung steht der Zeitpunkt fest, zu dem das Urteil gefällt wurde. Der BFH kann über diesen Zeitpunkt ggf. im Wege des Freibeweises durch Vernehmung der beteiligten Richter Beweis erheben8. Einen derartigen konkreten Zeitpunkt für die Fällung des nicht verkündeten Urteils gibt es beim Einzelrichter erst, wenn er das von ihm unterschriebene Urteil ggf. ohne Tatbestand, Entscheidungsgründe und Rechtsmittelbelehrung an die Geschäftsstelle übermittelt.

Im Streitfall ist somit ein Verstoß gegen § 104 Abs. 2 FGO gegeben. Der notwendige zeitliche Zusammenhang zwischen mündlicher Verhandlung und Urteil ist nicht gewahrt. Der Einzelrichter hat das Urteil erst knapp vier Monate nach der mündlichen Verhandlung an die Geschäftsstelle übermittelt.

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Bundesfinanzhof, Beschluss vom 3. Februar 2016 – II B 67/15

  1. BFH, Urteil vom 19.09.2012 – IV R 45/09, BFHE 239, 66, BStBl II 2013, 123, Rz 27 f., m.w.N. auch zur Rechtsprechung des BVerwG[]
  2. BFH, Beschluss vom 20.12 2012 – X B 54/12, BFH/NV 2013, 747, Rz 8[]
  3. BVerwG, Beschluss vom 06.05.1998 – 7 B 437.97, BVerwGE 106, 366[]
  4. BFH, Beschluss vom 12.03.2004 – VII B 239/02, BFH/NV 2004, 1114, unter II.B.01.a dd[]
  5. vgl. BFH, Beschluss in BFH/NV 2004, 1114, unter II.B.01.b[]
  6. zur Feststellung innerer Tatsachen vgl. z.B. BFH, Urteil vom 11.08.2010 – IX R 3/10, BFHE 230, 557, BStBl II 2011, 166, Rz 17, m.w.N.[]
  7. vgl. z.B. BFH, Beschluss vom 20.11.2007 – VII B 340/06, BFH/NV 2008, 581, unter II. 2.[]
  8. BFH, Urteil in BFHE 239, 66, BStBl II 2013, 123, Rz 31, 33[]