Kindergeld – und der mehr als einjährige Schulbesuch außerhalb der EU

Hält sich ein zunächst im Inland wohnhaftes minderjähriges Kind zu Ausbildungszwecken für mehr als ein Jahr außerhalb des Gebietes der EU und des EWR auf, behält es seinen Inlandswohnsitz in der Wohnung eines oder beider Elternteile nur dann bei, wenn ihm in dieser Wohnung zum dauerhaften Wohnen geeignete Räume zur Verfügung stehen, es diese objektiv jederzeit nutzen kann und tatsächlich mit einer gewissen Regelmäßigkeit auch nutzt. Eine Beibehaltung des Inlandswohnsitzes kommt dabei im Regelfall nur dann in Betracht, wenn das Kind diese Wohnung zumindest zum überwiegenden Teil der ausbildungsfreien Zeiten tatsächlich nutzt.

Kindergeld – und der mehr als einjährige Schulbesuch außerhalb der EU

 Für Kinder, die weder einen Wohnsitz noch ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Inland, in einem EU- oder EWR-Mitgliedstaat haben und die auch nicht im Haushalt eines Berechtigten i.S. des § 62 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG leben, wird nach § 63 Abs. 1 Satz 6 EStG in der im Streitzeitraum geltenden Fassung kein Kindergeld gewährt. Das Existenzminimum dieser Kinder wird nur durch die Freibeträge nach § 32 Abs. 6 EStG von der Besteuerung freigestellt, die keine unbeschränkte Steuerpflicht des Kindes voraussetzen (vgl. § 32 Abs. 1 und 6 EStG).

Die Grundsätze, nach denen sich bestimmt, ob jemand einen Wohnsitz (§ 8 AO) im Inland hat, sind durch langjährige Rechtsprechung im Wesentlichen geklärt1. Auf die in den vorgenannten Entscheidungen dargelegten Rechtsgrundsätze wird zur Vermeidung von Wiederholungen verwiesen. Im Urteil vom 25.07.20192, das das Finanzgericht bei seiner Entscheidung noch nicht berücksichtigen konnte, hat der Bundesfinanzhof diese Grundsätze in einem Fall präzisiert, in dem sich minderjährige Kinder ebenfalls zusammen mit einem Elternteil zum Zwecke des Schulbesuchs mehrjährig im außereuropäischen Ausland aufhielten. Dort ging der Bundesfinanzhof davon aus, dass es bei der vorzunehmenden Gesamtwürdigung der Umstände für eine Beibehaltung des Inlandswohnsitzes spricht, wenn ein minderjähriges Kind die ausbildungsfreien Zeiten zumindest überwiegend im Inland verbringt3.

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Die Beurteilung, ob objektiv erkennbare Umstände auf eine Beibehaltung und Nutzung der Wohnung schließen lassen, obliegt zwar im Wesentlichen dem Finanzgericht, weshalb seine Würdigung der tatsächlichen Verhältnisse nur begrenzt überprüfbar ist (vgl. § 118 Abs. 2 FGO).

Die vom Finanzgericht Düsseldorf im hier entschiedenen Streitfall vorgenommene Würdigung4 ist für den Bundesfinanzhof jedoch auch unter Berücksichtigung dieses eingeschränkten Prüfungsmaßstabs zu beanstanden. Das FG, Urteil enthält keine tragfähige Tatsachengrundlage für die Annahme, dass die Kinder während des Streitzeitraums keinen inländischen Wohnsitz hatten5. Das Finanzgericht hat nicht, wie von der Bundesfinanzhofsrechtsprechung gefordert6, die gesamten Umstände des Einzelfalls berücksichtigt. Hierin liegt ein Rechtsfehler, den der Bundesfinanzhof auch ohne Rüge von Amts wegen zu beachten hat7.

Zunächst hat das Finanzgericht keine hinreichenden Feststellungen dazu getroffen, ob, gegebenenfalls wodurch und wann die Kinder in der vom Vater in zeitlichem Zusammenhang mit der Ausreise der Kinder und der Ehefrau zum …09.2015 bezogenen Zwischenwohnung einen Wohnsitz begründet haben und ob es sich um auch für die Kinder zum dauerhaften Wohnen geeignete Räume handelte. Vielmehr hat es nur aus der Kaltmiete der Zwischenwohnung und den Quadratmeterpreisen der vor und nach dem Auslandsaufenthalt der Kinder und der Ehegattin gemieteten größeren Wohnungen eine Wohnungsgröße der Zwischenwohnung errechnet. Ob diese errechnete Größe der tatsächlichen Größe der Zwischenwohnung entspricht, bleibt offen. Ebenso wurde nicht festgestellt, wie diese Wohnung aufgeteilt und ausgestattet war und wie sich die Wohnverhältnisse bis zur Ausreise der Kinder und während des Inlandsaufenthalts der Kinder darstellten. Sofern die Kinder in der Zwischenwohnung keinen Wohnsitz begründet haben, würde es an einem inländischen Wohnsitz fehlen.

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Keine näheren Feststellungen hat das Finanzgericht auch zu den Wohnverhältnissen in Z-Land getroffen. Dabei ist zwar zu beachten, dass der Vater im Hinblick auf diesen Auslandssachverhalt auch im finanzgerichtlichen Verfahren einer erhöhten Mitwirkungs- und Beweisvorsorgepflicht unterliegt (§ 76 Abs. 1 Satz 4 FGO i.V.m. § 90 Abs. 2 AO). Aus den Entscheidungsgründen ist jedoch nicht zu entnehmen, dass das Finanzgericht von einer unzureichenden Mitwirkung des Vaters ausgegangen ist.

Des Weiteren bleibt unklar, ob das Finanzgericht davon ausging, dass bei Ausreise der Kinder ein vorübergehender Aufenthalt in Z-Land oder ein Aufenthalt von unbestimmter Zeit geplant war; hierauf kommt es allerdings nur an, wenn das Finanzgericht im zweiten Rechtsgang zu der Auffassung kommt, dass die Kinder in der vom Vater im September 2015 bezogenen Wohnung vor ihrer Ausreise einen Wohnsitz begründet haben. Während das Finanzgericht im Tatbestand der Entscheidung festgestellt hat, dass die Kinder „im streitbefangenen Zeitraum bei ihren Großeltern in Z-Land leben und dort zur Schule gehen“ sollten, legt es in den Entscheidungsgründen einen Rechtsmaßstab zugrunde, der einen Sachverhalt betrifft, in dem „ein Kind auf unbestimmte Zeit im Heimatland der Familie bei Verwandten untergebracht ist“. Auch die weitere Aussage in den Entscheidungsgründen: „Soweit der Vater geltend gemacht hat, der Aufenthalt in Z-Land sei von Anfang (an) nur für einen begrenzten Zeitraum geplant gewesen, kommt dem wegen der festgestellten tatsächlichen Umstände kein Beweiswert zu.“, lässt offen, ob das Finanzgericht diesen Punkt für unerheblich hält oder vom Gegenteil überzeugt war.

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Insoweit ist nach der BFH-Rechtsprechung8 zu beachten, dass bei voraussichtlicher Rückkehr innerhalb eines Jahres regelmäßig keine Aufgabe des Wohnsitzes vorliegt, sodass Inlandsaufenthalte für die Beibehaltung des Wohnsitzes nicht erforderlich sind. Wird die Absicht zur Rückkehr innerhalb eines Jahres aufgegeben, so kann in diesem Moment eine Aufgabe des Wohnsitzes erfolgen. Entscheidend ist insoweit, in welchem Zeitpunkt Umstände eintreten, die nunmehr Rückschlüsse auf einen längerfristigen Auslandsaufenthalt zulassen. Ab diesem Zeitpunkt kommt den Inlandsaufenthalten bei der Frage der Beibehaltung des Wohnsitzes im Elternhaus -der „Zwischenwohnung“- wieder erhebliche Bedeutung zu.

Offen bleibt, in welchem Umfang die Kinder im Streitzeitraum ausbildungsfreie Zeiten hatten und welchen Teil der Ferien sie in Deutschland verbrachten. Das Finanzgericht hat zwar die Anzahl der Tage festgestellt, an denen sich die Kinder im Inland befanden, und dass davon zehn Tage außerhalb der Ferien in Z-Land lagen. Ob die Kinder im Sinne des Bundesfinanzhofs, Urteils in BFHE 247, 239, BStBl II 2015, 655, Rz 22, die ausbildungsfreien Zeiten zumindest überwiegend im Inland verbracht haben, hat das Finanzgericht weder festgestellt noch gewürdigt.

Ferner hat das Finanzgericht nicht festgestellt, ob die Kinder während des Streitzeitraums soziale oder persönliche Beziehungen am bisherigen Wohnort aufrechterhalten und bei ihren Inlandsaufenthalten weiter gepflegt haben.

Die Sache ist nicht spruchreif. Die Feststellungen des Finanzgericht lassen keine Beurteilung darüber zu, ob und gegebenenfalls wann die Kinder ihren Wohnsitz in der vom Vater angemieteten Zwischenwohnung begründet haben und ob sie ihn im gesamten Streitzeitraum beibehalten, zunächst beibehalten und später aufgegeben oder bereits im September 2015 aufgegeben und erst später, etwa im Juni 2017, wieder neu begründet haben. Das Finanzgericht hat die fehlenden tatsächlichen Feststellungen zum Vorliegen eines inländischen Wohnsitzes im zweiten Rechtsgang nachzuholen.

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Bundesfinanzhof, Urteil vom 28. April 2022 – III R 12/20

  1. z.B. BFH, Urteile vom 20.11.2008 – III R 53/05, BFH/NV 2009, 564; und vom 25.09.2014 – III R 10/14, BFHE 247, 239, BStBl II 2015, 655; BFH, Beschluss vom 19.09.2013 – III B 53/13, BFH/NV 2014, 38[]
  2. BFH, Urteil vom 25.07.2019 – III R 46/18, BFH/NV 2020, 208[]
  3. BFH, Urteil in BFH/NV 2020, 208 Rz 21[]
  4. FG Düsseldorf, Urteil vom 06.12.2018 – 14 K 1668/17 Kg[]
  5. zum Fehlen einer tragfähigen Tatsachengrundlage vgl. BFH, Urteil in BFHE 247, 239, BStBl II 2015, 655, Rz 28, m.w.N.[]
  6. BFH, Urteil in BFH/NV 2020, 208, Rz 14[]
  7. BFH, Urteil in BFHE 247, 239, BStBl II 2015, 655, Rz 28, m.w.N.[]
  8. BFH, Urteil in BFHE 247, 239, BStBl II 2015, 655, Rz 32, s.a. Avvento in Gosch, § 8 AO Rz 43[]

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