Anrechnung ausländischer Schenkungsteuer

Die nach Eintritt der Bestandskraft des deutschen Schenkungsteuerbescheids erfolgte Zahlung einer nach § 21 Abs. 1 ErbStG anrechenbaren ausländischen Steuer stellt ein rückwirkendes Ereignis im Sinne des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO dar, so dass der deutsche Schenkungsteuerbescheid gemäß § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO zu ändern ist.

Anrechnung ausländischer Schenkungsteuer

Die von dem schweizerischen Kanton Tessin festgesetzte und vom Erben gezahlte Schenkungsteuer ist nach § 21 ErbStG auf die (deutsche) Schenkungsteuer anzurechnen. Nach § 21 Abs. 1 Satz 1 ErbStG ist bei Erwerbern, die in einem ausländischen Staat mit ihrem Auslandsvermögen zu einer der deutschen Erbschaftsteuer entsprechenden Steuer –ausländische Steuer– herangezogen werden, in den Fällen des § 2 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG, sofern nicht die Vorschriften eines Abkommens zur Vermeidung der Doppelbesteuerung anzuwenden sind, auf Antrag die festgesetzte, auf den Erwerber entfallende, gezahlte und keinem Ermäßigungsanspruch unterliegende ausländische Steuer insoweit auf die deutsche Erbschaftsteuer anzurechnen, als das Auslandsvermögen auch der deutschen Erbschaftsteuer unterliegt. Die ausländische Steuer ist nach § 21 Abs. 1 Satz 4 ErbStG nur anrechenbar, wenn die deutsche Erbschaftsteuer für das Auslandsvermögen innerhalb von fünf Jahren seit dem Zeitpunkt der Entstehung der ausländischen Erbschaftsteuer entstanden ist. § 21 ErbStG gilt gemäß § 1 Abs. 2 ErbStG auch für Schenkungen unter Lebenden.

Im Streitfall ist der Tatbestand des § 21 ErbStG erfüllt. Der Kanton Tessin hat gegen den Kläger mit Bescheid vom 17. Dezember 2002 Schenkungsteuer für die Schenkungen vom 2. Mai 1994 und 31. Oktober 1994 festgesetzt. Der Kläger hat diese Steuer gezahlt und ihre Anrechnung beantragt. Die Schenkungsteuer unterfällt keinem Doppelbesteuerungsabkommen. Ferner ist die deutsche Schenkungsteuer innerhalb von fünf Jahren seit dem Zeitpunkt der Entstehung der tessinischen Schenkungsteuer entstanden.

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Die Schenkungsteuerbescheide vom 29. März 1995 sind gemäß § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO zu ändern. Denn bei der Zahlung der festgesetzten tessinischen Schenkungsteuer handelt es sich um ein rückwirkendes Ereignis.

Gemäß § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO ist ein Steuerbescheid zu erlassen, aufzuheben oder zu ändern, soweit ein Ereignis eintritt, das steuerliche Wirkung für die Vergangenheit hat (rückwirkendes Ereignis).

Zu den rückwirkenden Ereignissen zählen alle rechtlich bedeutsamen Vorgänge, aber auch tatsächliche Lebensvorgänge, die steuerlich –ungeachtet der zivilrechtlichen Wirkungen– in der Weise Rückwirkung entfalten, dass nunmehr der veränderte anstelle des zuvor verwirklichten Sachverhalts der Besteuerung zugrunde zu legen ist1. Ob einer nachträglichen Änderung des Sachverhalts rückwirkende steuerliche Bedeutung zukommt, bestimmt sich allein nach dem jeweils einschlägigen materiellen Recht2. § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO ist im Bereich der Erbschaft- und Schenkungsteuer nur dann anwendbar, wenn der Gesetzgeber vorsieht, dass einem nach der Entstehung der Steuer eintretenden Ereignis Wirkung für die Vergangenheit zukommt3.

Wird festgesetzte ausländische Steuer gezahlt, nachdem das Finanzamt die Erbschaft- oder Schenkungsteuer festgesetzt hat, kommt diesem Ereignis nach dem Willen des Gesetzgebers Wirkung für die Vergangenheit zu. Zwar ergibt sich dieser Wille des Gesetzgebers nicht unmittelbar aus dem Wortlaut des § 21 ErbStG, jedoch folgt er aus dessen materiell-rechtlichem Regelungsgehalt.

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§ 21 ErbStG hat den Sinn und Zweck, Überschneidungen im internationalen Besteuerungsbereich möglichst zu vermeiden4. Er will eine doppelte steuerliche Belastung von Erwerbern mit inländischer und ausländischer Steuer beseitigen bzw. mildern, indem die ausländische Steuer bei der deutschen Steuer anzurechnen ist. Diese Anrechnung erfolgt im Rahmen des Festsetzungsverfahrens5. Das Finanzamt kann die festgesetzte und gezahlte ausländische Steuer jedoch nur dann bei der Festsetzung der inländischen Steuer berücksichtigen, wenn die Zahlung der festgesetzten ausländischen Steuer Wirkung für die Vergangenheit hat. Denn die Erbschaftsteuer ist –beim Erwerb von Todes wegen– so festzusetzen, wie sie im Zeitpunkt des Todes des Erblassers entstanden ist (vgl. § 38 AO, § 9 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG)6. Dieser Zeitpunkt ist nach § 11 ErbStG zugleich für die Wertermittlung maßgeblich. Da eine ausländische Steuer denklogisch erst nach dem Tod des Erblassers festgesetzt und gezahlt worden sein kann, muss die Festsetzung und Zahlung der ausländischen Steuer auf den Zeitpunkt der Entstehung der Erbschaftsteuer im Moment des Todes des Erblassers zurückwirken7. Für die Schenkungsteuer kann hinsichtlich der Anwendbarkeit des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO nichts anderes gelten.

Im Übrigen ist nach ganz herrschender Meinung im Fall des § 34c EStG die Festsetzung und Zahlung ausländischer Steuer ein rückwirkendes Ereignis8. Es ist nicht erkennbar, weshalb die Zahlung festgesetzter ausländischer Steuer im Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuerrecht hiervon abweichend nicht als rückwirkendes Ereignis zu beurteilen sein sollte, zumal der Gesetzgeber § 21 ErbStG nach dem Vorbild des § 34c EStG geschaffen hat9.

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Die bis 20. Oktober 1995 bestehende Regelung in § 68c Abs. 1 EStDV 1955 rechtfertigt es nicht, die Zahlung festgesetzter ausländischer Steuer hinsichtlich der Frage, ob diese ein rückwirkendes Ereignis darstellt, einkommen- und erbschaftsteuerrechtlich unterschiedlich zu beurteilen10. Nach § 68c Abs. 1 EStDV war der für einen Veranlagungszeitraum erteilte Steuerbescheid zu ändern (Berichtigungsveranlagung), wenn eine ausländische Steuer, die auf die in diesem Veranlagungszeitraum bezogenen Einkünfte entfällt, nach Erteilung dieses Steuerbescheids erstmalig festgesetzt, nachträglich erhöht oder erstattet wurde und sich dadurch eine höhere oder niedrigere Veranlagung rechtfertigte. Diese Regelung hatte lediglich deklaratorischen Charakter. Der Gesetzgeber hat sie deshalb durch Art. 10 Nr. 12 des Jahressteuergesetzes 199611 aufgehoben. In der Gesetzesbegründung12 weist er darauf hin, dass die AO in § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 eine entsprechende Regelung enthalte.

Bundesfinanzhof, Urteil vom 22. September 2010 – II R 54/09

  1. BFH, Urteil vom 10.12.2008 – II R 55/07, BFHE 224, 285, BStBl II 2009, 473, m.w.N.[]
  2. BFH, Beschluss vom 19.07.1993 – GrS 2/92, BFHE 172, 66, BStBl II 1993, 897; BFH, Urteil in BFHE 224, 285, BStBl II 2009, 473, m.w.N.[]
  3. BFH, Urteil vom 18.10.2000 – II R 46/98, BFH/NV 2001, 420[]
  4. vgl. BFH, Urteil vom 26.06.1963 – II 196/61 U, BFHE 77, 227, BStBl III 1963, 402, zu § 9 ErbStG 1959, dem § 21 ErbStG entspricht[]
  5. vgl. R 24a der Erbschaftsteuer-Richtlinien 2003; Gebel in Troll/Gebel/Jülicher, ErbStG, Anh AO Rz 33; Billig, UVR 2010, 48, 50, m.w.N.[]
  6. Meincke, Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz, Kommentar, 15. Aufl., § 9 Rz 1[]
  7. vgl. auch Gebel, Internationales Steuerrecht 2001, 71, 76; sowie Billig, UVR 2010, 48, 50[]
  8. vgl. Schmidt/Heinicke, EStG, 29. Aufl., § 34c Rz 26; Blümich/ Wagner, § 34c EStG Rz 71; Szymczak in Koch/Scholtz, AO, 5. Aufl., § 175 Rz 12/2; siehe auch FG Baden-Württemberg, Urteil vom 05.06.2008 – 3 K 56/07[]
  9. vgl. Begründung der Bundesregierung zum Entwurf eines Zweiten Steuerreformgesetzes, BR-Drs. 140/72, S. 73; siehe ferner auch Begründung der Bundesregierung zum Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Erbschaftsteuergesetzes, BT-Drs. III/598, S. 8, zu § 8b Abs. 1; BFH, Urteil in BFHE 77, 227, BStBl III 1963, 402; jeweils zu der Vorgängerregelung des § 21 ErbStG in § 9 ErbStG 1959[]
  10. a.A. FG Düsseldorf, Urteil vom 21.08.1998 – 4 K 5740/94 Erb, EFG 1998, 1605[]
  11. BGBl I 1995, 1250[]
  12. BT-Drs. 13/901, S. 142[]
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