Prozesskostenhilfe für die Pflegeeltern?

Der Pflegeeltern zufließende Erziehungsbeitrag nach § 39 Abs. 1 Satz 2 SGB VIII ist Einkommen im Sinne der Prozess- bzw. Verfahrenskostenhilfe.

Prozesskostenhilfe für die Pflegeeltern?

In dem hier vom Bundesgerichtshof entschiedenen – eine Güterrechtssache betreffenden – Verfahrenskostenhilfeverfahren geht es um die Frage, ob ein nach § 39 Abs. 1 Satz 2 SGB VIII gezahlter „Erziehungsbeitrag“ als Einkommen der Pflegeeltern im Sinne des Verfahrenskostenhilferechts anzusehen ist.

Das Amtsgericht Fürth hat das von der Antragstellerin für ihr Pflegekind bezogene Pflegegeld in Höhe des darin enthaltenen Erziehungsbeitrags von 300 € als Einkommen berücksichtigt und aufgrund eines von ihm errechneten einsetzbaren Einkommens von 140, 45 € eine Ratenzahlung von monatlich 70 € festgesetzt1. Das Oberlandesgericht Nürnberg hat die Beschwerde der Antragstellerin zurückgewiesen2. Dagegen richtet sich deren zugelassene Rechtsbeschwerde, mit der sie die Bewilligung ratenfreier Verfahrenskostenhilfe erstrebt, die aber vor dem Bundesgerichtshof ebenfalls ohne Erfolg bleibt:

Das Oberlandesgericht hat zur Begründung auf Entscheidungen eines anderen Bundesgerichtshofs sowie anderer Oberlandesgerichte Bezug genommen. Nach diesen sei der sogenannte Erziehungsbeitrag nach § 39 Abs. 1 Satz 2 SGB VIII als Einkommen zu werten, da er das durch die öffentliche Hand erbrachte Entgelt für den mit Betreuung und Erziehung verbundenen Arbeits- und Zeitaufwand darstelle. Für eine Ausnahme lägen keine Gründe vor. Im Unterschied zu nach anderen Sozialgesetzen gewährtem Pflegegeld (vgl. § 13 Abs. 5 und 6 SGB XI) fehle es beim Erziehungsbeitrag des Pflegegeldes nach § 39 SGB VIII an einer besonderen gesetzlichen Ausnahme von der Einkommensberücksichtigung.

Dies hält rechtlicher Nachprüfung im Ergebnis stand.

Ob ein von Pflegeeltern bezogener sogenannter Erziehungsbeitrag3 als Bestanteil des sogenannten Pflegegelds nach § 39 Abs. 1 SGB VIII im Rahmen der Verfahrenskostenhilfe nach § 113 Abs. 1 Satz 2 FamFG iVm § 115 Abs. 1 Satz 2 ZPO als Einkommen zu berücksichtigen ist, ist umstritten.

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Zum Teil wird vertreten, Pflegegeld sei (auch) hinsichtlich des Erziehungsbeitrags grundsätzlich kein einzusetzendes Einkommen der Pflegeeltern4.

Nach überwiegender Meinung ist das Pflegegeld hinsichtlich des Erziehungsbeitrags als einzusetzendes Einkommen der Pflegeeltern anzusehen5.

Nach zutreffender Auffassung ist der den Pflegeeltern zufließende Erziehungsbeitrag nach § 39 Abs. 1 Satz 2 SGB VIII Einkommen im Sinne des Prozess- bzw. Verfahrenskostenhilferechts.

Nach § 113 Abs. 1 Satz 2 FamFG iVm § 115 Abs. 1 Satz 2 ZPO gehören zum Einkommen im Sinne der Verfahrenskostenhilfe alle Einkünfte in Geld oder Geldeswert. Der Bundesgerichtshof hat wiederholt darauf hingewiesen, dass diese Definition mit derjenigen des § 82 Abs. 1 SGB XII wörtlich übereinstimmt und zudem hinsichtlich der vom Einkommen vorzunehmenden Abzüge in § 115 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 ZPO auf § 82 Abs. 2 SGB XII verwiesen wird. Daraus wird deutlich, dass der Einkommensbegriff des § 115 Abs. 1 ZPO an denjenigen des Sozialhilferechts anknüpft. Dies erklärt sich auch daraus, dass Prozess- bzw. Verfahrenskostenhilfe eine Form der Sozialhilfe im Bereich der Rechtspflege darstellt6.

Bei dem von den Pflegeeltern bezogenen Erziehungsbeitrag nach § 39 Abs. 1 Satz 2 SGB VIII handelt es sich um Einkommen im Sinne von § 115 Abs. 1 Satz 1 und 2 ZPO.

Gemäß § 27 Abs. 1 SGB VIII hat ein Personensorgeberechtigter bei der Erziehung eines Kindes Anspruch auf Hilfe (Hilfe zur Erziehung), wenn eine dem Wohl des Kindes entsprechende Erziehung nicht gewährleistet ist und die Hilfe für seine Entwicklung geeignet und notwendig ist. Hilfe zur Erziehung wird insbesondere nach Maßgabe der §§ 28 bis 35 SGB VIII erbracht (§ 27 Abs. 2 Satz 1 SGB VIII). Wird Hilfe durch Vollzeitpflege nach § 33 SGB VIII gewährt, ist auch der notwendige Unterhalt des Kindes außerhalb des Elternhauses sicherzustellen (§ 39 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII). Der notwendige Unterhalt umfasst die Kosten für den Sachaufwand sowie für die Pflege und Erziehung des Kindes (§ 39 Abs. 1 Satz 2 SGB VIII). Anspruchsinhaber hinsichtlich der im Annex zur Jugendhilfe als Sach- bzw. Dienstleistung stehenden sogenannten wirtschaftlichen Leistung ist der Personensorgeberechtigte7.

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Zwar wird das Pflegegeld in der Praxis regelmäßig statt des Anspruchsinhabers – etwa aufgrund einer Abtretung – unmittelbar den Pflegepersonen bewilligt und an diese gezahlt. Die Pflegeeltern sind als solche aber weder Adressaten der bedarfsabhängingen Kinder- und Jugendhilfeleistung noch Berechtigte des Anspruchs aus § 39 SGB VIII8. Ihrer Tätigkeit liegt vielmehr regelmäßig eine Vereinbarung mit dem Jugendamt bzw. Jugendhilfeträger zugrunde. Der Erziehungsbeitrag stellt mithin keine an die Pflegepersonen als Berechtigte erbrachte Sozialleistung dar, sondern seinem Verwendungszweck entsprechend eine an diese zur Abgeltung der von ihnen geleisteten Betreuung und Erziehung weitergeleitete Leistung9. Deren Entgeltcharakter wird noch deutlicher, wenn die Pflegeeltern – etwa heil- oder sonderpädagogisch – besonders qualifiziert sind und für ihre Tätigkeit nach den Vorstellungen des Gesetzgebers höhere, an tariflichen Vergütungen orientierte Sätze bewilligt werden sollen10. Dass daraus einkommensteuerrechtlich grundsätzlich noch keine erwerbsmäßige Ausübung der Pflege folgt und das Einkommen als nach § 3 Nr. 11 EStG steuerfreie Beihilfe anzusehen ist11, steht dem nicht entgegen, weil insoweit weder das Prozesskostenhilfe- noch das Sozialhilferecht eine dem Steuerrecht vergleichbare Einschränkung des berücksichtigungsfähigen Einkommens vorsieht.

Eine besondere Einschränkung der Berücksichtigung des Erziehungsbeitrags bei der Einkommensermittlung für andere Sozialleistungen12 sieht das Achte Buch Sozialgesetzbuch nicht vor. Die Regelung in § 11 a Abs. 3 SGB II13 ist auf die Einkommensermittlung im Prozesskostenhilferecht nicht anwendbar14. Denn dieses verweist auf die Sozialhilfe als Referenzsystem, das eine § 11 a Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 SGB II entsprechende Regelung nicht enthält. Der Bundesgerichtshof hat vergleichbar auch in anderem Zusammenhang die Übertragung von sich aus dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch ergebenden Privilegierungen auf das Prozesskostenhilferecht abgelehnt15.

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Auch eine entsprechende Anwendbarkeit von § 83 Abs. 1 SGB XII stünde der Berücksichtigung des Erziehungsbeitrags als Einkommen der Pflegeeltern nicht entgegen16.

Gemäß § 83 Abs. 1 SGB XII sind Leistungen, die auf Grund öffentlichrechtlicher Vorschriften zu einem ausdrücklich genannten Zweck erbracht werden, nur so weit als Einkommen zu berücksichtigen, als die Sozialhilfe im Einzelfall demselben Zweck dient. Ob die Leistungen zweckidentisch oder -verschieden sind, kann aber nur von Bedeutung sein, wenn sie sich an dieselbe Person als Anspruchsberechtige richten. Das ist im vorliegenden Zusammenhang nicht der Fall.

Der Zweck des Erziehungsbeitrags besteht in der Befriedigung des bei dem Kind bestehenden Unterhaltsbedarfs, der – angelehnt an den bürgerlichrechtlichen Unterhaltsbegriff – neben dem sächlichen Bedarf auch den Betreuungs- und Erziehungsbedarf umfasst17. Entsprechend der auf den Kindesbedarf bezogenen Zwecksetzung des Anspruchs auf Kinder- und Jugendhilfe steht der Anspruch im Interesse des Kindes dem Personensorgeberechtigten zu. Der Erziehungsbeitrag soll diesem als wirtschaftliche (Annex-)Leistung ermöglichen, die im Rahmen der Kinder- und Jugendhilfe primär geschuldeten Leistungen der Betreuung und Erziehung des Kindes als Dienstleistung zu beschaffen18. Die Einschränkung der Anrechnung von Leistungen soll dementsprechend vermeiden, dass diese für den mit der Leistung verfolgten Zweck – ganz oder teilweise – nicht zur Verfügung stehen. Eine solche Beeinträchtigung des mit dem Erziehungsbeitrag verfolgten Zwecks ist beim unmittelbaren Bezug des Erziehungsbeitrags durch die Pflegeeltern ausgeschlossen. Da diese nicht Anspruchsberechtigte der Kinder- und Jugendhilfe sind, sondern die Leistung an die – etwa aufgrund einer entsprechenden Abtretung seitens des Personensorgeberechtigten – lediglich weitergeleitet wird, wird mit der Bewilligung des Erziehungsbeitrags ihnen gegenüber naturgemäß kein über die Erfüllung der vertraglichen Verpflichtung hinausgehender Leistungszweck verfolgt. Der Erziehungsbeitrag stellt mithin in Bezug auf die Pflegeeltern ungeachtet der Frage, ob er insoweit ausreichend bemessen ist, das Äquivalent der von diesen erbrachten Betreuungs- und Erziehungsleistungen und keine Sozialleistung an sie dar. Der gesetzliche Zweck des Erziehungsbeitrags kann daher durch die unmittelbare Zahlung bzw. Weiterleitung an die Pflegeeltern nicht gefährdet werden, sondern wird – im Gegenteil – infolge der so beschafften Pflegeleistung gerade verwirklicht.

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Soweit im Rahmen der Betreuung und Erziehung Bedarf an weiteren (Dienst-)Leistungen auftritt, die von den Pflegeeltern nicht persönlich erbracht werden (können), ist insoweit ein entsprechender Mehrbedarf gegeben, der zusätzlich zu übernehmen ist19. Andere in diesem Zusammenhang angeführte Verwendungen des Pflegegelds20 sind bereits Bestandteil des Sachaufwands21. Dieser ist im vorliegenden Fall entsprechend den Empfehlungen des Bayerischen Landkreistags nach der Doppelten des um das hälftige Kindergeld gekürzten Mindestunterhalts der jeweiligen Altersstufe des Kindes bemessen.

Der Erziehungsbeitrag dient somit im Verhältnis zu den Pflegeeltern als Entgelt für die von ihnen erbrachten Erziehungs- und Pflegeleistungen und steht ihnen zur freien Verfügung. Das Argument, der Erziehungsbeitrag und die jeweilige Sozialleistung (hier: die Prozess- bzw. Verfahrenskostenhilfe) dienten unterschiedlichen Zwecken, ist dagegen schon deshalb nicht aussagekräftig, weil Erziehungsbeitrag und Prozess- bzw. Verfahrenskostenhilfe für verschiedene Anspruchsberechtigte geleistet werden. Da die Berücksichtigung des Erziehungsbeitrags als Einkommen der Pflegeeltern den Zweck der Kinder- und Jugendhilfeleistung mithin nicht beeinträchtigen kann, besteht kein Grund, diesen von der verfahrenskostenhilferechtlichen Einkommensberücksichtigung auszunehmen.

Bundesgerichtshof, Beschluss vom 9. Dezember 2020 – XII ZB 191/19

  1. AG Fürth, Beschluss vom 11.02.2019 – 205 F 30/19[]
  2. OLG Nürnberg, Beschluss vom 10.04.2019 – 9 WF 348/19[]
  3. Kosten für die Pflege und Erziehung des Kindes[]
  4. OLG Hamm FamRZ 2019, 815, 816; OLG Stuttgart FamRZ 2017, 1587, 1588; Prütting/Helms/Dürbeck FamFG 5. Aufl. § 76 Rn. 26; BeckOK ZPO/Reichling [Stand: 1.09.2020] § 115 Rn. 18[]
  5. OLG Bamberg FamRZ 2020, 1569; OLG Bremen FamRZ 2013, 1755, 1756; OLG Nürnberg FamRZ 2010, 1361; OLG Brandenburg Beschluss vom 12.06.2009 – 9 WF 170/09 2; OLG Karlsruhe FamRZ 2004, 645, 646; OVG Münster Beschluss vom 16.12.2013 – 12 A 1731/13 6; Zöller/Schultzky ZPO 33. Aufl. § 115 Rn. 23; Schürmann in Rahm/Künkel Handbuch Familien- und Familienverfahrensrecht 81. Lieferung 09.2020 Formelle Voraussetzungen der VKH-Gewährung Rn. 298[]
  6. vgl. BGH, Beschlüsse vom 14.12.2016 – XII ZB 207/15 , FamRZ 2017, 633 Rn. 7 mwN; und vom 26.01.2005 – XII ZB 234/03 , FamRZ 2005, 605[]
  7. BVerwG FamRZ 1998, 551; OVG Lüneburg ZKJ 2015, 435; vgl. BVerwGE 151, 44 = FamRZ 2015, 659, 660[]
  8. vgl. BayVGH ZKJ 2014, 297 m. Anm. Wiesner[]
  9. zutreffend OLG Karlsruhe FamRZ 2004, 645, 646[]
  10. vgl. BT-Drs. 11/5948 S. 77[]
  11. vgl. BFH Urteil vom 14.07.2020 – VIII R 27/18 19 ff. mwN[]
  12. vgl. etwa § 13 Abs. 5 SGB XI und § 10 Abs. 1 BEEG) ((vgl. BGH, Beschluss vom 20.05.2020 – XII ZB 537/19 , FamRZ 2020, 1284 Rn. 13 ff.[]
  13. vgl. BSG NZS 2008, 100, 103[]
  14. Schürmann in Rahm/Künkel Handbuch Familien- und Familienverfahrensrecht 81. Lieferung 09.2020 Formelle Voraussetzungen der VKH-Gewährung Rn. 298[]
  15. vgl. BGH, Beschluss vom 05.05.2010 – XII ZB 65/10 , FamRZ 2010, 1324 Rn. 13 f. zum Mehrbedarfszuschlag für Alleinerziehende[]
  16. aA OVG Münster FamRZ 1996, 900 zu § 77 BSHG; Tammen in Münder/Meysen/Trenczek Frankfurter Kommentar SGB VIII 8. Aufl. § 39 Rn. 8 mwN; jurisPK-SGB VIII/v. Koppenfels-Spies [Stand: 2.06.2020] § 39 Rn. 49[]
  17. vgl. BT-Drs. 11/5948 S. 76; Staudinger/Klinkhammer BGB [2018] § 1610 Rn. 34[]
  18. vgl. BT-Drs. 11/5948 S. 76[]
  19. vgl. OVG Münster ZKJ 2015, 203, 204 f. zur Begleitung des Kindes zur Kindestagesstätte als zusätzlicher Sachaufwand[]
  20. so etwa die Beschaffung von Spielzeug, Büchern, Musikinstrumenten und Sportgeräten; vgl. BSG NZS 2008, 100, 103[]
  21. vgl. Emp- fehlungen des Deutschen Vereins zur Fortschreibung der Pauschalbeträge in der Vollzeitpflege [§§ 33, 39 SGB VIII] für das Jahr 2021[]
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