Grenzbetragsberechnung für volljährige Kinder beim Kindergeld

Die Einkünfte und Bezüge des Kindes sind im Hinblick auf den Grenzbetrag (§ 32 Abs. 4 Satz 2 EStG) weder um die aus dem Arbeitslohn erbrachten Sparbeiträge des Kindes noch um die als Einnahmen aus nichtselbständiger Arbeit erfassten Arbeitgeberbeiträge zu den vermögenswirksamen Leistungen zu kürzen. Prämien für eine private Haftpflichtversicherung können bei der Grenzbetragsberechnung ebenfalls nicht abgezogen werden.

Grenzbetragsberechnung für volljährige Kinder beim Kindergeld

Nach § 32 Abs. 4 Satz 2, § 63 EStG wird im Streitjahr 2003 ein Kind zwischen der Vollendung des 18. und des 27. Lebensjahres für die Festsetzung von Kindergeld nur dann berücksichtigt, wenn es zur Bestreitung des Unterhalts oder der Berufsausbildung bestimmte oder geeignete Einkünfte und Bezüge von nicht mehr als 7.188 EUR im Kalenderjahr hat.

Der Begriff der Einkünfte entspricht dem in § 2 Abs. 2 EStG gesetzlich definierten Begriff und ist je nach Einkunftsart als Gewinn oder als Überschuss der Einnahmen über die Werbungskosten zu verstehen. Erzielt das Kind Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit, sind daher von den Bruttoeinnahmen die Werbungskosten abzuziehen1.

Nach dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts2 ist § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG verfassungskonform dahin auszulegen, dass sich der Relativsatz „die zur Bestreitung des Unterhalts oder der Berufsausbildung bestimmt oder geeignet sind“ nicht nur auf Bezüge, sondern auch auf Einkünfte des Kindes bezieht. Nicht als Einkünfte anzusetzen sind deshalb Beträge, die – wie die gesetzlichen Sozialversicherungsbeiträge – dem Einkünfte erzielenden Kind oder dessen Eltern nicht zur Verfügung stehen und deshalb die Eltern finanziell nicht entlasten können3.

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Vermögenswirksame Leistungen sind Geldleistungen, die der Arbeitgeber hier der Ausbildungsbetrieb- für den Arbeitnehmer anlegt; sie sind insgesamt, d.h. auch soweit sie auf einem vom Arbeitgeber zusätzlich zum an sich geschuldeten Lohn gezahlten Zuschuss beruhen (§ 10 5. VermBG), arbeitsrechtlich Bestandteil des Lohns oder Gehalts, gehören gemäß § 2 Abs. 6 Satz 1 5. VermBG im Sinne der Sozialversicherung und des Dritten Buches Sozialgesetzbuch zum Arbeitsentgelt und steuerrechtlich zu den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit (§ 19 EStG).

Die Einkünfte und Bezüge sind nicht um die aus dem Arbeitslohn erbrachten Sparbeiträge der Tochter (§ 11 5. VermBG) zu kürzen. Denn es besteht weder eine gesetzliche Verpflichtung zum vermögenswirksamen Sparen noch ist dieses für eine der gesetzlichen Sozialversicherung entsprechende existentielle Absicherung erforderlich4. Für die Entscheidung, ob Einkünfte dem Kind von Gesetzes wegen nicht zur Verfügung stehen, ist maßgeblich, ob sich das Kind der Zahlung aufgrund einer gesetzlichen Verpflichtung nicht entziehen kann und nicht, ob die Beträge vom Arbeitgeber einzubehalten sind5.

Auch sind die bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit zu erfassenden Arbeitgeberbeiträge in die Bemessungsgröße für den Jahresgrenzbetrag (§ 32 Abs. 4 Satz 2 EStG) einzubeziehen.

Ungeachtet der sich aus dem 5. VermBG oder dem Anlagevertrag ergebenden Sperrfrist ist es nicht im Sinne des BVerfG-Beschlusses2 ausgeschlossen, dass die Arbeitgeberbeiträge für Unterhalt und Ausbildung des Kindes verwendet werden können und deshalb die Eltern finanziell entlasten. Denn die Arbeitgeberbeiträge fließen dem Kind aufgrund seiner – freiwilligen – Entscheidung zum vermögenswirksamen Sparen zu und werden nicht aufgrund gesetzlicher Verpflichtung abgezogen.

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Würden die Arbeitgeberbeiträge wegen der Sperrfrist nicht in die Bemessungsgröße für den Jahresgrenzbetrag einbezogen, so entstünde zudem eine mit Art. 3 Abs. 1 GG nicht zu vereinbarende Ungleichbehandlung mit den Fällen, in denen Kinder keinen Arbeitgeberbeitrag, aber dafür eine entsprechend höhere Ausbildungsvergütung erhalten und aufgrund eines Anlagevertrages mit einer vereinbarten Sperrfrist monatlich denselben Betrag sparen, wie er für die Tochter des Klägers aus ihrem Arbeitslohn zuzüglich dem Arbeitgeberbeitrag abgeführt wird. Denn bei diesen Kindern könnte der gesamte Sparbeitrag im Rahmen der Prüfung, ob die Einkünfte und Bezüge den Jahresgrenzbetrag überschreiten, nicht abgezogen werden6. Die Tochter des Klägers hat sich demgegenüber für ein durch zusätzliche Arbeitgeberbeiträge gefördertes vermögenswirksames Sparen entschieden, das sie als insgesamt vorteilhaft beurteilt hat.

Die vom Arbeitgeber zusätzlich zu dem ansonsten geschuldeten Lohn erbrachten vermögenswirksamen Leistungen sind im Übrigen zwar – wie auch die Sparbeiträge des Arbeitnehmers – insofern „eingefroren“, als der Arbeitnehmer verpflichtet ist, bis zum Ablauf der Sperrfrist nicht über die Anlage zu verfügen (z.B. § 4 Abs. 2, § 8 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 5. VermBG). Diese Verpflichtung entfällt aber unter besonderen Voraussetzungen wie z.B. einer Eheschließung, einer mehr als ein Jahr andauernden Arbeitslosigkeit oder einer Verwendung des Erlöses für die eigene Weiterbildung (z.B. § 4 Abs. 4, § 8 Abs. 3 5. VermBG). Durch die Sperrfrist wird zudem die Kündigung des Vertrages und die Verfügung über das Guthaben nicht ausgeschlossen; die vorzeitige Kündigung lässt lediglich den Anspruch auf Gewährung der ArbeitnehmerSparzulage entfallen (§ 13 Abs. 4, § 14 Abs. 5 5. VermBG). Daher ist es möglich, den Sparvertrag zu kündigen und die vermögenswirksamen Leistungen einschließlich der Arbeitgeberbeiträge für den Unterhalt und die Berufsausbildung des Einkünfte erzielenden Kindes zu verwenden.

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Dem steht das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 13. April 20057 nicht entgegen, wonach Zusatzleistungen des Arbeitgebers wegen ihrer Zweckgebundenheit für die Vermögensanlage bei der Unterhaltsbemessung anrechnungsfrei bleiben. Denn dies beruht auf besonderen Wertungen des Unterhaltsrechts, aufgrund derer z.B. auch aus überobligatorischer Tätigkeit erzielte oder die Lebensverhältnisse nicht prägende Einkünfte unberücksichtigt bleiben können, und die sich auf § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG nicht übertragen lassen.

Die Aufwendungen der sozialversicherungspflichtigen Tochter für ihre Unfall, Lebens- und Rentenversicherungsverträge können bei der Ermittlung der Einkünfte und Bezüge nach § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG ebenfalls nicht abgezogen werden8.

Die Aufwendungen für die private Haftpflichtversicherung der Tochter sind wie die Kosten für eine Kfz-Haftpflichtversicherung9- ebenfalls nicht abziehbar. Haftpflichtversicherungen gehören zwar zur Daseinsvorsorge, der Schutz gegen eine Belastung mit existenzgefährdenden Schadensersatzverpflichtungen wird jedoch auch durch §§ 850 ff. ZPO gewährleistet. Da keine gesetzliche Verpflichtung zum Abschluss einer Haftpflichtversicherung besteht, liegt im fehlenden Abzug der Prämien kein Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG.

Die vom Arbeitslohn der Tochter einbehaltene Lohnsteuer und Kirchensteuer sind bei der Prüfung, ob ihre Einkünfte und Bezüge den Jahresgrenzbetrag überschreiten, nicht abzuziehen9.

Die gesetzliche Ausgestaltung des Grenzbetrages als Freigrenze ohne Übergangs- oder Härtefallregelung ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden10.

Bundesfinanzhof, Urteil vom 22. September 2011 – III R 23/09

  1. BFH, Urteil vom 09.06.2011 – III R 28/09, BFH/NV 2011, 1597[]
  2. BVerfG, Beschluss in BVerfGE 112, 164, BFH/NV 2005, Beilage 3, 260[][]
  3. BFH, Urteile vom 14.12.2006 – III R 24/06, BFHE 216, 225, BStBl II 2007, 530 – Beiträge eines beihilfeberechtigten Kindes für eine private Kranken- und Pflegeversicherung; vom 26.09.2007 – III R 4/07, BFHE 219, 112, BStBl II 2008, 738 – Lohnsteuer, Kirchensteuer, Beiträge zu einer privaten Zusatzkrankenversicherung und einer privaten Rentenversicherung[]
  4. z.B. BFH, Urteil in BFHE in 216, 225, BStBl II 2007, 530[]
  5. BFH, Urteil vom 17.06.2010 – III R 63/09, BFH/NV 2010, 2047 – Beiträge zur VBL-Pflichtversicherung[]
  6. vgl. BFH, Urteile in BFHE 219, 112, BStBl II 2008, 738 private Rentenversicherung; vom 17.06.2010 – III R 59/09, BFHE 230, 142, BStBl II 2011, 121 VBL-Beiträge[]
  7. BGH, Urteil vom 13.04.2005 – XII ZR 273/02, BGHZ 162, 384[]
  8. BFH, Urteile vom 29.05.2008 – III R 33/06, BFH/NV 2008, 1664; vom 21.10.2010 – III R 18/10, BFH/NV 2011, 251[]
  9. BFH, Urteil in BFHE 219, 112, BStBl II 2008, 738[][]
  10. BFH, Urteil vom 07.04.2011 – III R 72/07, BFHE 233, 449[]
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