Rechtsschutzbedürfnis des außenstehenden Aktionärs und der squeeze-out

Einem außenstehenden Aktionär fehlt das Rechtsschutzbedürfnis für die Durchführung eines Spruchverfahrens zur Überprüfung der Angemessenheit der in einem Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag bestimmten Kompensationsleistungen, wenn die Übertragung seiner Aktien auf den Hauptaktionär aufgrund eines in derselben Hauptversammlung wie die Zustimmung zum Unternehmensvertrag beschlossenen Übertragungsbeschlusses vor Ablauf eines Geschäftsjahres wirksam und die Angemessenheit der im Übertragungsbeschluss bestimmten Abfindung in einem anderen Spruchverfahren mit demselben Antragsgegner gerichtlich überprüft wird.

Rechtsschutzbedürfnis des außenstehenden Aktionärs und der squeeze-out

Der Antrag auf Durchführung eines Spruchverfahrens ist unzulässig, wenn ein Rechtsschutzbedürfnis fehlt.

Die Zulässigkeit des Antrags auf Durchführung eines Spruchverfahrens hängt wie bei jedem Antrag auf Durchführung eines gerichtlichen Verfahrens vom Bestehen eines Rechtsschutzbedürfnisses ab.((Leuering in Simon, SpruchG, § 4 Rn. 61; Wasmann in Kölner Kommentar, SpruchG, Vorb. §§ 1 ff. Rn. 15; Klöcker/Frowein, SpruchG, § 3 Rn. 26; Fritzsche/Dreier/Verfürth, SpruchG, § 3 Rn. 4 und § 9 Rn. 31;)) Dies gilt auch für die Rechtslage vor Inkrafttreten des SpruchG am 01.09.2003.((Emmerich in Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, 2. Aufl., § 306 AktG Rn. 10; Koppensteiner in Kölner Kommentar, AktG, 2. Aufl., § 306 Rn. 4; Bilda in MünchKomm-AktG, 2. Aufl., § 306 Rn. 67.))

Das Rechtsschutzbedürfnis für die Durchführung eines Spruchverfahrens folgt zwar im Regelfall aus der Antragsberechtigung des Antragstellers, es kann aber im Einzelfall trotz Antragsberechtigung fehlen.

Ein fehlendes Rechtsschutzbedürfnis kommt zwar in erster Linie bei rechtsmissbräuchlicher Antragstellung1 in Betracht; daneben sind aber auch andere Konstellationen denkbar.((Vgl. Bilda in MünchKomm-AktG, 2. Aufl., § 306 Rn. 67; Emmerich in Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, 2. Aufl., § 306 AktG Rn. 10; Wasmann in Kölner Kommentar, SpruchG, Vorb. §§ 1 ff. Rn.06.))

Anerkannt ist das Fehlen eines Rechtsschutzbedürfnisses, wenn kein berechtigtes Interesse des Antragstellers an einer gerichtlichen Bestimmung angemessener Kompensationsleistungen erkennbar ist, beispielsweise wenn ein Unternehmensvertrag vor Ablauf der Antragsfrist im Spruchverfahren beendet und bis dahin nicht in Vollzug gesetzt wird.((Bilda in MünchKomm-AktG, 2. Aufl., § 306 Rn. 67; Koppensteiner in Kölner Kommentar, AktG, 2. Aufl., § 306 Rn. 19.)) Dies entspricht dem allgemeinen Grundsatz, dass das Rechtsschutzbedürfnis bei objektiv sinnlosen Anträgen fehlt, an deren Bescheidung der Antragsteller kein schutzwürdiges Interesse haben kann.((Vgl. allgemein Greger in Zöller, ZPO, 28. Aufl., Vor § 253 Rn. 18.)) Dementsprechend ist auch für die Antragstellung im Spruchverfahren ein Rechtsschutzbedürfnis zu verneinen, wenn der Antragsteller kein schutzwürdiges Interesse an einer gerichtlichen Bestimmung der angemessenen Kompensationsleistung hat.

Danach hat das Landgericht zu Recht ein Rechtschutzbedürfnis des Antragstellers hinsichtlich der Bestimmung eines angemessenen Ausgleichs aus Anlass des Unternehmensvertrags verneint.

Beanspruchen kann den Ausgleich nach § 304 AktG grundsätzlich nur, wer bei Entstehung des Ausgleichsanspruchs Aktionär des abhängigen Unternehmens ist.((Paulsen in MünchKomm-AktG, 3. Aufl., § 304 Rn. 35; Veil in Spindler/Stilz, AktG, 2. Aufl., § 304 Rn. 15; Emmerich in Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, 6. Aufl., § 304 AktG Rn. 22; Stephan in Schmidt/Lutter, AktG, 2. Aufl., § 304 Rn. 22; Geßler in Geßler/Hefermehl, AktG, § 304 Rn. 22; Koppensteiner in Kölner Kommentar, AktG, 3. Aufl., § 304 Rn. 17.))

Der Antragsteller hat seine Aktionärsstellung jedoch vor der Entstehung eines Ausgleichsanspruchs aus dem Unternehmensvertrag durch die Eintragung des Übertragungsbeschlusses am 14.01.2003 verloren. Deshalb steht ihm weder ein vollständiger noch eine anteiliger Ausgleich zu. Er hat daher auch kein schutzwürdiges Interesse an der gerichtlichen Überprüfung der Angemessenheit des im Unternehmensvertrag bestimmten Ausgleichs.

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Veräußert der Aktionär seine Aktien vor Ablauf des Geschäftsjahres, für welches der Ausgleich geschuldet wird, kann er keinen Ausgleich beanspruchen; der Ausgleichsanspruch steht in diesem Fall dem Erwerber zu.((Paulsen in MünchKomm-AktG, 3. Aufl., § 304 Rn. 35; Veil in Spindler/Stilz, AktG, 2. Aufl., § 304 Rn. 29; Emmerich in Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, 6. Aufl., § 304 AktG Rn. 22;Stephan in Schmidt/Lutter, AktG, 2. Aufl., § 304 Rn. 22.))

Im Fall des unfreiwilligen Verlustes der Aktionärsstellung durch Eintragung des Übertragungsbeschlusses gilt im Ergebnis nichts Anderes.

Ein (anteiliger) Ausgleich stünde dem Antragsteller nur dann zu, wenn der Ausgleichsanspruch schon mit dem Abschluss des Unternehmensvertrages oder mit seinem Wirksamwerden durch Eintragung des Zustimmungsbeschlusses im Handelsregister entstünde.

Der Ausgleichsanspruch entsteht hier jedoch frühestens nach der ordentlichen Hauptversammlung für das Geschäftsjahr, für das der Ausgleich geschuldet ist. § 4 Abs. 1 Satz 2 des Unternehmensvertrages regelt zwar nur die Fälligkeit des Ausgleichs; mangels abweichender Bestimmung im Vertrag ist die Regelung aber dahin auszulegen, dass der Ausgleichsanspruch im selben Zeitpunkt erst entstehen soll, weil dies der Regelung des § 271 Abs. 1 BGB entspricht, wonach Entstehung und Fälligkeit regelmäßig zusammenfallen.((Vgl. OLG Frankfurt, AG 2010, 408; zur Gleichsetzung von Entstehung und Fälligkeit des Ausgleichsanspruchs auch Stephan in Schmidt/Lutter, AktG, 2. Aufl., § 304 Rn. 21 und Veil in Spindler/Stilz, AktG, 2. Aufl., § 304 Rn. 13 und 34.))

Gegen die Zulässigkeit dieser Regelung bestehen keine Bedenken. Die Dividendenersatzfunktion des Ausgleichs spricht gegen die Entstehung eines Ausgleichsanspruchs vor der ordentlichen Hauptversammlung für das Geschäftsjahr, für das der Ausgleich geschuldet ist; vor diesem Hintergrund entsteht der Ausgleichsanspruch jeweils erst nach Ablauf jedes Geschäftsjahres mit der entsprechenden ordentlichen Hauptversammlung der abhängigen Gesellschaft.((BGH, Urteil vom 19.04.2011 – II 244/09 [Rn. 12 f.]; so schon die Vorinstanz OLG Frankfurt, Urteil vom 29.09.2009 – 5 U 69/08; und OLG Frankfurt, AG 2010, 408.))

Fehl geht der Einwand des Antragstellers, nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs könne ihm der Verlust seiner Aktionärsstellung durch eine weitere Umstrukturierungsmaßnahme nicht entgegen gehalten werden. Die insoweit in Bezug genommene Entscheidung des Bundesgerichtshofs beruht auf der Feststellung, dass dem Aktionär bereits entstandene Kompensationsansprüche nicht durch eine weitere Strukturmaßnahme genommen werden dürfen, wenn diese zwar ihrerseits Kompensationsansprüche auslöst, die Höhe der Kompensationsleistungen aber wegen unterschiedlichen Bewertungsstichtagen für die Aktionäre im einen Fall günstiger und im anderen Fall ungünstiger sein kann.((BGHZ 147, 108.)) Diese Gefahr besteht hier indessen nicht, weil sich sowohl die Abfindung für die Übertragung der Aktien (vgl. § 327b Abs. 1 Satz 1 AktG) als auch Ausgleich und Abfindung wegen des Unternehmensvertrages2 nach den Verhältnissen der Gesellschaft zum Zeitpunkt der Beschlussfassung der Hauptversammlung am 12.09.2002 richten.

Der Antragsteller kann sich auch nicht auf § 4 Abs. 2 Satz 2 des Unternehmensvertrags berufen, der den außenstehenden Aktionären für den Fall der unterjährigen Beendigung des Unternehmensvertrages einen zeitanteiligen Ausgleichsanspruch gewährt. Die Übertragung der Aktien auf den Hauptaktionär steht dem nicht gleich, da sie anders als beispielsweise eine Eingliederung3 nicht zur Beendigung des Unternehmensvertrages führt, sondern nur die Zusammensetzung der Aktionäre ändert.((OLG Frankfurt, AG 2010, 408; OLG Frankfurt, AG 2010, 308, OLG Köln, AG 2010, 336; OLG Köln, AG 2010, 802]; OLG Hamm, AG 2010, 787; ebenso OLG München, ZIP 2007, 582, die Nichtzulassungsbeschwerde gegen diese Entscheidung wurde vom BGH unter II ZR 246/06 zurückgewiesen.))

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Schließlich gebieten die schutzwürdigen Interessen des Antragstellers auch dann nicht die Durchführung eines Spruchverfahrens wegen des Unternehmensvertrages, wenn man annimmt, der Barwert des künftigen Ausgleichs, der von den außenstehenden Aktionären wegen eines Unternehmensvertrags zu beanspruchen ist, sei bei der Bemessung seiner Abfindung für die Übertragung seiner Aktien auf den Hauptaktionär als Mindestbetrag zu berücksichtigen.((Zur Berücksichtigung das Barwerts des Ausgleichs bei der Bemessung der Abfindung wegen der Übertragung der Aktien auf den Hauptaktionär im Fall des hiesigen Übertragungsbeschlusses OLG Stuttgart, GWR, 2011, 61; und im Allgemeinen OLG Stuttgart, AG 2010, 510 [juris Rn. 244].)) Das Oberlandesgericht Stuttgart er Senat hat dem in seiner Entscheidung über die Angemessenheit der den außenstehenden Aktionären in dem hier am 12.09.2002 gefassten Übertragungsbeschluss bestimmten Abfindung ausdrücklich Rechnung getragen, indem er die Angemessenheit des im Unternehmensvertrag bestimmten Ausgleichs inzident überprüfte.((OLG Stuttgart, GWR, 2011, 61.)) Dabei ist zu bedenken, dass bei identischen Bewertungsstichtagen ohnehin auszuschließen ist, dass der Barwert des künftigen Ausgleichs die Abfindung wegen der Übertragung der Aktien übersteigt, wenn – wie hier – der Ausgleich in nicht zu beanstandender Weise durch die Verrentung des der Abfindung nach §§ 305, 327a AktG zugrunde gelegten, im Ertragswertverfahren ermittelten Unternehmensbarwerts errechnet wird.((OLG Stuttgart, GWR, 2011, 61.))

Da der Ausgleichsanspruch aus dem Unternehmensvertrag danach erstmals nach dem Wirksamwerden der Übertragung der Aktien der außenstehenden Aktionäre auf den Hauptaktionär entstanden ist, kann der Antragsteller keinen Ausgleich beanspruchen; auch ein zeitanteiliger Anspruch für den Zeitraum vom 01.10.2002 bis zum 14.01.2003 steht ihm nicht zu.((Vgl. dazu BGH, Urteil vom 19.04.2011 zu II 244/09; so schon die Vorinstanz OLG Frankfurt, Urteil vom 29.09.2009 zu 5 U 69/08; und OLG Frankfurt, AG 2010, 408; ebenso im Ergebnis OLG Frankfurt, AG 2010, 368; OLG Hamm, AG 2010, 787; OLG München, ZIP 2007, 582; OLG Köln, AG 2010, 336; OLG Köln, AG 2010, 802.))

Nachdem die in diesem Zusammenhang beim Bundesgerichtshof anhängigen, vom Antragsteller zur Begründung seines Aussetzungsantrags angeführten Verfahren zwischenzeitlich abgeschlossen sind,((BGH, Urteile vom 19.04.2011 – II 237/09 und II 244/09)) besteht für eine Aussetzung dieses Verfahrens kein Anlass.

Soweit sich der Antragsteller darüber hinaus pauschal auf die Aktenzeichen weiterer, beim Bundesgerichtshof anhängiger Verfahren „mit identischen Sachverhalten und Rechtsfragen“ berufen hat, ist nicht ersichtlich, inwiefern diese Verfahren zum hiesigen vorgreiflich und das Abwarten auf ihre Erledigung durch den Bundesgerichtshof vor Entscheidung dieses Verfahrens geboten sein sollte. Gleiches gilt für die theoretische Überlegung, dem Bundesgerichtshof lägen „noch einige Verfahren“ zur Entscheidung vor, „was zumindest zu Differenzierungen und zusätzlichen Rechtsüberlegungen führen“ könne. Erst recht kann der Abschluss dieses Verfahrens nicht dadurch gehindert werden, dass das Bundesverfassungsgericht die jüngsten Entscheidungen des Bundesgerichtshofs möglicherweise aufheben könnte; dies gilt umso mehr, als der Antragsteller nur theoretisch von „einzulegenden“ Verfassungsbeschwerden spricht.

Der Antragsteller kann sich auch nicht auf die schutzwürdigen Interessen anderer außenstehender Aktionäre berufen, die ihre Aktionärsstellung mit dem Wirksamwerden des Übertragungsbeschlusses am 14.01.2003 verloren haben. Diese konnten ebenso wie der Antragsteller selbst weder einen vollständigen noch einen anteiligen Ausgleichsanspruch aus dem Unternehmensvertrag erwerben.

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Hinsichtlich der Bestimmung einer angemessenen Abfindung aus Anlass des Unternehmensvertrags hat das Landgericht ebenfalls zu Recht ein Rechtschutzbedürfnis des Antragstellers verneint.

Ebenso wie den Ausgleich nach § 304 AktG kann eine Abfindung nach § 305 AktG grundsätzlich nur beanspruchen, wer (außenstehender) Aktionär der abhängigen Gesellschaft ist.((Paulsen in MünchKomm-AktG, 3. Aufl., § 305 Rn. 18; Emmerich in Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, 6. Aufl., § 305 Rn. 20; Veil in Spindler/Stilz, AktG, 2. Aufl., § 305 Rn. 15; Stephan in Schmidt/Lutter, AktG, 2. Aufl., § 305 Rn. 29.))

Dabei ist zu beachten, dass der Anspruch auf Zahlung der Abfindung zwar erst entsteht, wenn der Aktionär gegenüber dem herrschenden Unternehmen das Abfindungsangebot angenommen hat; die Option, das Abfindungsangebot anzunehmen, erwirbt der Aktionär aber bereits mit dem Wirksamwerden des Unternehmensvertrages.((Veil in Spindler/Stilz, AktG, 2. Aufl., § 305 Rn. 17; Stephan in Schmidt/Lutter, AktG, 2. Aufl., § 305 Rn. 29; Emmerich in Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, 6. Aufl., § 305 Rn. 18; Paulsen in MünchKomm-AktG, 3. Aufl., § 305 Rn. 22.))

Der Antragsteller hat indessen die von ihm mit Wirksamwerden des Unternehmensvertrages am 07.10.2003 erworbene Abfindungsoption bis zum 14.01.2003 nicht ausgeübt. Dies schloss des Landgericht – zu Recht und ohne dass dies im Beschwerdeverfahren in Frage gestellt worden wäre – aus dem Umstand, dass der Antragsteller zugleich im Spruchverfahren zur Überprüfung der Angemessenheit der im Übertragungsbeschluss angebotenen Abfindung als Antragsteller auftrat.

Ein schutzwürdiges Interesse an der gerichtlichen Überprüfung der Angemessenheit der im Unternehmensvertrag bestimmten Abfindung kommt dem Antragsteller auch nicht deshalb zu, weil er die mit dem Wirksamwerden des Unternehmensvertrages entstandene Abfindungsoption künftig noch ausüben könnte. Zu Recht hat das Landgericht festgestellt, dass der Antragsteller hier „faktisch“ gar nicht vor der Frage stehe, ob er anstelle der Abfindung wegen der Übertragung seiner Aktien auf den Hauptaktionär die im Unternehmensvertrag bestimmte Abfindung in Anspruch nehmen solle, da beide Abfindungen der Höhe nach identisch sind.

Zwar hat das Oberlandesgericht Frankfurt jüngst das Rechtsschutzbedürfnis für die gerichtliche Überprüfung der Angemessenheit der in einem Unternehmensvertrag bestimmten Abfindung trotz späterer Übertragung der Aktien der außenstehenden Aktionäre auf den Hauptaktionär bejaht, 4 dieser Entscheidung liegt aber ein in wesentlicher Hinsicht abweichender Sachverhalt zugrunde.

Zur Begründung verwies das Oberlandesgericht Frankfurt4 auf den vom Landgericht in der angefochtenen Entscheidung angeführten Beschluss des Oberlandesgerichts Düsseldorf, das in einem Spruchverfahren zur Überprüfung der Angemessenheit der Abfindung wegen der Übertragung der Aktien auf den Hauptaktionär die Auffassung vertreten hatte, eine Abfindungsoption aus einem vorangegangenen und zwischenzeitlich beendeten Unternehmensvertrag sei bei der Bestimmung der Abfindung für eine spätere Übertragung der Aktien auf den Hauptaktionär unerheblich, weil die mit dem Wirksamwerden des Unternehmensvertrags von den außenstehenden Aktionären erworbene Abfindungsoption auch dann fortbestünde, wenn sie ihre Aktionärsstellung durch Wirksamwerden des Übertragungsbeschlusses unfreiwillig verlören.5

Das Oberlandesgericht Düsseldorf verwies seinerseits auf eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs.6 Diese stellt den Fortbestand der Abfindungsoption über das Wirksamwerden eines späteren Übertragungsbeschlusses hinaus indessen nicht fest. Im Gegenteil stellt sie für den Fall des freiwilligen Verlusts der Aktionärsstellung durch Rechtsgeschäft während der Dauer des Unternehmensvertrages fest, dass das Abfindungsrecht in der Person des Erwerbers (neu) entsteht;7 will man das Abfindungsrecht nicht vervielfachen, muss damit notwendig das Erlöschen der Abfindungsoption in der Person des Veräußerers verbunden sein. Die vom Oberlandesgericht Düsseldorf angeführte Entscheidung verweist allerdings ihrerseits7 auf eine weitere Entscheidung des Bundesgerichtshofs, welche den Fortbestand der Abfindungsoption über die Beendigung des Unternehmensvertrags hinaus zum Zweck der Durchführung eines zuvor bereits eingeleiteten Spruchverfahrens fingierte, um sicherzustellen, dass die außenstehenden Aktionäre die Möglichkeit haben, die ihnen zur Kompensation des Risikos einer Auszehrung der Gesellschaft durch den Unternehmensvertrag angebotene Abfindung gerichtlich überprüfen zu lassen.((BGHZ 135, 374.))

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Der hier zu entscheidende Sachverhalt weicht jedoch in entscheidenden Punkten von dem Sachverhalt ab, welcher der Entscheidung des Oberlandesgerichts Frankfurt und der von diesem in Bezug genommenen weiteren Entscheidungen zugrunde lag.

Für den unfreiwilligen Verlust ihrer Aktionärsstellung erhalten die außenstehenden Aktionäre hier eine Abfindung, die – anders als in den von den Oberlandesgerichten Frankfurt und Düsseldorf sowie vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fällen – der Höhe nach mit der aus dem Unternehmensvertrag zu beanspruchenden Abfindung identisch ist. Unerheblich ist, dass die Abfindung auf einer anderen Strukturmaßnahme beruht; maßgeblich ist, dass sie sich nach denselben Verhältnissen bestimmt. Es besteht daher kein schützenswertes Interesse der außenstehenden Aktionäre, anstelle der Abfindung nach § 327a Abs. 1 Satz 1 AktG diejenige nach § 305 Abs. 1 AktG zu wählen bzw. neben der Angemessenheit der Abfindung nach § 327a Abs. 1 Satz 1 AktG auch diejenige der Abfindung nach § 305 Abs. 1 AktG im Spruchverfahren gerichtlich überprüfen zu lassen.

In den vom Oberlandesgericht Frankfurt8 und vom Oberlandesgericht Düsseldorf9 entschiedenen Fällen bemaß sich die wegen des Unternehmensvertrags zu gewährende Abfindung nach den Verhältnissen der Gesellschaft zu einem – teilweise deutlich – früheren Zeitpunkt als diejenige Abfindung, die wegen der Übertragung der Aktien auf den Hauptaktionär beansprucht werden konnte. Ebenso verhielt es sich in einer von Antragstellerseite angeführten Entscheidung des Bundesgerichtshofs im Hinblick auf die spätere Kompensationsleistung wegen der Eingliederung der Gesellschaft.((BGHZ 147, 108: Bewertungsstichtag nach § 305 Abs. 3 Satz 2 AktG 1988 gegenüber Bewertungsstichtag nach § 320b Abs. 1 Satz 5 AktG 1990.)) In diesen Fällen bestand deshalb die Möglichkeit, dass die angemessene Abfindung wegen des Unternehmensvertrags über der angemessenen Kompensation wegen der späteren Strukturmaßnahme liegt, da ein Unternehmensvertrag das latente Risiko der Auszehrung der abhängigen Gesellschaft in sich birgt, das durch § 305 AktG gerade kompensiert werden soll.((BGHZ 135, 374.)) Zur Wahrung seiner Rechte musste dem Aktionär in diesen Fällen deshalb die Möglichkeit erhalten werden, die höhere Abfindung wegen des Unternehmensvertrags in Anspruch zu nehmen und deren Angemessenheit deshalb gerichtlich überprüfen zu lassen.

Da der Zustimmungsbeschluss zum Unternehmensvertrag und der Übertragungsbeschluss hier indessen in derselben Hauptversammlung gefasst wurden, ist die angemessene Abfindung nach §§ 305 Abs. 3 Satz 2 AktG und § 327b Abs. 1 Satz 1 AktG hier – im Gegensatz zu den von den Oberlandesgerichten Frankfurt und Düsseldorf sowie vom Bundesgerichtshof entschiedenen Sachverhalten – in beiden Fällen nach den Verhältnissen der Gesellschaft am 12.09.2002 und damit vor dem Wirksamwerden des Unternehmensvertrages zu bemessen. Die außenstehenden Aktionäre sind deshalb hier auch dann vor einer Auszehrung ihrer Gesellschaft durch den Unternehmensvertrag geschützt, wenn sie nicht die im Unternehmensvertrag festgelegte, sondern die im Übertragungsbeschluss bestimmte Abfindung erhalten.

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Die im Übertragungsbeschluss festgelegte Abfindung unterliegt im Übrigen ebenso wie die im Unternehmensvertrag bestimmte Abfindung der gerichtlichen Überprüfung im Spruchverfahren.

Diese Prüfung ist auf Antrag von insgesamt 15 Aktionären – darunter der hiesige Antragsteller – unter Bestellung eines gemeinsamen Vertreters und Anhörung des sachverständigen Prüfers tatsächlich durchgeführt worden. Das Landgericht kam dabei zum Ergebnis, dass die mit der im Unternehmensvertrag festgelegten Abfindung von 26 Euro je Aktie identische Abfindung im Übertragungsbeschluss angemessen ist. Der Senat hat die hiergegen gerichteten sofortigen Beschwerden von 8 Aktionären – darunter wiederum der hiesige Antragsteller – durch Beschluss vom 19.01.201110 zurückgewiesen.

Wenngleich damit wegen des formal unterschiedlichen Streitgegenstands nicht auch die Angemessenheit der im Unternehmensvertrag festgelegten Abfindung rechtskräftig festgestellt ist, ist angesichts der Beteiligung des hiesigen Antragstellers in beiden Verfahren, der übereinstimmenden Zuständigkeiten und der Anwendung der Grundsätze des Verfahrens der freiwilligen Gerichtsbarkeit nicht anzunehmen, dass im Spruchverfahren betreffend den Übertragungsbeschluss die Rechte des Antragstellers nicht gewahrt wurden.

Ebenso wenig ist anzunehmen, dass eine erneute Überprüfung der Verhältnisse der Gesellschaft zum 12.09.2002 zu einem anderen Ergebnis führen würde. Der Antragsteller hat auch keine Umstände dargetan, die darauf schließen ließen, dass die Entscheidung des Senats im Spruchverfahren betreffend den Übertragungsbeschluss materiell unrichtig wäre.

Auch aus dem Umstand, dass im Spruchverfahren betreffend die Abfindung aus dem Unternehmensvertrag mit dem herrschenden Unternehmen einerseits und im Spruchverfahren betreffend die Abfindung wegen der Übertragung der Aktien auf den Hauptaktionär mit diesem andererseits unterschiedliche Personen passiv legitimiert sind, ergibt sich hier nichts Anderes. Dahinstehen kann, ob eine unterschiedliche Solvenz der Schuldner der Abfindung aus dem Unternehmensvertrag einerseits und wegen der Übertragung der Aktien andererseits im Allgemeinen ein schutzwürdiges Interesse der außenstehenden Aktionäre begründen kann, anstelle der Abfindung nach § 327a Abs. 1 Satz 1 AktG diejenige nach § 305 Abs. 1 AktG zu wählen und deshalb die Angemessenheit der Abfindung in zwei gesonderten Spruchverfahren gerichtlich überprüfen zu lassen. Auch in diesem Punkt sind die Abfindungen in diesem Fall identisch, da angesichts weiterer Umstrukturierungen im Konzern der Antragsgegnerin seit dem Jahr 2002 die G. GmbH in beiden Fällen alleiniger Schuldner der Abfindungszahlung wäre.

Die Verneinung des Rechtsschutzbedürfnisses des Antragstellers für die Durchführung eines Spruchverfahrens weicht vor diesem Hintergrund weder von der Entscheidung des Oberlandesgerichts Frankfurt noch von den dort in Bezug genommenen Entscheidungen des Oberlandesgerichts Düsseldorf und des Bundesgerichtshofs ab.

Dahinstehen kann die schon vom Landgericht offen gelassene Frage, ob die Abfindungsoption, welche der Antragsteller mit dem Wirksamwerden des Unternehmensvertrages erlangt hat, über den Verlust seiner Aktionärsstellung durch Wirksamwerden des Übertragungsbeschlusses am 14.01.2003 hinaus fortbesteht. Gegenstand dieses Spruchverfahrens ist allein die Angemessenheit der im Unternehmensvertrag bestimmten Kompensationsleistungen. Dahinstehen kann auch, ob im Regelfall, also bei unterschiedlichen Bewertungsstichtagen und unterschiedlichen Abfindungsschuldnern das Rechtsschutzbedürfnis der außenstehenden Aktionäre für die Durchführung eines Spruchverfahrens zur Überprüfung der Angemessenheit des im Unternehmensvertrag festgelegten Ausgleichs fortbesteht, wenn sie ihre Aktionärsstellung durch die Übertragung ihrer Aktien auf den Hauptaktionär verlieren.

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Für die Entscheidung dieses Verfahrens ist allein maßgeblich, dass das Rechtsschutzbedürfnis des Antragstellers für die Durchführung eines Spruchverfahrens zur Überprüfung der Angemessenheit des im Unternehmensvertrag festgelegten Ausgleichs entfällt, wenn er wegen des Verlusts seiner Aktionärsstellung durch die Übertragung ihrer Aktien auf den Hauptaktionär vom selben Schuldner eine Abfindung beanspruchen kann, die sich nach den identischen Verhältnissen bemisst und die in einem gerichtlichen Verfahren unter seiner Beteiligung auf ihre Angemessenheit hin überprüft wurde.

Der Senat hat deshalb dieses Verfahren nicht gemäß § 12 Abs. 2 Satz 2 SpruchG i.V.m. § 28 Abs. 2 und 3 FGG i.d.F. bis 31.08.2009 dem Bundesgerichtshof zur Entscheidung vorzulegen. Über die hier entscheidungserhebliche Frage hat das Oberlandesgerichts Frankfurt noch nicht entschieden.

Der Verweis des Antragstellers auf § 305 Abs. 4 Satz 3 AktG vermag ebenfalls kein Rechtsschutzbedürfnis für die Überprüfung der im Unternehmensvertrag bestimmten Abfindung im Spruchverfahren zu begründen. Zwar gilt diese Regelung, die es dem außenstehenden Aktionär ermöglicht, sich erst binnen einer bestimmten Frist nach Abschluss eines Spruchverfahrens für die Inanspruchnahme der Abfindungsoption zu entscheiden, nur für die Abfindung nach § 305 AktG. Sie soll dem Aktionär aber nicht die Wahl zwischen der Abfindung nach § 305 AktG oder nach § 327b AktG ermöglichen, sondern die Wahl zwischen der Abfindung nach § 305 AktG einerseits und dem Beibehalt der Aktionärsstellung unter Inanspruchnahme des Ausgleichs nach § 304 AktG andererseits.((Vgl. dazu Veil in Spindler/Stilz, AktG, 2. Aufl., § 305 Rn. 103; Paulsen in MünchKomm-AktG, 3. Aufl., § 305 Rn. 161.)) Diese Wahl kommt dem Antragsteller aber hier nicht zu, da er seine Aktionärsstellung jedenfalls durch die Übertragung seiner Aktien verloren hat und keinen Ausgleich beanspruchen kann.

Ein Rechtsschutzbedürfnis folgt schließlich nicht aus dem Umstand, dass andere außenstehende Aktionäre, die das Abfindungsangebot des Unternehmensvertrags vor dem 14.01.2003 angenommen haben, ohne Durchführung eines Spruchverfahrens zur Überprüfung der Angemessenheit der im Unternehmensvertrag bestimmten Abfindung keine Aussicht auf eine Nachbesserung gemäß § 5 Abs. 5 des Unternehmensvertrages haben. § 5 Abs. 5 des Unternehmensvertrages soll lediglich sicherstellen, dass diejenigen Aktionäre, die das Abfindungsangebot des Unternehmensvertrages vor dem Abschluss eines Spruchverfahrens annehmen, nicht gegenüber denjenigen schlechter gestellt werden, die den Ausgang des Spruchverfahrens abwarten. Wird ein Spruchverfahren mangels zulässigen Antrags nicht durchgeführt, ist eine solche Schlechterstellung aber nicht zu befürchten.

Oberlandesgericht Stuttgart, Beschluss vom 7. Juni 2011 – 20 W 1/11

  1. Dazu Drescher in Spindler/Stilz, AktG, 2. Aufl., § 3 SpruchG Rn 23.[]
  2. Vgl. § 305 Abs. 3 Satz 2 AktG für die Abfindung sowie BGHZ 138, 136 für den Ausgleich.[]
  3. Dieser Fall lag BGHZ 147, 108 zugrunde.[]
  4. OLG Frankfurt, AG 2010, 798.[][]
  5. OLG Düsseldorf, NZG 2007, 36.[]
  6. Vgl. OLG Düsseldorf, NZG 2007, 36.[]
  7. BGH, ZIP 2006, 1392.[][]
  8. OLG Frankfurt, AG 2010, 798: Bewertungsstichtag nach § 305 Abs. 3 Satz 2 AktG 20.12.2000 gegenüber Bewertungsstichtag nach § 327b Abs. 1 Satz 1 AktG 04.07.2002.[]
  9. OLG Düsseldorf, NZG 2007, 36: Bewertungsstichtag nach § 305 Abs. 3 Satz 2 AktG Frühjahr 1994 gegenüber Bewertungsstichtag nach § 327b Abs. 1 Satz 1 AktG 18.03.2003.[]
  10. OLG Stuttgart, GWR 2011, 61.[]