Wenn die Senioren-WG zum Altersheim wird…

Die Abgrenzung zwischen einer (betreuten) Senioren-Wohngemeinschaft und einem Seniorenheim kann im Einzelfall schwierig sein. Zumindest aber wenn eine Rund-um-die-Uhr-Betreuung vorgesehen ist, weist dies deutlich auf einen Heimcharakter der Einrichtung hin.

Wenn die Senioren-WG zum Altersheim wird…

So hatte jetzt das Verwaltungsgericht Kasselüber zwei Eilanträge aus dem Bereich des Heimrechts zu entscheiden, mit denen sich sowohl der Eigentümer des Hauses als auch der Pflegedienst einer „Wohngemeinschaft“ im Werra-Meißner-Kreis gegen die umgehende Schließung der Einrichtung nach dem Heimgesetz wehrten.

Der Eigentümer des ehemaligen Jugendgästehauses hatte dieses umgebaut und darin auf zwei Etagen zehn Einzelzimmer mit Gemeinschaftsräumen und zwei Gemeinschaftsbädern eingerichtet. Die Räume vermietete er sodann an Senioren und verwies zugleich auf die Möglichkeit, sich für Pflegeleistungen an den Pflegedienst XY zu wenden; sämtliche Senioren schlossen in der Folgezeit mit diesem Pflegedienst einen Pflegevertrag.

Im Februar 2011 untersagte das Land Hessen den Betrieb dieser Wohngemeinschaft auf der Grundlage des Heimgesetzes und verfügte die umgehende Schließung. Denn, so das Land in seiner Untersagungsverfügung, bei dieser Wohngemeinschaft handele es sich in Wahrheit um ein Heim, das den Anforderungen des Heimgesetzes gerecht werden müsse, die jedoch nicht erfüllt würden.

Sowohl der Eigentümer des Hauses als auch der Pflegedienst suchten daraufhin beim Verwaltungsgericht Kassel um Eilrechtsschutz nach und machten geltend, für die Frage, ob eine Institution als Heim anzusehen sei, komme es allein auf die gewählten vertraglichen Konstruktionen an. Da vorliegend zwischen dem Eigentümer des Hauses und dem von den Senioren beauftragten Pflegedienst keine vertraglichen Beziehungen bestünden, sie ihre Leistungen vielmehr unabhängig voneinander anböten, dürfe die Einrichtung nicht als Heim eingestuft werden. Es handele sich um eine Wohngemeinschaft, mit der den Bewohnern die Möglichkeit eines selbstbestimmten Lebens im Alter ermöglicht werde, so dass insoweit das Heimgesetz keine Anwendung finden könne.

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Dieser Argumentation folgte das Verwaltungsgericht jedoch nicht. Die gesamte Konzeption der Einrichtung sei darauf angelegt, älteren, pflegebedürftigen Menschen eine Vollversorgung im Zusammenwirken mit dem Pflegedienst zukommen zu lassen, die letztlich Heimcharakter aufweise, entschied das Verwaltungsgericht Kassel in Anknüpfung an die Rechtsprechung des Hessischen Verwaltungsgerichtshofes.

Insoweit seien die subjektiven Vorstellungen und Selbsteinschätzungen des Vermieters bzw. Pflegedienstes unerheblich; maßgeblich komme es nicht auf die von den Beteiligten gewählte vertragliche Gestaltung, sondern allein auf die tatsächlichen Verhältnisse an. Davon ausgehend handele es sich hier um eine Einrichtung mit Heimcharakter, weil die tatsächlichen Verhältnisse objektiv darauf ausgerichtet seien, ältere pflegebedürftige Menschen aufzunehmen und ihnen eine Rund-um-die Uhr-Betreuung zu gewährleisten. Dabei stellte die Kammer maßgeblich darauf ab, dass es sich bei allen Bewohnern um pflegebedürftige Menschen handelte. Zudem belege der Umstand, dass der Pflege- und Betreuungsbedarf mit über 10.000 € im Monat nahezu das Dreifache der Mietaufwendungen betrage, deutlich, dass es vor allem darum gehe, den Bedarf der Senioren an umfassender Betreuung zu erfüllen und nicht ihr Bedürfnis nach einem selbstbestimmten Zusammenleben im Alter.

Auch der Einwand, dass hinsichtlich der Auswahl des Pflegedienstes nach der vertraglichen Gestaltung Wahlfreiheit für die Senioren bestehe, ändere an dieser Einschätzung nichts, da diese Wahlfreiheit angesichts der räumlichen Situation nur theoretisch bestehe. Denn in den vermieteten Zimmern befinde sich weder eine Küche oder Kochgelegenheit noch befinde sich dort ein Bad oder eine Waschgelegenheit bzw. ein WC. Es könne deshalb nicht davon ausgegangen werden, dass hier tatsächlich die Möglichkeit bestehe, unterschiedliche Betreuungs- und Pflegedienste mit einer individuellen Rund-um-die-Uhr-Einzelpflege zu betrauen. Schließlich seien die Senioren auch angesichts ihrer erheblichen Pflegebedürftigkeit nicht in der Lage, ihr Zusammenleben gemeinsam und eigenverantwortlich zu regeln. Die Bewohner der Einrichtung hätten darüberhinaus weder eine rechtliche noch eine tatsächliche Möglichkeit, bei der Aufnahme neuer Bewohner mitzuentscheiden und auch die Aufnahme von Kurzzeitpflegepatienten durch den Vermieter spreche gegen das Vorhandensein wohngemeinschaftlicher Strukturen.

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Verwaltungsgericht Kassel, Beschlüsse vom Mai 2011 – Aktenzeichen 5 L 335/11.KS und 3 L 372/11.KS