Kontengentierte Erlaubnisse und der vorhergehende Ausschluss eines Skontrenführers von der Wertpapierbörse

§ 39g Abs. 2 der Börsenordnung der Frankfurter Wertpapierbörse vom 20.03.2007 (BörsO 2007) war rechtswidrig, soweit er im vorhergehenden Zuteilungszeitraum rechtswidrig von der Skontrenzuteilung ausgeschlossene Skontroführer gegenüber damals erfolgreichen Mitbewerbern benachteiligte.

Kontengentierte Erlaubnisse und der vorhergehende Ausschluss eines Skontrenführers von der Wertpapierbörse

Wird der Umfang der befristeten Zuteilung kontingentierter Erlaubnisse davon abhängig gemacht, ob der Bewerber bereits in der vorhergehenden Zuteilungsperiode über eine Zuteilung verfügte, verbietet die grundrechtliche Gewährleistung chancengleicher Berücksichtigung (Art. 12 Abs. 1 i.V.m. Art. 3 Abs 1 GG), damals rechtwidrig vom Markt ausgeschlossene Bewerber schlechter zu behandeln als seinerzeit zum Markt zugelassene Bewerber.

Ist der Verpflichtungsrechtsstreit um die befristete Zuteilung einer kontingentierten Erlaubnis durch Ablauf des Befristungszeitraums erledigt und wird auf einen Fortsetzungsfeststellungsantrag umgestellt, besteht grundsätzlich kein berechtigtes Interesse, im Erledigungszeitpunkt noch anhängige gleichermaßen erledigte Drittanfechtungsbegehren ebenfalls als Fortsetzungsfeststellungsklagen fortzuführen.

Zulässigkeit der Fortsetzungsfeststellungsklage

Die Zulässigkeit der Fortsetzungsfeststellungsklage der Skontrenführerin in eigener Sache hat das Bundesverwaltugnsgerichtim vorliegenden Fall bejaht:

Die Ablehnung einer Mehrzuteilung von Skontren für den verfahrensgegenständlichen Zuteilungszeitraum hat sich mit dessen Ablauf gemäß § 43 Abs. 2 Hessisches Verwaltungsverfahrensgesetz – HessVwVfG – in der seinerzeit geltenden Fassung vom 28.07.20051 erledigt. Seither gehen von der angegriffenen Ablehnung keine Rechtswirkungen mehr aus. Ihre Regelungswirkung ist mit Ablauf der Befristung zum Ende der Zuteilungsperiode entfallen. Etwa noch fortwirkende Nachteile der damaligen Beschränkung der Skontrenführerin auf die Sockelzuteilung beruhen nicht auf einer noch andauernden Tatbestandswirkung der Zuteilung, sondern ergeben sich aus der privatvertraglichen Übernahme der bei Einstellung des Präsenzhandels im Mai 2011 vorgefundenen Skontrenverteilung für die Beauftragung als Spezialisten im elektronischen Handel.

Eine Tatbestandswirkung könnte nur vorliegen, wenn die verfahrensgegenständliche Zuteilung – sofern sie bestandskräftig wäre – bei der aktuellen Verteilung von Skontren auf die Spezialisten als gegebener Tatbestand zu berücksichtigen wäre2. Auch die Ablehnung einer Mehrzuteilung könnte nur Tatbestandswirkung entfalten, soweit die aktuelle Zuteilung noch tatbestandlich durch die Begrenzung der Zuteilung im verfahrensgegenständlichen Zeitraum begrenzt wäre. Beides trifft jedoch nicht zu. Schon die bis zur Beendigung des Präsenzhandels im Mai 2011 praktizierte, jeweils befristete Skontrenzuteilung setzte für eine Skontrenzuteilung von mehr als 2 % des Jahresgesamtorderbuchumsatzes keine über die Sockelzuteilung hinausgehende Vorzuteilung voraus (vgl. § 39g Abs. 2 BörsO 2007, § 103 BörsO 2009). Nur die Vorzuteilung an sich, die im verfahrensgegenständlichen Zeitraum wegen der Sockelzuteilung vorlag und insoweit auch bestandskräftig ist, war tatbestandliche Voraussetzung einer Mehrzuteilung in der jeweiligen Folgeperiode. Soweit die Mehrzuteilung von Leistungskriterien im Vorzuteilungszeitraum abhängig gemacht wurde und sofern deren Erfüllung – wie die Skontrenführerin vorträgt – bei größerem Zuteilungsumfang damals leichter war als bei geringem, liegt keine tatbestandliche Anknüpfung an die damalige Zuteilungsentscheidung vor. Es handelt sich vielmehr um eine Anknüpfung an faktische Umstände, nämlich die Leistungsdaten, die nicht Gegenstand der Vorzuteilung waren, sondern allenfalls faktisch durch deren Umfang beeinflusst worden sein könnten. Das reicht für eine Tatbestandswirkung nicht aus.

Der Skontrenführerin steht auch ein berechtigtes Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit gemäß § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO zu. Zwar kann der Annahme des Berufungsurteils, es bestehe eine Wiederholungsgefahr, nicht gefolgt werden. Ein Rehabilitierungsinteresse liegt ebenfalls nicht vor. Die Skontrenführerin kann sich aber auf ein Präjudizinteresse berufen.

Weiterlesen:
OLG-Präsident in Koblenz

Ein Wiederholungsinteresse bestünde nur, wenn die Skontrenführerin künftig mit dem Erlass eines gleichartigen Verwaltungsakts rechnen müsste und die maßgebliche Rechtslage im Wesentlichen unverändert geblieben wäre. Daran fehlt es schon wegen des Übergangs von der hoheitlichen Skontrenzuteilung zur privatrechtlichen Beauftragung von Spezialisten im Zuge der Beendigung des Präsenzhandels im Mai 2011. Seither ist eine Skontrenzuteilung durch Verwaltungsakt nicht mehr vorgesehen.

Ein Rehabilitierungsinteresse ist zu verneinen, weil die angegriffene Ablehnung einer Mehrzuteilung nicht geeignet ist, das geschäftliche Ansehen der Skontrenführerin gegenwärtig noch herabzusetzen. Die hier verfahrensgegenständliche Zuteilungsentscheidung wurde allein mit dem Fehlen einer Vorzuteilung und nicht mit Erwägungen zur Leistungsfähigkeit der Skontrenführerin begründet.

Im Hinblick auf den derzeit beim Bundesgerichtshof anhängigen Schadensersatz- und Entschädigungsprozess kann die Skontrenführerin jedoch ein Präjudizinteresse an der begehrten Feststellung bezüglich der Mehrzuteilung für 2007/2009 geltend machen. In diesem Prozess ist die Frage, ob die Ablehnung einer Mehrzuteilung rechtswidrig war und die Skontrenführerin in ihren Rechten verletzte, als Vorfrage zu prüfen, so dass eine rechtskräftige Klärung im verwaltungsgerichtlichen Verfahren die Rechtsposition der Skontrenführerin im Staatshaftungsprozess verbessern könnte. Das gilt auch, wenn zivilrechtlich nicht die teilrechtsfähige Beklagte (vgl. § 2 Abs. 5 BörsG), sondern nur das Land Hessen als ihr Rechtsträger passivlegitimiert sein sollte. Insoweit wäre im Zivilprozess zu klären, ob das Handeln der Beklagten ihrem Rechtsträger zuzurechnen oder ihre Haftung auf ihn übergeleitet sein kann.

Die Geltendmachung von Schadensersatz- und Entschädigungsansprüchen wegen der angegriffenen Ablehnung einer Mehrzuteilung ist auch nicht von vornherein aussichtslos. Bei der Prüfung dieses Ausschlusskriteriums ist ein strenger Maßstab anzulegen. Die Wahrscheinlichkeit eines Misserfolgs im zivilgerichtlichen Verfahren genügt nicht. Offensichtlich aussichtslos ist eine Staatshaftungsklage nur, wenn der geltend gemachte Anspruch unter keinem denkbaren rechtlichen Gesichtspunkt besteht und sich dies ohne eine ins Einzelne gehende Prüfung aufdrängt3. Das ist hier nicht der Fall. So sind schon die Voraussetzungen eines Amtshaftungsanspruchs gemäß § 839 Abs. 1 BGB i.V.m. Art. 34 GG nicht mit der erforderlichen Offensichtlichkeit zu verneinen.

Eine drittgerichtete Amtspflicht kann sowohl durch den Erlass rechtswidriger Satzungsregeln über die Zuteilung der Skontren als auch durch eine grundrechtswidrige Anwendung der Zuteilungsregeln verletzt worden sein. Eine Amtshaftung für den Erlass rechtswidriger Satzungen ist nicht von vornherein ausgeschlossen4.

Ein Verschulden fehlt nicht schon offensichtlich wegen der verwaltungsgerichtlichen Bestätigung der Skontrenverteilung. Zwar entfällt ein Verschulden grundsätzlich, wenn das Handeln von einem Kollegialgericht für rechtmäßig gehalten wurde. Dies gilt jedoch nicht, wenn die beanstandete Maßnahme von einem Fachgremium beschlossen wurde, von dem im Hinblick auf seine Zusammensetzung ein Höchstmaß an Sachkenntnis zu erwarten und die Fähigkeit zu besonders gründlicher Prüfung zu verlangen ist5. Das ist dem Börsenrat als repräsentativ besetztem Selbstverwaltungsgremium, das gerade wegen seiner Sachkunde und Sachnähe mit weitreichendem Gestaltungsermessen ausgestattet wurde, nicht von vornherein abzusprechen. Unabhängig davon greift die „Kollegialgerichtsregel“ nicht ein, wenn die kollegialgerichtliche Entscheidung nicht auf einer eingehenden Prüfung beruht, sondern wesentliche rechtliche Gesichtspunkte unberücksichtigt gelassen hat6. Hier hat das Verwaltungsgericht das zentrale gleichheitsrechtliche Problem übergangen. Es hat nur die Rechtfertigung einer Differenzierung zwischen Alt- und Neubewerbern und die Gleichbehandlung innerhalb dieser Gruppen erörtert, aber versäumt zu prüfen, ob die Benachteiligung der im Vorzuteilungszeitraum rechtswidrig vom Markt ausgeschlossenen Skontroführer gegenüber den erfolgreichen Altbewerbern und ihre Gleichstellung mit den Neubewerbern vor Art. 12 Abs. 1 i.V.m. Art. 3 Abs. 1 GG gerechtfertigt war. Die Skontrenführerin auf allfällige Schadensersatzansprüche zu verweisen, verweigerte den im laufenden Zuteilungszeitraum noch möglichen Primärrechtsschutz, der bei Rechtswidrigkeit der Zuteilung geboten war. Ein Verschulden fehlt auch nicht offensichtlich, weil die damalige Rechtslage unklar gewesen und von der Beklagten sorgfältig geprüft worden wäre. Da die Skontrenverteilung, die auf rechtskräftig für unwirksam erklärten Verteilungsregeln beruhte, ohne vertiefte Auseinandersetzung mit den dagegen erhobenen Einwänden mehrmals fortgeschrieben wurde, ist eine sorgfältige Prüfung jedenfalls nicht evident.

Weiterlesen:
Förderdatenbank des Bundes

Die Kausalität einer möglichen Amtspflichtverletzung für den durch die Benachteiligung entstandenen Schaden ist ebenfalls nicht mit der erforderlichen Offensichtlichkeit zu verneinen. Das gilt auch, wenn für die Amtspflichtverletzung nicht auf die satzungsrechtlich gebundene Zuteilung, sondern auf die Ausgestaltung der Verteilungsregeln abgestellt wird, die im Ermessen des Börsenrates stand. Zwar fehlt die Kausalität bei Ermessensakten, wenn der Schaden auch bei ermessensgerechtem Handeln eingetreten wäre7. Es ist aber nicht offenkundig, dass die Beklagte für den verfahrensgegenständlichen Zeitraum gesetzes- und gleichheitskonforme Verteilungsregelungen hätte erlassen können, die eine Zuteilung an zuvor rechtswidrig vom Markt ausgeschlossene Skontroführer auf 2 % des Jahresgesamtorderbuchumsatzes beschränkt hätten. Ein rechtmäßiges Alternativverhalten, das zum selben Schaden geführt hätte8, liegt nicht auf der Hand. Insbesondere konnte die Beklagte wegen ihrer Pflicht, einen geordneten Handel sicherzustellen, den Präsenzhandel nicht sofort und übergangslos beenden. Sie konnte die Skontrenführerin auch nicht ermessensfehlerfrei von einer gleichheitskonformen Skontrenverteilung im Zuge einer Übergangsregelung ausnehmen. Bei gleichmäßiger Verteilung hätte sie als eine von 21 Antragstellern für den Zuteilungszeitraum 2007/2009 Skontren im Umfang von mehr als 4 % des Jahresgesamtorderbuchvolumens erhalten müssen. Dass sie trotz ihrer unstreitigen Spitzenposition bei der Gesamterfüllung bei einer Verteilung nach Leistungsgesichtspunkten nicht mehr als 2 % erhalten hätte, versteht sich ebenfalls nicht von selbst.

Ablehnung der Mehrzuteilung

Sodann hält das Bundesverwaltungsgericht die von der Skontrenführerin erhobene Fortsetzungsfeststellungsklage in eigener Sache betreffend die Mehrzuteilung von Skontren im Ergebnis für begründet. Für die materiell-rechtliche Beurteilung ist auf die Sach- und Rechtslage zu Beginn des verfahrensgegenständlichen Zuteilungszeitraums, in dem die auf 30 Monate befristete Skontrenzuteilung wirksam wurde, abzustellen. Daran gemessen, war die Verweigerung einer Zuteilung von Skontren über den Umfang von rund 2 % des Jahresgesamtorderbuchumsatzes rechtswidrig, weil die ihr zugrunde liegende Verteilungsregel des § 39g BörsO 2007 Skontroführer, die wie die Skontrenführerin im vorangegangenen Zuteilungszeitraum rechtswidrig vom Markt ausgeschlossen gewesen waren, gleichheitswidrig von einer Mehrzuteilung ausschloss.

Weiterlesen:
Erst Fördermittel, dann Werksschließung

Die Ablehnung einer Mehrzuteilung an die Skontrenführerin beruhte auf den satzungsrechtlichen Vorgaben für die Skontrenverteilung gemäß § 39g BörsO 2007. Absatz 1 der Vorschrift begrenzte die Sockelzuteilung, die sämtlichen an der Beklagten als Skontroführer zugelassenen Antragstellern zustand, auf 2 % des Jahresgesamtorderbuchumsatzes. Eine Mehrzuteilung ließ Absatz 2 nur an Bewerber zu, denen bereits Skontren zugeteilt waren. Als Maßstab für die Mehrzuteilung normierte § 39g Abs. 2 Satz 1 BörsO 2007 die Leistung dieser bereits als Skontroführer tätigen Bewerber. Sie war gemäß § 39g Abs. 1 Nr. 1 und 2 i.V.m. § 39f Abs. 2 BörsO 2007 auf der Grundlage von Daten des noch laufenden, der begehrten Zuteilung vorangehenden Zuteilungszeitraums zu bemessen. Bei der Verteilung für den dem verfahrensgegenständlichen Zeitraum 2007/2009 vorangehenden Zuteilungszeitraum 2005/2007 war die Skontrenführerin nach den inzwischen rechtskräftig für rechtswidrig erklärten Verteilungskriterien nicht berücksichtigt worden.

§ 39g BörsO 2007 ist formell rechtmäßig. Dass er vom Börsenrat unter Mitwirkung mit der Skontrenführerin konkurrierender Skontroführer erlassen wurde, führt nicht zu einem revisiblen Verstoß gegen §§ 20 f. HessVwVfG (vgl. § 137 Abs. 1 Nr. 2 VwGO). Die allgemeinen verwaltungsverfahrensrechtlichen Ausschluss- und Befangenheitsgründe sind wegen des Vorrangs der spezielleren börsenrechtlichen Regelungen über den Erlass der satzungsrechtlichen Vorgaben für die Skontrenverteilung nicht einschlägig. Diese Regelungen waren im hier maßgeblichen Zeitpunkt gemäß § 29 Satz 3 des Börsengesetzes i.d.F. des Art. 1 des Vierten Finanzmarktförderungsgesetzes vom 21.06.2002 – BörsG 2002 –9 in der Börsenordnung zu treffen, die nach § 13 Abs. 1 i.V.m. § 9 Abs. 2 Nr. 1 BörsG 2002 der Börsenrat erließ. Dieser war gemäß § 9 Abs. 1 BörsG 2002 vom Gesetzgeber als repräsentativ besetztes Selbstverwaltungsorgan konzipiert, dem unter anderem Vertreter der Gruppe der Skontroführer angehören mussten. Das Erfordernis einer angemessenen Repräsentation aller Interessengruppen wird auch in den Besetzungsregeln des § 9 Abs. 3 und 4 BörsG 2002 deutlich. Der Gesetzgeber hat also die Mitwirkung Betroffener an der Satzungsgebung zur Gewährleistung einer repräsentativen Interessenvertretung bewusst in Kauf genommen. Dies schließt nicht nur die unmittelbare Heranziehung der §§ 20 f. HessVwVfG, sondern auch deren entsprechende Anwendung aus10.

Die satzungsrechtliche Regelung der Skontrenverteilung in § 39g BörsO 2007 war aber materiell-rechtlich rechtswidrig.

Allerdings ergibt sich dies nicht schon aus einer zu niedrigen Bemessung der Sockelzuteilung nach § 39g Abs. 1 BörsO 2007. Dabei kann offenbleiben, ob sich aus Art. 12 Abs. 1 GG ein Anspruch auf eine auskömmliche Mindestzuteilung ergab. Jedenfalls lassen die nicht mit Verfahrensrügen angegriffenen tatsächlichen Feststellungen des Verwaltungsgerichtshofs nicht darauf schließen, dass der Börsenrat seinen Einschätzungsspielraum als fachkundiges Selbstverwaltungsorgan der Beklagten bei der Prognose, ob eine Mindestzuteilung im Umfang von rund 2 % des Jahresgesamtorderbuchumsatzes den Aufbau der erforderlichen Infrastruktur und eine wirtschaftliche Skontroführung ermöglichte, überschritten hätte.

Weiterlesen:
Billigkeitskontrolle bei Gaspreisen

Rechtswidrig war § 39g Abs. 2 BörsO 2007 jedoch, soweit er die Mehrzuteilung auf die bereits im vorangegangenen Zuteilungszeitraum tätigen Skontroführer beschränkte und damals erfolglose Bewerber wie die Skontrenführerin auch dann von einer Mehrzuteilung ausschloss, wenn ihnen seinerzeit der Zugang zum Markt zu Unrecht verwehrt worden war.

Entgegen der Auffassung der Skontrenführerin ergibt sich die Rechtswidrigkeit dieser Regelung nicht schon aus einem Verstoß gegen das rechtsstaatliche Rückwirkungsverbot aus Art.20 Abs. 3 GG. Die Mehrzuteilung von einer Vorzuteilung abhängig zu machen, bewirkt keine Rechtsfolgen für einen abgelaufenen Zeitraum, sondern stellt eine tatbestandliche Rückanknüpfung dar, die in den Grenzen rechtsstaatlichen Vertrauensschutzes grundsätzlich zulässig ist11.

Der Ausschluss zuvor rechtswidrig vom Markt ferngehaltener Skontroführer von der Mehrzuteilung verletzt aber deren Recht auf chancengleiche Berücksichtigung bei der Skontrenverteilung, das sich aus Art. 12 Abs. 1 i.V.m. Art. 3 Abs. 1 GG ergibt. Aus der Berufsfreiheit und dem allgemeinen Gleichheitssatz ist ein Recht auf chancengleiche Teilhabe am Wettbewerb herzuleiten12. Daraus folgt ein Recht auf chancengleiche Berücksichtigung bei der Skontrenverteilung, mit der Wettbewerbspositionen im Präsenzhandel an der Börse zugewiesen wurden. Da die Zahl der zu verteilenden Aktien-Skontren begrenzt war, musste die Regelung der Skontrenzuteilung die Chancengleichheit der Bewerber sowohl bei der Entscheidung über die Zuteilung an sich – also den Zugang zum Markt – als auch bei der Entscheidung über den Umfang der Zuteilung gewährleisten. Beeinträchtigungen der Wettbewerbsgleichheit greifen intensiv in die Grundrechtsgewährleistung ein. Ungleichbehandlungen in diesem Bereich sind deshalb nur gerechtfertigt, wenn sie auf gesetzlicher Grundlage beruhen und verhältnismäßig sind13. Bezüglich der Benachteiligung bislang rechtswidrig vom Markt Ausgeschlossener bei der Mehrzuteilung sind diese Anforderungen nicht erfüllt.

Dabei kann offenbleiben, ob § 39g Abs. 2 BörsO 2007 dem Vorbehalt des Gesetzes in der Ausprägung des Parlamentsvorbehalts genügte. Insbesondere muss nicht geklärt werden, ob die für die Verwirklichung der Chancengleichheit und die Berufsausübung wesentlichen Entscheidungen bei der Skontrenverteilung schon durch § 29 BörsG 2002 getroffen wurden, der keine Verteilungskriterien normierte, oder erst durch dessen zum 1.11.2007 in Kraft getretene Nachfolgeregelung, die eine Differenzierung nach der fachlichen und wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit für zulässig erklärte (§ 29 Satz 4 BörsG). Soweit es auf die zuletzt genannte Regelung ankommen sollte, bedarf es auch keiner Prüfung, ob das ausschließliche Abstellen auf eine in der Vergangenheit erbrachte Leistung gemäß § 39g Abs. 2 i.V.m. § 39f BörsO 2007 dem gesetzlichen Verteilungskriterium der Leistungsfähigkeit entspricht, das das aktuelle Leistungspotential für maßgeblich erklärt. Unabhängig davon war die Benachteiligung der bislang rechtswidrig vom Markt ausgeschlossenen Bewerber jedenfalls deshalb nicht gerechtfertigt, weil sie nicht auf einem sachlichen Grund beruhte und nicht erforderlich war, einen verfassungsrechtlich legitimen Zweck zu verwirklichen.

Allerdings war es – eine ausreichende gesetzliche Grundlage vorausgesetzt – nicht von vornherein unzulässig, für den Umfang der Skontrenzuteilung im Hinblick auf den gesetzlichen, verfassungsrechtlich legitimen Zweck der Beklagten, einen ordnungsgemäßen, den Interessen des Publikums und des Handels gerecht werdenden Börsenhandel sicherzustellen (§ 13 Abs. 2 BörsG 2002), nach der Leistungsfähigkeit der Bewerber zu differenzieren und bereits erbrachte Leistungen als Indizien für die Leistungsfähigkeit zu berücksichtigen. Auch die Differenzierung zwischen erstmaligen Bewerbern (Erstbewerber) und Bewerbern, die bereits als Skontroführer tätig gewesen waren (Altbewerber), könnte möglicherweise vor diesem Zweck sachlich gerechtfertigt sein, wenn es zu seiner Verwirklichung erforderlich gewesen sein sollte, eine umfangreichere Zuteilung von einer Bewährung in der Praxis abhängig zu machen. All diese Erwägungen können es jedoch nicht rechtfertigen, Bewerber, die bereits zuvor als Skontroführer tätig gewesen, aber im letzten Zuteilungszeitraum rechtswidrig vom Markt ausgeschlossen worden waren, wie Erstbewerber zu behandeln und gegenüber erfolgreichen Altbewerbern zu benachteiligen. Die Anknüpfung der Benachteiligung an eine rechtswidrige Verweigerung der Vorzuteilung ist schon wegen der Rechtswidrigkeit dieser Entscheidung nicht sachlich zu rechtfertigen. Entgegen der Auffassung der Skontrenführerin gilt hier nichts anderes, weil der Ausschluss der Skontrenführerin nur „formell“ rechtswidrig gewesen wäre. Dieser Einwand übersieht, dass die Rechtswidrigkeit der Skontrenverteilung im Zeitraum 2005/2007 auf materiell-rechtliche Mängel zurückzuführen war, nämlich auf die Missachtung des Vorbehalts des Gesetzes wegen des Fehlens einer ausreichenden Rechtsgrundlage für die Verwendung des von der Beklagten seinerzeit als Zuteilungskriterium eingeführten Leistungsbemessungssystems. Im Übrigen geht auch das Bundessozialgericht davon aus, dass eine Differenzierung nicht an Tatsachen anknüpfen darf, die das Ergebnis einer rechtswidrigen Verteilungsentscheidung sind14.

Weiterlesen:
Die Erweiterten Honorarverteilung der Kassenärztlichen Vereinigung Hessen

Bis zum Ablauf des verfahrensgegenständlichen Zuteilungszeitraums stand der Skontrenführerin wegen der Rechtswidrigkeit der angegriffenen Ablehnung auch ein Anspruch auf grundrechtskonforme Neubescheidung zu. Aus Art. 12 Abs. 1 i.V.m. Art. 3 Abs. 1 GG ergibt sich zwar kein Anspruch auf Zuteilung in bestimmter Höhe, aber ein Anspruch auf eine neue, gleichheitskonforme Entscheidung über die Mehrzuteilung von Skontren. Dieser Anspruch scheitert nicht am Fehlen einer rechtmäßigen satzungsrechtlichen Verteilungsregelung. Die Beklagte, die den Präsenzhandel nicht mit sofortiger Wirkung einstellen konnte, war vielmehr verpflichtet, unverzüglich eine neue, gesetzes- und grundrechtskonforme Skontrenverteilung vorzunehmen. Sie konnte dazu entweder die Differenzierungskriterien gleichheitskonform – gegebenenfalls nach Maßgabe des § 29 Satz 4 BörsG – anpassen oder die bisherige Regelung um zusätzliche Vorschriften ergänzen, die rechtswidrig vom Markt Ausgeschlossene den Altbewerbern gleichstellten und für die Bewertung ihrer Leistungsfähigkeit vergleichbar aussagekräftige Kriterien definierten. Die den Sockel übersteigenden Zuteilungen an Mitbewerber der Skontrenführerin hinderten eine Neuverteilung nicht, da sie wegen der Drittanfechtungen seinerzeit nicht bestandskräftig waren (vgl. § 50 HessVwVfG). Dem Anspruch auf Neubescheidung steht auch nicht entgegen, dass die Skontrenführerin keinen Anspruch auf Fortführung des Präsenzhandels hatte. Solange dieser Handel mit Skontroführern betrieben wurde, stand ihr ein Anspruch auf chancengleiche Berücksichtigung bei der Skontrenverteilung zu.

Soweit die Vorinstanz den Fortsetzungsfeststellungsanträgen der Skontrenführerin bezüglich der Drittanfechtung von Zuteilungen an gegenwärtige Beigeladene und deren Rechtsvorgänger stattgegeben hat, ist sie zu Unrecht von der Zulässigkeit der Klage ausgegangen. Die Skontrenführerin kann im gegenwärtigen, für das Vorliegen von Sachentscheidungsvoraussetzungen maßgeblichen Zeitpunkt bezüglich der Drittanfechtungen kein Fortsetzungsfeststellungsinteresse gemäß § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO mehr geltend machen. Ihren wirtschaftlichen und ideellen Interessen wird bereits im Rahmen ihrer Fortsetzungsfeststellungsklage in eigener Sache Rechnung getragen. Deren Erfolg setzt, anders als der einer Verpflichtungsklage bis zum Ablauf des Zuteilungszeitraums, auch keine erfolgreiche Klage gegen die konkurrierenden Zuteilungen an Mitbewerber voraus. Vielmehr genügt, dass die zwischenzeitlich erledigten Zuteilungsbescheide zugunsten der Mitbewerber gegenüber der Skontrenführerin bis zum Zeitpunkt ihrer Erledigung nicht bestandskräftig geworden sind. Die Fortsetzung der Drittanfechtungsklagen als Fortsetzungsfeststellungsklagen kann deshalb die Rechtsposition der Skontrenführerin nicht verbessern.

Weiterlesen:
Das Ende notarieller Verschwiegenheit

Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 10. Dezember 2013 – 8 C 5.12

  1. GVBl I S. 591[]
  2. vgl. BVerwG, Beschluss vom 23.02.2010 – 1 WB 36.09, BVerwGE 136, 119 = Buchholz 449.2 § 2 SLV 2002 Nr. 17 Rn. 49[]
  3. BVerwG, Urteil vom 16.05.2013 – 8 C 14.12, Buchholz 11 Art. 12 GG Nr. 284, Rn. 44 m.w.N.; Schmidt, in: Eyermann, a.a.O. § 113 Rn. 87[]
  4. vgl. BGH, Urteile vom 26.01.1989 – III ZR 194/87 – BGHZ 106, 323; und vom 21.02.1991 – III ZR 245/89 – BGHZ 113, 367 sub 1. zur Amtshaftung für den Erlass rechtswidriger Bebauungspläne[]
  5. vgl. BGH, Urteil vom 14.03.2002 – III ZR 302/00 – BGHZ 150, 172, 184; BVerwG, Urteil vom 17.08.2005 – 2 C 37.04, BVerwGE 124, 99, 106 = Buchholz 11 Art. 33 Abs. 2 GG Nr. 32 S. 31[]
  6. vgl. BVerwG, Urteil vom 17.08.2005 a.a.O. S. 106 f. bzw. S. 32[]
  7. BVerwG, Urteil vom 16.05.2013 a.a.O. Rn. 50; BGH, Beschluss vom 21.01.1982 – III ZR 37/81 – VersR 1982, 275 und Urteil vom 30.05.1985 – III ZR 198/84 – VersR 1985, 887 f.; Vinke, in: Soergel, BGB, Bd. 12, 13. Aufl. Stand Sommer 2005, § 839 Rn. 176[]
  8. dazu vgl. Vinke, a.a.O. Rn. 178[]
  9. BGBl I S.2010[]
  10. vgl. Kopp/Ramsauer, VwVfG, 13. Aufl.2012, § 20 Rn. 7a[]
  11. BVerfG, Beschlüsse vom 03.12 1997 – BvR 882/97, BVerfGE 97, 67, 79; und vom 09.12 2003 – 1 BvR 558/99, BVerfGE 109, 96, 122[]
  12. BVerfG, Beschluss vom 14.10.1975 – 1 BvL 35/70, 1 BvR 307/71 u.a., BVerfGE 40, 196, 232; BVerwG, Urteile vom 02.09.1983 – 7 C 97.81, Buchholz 442.03 § 9 GüKG Nr. 13 S. 14; und vom 25.09.2008 – 3 C 35.07, BVerwGE 132, 64 = Buchholz 451.74 § 8 KHG Nr. 16 Rn. 30[]
  13. vgl. BVerfG, Beschluss vom 13.03.2007 – 1 BvF 1/05, BVerfGE 118, 79, 100[]
  14. BSG, Urteile vom 22.06.2005 – B 6 KA 5/04 R – SozR 4-2500 § 85 SGB V Nr. 17 Rn. 10; und vom 29.08.2007 – B 6 KA 2/07 R – SozR 4-2500 § 85 SGB V Nr. 34 Rn. 15[]