Kollidierende Subsidiaritätsklauseln in Versicherungverträgen

Mit den Rechtsfolgen kollidierender Subsidiaritätsklauseln in Versicherungsverträgen hatte sich jetzt der Bundesgerichtshof zu befassen. Anlass hierzu bot ihm der Streit zweier Reiseversicherer, die darum stritten, ob die von ihnen verwendeten Subsidiaritätsklauseln zu einem Innenausgleich nach § 59 Abs. 2 Satz 1 VVG a.F. bzw. § 78 Abs. 2 Satz 1 VVG n.F. führen.

Kollidierende Subsidiaritätsklauseln in Versicherungverträgen

In den von einer Versicherungsgesellschaft verwendeten Allgemeinen Versicherungsbedingungen heißt es dazu: „Soweit im Versicherungsfall eine Entschädigung aus anderen Versicherungsverträgen beansprucht werden kann, gehen diese Leistungsverpflichtungen vor. Dies gilt auch dann, wenn in einem dieser Versicherungsverträge ebenfalls eine nachrangige Haftung vereinbart ist.“ Die Allgemeinen Versicherungsbedingungen einer zweiten Versicherungsgesellschaft enthalten folgende Klauseln: „Leistungsverpflichtungen aus anderen Versicherungsverträgen gehen der Eintrittspflicht … [des Versicherers] vor. Dies gilt insbesondere für die gesetzlichen Leistungen der Sozialversicherungsträger.“ oder „Leistungsverpflichtungen aus anderen Versicherungsverträgen sowie der Sozialversicherungsträger gehen der Eintrittspflicht … [des Versicherers] vor.“ Beide Versicherungsgesellschaften hatten mit mehreren jeweils identischen Versicherungsnehmern Reiserücktrittversicherungsverträge bzw. Reisekrankenversicherungsverträge abgeschlossen. In allen Verträgen traten unstreitig Versicherungsfälle ein.

Nach dem Urteil des Bundesgerichtshofs kann die leistende Versicherungsgesellschaft von der anderen einen Innenausgleich nach den gesetzlichen Regelungen über die Mehrfachversicherung (§ 59 Abs. 2 Satz 1 VVG a.F. bzw. § 78 Abs. 2 Satz 1 VVG n.F.) verlangen.

Die hier betroffenen Versicherungsnehmer hatten bezüglich der jeweils verwirklichten Risiken bei den Parteien Doppel- bzw. Mehrfachversicherungen i.S. von § 58 Abs. 1, § 59 Abs. 1 Alt. 1 VVG a.F., § 77 Abs. 1, § 78 Abs. 1 Alt. 1 VVG n.F. abgeschlossen. Unstreitig waren beide Parteien in allen Versicherungsfällen zunächst gleichermaßen eintrittspflichtig. Die von ihnen verwendeten Subsidiaritätsklauseln führen zu keinem anderen Ergebnis, wie deren Auslegung ergibt.

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Allgemeine Versicherungsbedingungen sind nach dem Verständnis eines durchschnittlichen Versicherungsnehmers bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs auszulegen. Dabei kommt es auf die Verständnismöglichkeiten eines Versicherungsnehmers ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse und damit auch auf seine Interessen an1. Die Allgemeinen Versicherungsbedingungen sind aus sich heraus zu interpretieren2. In erster Linie ist vom Klauselwortlaut auszugehen. Zweck und Sinnzusammenhang von Klauseln sind zusätzlich zu berücksichtigen, soweit sie für den Versicherungsnehmer erkennbar sind3.

Diese Maßstäbe gelten auch für die Auslegung konkurrierender Subsidiaritätsklauseln. Zwar trifft es zu, dass sich diese Auslegung am Ende auch auf das Verhältnis der Versicherer zueinander auswirkt. Das erlaubt es aber nicht, die Klauseln auch aus deren Sicht auszulegen, denn beide Parteien unterhalten keine unmittelbaren vertraglichen Beziehungen, sondern regeln ihre Eintrittspflicht jeweils in getrennten Verträgen mit den Versicherungsnehmern. Diese Verträge können nicht aus der Sicht eines an ihnen unbeteiligten Versicherers ausgelegt werden.

Der durchschnittliche Versicherungsnehmer wird erkennen, dass die Subsidiaritätsklauseln der Parteien die Eintrittspflicht des jeweiligen Versicherers nicht bereits dann entfallen lassen, wenn eine andere Versicherung für dasselbe Risiko besteht, sondern erst dann, wenn die anderweitige Versicherung im Versicherungsfall Schutz gewährt, d.h. für seinen Schaden konkret eintritt.

Das setzt voraus, dass der Versicherungsnehmer eine solche Eintrittspflicht zunächst einmal bei einem der beiden Versicherer durchsetzt. Vergleicht er die bei den beiden Parteien gehaltenen Versicherungsverträge und ihre Subsidiaritätsklauseln, wird er bemerken, dass letztere kollidieren, weil keiner der Versicherer mit Rücksicht auf die Eintrittspflicht des jeweils anderen Deckung gewähren will. Der Versicherungsnehmer wird mit Blick darauf, dass er für den Versicherungsschutz in beiden Verträgen Prämien leistet, nicht annehmen, der Streit der Versicherer um die Nachrangigkeit ihrer Eintrittspflicht solle in der Weise zu seinen Lasten ausgetragen werden, dass er am Ende ohne Versicherungsschutz bleibt4. Vielmehr wird er die Subsidiaritätsklauseln so verstehen, dass er sich mit seinem Begehren nach Versicherungsschutz vollen Umfangs wahlweise an einen der beiden Versicherer wenden kann. Dass kollidierende Subsidiaritätsklauseln sich im Verhältnis zum Versicherungsnehmer insoweit wechselseitig aufheben und ein Innenausgleich der Versicherer nach den Regeln der Mehrfachversicherung erfolgen muss, entspricht deshalb auch der herrschenden Meinung in Rechtsprechung und Literatur5. Mithin kann der Versicherungsnehmer wählen, von welchem Versicherer er Leistungen verlangt, wobei sodann der jeweils andere Versicherer im Umfang der Erfüllung dieses Verlangens ihm gegenüber leistungsfrei wird und es im Weiteren Sache der Versicherer bleibt, die Frage eines möglichen Innenausgleichs untereinander zu regeln. Das entspricht der Rechtslage nach § 78 Abs. 1 VVG n.F./§ 59 Abs. 1 VVG a.F.

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Anderes wird der durchschnittliche Versicherungsnehmer auch nicht dem Zusatz zur Subsidiaritätsklausel einen Versicherungsgesellschaft entnehmen: „Dies gilt auch dann, wenn in einem dieser Versicherungsverträge ebenfalls eine nachrangige Haftung vereinbart ist.“

Die vorangestellte Subsidiaritätsklausel lässt zunächst nur den Willen des Versicherers erkennen, dann nicht mehr eintreten zu müssen, wenn und soweit ein anderer Versicherer im Versicherungsfall leistet. Dafür spricht ein für den Versicherungsnehmer nachvollziehbares und auch den Regelungen in § 78 Abs. 1 VVG n.F./§ 59 Abs. 1 VVG a.F. zugrunde gelegtes Versichererinteresse, einen eingetretenen Schaden nicht mehrfach zu ersetzen. Der Versicherungsnehmer wird die Zusatzklausel aber nicht dahin verstehen, die Klägerin sei ihm gegenüber sogar dann nicht mehr bereit, Versicherungsleistungen zu erbringen, wenn der andere Versicherer sich ebenfalls unter Berufung auf eine ähnliche Subsidiaritätsklausel für leistungsfrei erklärt. Ein schutzwürdiges Interesse des Versicherers an einer so weitgehenden Leistungseinschränkung wird der Versicherungsnehmer angesichts der von ihm geleisteten Prämien und der Zulässigkeit des Abschlusses einer weiteren Versicherung gegen dasselbe Risiko nicht erkennen können. Der Versicherungsnehmer wird deshalb annehmen, mit der Zusatzklausel bekräftige die Klägerin lediglich deren Geltung auch gegenüber kollidierenden Klauseln.

. Nach § 59 Abs. 2 Satz 1 VVG a.F./§ 78 Abs. 2 Satz 1 VVG n.F. hat die Klägerin die von der Beklagten verauslagten Versicherungsleistungen im Innenverhältnis der Parteien zur Hälfte zu erstatten. Das folgt daraus, dass beide Parteien nach den mit den Versicherungsnehmern geschlossenen Verträgen für die in Rede stehenden Versicherungsfälle unstreitig in gleicher Höhe eintrittspflichtig waren.

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Die zuvor erörterten Subsidiäritätsklauseln bewirken keinen von der gesetzlichen Regelung abweichenden Innenausgleich. Entgegen der Auffassung der Klägerin geht deren Regelung nicht der von der Beklagten verwendeten in der Weise vor, dass die Klägerin nur eine nachrangige Eintrittspflicht trifft.

Allerdings sind, wie sich aus § 68a VVG a.F./§ 87 VVG n.F. ergibt, die gesetzlichen Regelungen in § 59 Abs. 2 Satz 1 VVG a.F./§ 78 Abs. 2 Satz 1 VVG n.F. über den Innenausgleich der Versicherer abdingbar. Eine unmittelbar zwischen ihnen wirkende Abdingungsvereinbarung haben die Parteien aber nicht getroffen. Sie ergibt sich auch nicht mittelbar aus den kollidierenden Subsidiaritätsklauseln der Versicherungsverträge.

Diese lassen keinen übereinstimmenden Willen der beteiligten Versicherer erkennen, den Innenausgleich abweichend von den gesetzlichen Regelungen vorzunehmen. Vielmehr kann ihnen nur entnommen werden, dass keine der Parteien bereit ist, mit Rücksicht auf eine anderweitig vereinbarte nachrangige Eintrittspflicht der anderen Seite die Leistungspflicht für einen Versicherungsfall im Innenverhältnis der Versicherer allein zu übernehmen. Daher heben sich die einander widersprechenden Klauseln auch insoweit gegenseitig auf mit der Folge, dass es bei der gesetzlichen Ausgleichspflicht bleibt. Soweit sich die ausgleichspflichtige Versicherungsgesellschaft darauf beruft, ihre Subsidiaritätsklausel beanspruche mittels des oben zitierten Zusatzes Vorrang vor den entsprechenden Klauseln der anderen, geht diese Klausel dennoch im Regelungsgehalt nicht über die Subsidiaritätsklauseln der anderen Versicherungsgesellschaft hinaus, sondern bekräftige lediglich den Willen, nachrangig zu haften. Ein entsprechender entgegenstehender Wille ist aber auch den Nachrangigkeitsklauseln der anderen Versicherungsgesellschaft zu entnehmen.

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Auf die Frage, ob bei einem anderen Verständnis des von der Klägerin verwendeten Zusatzes eine unzulässige vertragliche Vereinbarung zu Lasten Dritter vorläge, kommt es nach allem nicht mehr an.

Bundesgerichtshof, Urteil vom 19. Februar 2014 – IV ZR 389/12

  1. BGH, Urteile vom 23.06.1993 – IV ZR 135/92, BGHZ 123, 83, 85 m.w.N.; vom 25.07.2012 – IV ZR 201/10; BGHZ 194, 208 Rn. 21 m.w.N.[]
  2. BGH, Urteil vom 15.12 2010 – IV ZR 24/10, VersR 2011, 202 Rn. 10 m.w.N.; HKVVG/Brömmelmeyer, 2. Aufl. Einleitung Rn. 68[]
  3. vgl. BGH, Urteile vom 25.07.2012 aaO m.w.N.; vom 09.03.2011 – IV ZR 137/10, VersR 2011, 518 Rn. 16 f.[]
  4. vgl. dazu BGH, Urteil vom 27.01.2010 – IV ZR 129/09, BGHZ 184, 148 Rn.19 m.w.N.; Armbrüster in Prölls/Martin, VVG, 28. Aufl. § 78 Rn. 36; Schnepp in Bruck/Möller, VVG 9. Aufl. § 78 Rn. 184[]
  5. vgl. BGH, Urteil vom 27.01.2010 aaO; LG Hamburg VersR 1978, 933, 935; BK/Schauer, § 59 Rn. 52 m.w.N.; Armbrüster aaO; HKVVG/Brambach, 2. Aufl. § 77 Rn. 27; Kollhosser in Prölss/Martin, VVG 27. Aufl. § 59 Rn. 28; von KoppenfelsSpies in Looschelders/Pohlmann, VVG 2. Aufl. § 78 Rn.19; BK/Schauer, § 59 VVG Rn. 52; Bruck/Möller/Schnepp, VVG 9. Aufl.2009 § 78 Rn. 184; von Jordan, VersR 1973, 396; Schmidt, VersR 2013, 418, 432 f.; Winter, VersR 1991, 527, 530 ff.[]
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