Import-/Export-Karusselle mit Schlachtvieh – und die manipulierten Veterinärbescheinigungen

Veterinärzertifikate, welche die bei einem Landkreis beschäftigten Tierärzte bzw. der von diesem beauftragte Tierarzt ausstellen, stellen keine öffentlichen Urkunden gemäß § 271 Abs. 1 StGB dar.

Import-/Export-Karusselle mit Schlachtvieh – und die manipulierten Veterinärbescheinigungen

Welche Urkunden als öffentliche Urkunden gelten, ist auch für das Strafrecht im Ausgangspunkt in § 415 Abs. 1 ZPO bestimmt1. Danach sind öffentliche Urkunden im Sinne des § 271 Abs. 1 StGB2 solche, die von einer öffentlichen Behörde innerhalb der Grenzen ihrer Amtsbefugnisse oder von einer mit öffentlichem Glauben versehenen Person innerhalb des ihr zugewiesenen Geschäftskreises in der vorgeschriebenen Form aufgenommen sind. Der strafrechtliche Begriff erfordert darüber hinaus eine erhöhte Beweiskraft. Die öffentliche Urkunde muss für den Verkehr nach außen bestimmt sein und dem Zweck dienen, volle Beweiswirkung für und gegen jedermann zu erbringen. Nur soweit dieser öffentliche Glaube reicht, können Falschangaben strafbewehrt sein3.

Inwieweit eine öffentliche Behörde bei der Errichtung der Urkunde innerhalb der Grenzen ihrer Amtsbefugnisse tätig ist, bestimmt sich nach den jeweiligen zugrundeliegenden Rechtsvorschriften. Eine ständige Verwaltungsübung allein kann dagegen eine Befugnis zur Ausstellung öffentlicher Urkunden nicht begründen4. Auch die inhaltliche Reichweite der erhöhten Beweiskraft ist den Rechtsvorschriften zu entnehmen. Soweit eine ausdrückliche Regelung zur Beweiswirkung besteht, ist diese ausschlaggebend. Fehlt eine solche, kann sich die erhöhte Beweiskraft mittelbar – unter Beachtung der Anschauung des Rechtsverkehrs – aus den Vorschriften ergeben, die für die Errichtung und den Zweck der Urkunde maßgeblich sind5.

Nach gefestigter Rechtsprechung kommt es daher entscheidend auf den auf der Grundlage einer Rechtsvorschrift beurkundeten öffentlichen Glauben an; die spezifische Beweiswirkung der öffentlichen Urkunde kann somit nicht – losgelöst von der Rechtsgrundlage – allein aus der Verkehrsanschauung hergeleitet6 oder ausschließlich mit dem Beurkundungsinhalt, dem Beurkundungsvorgang und den tatsächlichen Prüfungsmöglichkeiten der Behörde begründet werden.

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Unter Anlegung dieser Maßstäbe sind die verfahrensgegenständlichen Veterinärbescheinigungen nicht als öffentliche Urkunden im strafrechtlichen Sinne zu beurteilen. Es fehlt an einer Rechtsgrundlage für die Ausstellung der Veterinärbescheinigungen als Ausfuhrdokumente mit voller Beweiswirkung für und gegen jedermann.

Nach den Feststellungen dienten die Zertifikate, was sich bereits aus ihrer Bezeichnung ergibt, dem Fleischexport aus Deutschland in die Ukraine. Mit ihnen wurden lebensmittelrechtlich relevante Aspekte dokumentiert; es wurde im Wesentlichen bestätigt, dass die gelieferten Fleischwaren bestimmten – insbesondere im europäischen Recht normierten – Anforderungen an die Lebensmittelsicherheit genügten, was für die Ukraine naheliegend von erheblicher Bedeutung war. So sieht das Muster Angaben etwa zur Tiergesundheit, zur Unbelastetheit des Fleisches sowie zu hygienischen Anforderungen an die Verarbeitung unter Bezugnahme auf Verordnungen und eine Richtlinie der Europäischen Gemeinschaft vor. Auf die damalige ukrainische Einfuhrreglementierung dergestalt, dass die für den Bezug von Schweinefleisch aus dem Ausland erforderliche Importlizenz von den dortigen staatlichen Stellen nur dann erteilt wurde, wenn der ausländische Lieferant selbstgeschlachtetes Fleisch verarbeitet hatte, geht das Formular indes nicht explizit ein. Bei wahrheitsgemäßen Angaben wäre ein etwaiger Verstoß gegen die Lizenzbedingungen freilich zwangsläufig offenbart worden.

Eine Rechtsgrundlage für die Ausstellung der Veterinärbescheinigungen als mit öffentlichem Glauben versehener Exportdokumente ergibt sich nicht aus den allgemeinen Vorschriften des Lebensmittelrechts.

Zwar gehörte (und gehört) in Niedersachsen die verwaltungsrechtliche Überwachung von aus Deutschland in Länder außerhalb der Europäischen Union ausgeführten Lebensmitteln grundsätzlich zu den Aufgaben der Landkreise und kreisfreien Städte. Die sachliche Zuständigkeit zur Tatzeit folgt aus § 2 Nr. 5 Buchst. a der Verordnung über Zuständigkeiten auf verschiedenen Gebieten der Gefahrenabwehr (ZustVO-SOG) aF i.V.m. § 38 Abs. 1, § 39 Abs. 1 LFGB, Art. 12 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 178/2002 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 28.01.2002 zur Festlegung der allgemeinen Grundsätze und Anforderungen des Lebensmittelrechts, zur Errichtung der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit und zur Festlegung von Verfahren der Lebensmittelsicherheit (sog. Basisverordnung). Nach Art. 12 Abs. 1 VO (EG) Nr. 178/2002 haben auch aus der Gemeinschaft in ein Drittland ausgeführte Lebensmittel grundsätzlich den europarechtlichen Anforderungen des Lebensmittelrechts zu genügen. Die Überwachung der Einhaltung der unmittelbar geltenden Rechtsakte der Europäischen Union ist nach § 38 Abs. 1, § 39 Abs. 1 LFGB die Aufgabe der nach Landesrecht zuständigen Behörden; in Niedersachsen ist sie den Landkreisen und kreisfreien Städten übertragen (vgl. § 2 Nr. 5 Buchst. a ZustVO-SOG aF bzw. § 2 Abs. 1 Nr. 5 ZustVO-SOG nF).

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Mit dieser grundsätzlichen Übertragung der Aufgabe der Überwachung der Lebensmittelsicherheit auch in Fällen der Ausfuhr in ein Drittland ist jedoch den Landkreisen bzw. kreisfreien Städten nicht zugleich die Befugnis zugewiesen, Urkunden zu errichten, die die Dokumentation der Ergebnisse von Kontrollen mit Wirkung für und gegen jedermann betreffen. Eine von einer Behörde ausgestellte Urkunde hat nicht schon deshalb die erforderliche erhöhte Beweiskraft, weil die zu beurkundenden Vorgänge in ihren gesetzlich bestimmten Aufgabenbereich fallen; vielmehr ist – wie oben ausgeführt – (mindestens) erforderlich, dass durch Rechtsvorschriften gerade die Beurkundung seitens der Behörde geregelt ist. Aus den für die Errichtung und den Zweck der Urkunde maßgebenden Rechtsnormen ergeben sich die spezifische Beweiswirkung und ihre Reichweite. Im nationalen und supranationalen Lebensmittelrecht ist indes für die Ausfuhr in ein Drittland – anders als etwa für die Einfuhr aus einem Drittland (s. etwa Art. 14 der Verordnung (EG) Nr. 854/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29.04.2004 mit besonderen Verfahrensvorschriften für die amtliche Überwachung von zum menschlichen Verzehr bestimmten Erzeugnissen tierischen Ursprungs) – eine solche die Beurkundung betreffende allgemeinverbindliche Vorschrift nicht vorhanden.

Eine die erhöhte Beweiskraft bewirkende Rechtsgrundlage für die Ausstellung der Zertifikate lässt sich ebenso wenig der am 31.10.2005 zwischen dem Bundesministerium für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft und dem ukrainischen Veterinärdienst getroffenen Übereinkunft über eine „Veterinärbescheinigung für die Ausfuhr von frischem Schweinefleisch aus der Bundesrepublik Deutschland in die Ukraine“ oder den beiden E-Mails des Bundesministeriums vom 04.11.2005; und vom 13.03.2011 entnehmen.

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Mit der Übereinkunft selbst lässt sich ein öffentlicher Glaube der dem abgestimmten Muster entsprechenden Veterinärbescheinigungen nicht begründen.

Bei dieser Vereinbarung handelt es sich nicht um einen ratifizierten völkerrechtlichen Vertrag mit Gesetzeskraft im Inland (vgl. Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG); sie ist nicht im Teil – II des Bundesgesetzblatts veröffentlicht. Vielmehr wurde sie von den beiden beteiligten Staaten auf Verwaltungsebene getroffen (s. auch Art. 59 Abs. 2 Satz 2 GG). Dementsprechend hat sie unmittelbar allein verwaltungsinterne Bedeutung und begründet keine Rechte und Pflichten Dritter. Für den Rechtsunterworfenen wirkt sich die Abmachung nur mittelbar aus: Die Kontrollmaßnahmen, die auf Grund anderer lebensmittelrechtlicher Vorschriften zu den Aufgaben der Behörde gehören, sind zum Zweck der Förderung des grenzüberschreitenden Handelsverkehr in einem einheitlichen Formular zu dokumentieren.

Aus der bilaterale Abkommen regelnden Vorschrift des Art. 12 Abs. 2 VO (EG) Nr. 178/2002 i.V.m. § 38 Abs. 1, § 39 Abs. 1 LFGB, § 2 Nr. 5 Buchst. a ZustVO-SOG aF ergibt sich nichts anderes. Auf den Rechtscharakter und den sachlichen Gehalt der Übereinkunft selbst kann sich diese Regelung nicht auswirken. Daher kann vorliegend dahingestellt bleiben, ob Art. 12 Abs. 2 VO (EG) Nr. 178/2002 überhaupt anwendbar ist.

Die E-Mails des Bundesministeriums für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft vom 04.11.2005; und vom 13.03.2011 stellen ebenfalls keine „Rechtsvorschriften“ dar, denen sich mittelbar entnehmen ließe, dass den Veterinärzertifikaten eine erhöhte Beweiskraft zukäme. Dabei kommt es nicht darauf an, ob der Ansicht der Strafkammer zu folgen ist, dass die formlosen elektronischen Nachrichten als Erlasse im verwaltungsrechtlichen Sinne zu beurteilen seien, was zur Folge habe, dass (neben § 2 Nr. 5 Buchst. a Zust-VO-SOG aF) auch die Voraussetzungen des § 2 Nr. 1 ZustVO-SOG aF vorlägen.

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Selbst wenn die E-Mails – in eher ungewöhnlicher Form erteilte – generalisierende Weisungen im Behördengefüge darstellten, begründeten sie keine spezifische Beweiswirkung für und gegen jedermann. Wie oben dargelegt, bestimmt sich der öffentliche Glaube einer behördlich errichteten Urkunde ebenso wie dessen Reichweite nach den jeweiligen Rechtsvorschriften. Hiermit sind prinzipiell allgemeinverbindliche Gesetze in einem materiellen Sinne (Gesetze, Verordnungen, Satzungen) gemeint, nicht dagegen Verwaltungsinterna. Verwaltungsvorschriften können ausnahmsweise Berücksichtigung finden, wenn mit ihnen die gesetzliche Grundlage ausgestaltet und präzisiert wird7. Die von der Strafkammer als Erlasse behandelten E-Mails erschöpften sich indes in einer schlichten Mitteilung bzw. einem bloßen Hinweis ohne Bezug zu einer entsprechenden Rechtsnorm.

Soweit das Reichsgericht entschieden hat, auf Grund unveröffentlichter behördlicher „Anordnungen“ geführte Gefangenenjournale bzw. bücher könnten mit erhöhter Beweiskraft versehene Feststellungen zu den Häftlingen enthalten8, waren die betreffenden Verwaltungsvorschriften (Teil der Geschäftsordnung der Justizbehörden, Schließereiordnung) wie Gesetze im materiellen Sinne ausgeformt. Ungeachtet der Frage, inwieweit an den reichsgerichtlichen Entscheidungen noch festzuhalten ist, sind die hier zu beurteilenden E-Mails mit derartigen gesetzesgleichen „Anordnungen“ nicht vergleichbar.

Ergänzend kommt hinzu, dass gegen eine spezifische Beweiswirkung der Veterinärzertifikate für und gegen jedermann der Zweck der bilateralen Übereinkunft auf Verwaltungsebene sowie der Weiterleitung des abgestimmten Musters an die Veterinärbehörden sprechen dürfte. Mit dem Muster sollte der grenzüberschreitende Handelsverkehr erleichtert werden. Deswegen waren die Dokumente als ein dem für die Ausfuhr von Schweinefleisch dienlicher Nachweis gegenüber den damit befassten, insbesondere ukrainischen Behörden bestimmt. Dass sich jeder Dritte gegenüber dem Exporteur und dieser gegenüber sämtlichen Dritten darauf berufen kann, war erkennbar nicht Anliegen des Bundesministeriums für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft. Es ist nichts dafür ersichtlich, dass es dem Sinn der Übereinkunft entspräche, wenn sich jedes Rechtssubjekt alle oder einzelne Befunde in den Veterinärbescheinigungen entgegenhalten lassen müsste; zu denken wäre etwa an den Fall, dass Verbraucher vor deutschen Gerichten Rechte gegen den Exporteur wegen Nichtbeachtung bestimmter in den Zertifikaten bestätigter Vorschriften der Lebensmittelsicherheit geltend machen.

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Weitere tatsächliche Feststellungen, die zu einer Verurteilung der Angeklagten im Hinblick auf die angeklagten prozessualen Taten führen könnten, sind nach Lage des Falls ausgeschlossen. Auch eine Strafbarkeit nach anderen Strafvorschriften als § 271 StGB kommt nicht in Betracht. Insbesondere scheidet eine Verurteilung wegen Betruges (§ 263 Abs. 1 StGB) durch das Gebrauchmachen von den inhaltlich unzutreffenden Veterinärbescheinigungen gegenüber der Firma Y. aus, weil nichts dafür ersichtlich ist, dass die von der Firma V. gelieferten Fleischwaren lebensmittelrechtlich bedenklich gewesen sein könnten. Der Bundesgerichtshof hat daher gemäß § 354 Abs. 1 StPO in der Sache selbst zu entscheiden und die Angeklagten – unter Aufhebung des angefochtenen Urteils – freizusprechen.

Bundesgerichtshof, Urteil vom 11. Januar 2018 – 3 StR 378/17

  1. vgl. BGH, Urteil vom 11.06.1963 – 1 StR 463/62, BGHSt 19, 19, 21; Beschluss vom 14.08.1986 – 4 StR 400/86, BGHR StGB § 348 Abs. 1 Notar 1[]
  2. wie des § 348 Abs. 1 StGB[]
  3. vgl. BGH, Urteil vom 07.10.1954 – 3 StR 718/53, BGHSt 6, 380, 381; Beschlüsse vom 02.07.1968 – GSSt 1/68, BGHSt 22, 201, 202 f.; vom 30.10.2008 – 3 StR 156/08, BGHSt 53, 34, 35 f.; vom 14.06.2016 – 3 StR 128/16, BGHR StGB § 271 Abs. 1 Öffentlicher Glaube 5; S/S-Heine/Schuster, StGB, 29. Aufl., § 271 Rn. 8, 20; LK/Zieschang, StGB, 12. Aufl., § 271 Rn. 9, 29 f.[]
  4. vgl. LK/Zieschang aaO, Rn. 18 mwN[]
  5. vgl. BGH, Urteile vom 12.10.1995 – 4 StR 259/95, NJW 1996, 470; vom 16.04.1996 – 1 StR 127/96, BGHSt 42, 131; vom 25.05.2001 – 2 StR 88/01, BGHSt 47, 39, 42; Beschluss vom 14.06.2016 – 3 StR 128/16, aaO[]
  6. entgegen LK/Zieschang aaO, Rn. 35 unter fälschlicher Berufung auf BGH, Urteil vom 25.05.2001 – 2 StR 88/01, aaO, S. 42, 44[]
  7. derartige Regelungen berücksichtigend: BGH, Urteil vom 24.04.1985 – 3 StR 66/85, BGHSt 33, 190, 192 f.; OLG Rostock, Urteil vom 21.08.2002 – 1 Ss 93/01 – I 5/02, NStZ-RR 2004, 172[]
  8. vgl. RG, Urteile vom 27.03.1908 – IV 205/08, RGSt 41, 201, 205; vom 30.12 1910 – V 797/10, RGSt 44, 196, 197 f.; s. auch LK/Zieschang, StGB, 12. Aufl., § 271 Rn. 35[]
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