Abschiebehaft in der Türkei – und ihre Anrechnung auf eine deutsche Freiheitsstrafe

Eine im Ausland erlittene Abschiebehaft ist auf eine in Deutschland  verhängte Freiheitsstrafe anzurechnen, wenn sie durch die Tat infolge der internationalen Fahndung durch die deutschen Behörden veranlasst gewesen ist.

Abschiebehaft in der Türkei – und ihre Anrechnung auf eine deutsche Freiheitsstrafe

Die Anrechnung gemäß § 51 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 Satz 2 StGB setzt voraus, dass die im Ausland erfahrene Freiheitsentziehung aus Anlass derjenigen Tat erfolgt ist, die Gegenstand des deutschen Strafverfahrens ist oder gewesen ist (sog. Grundsatz der Verfahrenseinheit, vgl. etwa BGH, Beschluss vom 13.12.2016 – 3 StR 440/16, StV 2018, 561 Rn. 4). So liegt es regelmäßig bei der Auslieferungshaft. Bei im Ausland erlittener Abschiebehaft kommt es – über den Wortlaut von § 450a StPO hinaus – auf den Einzelfall an. Sie ist dann anrechenbar, wenn sich eine sachlich nicht gerechtfertigte Benachteiligung des Verurteilten, der sich in Abschiebehaft befand, gegenüber solchen ergibt, die Auslieferungshaft durchlebt haben1.

Denn nach Sinn und Zweck von § 51 Abs. 1 Satz 1 StGB soll jede Art von Freiheitsentziehung, die aus Anlass der Tat stattgefunden hat, auf die ausgesprochene Strafe angerechnet werden, unabhängig davon, ob die Freiheitsentziehung nach den Vorschriften der Strafprozessordnung erfolgt ist oder aufgrund anderer Regelungen, unabhängig auch davon, ob deutsche oder ausländische Behörden die Freiheitsentziehung angeordnet haben. Eine im Ausland erlittene Abschiebehaft ist daher anzurechnen, wenn sie durch die Tat infolge der internationalen Fahndung durch die deutschen Behörden veranlasst gewesen ist2. In diesen Fällen der „Auslieferung durch Abschiebung“ liegt die von § 51 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 Satz 2 StGB vorausgesetzte funktionale Verfahrenseinheit zwischen der Auslandshaft und dem deutschen Strafverfahren vor. Die Anrechnung ist dann Ausfluss des Freiheitsrechts aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG3.

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Ist die Auslieferungshaft dagegen nicht auf das deutsche Strafverfahren, sondern auf andere Umstände zurückzuführen, besteht für eine Anrechnung kein sachlicher Grund. Dann gilt, dass der Angeklagte durch die Anrechnung der ausländischen Haft nicht besser stehen soll, als er gestanden hätte, wenn das gesamte Tatgeschehen im Inland abgeurteilt worden wäre4.

Daran gemessen waren die Voraussetzungen für eine Anrechnung in dem hier vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall nicht erfüllt. Die Auslieferung und die ihr vorausgehende Inhaftierung des Angeklagten standen mit dem hiesigen Haftbefehl und Tatvorwurf in keinem Zusammenhang. Sie beruhten nicht auf einer von deutschen Behörden betriebenen Fahndung.

Bundesgerichtshof, Beschluss vom 5. August 2020 – 3 StR 231/20

  1. BVerfG, Beschluss vom 14.01.2005 – 2 BvR 1825/03, BVerfGK 5, 17, 24[]
  2. s. BGH, Beschluss vom 10.04.1997 – 5 StR 674/96, BGHR StGB § 51 Abs. 3 Anrechnung 4[]
  3. BVerfG, Beschluss vom 14.01.2005 – 2 BvR 1825/03, BVerfGK 5, 17, 23 f.[]
  4. vgl. BGH, Beschluss vom 13.12.2016 – 3 StR 440/16, StV 2018, 561 Rn. 4[]

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