Der Bundesgerichtshof hatte sich aktuell mit der rechtlichen Bewertung eines Alternativvorsatzes für den Fall befassen, dass sich dieser Alternativvorsatz auf die Verletzung höchstpersönlicher Rechtsgüter verschiedener Rechtsgutsträger bezieht:

In dem hier vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall schlug der Angeklagte mit einem Hammer in Richtung der Nebenklägerin und ihres unmittelbar hinter ihr stehenden Bruders. Dabei hielt er es für möglich, dass der Hammer eine der beiden Personen treffen und verletzen könnte. Dies nahm er billigend in Kauf. Die Nebenklägerin und ihr Bruder konnten den Schlag so weit ablenken, dass der Hammer den Bruder der Nebenklägerin leicht am Kopf traf.
Das Landgericht Frankenthal1 ist erstinstanzlich im Ergebnis zutreffend davon ausgegangen, dass der Angeklagte bei der Tatausführung im Hinblick auf jedes der beiden Tatopfer mit einem bedingten Körperverletzungsvorsatz handelte und sich deshalb in Bezug auf die Nebenklägerin einer versuchten gefährlichen Körperverletzung (§ 224 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2, §§ 22, 23 StGB) und hinsichtlich ihres Bruders einer (vollendeten) gefährlichen Körperverletzung (§ 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB) schuldig gemacht hat. Beide Delikte stehen zueinander im Verhältnis der Tateinheit (§ 52 StGB).
Die Tatsache, dass der Angeklagte den Eintritt eines Körperverletzungserfolges bei nur einem der beiden Tatopfer für möglich hielt, nicht aber einen Erfolgseintritt bei beiden (sog. Alternativvorsatz), steht der Annahme von zwei bedingten Körperverletzungsvorsätzen nicht entgegen.
Der Bundesgerichtshof hat – soweit ersichtlich – noch keine Entscheidung dazu getroffen, wie miteinander verbundene, auf sich gegenseitig ausschließende Erfolge bei verschiedenen Opfern gerichtete bedingte Vorsätze zu behandeln sind. Das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 15.09.20052, das in der Literatur zum Teil als Entscheidung zu einem Fall sich gegenseitig ausschließender bedingter Vorsätze angesehen wird3, betrifft eine Konstellation, in welcher der Angeklagte den Tod eines der beiden Opfer anstrebte und daneben den Tod des zweiten Opfers billigend in Kauf nahm. Beide bedingten Vorsätze schlossen sich dabei also nicht gegenseitig aus, sondern konnten nach der Vorstellung des Täters nebeneinander verwirklicht werden (sog. kumulativer Vorsatz)4 hat der Bundesgerichtshof in einem Fall, bei dem der Täter mit einem Pkw in eine Menschengruppe fuhr und dabei wusste, dass er eine Person aus der Gruppe anfahren und verletzen konnte, auf die Revision des Angeklagten eine Verurteilung wegen (eines) versuchten Totschlags in gefährliche Körperverletzung abgeändert. Das tatrichterliche Urteil enthielt keine konkreten Feststellungen zu der Zahl der möglichen Alternativopfer und zu einem darauf bezogenen Vorsatz des Täters5. Der Bundesgerichtshof war daher nicht gehalten, sich zu der Frage eines sogenannten Alternativvorsatzes zu äußern.
Für das Verhältnis zwischen einem mit bedingtem Tötungsvorsatz begangenen Totschlagsversuch und einer für den Fall des Überlebens alternativ zumindest für möglich gehaltenen schweren Körperverletzung gemäß § 226 Abs. 1, Abs. 2 StGB zum Nachteil desselben Opfers ist allerdings bereits anerkannt, dass sich nach der Vorstellung des Täters gegenseitig ausschließende Folgen (sofortiger Tod oder Weiterleben mit schweren Folgen) Gegenstand von zwei nebeneinander bestehenden Vorsätzen sein können6.
In der Literatur wird teilweise die Auffassung vertreten, dass in den Fällen des sogenannten Alternativvorsatzes nur einer der beiden Vorsätze zurechenbar sein könne, weil es der Täter ausgeschlossen habe, mehr als eines der in Rede stehenden Delikte zu vollenden7. Demgegenüber nimmt die Literatur mehrheitlich eine handlungseinheitliche Verwirklichung beider Vorsätze an und will sich hieraus ergebende Wertungsprobleme erst – mit unterschiedlichen Ergebnissen – auf der Konkurrenzebene lösen8.
Der Bundesgerichtshof geht entsprechend der überwiegenden Meinung in der Literatur davon aus, dass der Angeklagte mit zwei – ihm zurechenbaren – bedingten Körperverletzungsvorsätzen gehandelt hat.
Bedingt vorsätzliches Handeln setzt voraus, dass der Täter den Eintritt des tatbestandlichen Erfolges als möglich und nicht ganz fernliegend erkennt, weiter, dass er ihn billigt oder sich um des erstrebten Zieles willen mit der Tatbestandsverwirklichung zumindest abfindet9.
Diese Voraussetzungen sind nach den Feststellungen im hier entschiedenen Fall sowohl hinsichtlich der Nebenklägerin als auch in Bezug auf ihren Bruder erfüllt. Für die Annahme von nur einem zurechenbaren Vorsatz besteht kein Grund. Ein Verstoß gegen Denkgesetze liegt nicht vor, denn auf sich gegenseitig ausschließende Erfolge gerichtete Vorsätze können miteinander verbunden werden, solange sie – wie hier – nicht den sicheren Eintritt eines der Erfolge zum Gegenstand haben10.
Auch hat die Strafkammer das Konkurrenzverhältnis zutreffend beurteilt. Jedenfalls dann, wenn sich alternative Vorsätze des Täters – wie hier – auf höchstpersönliche Rechtsgüter verschiedener Rechtsgutsträger richten und einer der erwarteten Erfolge eintritt, stehen das vollendete und das versuchte Delikt zueinander in Tateinheit (§ 52 StGB).
In Rechtsprechung und Lehre ist anerkannt, dass von einer sogenannten gleichartigen Tateinheit (Idealkonkurrenz) auszugehen ist, wenn der Täter durch eine Handlung denselben Tatbestand mehrfach verwirklicht und dabei höchstpersönliche Rechtsgüter verschiedener Rechtsgutsträger betroffen sind11. Andernfalls wäre eine erschöpfende Erfassung des verwirklichten Tatunrechts zum Nachteil aller Geschädigten im Schuldspruch nicht sichergestellt und würde dessen Klarstellungsfunktion nicht vollständig Rechnung getragen12.
Daran gemessen ist auch im vorliegenden Fall von (gleichartiger) Tateinheit auszugehen. Denn der Angeklagte hat sowohl die zum Schutz der körperlichen Unversehrtheit der Nebenklägerin als auch die zum Schutz der körperlichen Integrität ihres Bruders aufgestellten Verhaltensnormen verletzt und in Bezug auf beide ein Delikt verwirklicht bzw. unmittelbar dazu angesetzt13. Obgleich er davon ausgegangen ist, dass allenfalls ein tatbestandsmäßiger Erfolg eintreten wird, hat er damit eine größere Tatschuld auf sich geladen, als derjenige, der nur einen einfachen Vorsatz aufweist14. Dieser Schuldgehalt wird erst mit der tateinheitlichen Verurteilung auch wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung zum Nachteil der Nebenklägerin neben der Verurteilung wegen vollendeter gefährlicher Körperverletzung zum Nachteil ihres Bruders erschöpfend abgebildet und klargestellt.
Der Bundesgerichtshof kann dabei offenlassen, ob diese Erwägungen in Fällen des Alternativvorsatzes generell gelten oder ob – wie in der Literatur teils gefordert – in bestimmten Konstellationen das versuchte Delikt im Wege der Gesetzeseinheit konsumiert wird.
Allerdings bemängelte der Bundesgerichtshof im hier entschiedenen Fall die Strafzumessung durch das Landgericht Frankenthal: Der Strafausspruch ist rechtsfehlerhaft, weil das Landgericht bei der Bemessung der Einzelstrafe von drei Jahren Freiheitsstrafe aus dem Regelstrafrahmen des § 224 Abs. 1 StGB für die zum Nachteil des Bruders der Nebenklägerin begangene vollendete gefährliche Körperverletzung die in Tateinheit stehende versuchte gefährliche Körperverletzung zum Nachteil der Nebenklägerin uneingeschränkt strafschärfend gewichtet hat, ohne den aufgrund des Alternativvorsatzes des Angeklagten verminderten Handlungsunwert zu berücksichtigten. Unter den hier gegebenen Umständen hätte die Tatsache, dass der Angeklagte seinen Angriff in Bezug auf einen der beiden möglichen Taterfolge für einen Versuch hielt, der ähnlich einem untauglichen Versuch nicht zur Vollendung führen konnte, erkennbar Berücksichtigung finden müssen. Insoweit verhält es sich anders als beim kumulativen Vorsatz, bei dem der Täter ein Zusammentreffen beider Erfolge für möglich hält.
Bundesgerichtshof, Urteil vom 14. Januar 2021 – ? 4 StR 95/20
- LG Frankenthal, Urteil vom 28.10.2019 – 5220 Js 9464/19 1 Ks[↩]
- BGH, Urteil vom 15.09.2005 – 4 StR 216/05[↩]
- so Bosch, JA 2006, 330[↩]
- vgl. Zaczyk in NK-StGB, 5. Aufl., § 22 Rn.20; Satzger, JK 3/06, StGB § 24/35). In einem Beschluss vom 24.07.1989 ((BGH, Urteil vom 24.07.1989 – 4 StR 356/89, JZ 1990, 297[↩]
- BGH, JZ 1990, 297 m. Anm. Joerden[↩]
- vgl. BGH, Beschluss vom 30.05.1995 – 1 StR 213/95, NStZ 1995, 589; Urteil vom 22.01.1997 – 3 StR 522/96, NStZ 1997, 233, 234 [jeweils zu § 225 Abs. 1 aF]; Urteil vom 14.12.2000 – 4 StR 327/00, NJW 2001, 980, 981 m. abl. Anm. Joerden JZ 2002, 414; Urteil vom 25.06.2002 – 5 StR 103/02, BGHR StGB § 226 Abs. 2 schwere Körperverletzung 2; Beschluss vom 03.07.2012 – 4 StR 126/12, Rn. 4 [jeweils zu § 226 Abs. 2 StGB][↩]
- vgl. Joerden, ZStW 95 [1983], 565, 589 ff.; ders., Dyadische Fallsysteme, S. 60 ff.; ders., JZ 1990, 298; ders., Logik im Recht, S. 41 ff.; Zaczyk in NK-StGB, 5. Aufl., § 22 Rn.20; Vogel/Bülte in LK-StGB, 13. Aufl., § 15 Rn. 136; Lampe, NJW 1958, 332; Duttge in Dölling/Duttge/König/Rössner, Gesamtes Strafrecht, 4. Aufl., § 15 Rn. 10; Kühl in Lackner/Kühl, StGB, 29. Aufl., § 15 Rn. 29 mwN[↩]
- vgl. Welzel, Das deutsche Strafrecht, 11. Aufl., § 13 I. 2. d); Roxin, Strafrecht AT, Bd. 1, § 12 Rn. 94; Stein in SK-StGB, 9. Aufl., § 16 Rn. 58 ff.; Sternberg-Lieben/Schuster in Schönke/Schröder, StGB, 30. Aufl., § 15 Rn. 91; Gaede in MR-StGB, 2. Aufl., § 15 Rn. 28; Puppe in NKStGB, 5. Aufl., § 15 Rn. 115; Jakobs, AT, 2. Aufl., 8. Abschn. Rn. 33; Rengier, AT, 11. Aufl., § 14 Rn. 52; Wessels/Beulke/Satzger, AT, 50. Aufl., Rn. 350 ff.; vgl. auch die Darstellungen bei M. Fischer, Wille und Wirksamkeit, S. 11 ff. und Schmitz, ZStW 112, 301, 304 ff. jeweils mwN[↩]
- vgl. BGH, Urteil vom 20.09.2012 – 3 StR 140/12, NStZ-RR 2013, 75, 76; Urteil vom 22.03.2012 – 4 StR 558/11, BGHSt 57, 183 mwN[↩]
- vgl. Jakobs, Strafrecht AT, 2. Aufl., 8. Abschn. Rn. 33; ders., Die Konkurrenz von Tötungsdelikten mit Körperverletzungsdelikten, S. 147; Welzel, Das deutsche Strafrecht, 11. Aufl., § 13 I. 2. d); Roxin, Strafrecht AT, Bd. 1, § 12 Rn. 94; v. Heintschel-Heinegg, JA 2009, 149, 150; im Ansatz auch Lampe, NJW 1958, 332[↩]
- vgl. BGH, Beschluss vom 08.11.2011 – 3 StR 316/11, NStZ 2012, 389; Urteil vom 28.04.1992 – 1 StR 148/92, BGHR StGB § 253 Konkurrenzen 2 mwN[↩]
- vgl. BGH, Beschluss vom 20.10.1992 – GSSt 1/92, BGHSt 39, 100, 108; Beschluss vom 27.11.2018 – 2 StR 481/17, BGHSt 63, 253 Rn. 24 und 32; Urteil vom 24.09.1998 – 4 StR 272/98, BGHSt 44, 196, 199; Urteil vom 05.09.1974 – 4 StR 354/74, BGHSt 25, 373, NJW 1974, 2098; Urteil vom 03.05.1963 – 4 StR 131/63, NJW 1963, 1413, 1414; v. Heintschel-Heinegg in MünchKomm-StGB, 4. Aufl., vor § 52 Rn. 17 und 26 mwN[↩]
- vgl. Stein in SK-StGB, 9. Aufl., § 16 Rn. 58[↩]
- vgl. Sternberg-Lieben/Schuster in Schönke/Schröder, StGB, 30. Aufl., § 15 Rn. 91[↩]
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