Eines der verfassungsrechtlichen Probleme der Sicherungsverwahrung, die uns in den letzten Jahren beschäftigten, war, dass diese zunächst auf maximal 10 Jahre begrenzt war, dann aber durch eine Gesetzesänderung im Jahr 1998 unbegrenzt verlängert wurde (oder wie es der seinerzeitige Bundeskanzler formulierte: „Wegschließen. Und den Schlüssel wegwerfen.“). In diese Verlängerung wurden seiner auch diejenigen Sicherungsverwahrten einbezogen, die eigentlich zu höchstens 10 Jahren Sicherungsverwahrung verurteilt waren, deren Sicherungsverwahrung aber noch nicht beendet war. Diese Täter blieben also auch über die 10-Jahres-Grenze hinaus in Sicherungsverwahrung. Erst im Dezember 2009 machte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte dem ein Ende und entschied, dass die nachträgliche Verlängerung der Sicherungsverwahrung gegen die Europäische Menschenrechtskonvention verstößt. Stand in der Folge dieser Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zunächst die strafrechtliche Aufarbeitung im Vordergrund, insbesondere also die Frage, ob und wie schnell die Betroffenen nun zu entlassen seien, rückt nun eine weitere Frage in den Blickpunkt, nämlich die Frage nach der Entschädigung derjenigen, die zu lange in der Sicherungsverwahrung verbringen mussten.

Als erstes Gericht musste sich jetzt das Landgericht Karlsruhe mit dieser Frage befassen – und verurteilte heute in vier Fällen das Land Baden-Württemberg wegen überlanger Sicherungsverwahrung zu Entschädigungszahlungen in Höhe von insgesamt 240.000 €.
Vor dem Landgericht Karlsruhe geklagt hatten vier Straftäter, die in den 70iger und 80iger Jahren wegen Vergewaltigung und teilweise weiterer Straftaten zu mehrjährigen Freiheitsstrafen verurteilt worden waren. In den Urteilen war wegen der Gefährlichkeit der Täter die anschließende Sicherungsverwahrung angeordnet worden, die zum Zeitpunkt der jeweiligen Verurteilung maximal zehn Jahre andauern durfte. Nachdem diese Zehnjahres-Höchstgrenze 1998 aufgehoben worden war, blieben die vier Kläger über diese zehn Jahre hinaus weitere acht bis zwölf Jahre in der Sicherungsverwahrung in der Justizvollzugsanstalt Freiburg und wurden erst nach dem im Dezember 2009 verkündeten EGMR-Urteil im Laufe des Jahres 2010 aus der Sicherungsverwahrung entlassen. Mit ihren Klagen fordern die vier Kläger nun für diese über 10 Jahre hinausgehende Sicherungsverwahrung eine Entschädigung – drei Kläger in Höhe von 25,- € täglich, ein Kläger in Höhe von täglich 35,- €.
Das Landgericht Karlsruhe hat in seinen jetzt verkündeten Urteilen den Klägern auch diese Entschädigungen zugesprochen, blieb aber in der Höhe der zugesprochenen Summen deutlich hinter den Klagforderungen zurück, da die Karlsruher Richter einzig und allein auf die Entschädigungsvorschriften der Europäischen Menschenrechtskonvention rekurrierten.
Das Landgericht Karlsruhe betonte zunächst die Amtshaftung des Landes Baden-Württemberg: Zwar könne dem Land und seiner Justiz kein Vorwurf gemacht werden, da die Vollstreckungsgerichte, die pflichtgemäß die Fortdauer der Sicherungsverwahrung über die zuvor geltende Zehnjahresfrist hinaus anordneten, das damals geltende Bundesrecht angewendet hätten. Eine Verurteilung des Landes habe dennoch zu erfolgen, so das Landgericht Karlsruhe, da die rückwirkende Aufhebung der Zehnjahresfrist gegen die Europäische Menschenrechtskonvention verstieß und diese bei konventionswidriger Freiheitsentziehung einen verschuldensunabhängigen Entschädigungsanspruch vorsieht.
Für die Höhe des den ehemaligen Sicherungsverwahrten zustehenden Entschädigungsanspruchs legte das Landgericht Karlsruhe sodann den Betrag von 500,- € für jeden zu Unrecht in der Sicherungsverwahrung verbrachten Monat zugrunde, den der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte selbst nach Art. 41 EMRK in vergleichbaren Fällen zuerkennt. Damit sprach das Landgericht den Klägern ca. die Hälfte bis zwei Drittel der jeweils eingeklagten Beträge zu, im Einzelnen 49.000 €, 53.000 €, 65.000 € und 73.000 €.
Landgericht Karlsruhe, Urteile vom 24. April 2012 – 2 O 278/11, 2O 279/11, 2 O 316/11 und 2 O 330/11