An einen Antrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens dürfen mit Blick auf die Prüfung, ob eine hinreichend konkretisierte Beweisbehauptung aufgestellt ist, keine überspannten Anforderungen gestellt werden. Dies gilt insbesondere, soweit der Antragsteller nicht in der Lage ist, die der Beweisbehauptung zugrunde liegenden Vorgänge oder Zustände exakt zu bezeichnen [1].

So lag es auch in dem hier vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall:
Bei dem Antrag des Angeklagten handelte es sich um einen Beweisantrag. Er bezeichnet nicht lediglich das Beweisziel, das Vorliegen eines Schuldausschlusses nach § 20 StGB bzw. einer verminderten Schuldfähigkeit im Sinne von § 21 StGB, sondern behauptet mit dem Hinweis auf das Vorliegen einer „FASD„Behinderung und einer sich daraus ergebenden Beeinträchtigung der Schuldfähigkeit des Angeklagten eine bestimmte Tatsache, die auch dem Sachverständigenbeweis zugänglich ist. Mit der Nennung einer Diagnose, die der Sachverständige stellen soll, bezeichnet der Beweisantrag eine Tatsachenbehauptung, die über die bloße Schlussfolgerung der Beeinträchtigung der Schuldfähigkeit hinausgeht [2].
Die unter Beweis gestellte Behauptung einer solchen Erkrankung ist auch nicht ins Blaue aufgestellt worden. Die Erklärung der Adoptivmutter des Angeklagten, die in dem Beweisantrag in Bezug genommen worden ist, bietet eine noch hinreichende Grundlage für die unter Beweis gestellte Tatsache. Weiteren Vorbringens zu den möglichen Auswirkungen einer solchen Erkrankung auf die Schuldfähigkeit des Angeklagten bedurfte es nicht. An einen Antrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens dürfen mit Blick auf die Prüfung, ob eine hinreichend konkretisierte Beweisbehauptung aufgestellt ist, keine überspannten Anforderungen gestellt werden; denn insoweit ist der Antragsteller vielfach nicht in der Lage, die der Beweisbehauptung zugrunde liegenden Vorgänge oder Zustände exakt zu bezeichnen [1]. So liegt es auch hier. Ob beim Angeklagten eine „FASD„Erkrankung vorliegt und ob und gegebenenfalls in welcher Weise eine solche Erkrankung Einfluss auf die Schuldfähigkeit des Angeklagten genommen hat, ist gerade die vom Sachverständigen zu beantwortende und beim Angeklagten nicht vorhandenes Spezialwissen erfordernde Frage.
Die Ablehnung des Beweisantrags begegnete im hier vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Das Landgericht hat sich weder ausdrücklich auf einen der in § 244 Abs. 3 bis 5 StPO abschließend genannten Ablehnungsgründe gestützt, noch lässt sich, wie der Generalbundesanwalt meint, der Ablehnungsbegründung entnehmen, dass einer dieser Ablehnungsgründe die Zurückweisung rechtfertigt. Insbesondere rechtfertigt der Ablehnungsbeschluss keine Zurückweisung wegen tatsächlicher Bedeutungslosigkeit der unter Beweis gestellten Tatsache. Aus tatsächlichen Gründen bedeutungslos sind Tatsachen, wenn der Nachweis ihres Vorliegens im Ergebnis nichts erbringen kann, weil er die Beweiswürdigung nicht zu beeinflussen vermag. Zur Prüfung der Erheblichkeit ist die unter Beweis gestellte Tatsache wie eine erwiesene Tatsache in das bisherige Beweisergebnis einzufügen; es ist zu fragen, ob hierdurch die Beweislage in einer für den Urteilsspruch relevanten Weise beeinflusst würde. Dabei ist die Beweistatsache als Teil des Gesamtergebnisses in ihrer indiziellen Bedeutung zu würdigen [3]. Diesen Anforderungen wird die landgerichtliche Ablehnungsbegründung nicht gerecht. Die Strafkammer hat schon nicht – wie es notwendig gewesen wäre – die unter Beweis gestellte Tatsache einer „FASD„Erkrankung beim Angeklagten als erwiesenen Teil des Gesamtergebnisses gewürdigt. Sie hat sich im Ergebnis vielmehr darauf beschränkt, als erwiesen anzusehen, dass die Mutter des Angeklagten übermäßig Alkohol in der Schwangerschaft zu sich genommen habe, hat damit aber lediglich die Grundlagen der aufgestellten Beweisbehauptung in den Blick genommen, ohne den Beweisantrag mit seiner Tatsachenbehauptung einer vorgeburtlichen Schädigung durch Alkoholkonsum der Mutter vollständig zu erfassen. Im Übrigen begegnet die Würdigung der Strafkammer auch insoweit erheblichen Bedenken, als sie einen maßgeblichen Einfluss des Alkoholkonsums der Mutter auf die Steuerungsfähigkeit – aus eigener Sachkunde – verneint. Steht – wie hier – letztlich eine Hirnschädigung im Raum, liegt regelmäßig die Annahme eigener Sachkunde fern. Ob bei dem Angeklagten eine psychische Erkrankung tatsächlich vorliegt, vermag nur ein Sachverständiger mit einem medizinischen Spezialwissen anhand des konkreten Falles zuverlässig zu beurteilen [4].
Auf der fehlerhaften Ablehnung des Beweisantrags beruht jedenfalls der Strafausspruch. Der Bundesgerichtshof konnte im hier entschiedenen Fall zwar ausschließen, dass ein eingeholtes Sachverständigengutachten zur Annahme der Voraussetzungen des § 20 StGB gekommen wäre, nicht aber, dass sich daraus das Vorliegen einer erheblich verminderten Schuldfähigkeit ergeben hätte.
Bundesgerichtshof, Beschluss vom 11. Dezember 2019 – 2 StR 498/19
- vgl. etwa BGH, Beschluss vom 10.04.2019 – 4 StR 25/19, NStZ 2019, 628[↩][↩]
- vgl. BGH, Beschluss vom 30.09.2014 – 3 StR 351/14, StV 2015, 206; LRStPO/Becker, 27. Aufl., § 244 Rn. 98[↩]
- st. Rspr.; vgl. zuletzt BGH, Beschluss vom 03.12 2015 2 StR 177/15, NStZ 2016, 365[↩]
- vgl. BGH, Beschluss vom 23.02.2000 – 3 StR 15/00; MeyerGoßner/Schmitt, StPO, 62. Aufl., § 244 Rn. 74b mwN[↩]