Aufklärungspflichten aus Ingerenz – über eigene Straftaten

Die Entscheidung, ob ein bestimmtes, den strafrechtlich missbilligten Erfolg abwendendes Verhalten zumutbar ist, muss grundsätzlich von dem dazu berufenen Tatrichter im Rahmen einer wertenden Gesamtwürdigung des Einzelfalles getroffen werden, in die einerseits die widerstreitenden Interessen der Beteiligten und andererseits die Gefahr für das bedrohte Rechtsgut einzubeziehen sind1.

Aufklärungspflichten aus Ingerenz – über eigene Straftaten

Ist mit der Vornahme der rechtlich gebotenen Handlung die Gefahr der Aufdeckung eigener Straftaten des Garanten verbunden, steht dies der Zumutbarkeit normgemäßen Verhaltens gerade wegen des eigenen rechtswidrigen Verhaltens im Vorfeld regelmäßig nicht entgegen2.

Auch aus dem Verfassungsrecht lässt sich nicht ableiten, dass Selbstbegünstigung als Ausfluss persönlicher Freiheit stets straflos oder darüber hinausgehend sogar erlaubt sein müsse3.

Ebenso wenig schließt das Verfassungsrecht aus, Selbstbegünstigungshandlungen unter Strafe zu stellen, wenn durch diese strafrechtlich geschützte Rechtsgüter Dritter beeinträchtigt werden4.

Bei Anlegen dieser Maßstäbe hat es das Landgericht im vorliegenden Fall rechtsfehlerfrei für den Angeklagten zumutbar erachtet, die Anleger über die erheblichen Schädigungen der Vermögen der Fondsgesellschaften zu informieren. Im Rahmen der geforderten Abwägung sind die Interessen der zahlreichen Anleger, nicht weiter „wertlose“ Einzahlungen in die Fondsgesellschaften zu leisten, höher gewichtet worden als die Interessen des Angeklagten daran, sich nicht der Gefahr eigener Strafverfolgung auszusetzen. Diese Wertung ist nicht zu beanstanden. Ob anderes zu gelten hätte, wenn die rechtlich gebotene Handlung während eines laufenden Strafverfahrens notwendig mit einem Geständnis einherginge5, bedarf keiner Entscheidung. Eine solche Situation war vorliegend nicht gegeben.

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Bundesgerichtshof, Beschluss vom 8. März 2017 – 1 StR 540/16

  1. BGH, Urteil vom 19.12 1997 – 5 StR 569/96, BGHSt 43, 381, 398 f.; siehe auch bereits BGH, Urteil vom 20.12 1983 – 1 StR 746/83, NStZ 1984, 164; Kudlich in Satzger/Schluckebier/Widmaier aaO § 13 Rn. 44; Wohlers/Gaede in Nomos Kommentar zum StGB, 4. Aufl., § 13 Rn. 18[]
  2. BGH, Urteile vom 01.04.1958 – 1 StR 24/58, BGHSt 11, 353, 355 f.; vom 19.12 1997 – 5 StR 569/96, BGHSt 43, 381, 399; vgl. auch BGH, Urteil vom 06.05.1960 – 4 StR 117/60, BGHSt 14, 282, 286 f.; Weigend in Leipziger Kommentar zum StGB, 12. Aufl., § 13 Rn. 69; Kudlich aaO § 13 Rn. 44; Wohlers/Gaede aaO § 13 Rn. 18[]
  3. BVerfG, Beschluss vom 29.05.1963 – 2 BvR 161/63, BVerfGE 16, 191, 194[]
  4. vgl. BVerfG aaO BVerfGE 16, 191, 194; siehe auch BGH, Urteil vom 10.02.2015 – 1 StR 488/14, BGHSt 60, 198, 204 f. Rn. 35 f.[]
  5. dazu Wohlers/Gaede aaO § 13 Rn. 18[]