Auslandshaft – und ihre Anrechnung im Inland

Nach § 51 Abs. 3 Satz 1 StGB wird auf eine inländische Strafe eine im Ausland vollstreckte Strafhaft angerechnet, wenn der Angeklagte im Ausland wegen derselben Tat bestraft worden ist.

Auslandshaft – und ihre Anrechnung im Inland

Dies ist nicht nur der Fall, wenn das ausländische und das inländische Urteil dieselbe Tat im Sinne des prozessualen Tatbegriffs gemäß § 264 StPO betreffen1.

Nach der ratio legis des § 51 Abs. 3 Satz 1 StPO ist eine erweiternde Auslegung geboten.

Durch die Regelung soll zunächst verhindert werden, dass der Täter durch eine Doppelverurteilung, zu der es kommt, weil ein früher ergangenes Strafurteil im Ausland nicht zum Strafklageverbrauch im Inland geführt hat, schlechter gestellt wird, als wäre er für die Tat (im prozessualen Sinne) nur einmal im inländischen Verfahren verurteilt worden. Andererseits soll der Angeklagte durch die Anrechnung der ausländischen Strafvollstreckung aber auch nicht besser stehen, als er gestanden hätte, wenn das gesamte Tatgeschehen im Inland abgeurteilt worden wäre.

Dem lässt sich der Regelungsgedanke entnehmen, den Täter allgemein so zu stellen, als habe der gesamte Freiheitsentzug im Inland stattgefunden.

Dies bedingt die Auslegung des § 51 Abs. 3 Satz 1 StGB nach dem Vorbild des § 51 Abs. 1 Satz 1 StGB, der – in Ausgestaltung des Aufopferungsgedankens2 – die Anrechnung früher im Inland erlittener Freiheitsentziehung regelt.

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Danach setzt die Anrechnung (nur) voraus, dass der Täter den Freiheitsentzug aus Anlass einer Tat erlitten hat, die Gegenstand des Verfahrens ist oder gewesen ist (sog. Grundsatz der Verfahrenseinheit).

Für die Annahme eines einheitlichen – über § 264 StPO hinausgehenden – Tatbegriffs in § 51 Abs. 1 und Abs. 3 StGB spricht zudem der Verweis in Absatz 3 Satz 2 auf Absatz 1 der Vorschrift; für eine ungleiche Behandlung von im Ausland vollstreckten Freiheitsstrafen gegenüber sonstigen ausländischen Freiheitsentziehungen, die keine Strafvollstreckung darstellen, besteht kein sachlicher Grund3.

Die nach alledem für eine Tatidentität im Sinne des § 51 Abs. 3 Satz 1 StGB ausreichende funktionale Verfahrenseinheit4 liegt etwa dann vor, wenn die der ausländischen Strafvollstreckung zugrunde liegende Tat – wie hier – Gegenstand eines im inländischen Ermittlungsverfahren erlassenen Haftbefehls gewesen und das Verfahren insoweit später gemäß § 154 StPO eingestellt worden ist5.

Der Zurückverweisung der Sache zur Entscheidung über den Anrechnungsmaßstab hinsichtlich der in Brasilien erlittenen Strafhaft bedurfte es im hier vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall gleichwohl nicht: Die dort vollstreckte Strafe ist gemäß § 51 StGB bereits kraft Gesetzes auf die erkannte Gesamtfreiheitsstrafe anzurechnen. Konstitutive Wirkung kommt im Rahmen des § 51 StGB allein der Entscheidung über den Anrechnungsmaßstab gemäß Abs. 4 Satz 2 der Vorschrift zu6. Deren Unterbleiben beschwert die Angeklagte im Hinblick auf die durch das Landgericht verhängte Rechtsfolge nicht, da der Umfang der von ihr in Brasilien verbüßten Strafhaft auch bei Zugrundelegung des Mindestanrechnungsmaßstabs von 1:17 die vom Landgericht erkannte Gesamtfreiheitsstrafe übersteigt; diese ist daher als bereits vollständig verbüßt zu werten. Sollten im Vollstreckungsverfahren aus anderen Gründen Zweifel über die Berechnung der gegenständlichen Freiheitsstrafe entstehen, wird die Vollstreckungsbehörde im Rahmen des Strafzeitberechnungsverfahrens eine gerichtliche Entscheidung über den Anrechnungsmaßstab gemäß § 39 Abs. 5 Satz 3 StVollstrO i.V.m. § 458 Abs. 1, § 462 StPO herbeiführen können8.

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Bundesgerichtshof, Beschluss vom 13. Dezember 2016 – 3 StR 440/16

  1. vgl. BGH, Urteile vom 22.12 1987 – 1 StR 423/87, BGHSt 35, 172, 177; vom 07.02.1990 – 2 StR 601/89, NStZ 1990, 231, 232[]
  2. vgl. MK/Maier, StGB, 2. Aufl., § 51 Rn. 1[]
  3. BGH, Urteil vom 05.11.2014 – 1 StR 299/14, BGHR StGB § 51 Abs. 4 Anrechnung 5 mwN[]
  4. BGH, Beschluss vom 26.06.1997 – StB 30/96, BGHSt 43, 112, 115 ff.[]
  5. BGH, Urteil vom 22.12 1987 – 1 StR 423/87, BGHSt 35, 172, 178; Beschluss vom 26.06.1997 – StB 30/96, BGHSt 43, 112, 120[]
  6. BGH, Beschluss vom 02.11.2000 – 4 StR 471/00, BGHR StGB § 51 Abs. 1 Anrechnung 2 mwN; Urteil vom 05.11.2014 – 1 StR 299/14, BGHR StGB § 51 Abs. 4 Anrechnung 5[]
  7. vgl. BGH, Urteil vom 05.11.2014 – 1 StR 299/14, BGHR StGB § 51 Abs. 4 Anrechnung 5[]
  8. vgl. KK-Appl, StPO, 7. Aufl., § 458 Rn. 7; KMR/Stöckel, 44. EL, § 458 Rn. 6; LR/Graalmann-Scheerer, StPO, 26. Aufl., § 458 Rn. 3; SK-StPO/Paeffgen, 4. Aufl., § 458 Rn. 6[]