Besteht im Rahmen der Auslieferung aufgrund eines Europäischen Haftbefehls auch die deutsche Gerichtsbarkeit, so richtet sich auch bei nicht die deutsche Staatsangehörigkeit besitzenden Verfolgten die Frage des Bestehen eines Auslieferungshindernisses aufgrund Eintritts der Verfolgungsverjährung allein nach deutschem Recht.

Nach § 9 Nr.2 IRG ist bei konkurrierender Gerichtsbarkeit eine Auslieferung unzulässig, wenn die Verfolgung nach deutschem Recht verjährt ist. Hiervon ist im vorliegend vom Oberlandesgericht Karlsruhe entschiedenen Fall auszugehen, da §§ 78 Abs. 3 Nr. 4, Abs. 4, 78a StGB für die der Verfolgten zur Last gelegten Vergehen des besonders schweren Falls des Betruges bzw. der Urkundenfälschung gemäß §§ 263 Abs. 1 und 3 bzw. 267 Abs. 1 und 3 StGB eine Verjährungsfrist von fünf Jahren vorsehen, so dass ausgehend von einem zeitnahen Erfolgseintritt mangels inländischer Unterbrechungshandlungen nach § 78 c StGB im Juli 2011 – anders als nach dem Recht der Republik Österreich, das insoweit eine Verjährungsfrist von zehn Jahren vorsieht – in Deutschland Strafverfolgungsverjährung eingetreten ist.
Die Vorschrift des § 9 Nr.2 IRG kommt i.V.m. § 82 IRG vorliegend auch zur Anwendung. Der Achte Teil des IRG enthält in den §§ 78 ff. IRG bezüglich der Frage der Verjährung keine ausdrückliche Sonderregelung. Damit finden nach § 78 Abs.1 IRG die übrigen Bestimmungen des IRG – also auch § 9 Nr. 2 IRG – Anwendung. Dieser Verweis beinhaltet die dem Vollstreckungsmitgliedstaat in Art. 4 Nr. 4 des Rahmenbeschlusses 2002/584/jI des Rates vom 13.06.2002 über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten (im folgenden: RbEuHb) eingeräumte Möglichkeit, die Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls abzulehnen, wenn die Strafverfolgung oder Strafvollstreckung nach den Rechtsvorschriften des Vollstreckungsmitgliedstaates verjährt ist und – wie hier – nach seinem eigenen Strafrecht Gerichtsbarkeit bestand.
Auch internationale oder bilaterale Vereinbarungen stehen der Annahme eines Auslieferungshindernisses nicht entgegen. Dabei kann der Senat offen lassen, ob die in §§ 1 Abs.3, 78 Abs.2 IRG genannten völkerrechtlichen Vereinbarungen den nicht abschließend im Achten Teil getroffenen sonstigen Regelungen im IRG vorgehen oder Art. 31 Abs. 1 RbEuHb, wonach der RbEuHb die dort genannten internationalen Übereinkommen in den Beziehungen zwischen den Mitgliedstaaten ersetzt, einer solchen Bewertung entgegenstehen würde (so EuGH, Urteil vom 12.08.2008, C-296/08 [Goicoechea]; Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 5. Aufl. 2012, § 78 IRG Rn. 8). Denn die Bundesrepublik Deutschland hat mit Erklärung vom 03.11.2010 an das Generalsekretariat des Rates und der Europäischen Kommission (Nr. 16037/10) ihre ursprüngliche Erklärung vom 07.09.2006 (Nr. 12509/06) zu Artikel § 31 Abs.2 Unterabsatz 4 des RbEuHb, wonach die in Art. 31 Abs. 1 RbEuHb genannten multilateralen Übereinkommen weiter anwendbar bleiben sollen, ausdrücklich zurückgenommen.
Soweit daher Art. 62 des Übereinkommens vom 19.06.1990 zur Durchführung des Übereinkommens von Schengen vom 14.06.1985 zwischen den Regierungen der Staaten der Benelux-Wirtschaftsunion, der Bundesrepublik Deutschland und der Französischen Republik betreffend den schrittweisen Abbau der Kontrollen an den gemeinsamen Grenzen (Schengener Durchführungsübereinkommen, im folgenden: SDÜ) vorsieht, dass für die Unterbrechung der Verjährung allein die Rechtsvorschriften des ersuchenden Staates maßgebend sind, ist seine Anwendung nunmehr ausgeschlossen, da das diese Regelung enthaltende Kapitel dieses Übereinkommens ausdrücklich in Art. 31 Abs.1 lit.e RbEuHb genannt ist. Gleiches gilt auch für Art. IV des Vertrages zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Österreich über die Ergänzung des Europäischen Auslieferungsübereinkommens vom 13.12.1957 (im folgenden: EuAlÜbk) und die Erleichterung seiner Anwendung vom 31.01.19721. Zwar ist dieser Zusatzvertrag nicht ausdrücklich in Art.31 Abs. 1 RbEuHb aufgeführt, jedoch dort unter lit. a das EuAlÜbk, ohne dessen Bestand die Ergänzung ihre Grundlage verliert. Im Übrigen hat die Bundesrepublik Deutschland am 14.12.2010 gegenüber dem Generalsekretär des Europarates in Abänderung ihrer Erklärung vom 17.08.2004 ausdrücklich erklärt2, dass die Bestimmungen im EuAlÜbk gegenüber einem Mitgliedstaat nur bei Unanwendbarkeit des RbEuHb anwendbar sind und dies auch für die zwischen der Bundesrepublik Deutschland und einzelnen Mitgliedstaaten geschlossenen bilateralen Vereinbarungen gilt.
Der Senat sieht auch keine Rechtsgrundlage, für die Frage einer möglichen Unterbrechung der Verjährung auf die Vorschriften des ersuchenden Staates abzustellen. Zwar hält der Bundesgerichtshof im Rahmen des EuAlÜbk eine solche Betrachtung für rechtlich zulässig3, eine Übertragung dieser Rechtsgrundsätze auf die Auslieferung an einen Mitgliedstaat der Europäischen Union scheidet jedoch schon – wie oben dargestellt – mangels Fortgeltung des EuAlÜbk aus. Im Übrigen ist der Senat der Ansicht, dass auch bei der Auslieferung nicht deutscher Staatsangehöriger aufgrund eines Europäischen Haftbefehls4 eine insoweit notwendige Abweichung vom Wortlaut der Vorschrift des § 9 Nr.2 IRG einer eindeutigen gesetzlichen Grundlage bedarf, da insoweit jedenfalls in das dem Verfolgten zustehende Grundrecht aus Art.2 Abs.1 GG eingegriffen würde. Im Übrigen soll durch den RbEuHb (vgl. hierzu den Erwägungsgrund Nr.5 RbEuHb i.V.m. der in Art. 4 Nr.4 RbEuHb zur Verjährung ausdrücklich getroffenen Regelung) auch der bislang zwischen den Mitgliedstaaten bestehende Auslieferungsverkehr durch ein vereinfachtes System der Übergabe ersetzt werden, so dass auch nicht von einer ausfüllungsbedürftigen Regelungslücke ausgegangen werden kann5. Deshalb kommt es vorliegend nicht darauf an, ob die österreichischen Justizbehörden Handlungen vorgenommen haben, welche bei sinngemäßer Umstellung des Sachverhalts ihrer Art nach geeignet wären, die Verjährung nach deutschen Vorschriften zu unterbrechen.
Oberlandesgericht Karlsruhe, Beschluss vom 25. März 2013 – 1 AK 102/11
- BGBL. 1975 II S. 1162 f.[↩]
- BGBL. 2011 II Nr.2 S. 66[↩]
- BGHSt 33, 26; in diesem Sinne auch jüngst OLG München, Beschluss vom 07.03.2013, OLG Ausl 14 Ausl. A 1033/12 (69/13) u.a.[↩]
- zu deutschen Staatsangehörigen siehe ausdrücklich BVerfG StraFo 2009, 455; BGHSt 52,191[↩]
- ebenso Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner, a.a.O., § 78 IRG Rn. 8,9[↩]