Mit den Anforderungen an die Feststellung fahrlässigen Handelns bei § 24a StVG nach vorausgegangenem Cannabis-Konsum hatte sich jetzt das Oberlandesgericht Karlsruhe zu befassen:

Zum objektiven Tatbestand des § 24a Abs. 2 StVG gehört lediglich das Führen eines Kraftfahrzeugs unter der Wirkung eines in der Anlage zu dieser Vorschrift genannten berauschenden Mittels – hier Cannabis – im Straßenverkehr. Eine „Wirkung“ im Sinne der Vorschrift liegt vor, wenn eine in der Anlage genannte Substanz, wozu THC gehört, im Blut nachgewiesen wird, und zwar in einer Konzentration, die mindestens den analytischen Grenzwert erreicht, der nach dem Votum der Grenzwertkommission1 bei THC 1 ng/ml beträgt2. Der Betroffene hat nach den insoweit nicht zu beanstandenden Feststellungen des Amtsgerichts einen PKW im Straßenverkehr geführt und hierbei mit den analytischen Grenzwert überschreitenden 1, 5 ng/ml THC im Serum unter der Wirkung von Cannabis gestanden.
In subjektiver Hinsicht setzt die fahrlässige Begehung (§ 24a Abs. 3 StVG), von der das Amtsgericht ausgegangen ist, voraus, dass der Täter die Sorgfalt, zu der er nach den Umständen und seinen persönlichen Fähigkeiten verpflichtet und imstande ist, außer Acht lässt und deshalb entweder die Tatbestandsverwirklichung nicht erkennt bzw. nicht voraussieht – unbewusste Fahrlässigkeit – oder die Möglichkeit einer Tatbestandsverwirklichung zwar erkennt, aber mit ihr nicht einverstanden ist und ernsthaft darauf vertraut, diese werde nicht eintreten – bewusste Fahrlässigkeit3. Bezogen auf den Tatbestand des § 24a Abs. 2 StVG bedeutet dies, dass dem Betroffenen nachzuweisen ist, dass er die Möglichkeit fortdauernder Wirkung des Cannabiskonsums entweder erkannt hat oder zumindest hätte erkennen können und müssen. Insoweit sind die amtsgerichtlichen Feststellungen jedoch lückenhaft und erlauben deshalb keine abschließende Beurteilung.
In der obergerichtlichen Rechtsprechung ist anerkannt, dass bei einer nur geringen Überschreitung des analytischen Grenzwerts und einem längeren zeitlichen Abstand von etwa einem Tag zwischen dem Konsum des berauschenden Mittels und dem Fahrtantritt es an der Erkennbarkeit der fortbestehenden Wirkung fehlen kann4. In einem solchen Fall bedarf es näherer Ausführungen dazu, aufgrund welcher Umstände sich der Betroffene hätte bewusst machen können, dass der Cannabiskonsum noch Auswirkungen bei Fahrtantritt haben konnte. Dies lässt sich dem angefochtenen Urteil, demzufolge die Aufnahme des berauschenden Mittels mehr als einen Tag vor Fahrtantritt gelegen haben kann, indes nicht entnehmen.
Da der zeitliche Abstand zwischen dem Rauschmittelkonsum und dem Fahrtantritt für die Beurteilung des Falles von entscheidender Bedeutung sein kann, das angefochtene Urteil aber keine Begründung dafür enthält, warum eine nähere zeitliche Eingrenzung des Zeitpunkts, zu dem der Betroffene Cannabis konsumiert hat, unterblieben ist, hebt das Oberlandesgericht das Urteil insgesamt auf, um zu ermöglichen, dass in einer neuen Hauptverhandlung unter Heranziehung eines rechtsmedizinischen Sachverständigen widerspruchsfreie Feststellungen getroffen werden können.
Das Oberlandesgericht Karlsruhe weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass nach den dazu vorliegenden naturwissenschaftlichen Erkenntnissen THC in der Regel schon nach wenigen Stunden soweit verstoffwechselt ist, dass der Gehalt im Serum unter der Nachweisgrenze liegt. Etwas anderes gilt nur bei Dauerkonsumenten, bei denen sich THC im Fettgewebe abgelagert, aus dem es bei Abstinenz wieder ausgeschieden wird5. Ein über der Nachweisgrenze liegender Serumspiegel an THC deutet danach entweder – bei Gelegenheitskonsum – auf einen zeitlich nur wenige Stunden zurückliegenden Konsum oder aber auf einen längerdauernden Cannabiskonsum hin, was, da sich auch der medizinische Laie das Wissen von den Auswirkungen verschaffen kann, in beiden Fällen den Fahrlässigkeitsvorwurf rechtfertigt. Auf der Grundlage der naturwissenschaftlichen Erkenntnisse ist der Tatrichter nach Auffassung des Oberlandesgerichts ohne Vorliegen besonderer Anhaltspunkte nicht gehalten, nach dem Zweifelsgrundsatz davon auszugehen, dass der (einmalige) Konsum länger als 24 Stunden zurückliegt. Im vorliegenden Fall wird dabei auch das widersprüchliche Einlassungsverhalten des Betroffenen zu berücksichtigen sein.
Oberlandesgericht Karlsruhe, Beschluss vom 10. Mai 2013 – 1 (3) Ss Bs 131/13; 1 (3) Ss Bs 131/13 – AK 35/13
- Blutalkohol 2007, 311[↩]
- vgl. dazu auch BVerfG NJW 2005, 349; OLG Karlsruhe Die Justiz 2007, 242; OLG Hamm NStZ 2005, 709 und StraFo 2012, 287; Eisenmenger NZV 2006, 24[↩]
- vgl. Göhler, OWiG, 16. Aufl.2012, § 10 Rn. 6[↩]
- OLG Hamm a.a.O.; OLG Braunschweig Blutalkohol 2010, 298; OLG Frankfurt NStZ-RR 2007 und NZV 2010, 530; KG NZV 2009, 572 und VRS 118, 205; OLG Celle NZV 2009, 89; OLG Saarbrücken NJW 2007, 309 und 1373; wohl auch OLG Stuttgart DAR 2011, 218; OLG Zweibrücken Verkehrsrecht aktuell 2006, 194; OLG Bremen NZV 2006, 276; dagegen OLG Hamm Blutalkohol 2011, 288; König DAR 2007, 626; NStZ 2009, 425 und in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 41. Aufl.2011, § 24a StVG Rn. 25b; ähnlich OLG Jena Blutalkohol 2010, 247; OLG Zweibrücken NZV 2001, 483[↩]
- vgl. Skopp et al., Archiv für Kriminologie 212 (2003): 83 – 95; 228 (2011), 46 – 59; Berr/Krause/Sachs, Drogen im Straßenverkehrsrecht, 2007, S. 122 ff., 152 ff.[↩]