Der Bundesgerichtshof hat erneut Stellung genommen zum rechtfertigenden Behandlungsabbruch auf der Grundlage des Patientenwillens1.

Dabei hat der Bundesgerichtshof darauf hingewiesen, dass in Fällen, in denen zukünftig ein rechtfertigender Behandlungsabbruch auf der Grundlage des Patientenwillens nach den Grundsätzen des BGH-Urteils vom 25. Juni 2010 in Rede steht1, die Voraussetzungen der §§ 1901a, 1901b BGB – eingefügt durch Gesetz vom 29. Juli 2009 mit Wirkung vom 1. September 2009 – zu beachten sein werden. Diese Vorschriften enthalten verfahrensrechtliche Absicherungen, die den Beteiligten bei der Ermittlung des Patientenwillens und der Entscheidung über einen Behandlungsabbruch Rechts- und Verhaltenssicherheit bieten sollen2 und bei der Bestimmung der Grenze einer möglichen Rechtfertigung von kausal lebensbeendenden Maßnahmen auch für das Strafrecht Wirkung entfalten3. Sie dienen zum einen der Verwirklichung des verfassungsrechtlich garantierten Selbstbestimmungsrechts von Patienten, die selbst zu einer Willensäußerung nicht (mehr) in der Lage sind4. Hierin erschöpft sich ihre Funktion jedoch nicht. Vielmehr tragen sie zum anderen gleichgewichtig dem von Verfassungs wegen gebotenen Schutz des menschlichen Lebens Rechnung, indem sie die notwendigen strengen Beweisanforderungen an die Feststellung eines behandlungsbezogenen Patientenwillens verfahrensrechtlich absichern5.
Unter letzterem Gesichtspunkt ist zunächst sicherzustellen, dass Patientenverfügungen nicht ihrem Inhalt zuwider als Vorwand benutzt werden, um aus unlauteren Motiven auf eine Lebensverkürzung schwer erkrankter Patienten hinzuwirken. Darüber hinaus muss in der regelmäßig die Beteiligten emotional stark belastenden Situation, in der ein Behandlungsabbruch in Betracht zu ziehen ist, gewährleistet sein, dass die Entscheidung nicht unter zeitlichem Druck, sondern nur nach sorgfältiger Prüfung der medizinischen Grundlagen und des sich gegebenenfalls in einer Patientenverfügung manifestierenden Patientenwillens erfolgt.
Dass es solcher das Verfahren regelnder Vorschriften bedarf, um einen missbräuchlichen und/oder vorschnellen Abbruch lebenserhaltender Maßnahmen zu verhindern, macht für den Bundesgerichtshof gerade der jetzt von ihm zu beurteilende Sachverhalt deutlich: Frau K. hatte zunächst in die Verlegung auf die Intensivstation und die damit verbundene lebenserhaltende Behandlung konkludent eingewilligt. Die weitergehenden medizinischen Maßnahmen und das Versetzen in ein künstliches Koma nach der Verschlechterung ihres Gesundheitszustandes waren erst am Morgen des Tages vorgenommen worden, an dem nach der Vorstellung des Angeklagten unmittelbar und ohne nähere Prüfung, ob der tatsächliche Gesundheitszustand dem in der Patientenverfügung vorausgesetzten entsprach, die Entscheidung über einen Behandlungsabbruch herbeigeführt werden sollte. Der Angeklagte ließ sich dabei nach den Feststellungen auch von der Besorgnis leiten, seine nach erfolgreicher Behandlung etwa pflegebedürftige Schwiegermutter könne ihm finanziell zur Last fallen.
Für die Feststellung des Patientenwillens als Grundlage für den rechtfertigenden Abbruch lebenserhaltender medizinischer Maßnahmen sehen die §§ 1901a und 1901b BGB daher grundsätzlich folgendes Verfahren vor: Gemäß § 1901a Abs. 1 Satz 1 und 2 BGB ist nur der Betreuer bzw. Bevollmächtigte (§ 1901a Abs. 5 BGB) befugt, die Übereinstimmung der Festlegungen in der Patientenverfügung mit der aktuellen Lebens- und Behandlungssituation des Patienten zu prüfen und auf dieser Grundlage dem Willen des Patienten gegebenenfalls Geltung zu verschaffen. Darüber hinaus setzt die Entscheidung über einen Behandlungsabbruch gemäß § 1901b Abs. 1 BGB zwingend ein Zusammenwirken von Betreuer bzw. Bevollmächtigtem und Arzt voraus. Danach prüft der behandelnde Arzt in eigener Verantwortung, welche ärztliche Behandlung im Hinblick auf den Gesamtzustand und die Prognose des Patienten indiziert ist und erörtert dies mit dem Betreuer unter Berücksichtigung des Patientenwillens als Grundlage für die zu treffende Entscheidung.
Bundesgerichtshof, Beschluss vom 10. November 2010 – 2 StR 320/10