Ist der tatbestandliche Erfolg einer Nachstellung gemäß § 238 Abs. 1 StGB bereits durch eine oder mehrere Nachstellungshandlungen eingetreten, sind weitere Nachstellungshandlungen, die jeweils das Merkmal der Beharrlichkeit erfüllen und mit den vorigen zeitlich und situativ zusammenhängen, Bestandteil einer tatbestandlichen Handlungseinheit, wenn sie dazu beitragen, dass sich die Dauer oder das Ausmaß der Beeinträchtigung der Lebensgestaltung des Opfers weiter steigert.

Zwischen einer Zuwiderhandlung gegen gerichtliche Maßnahmen zum Schutz vor Gewalt und Nachstellung gemäß § 4 Satz 1 GewSchG und Nachstellung gemäß § 238 Abs. 1 StGB kann Tateinheit (§ 52 StGB) bestehen.
Die Nachstellung gemäß § 238 Abs. 1 StGB ist ein Erfolgsdelikt; die Tathandlung muss kausal und zurechenbar sein für eine schwerwiegende Beeinträchtigung der Lebensgestaltung des Opfers. Der Begriff der Lebensgestaltung umfasst ganz allgemein die Freiheit der menschlichen Entschlüsse und Handlungen. Sie wird beeinträchtigt, wenn das Opfer durch die Handlung des Täters veranlasst wird, ein Verhalten an den Tag zu legen, das es ohne Zutun des Täters nicht gezeigt hätte; stets festzustellen ist daher eine erzwungene Veränderung der Lebensumstände1. Dieses weite Tatbestandsmerkmal erfährt nach dem Wortlaut des Gesetztes eine Einschränkung dahin, dass die Beeinträchtigung schwerwiegend sein muss. Erfasst werden damit im konkreten Kontext ins Gewicht fallende, gravierende und ernstzunehmende Folgen, die über durchschnittliche, regelmäßig hinzunehmende und zumutbare Modifikationen der Lebensgestaltung erheblich und objektivierbar hinausgehen2. Nicht ausreichend sind daher weniger gewichtige Maßnahmen der Eigenvorsorge, wie beispielsweise die Benutzung eines Anrufbeantworters und die Einrichtung einer sogenannten Fangschaltung zum Zweck der Beweissicherung. Weitergehende Schutzvorkehrungen des Opfers, wie etwas das Verlassen der Wohnung nur noch in Begleitung Dritter, ein Wechsel des Arbeitsplatzes oder der Wohnung und das Verdunkeln der Wohnung, sind dagegen als schwerwiegend anzusehen3.
§ 238 Abs. 1 StGB ist zwar kein Dauerdelikt; die verschiedenen Angriffe des Täters, mit denen er den zur Vollendung des Delikts erforderlichen Erfolg nur einmal herbeigeführt hat, bilden jedoch eine tatbestandliche Handlungseinheit4. Tatmehrheit (§ 53 Abs. 1 StGB) besteht dagegen, wenn mehrere Nachstellungshandlungen, die jeweils für sich das Merkmal der Beharrlichkeit erfüllen, zu unterschiedlichen Taterfolgen führen5. Führen beispielsweise die Nachstellungshandlungen zunächst zum ungewollten Umzug des Opfers und weitere Nachstellungshandlungen – etwa das Aufsuchen am Arbeitsplatz – zum Wechsel des Arbeitgebers, liegen zwei materiell selbständige Taten der Nachstellung vor6. Die Annahme von Tatmehrheit ist allerdings nur möglich, wenn sich ausschließen lässt, dass die bereits zum ersten Taterfolg führenden Handlungen auch zur weiteren schwerwiegenden Beeinträchtigung der Lebensgestaltung beigetragen haben. Im Zweifel liegt die Annahme einer einzigen Tat nahe7. Ist der tatbestandsmäßige Erfolg bereits durch eine oder mehrere Nachstellungshandlungen eingetreten, können weitere Nachstellungshandlungen dennoch dazu beitragen, dass sich die Dauer oder das Ausmaß der Beeinträchtigung der Lebensgestaltung weiter steigert. In diesem Fall sind auch die nach Erfolgseintritt begangenen Nachstellungshandlungen, die jeweils das Merkmal der Beharrlichkeit erfüllen und mit den vorherigen zeitlich und situativ zusammenhängen, Bestandteil der tatbestandlichen Handlungseinheit.
Im vorliegend entschiedenen Fall führte bereits der erste Vorfall vom 01.10.2013 den tatbestandlichen Erfolg herbei. Die durch die Nachstellungshandlung veranlasste notwendige Inanspruchnahme therapeutischer Hilfe8, die Beauftragung eines privaten Sicherheitsdienstes und der weitgehende Verzicht darauf, alleine in der eigenen Wohnung zu übernachten, erreicht jedenfalls in der Kombination9 den erforderlichen Schweregrad. Deshalb ist der Tatbestand der Nachstellung bereits mit der Nachstellungshandlung vom 01.10.2013 vollendet.
Weitere darüber hinausgehende Folgen, die einzelnen nachfolgenden Nachstellungshandlungen zugeordnet werden können, konnte das Landgericht nicht feststellen. Die einzelnen weiteren Nachstellungshandlungen bewirkten keine zusätzlichen schwerwiegenden Beeinträchtigungen der Lebensgestaltung, die sich qualitativ von den bereits eingetretenen unterscheiden. Der Austausch des Haustürschlosses durch die Wohnungseigentümergemeinschaft als Reaktion auf den Vorfall vom 03.12 2013 bewirkte keine Verhaltensänderung der Nebenklägerin, die lediglich Mieterin der Wohnung war, und erreicht zudem nicht den erforderlichen Schweregrad. Dass die Nebenklägerin aufgrund des Zusammentreffens mit dem Angeklagten am 25.01.2014 n Panik geriet, führte zu keiner objektivierbaren Verhaltensänderung.
Die nach dem Erfolgseintritt begangenen Nachstellungshandlungen intensivierten jedoch in ihrem Zusammenwirken die bereits eingetretenen Folgen oder führten zu deren Aufrechterhaltung. Die Feststellungen lassen erkennen, dass die Nebenklägerin mit der zunehmenden Anzahl der Nachstellungshandlungen immer stärker psychisch belastet war, ihre Schutzmaßnahmen aufrecht erhielt und sich immer weiter aus dem sozialen Leben zurückzog. Die Nachstellungshandlungen sind deshalb in ihrem Zusammenwirken für den tatbestandlichen Erfolg in seiner konkreten Gestalt mitursächlich und verbinden sie dementsprechend zu einem einheitlichen Geschehen.
Die Nachstellung nach § 238 Abs. 1 StGB verklammert die vom Angeklagten ebenfalls verwirklichten Delikte der Zuwiderhandlung gegen gerichtliche Maßnahmen zum Schutz vor Gewalt und Nachstellung und des Hausfriedensbruchs, so dass insgesamt Tateinheit gegeben ist. Zwischen an sich selbständigen Delikten kann durch ein weiteres Delikt – auch einer anderen Handlungseinheit – Tateinheit hergestellt werden, wenn dieses weitere Delikt – beziehungsweise die Handlungseinheit – mit den anderen Straftatbeständen jeweils ideell konkurriert und zumindest mit einem der verbundenen Delikte eine annähernde Wertgleichheit besteht oder die verklammernde Tat die schwerste ist10.
Dies ist hier der Fall. Die Nachstellung ist unter den konkreten Umständen des Falles im Vergleich zu den Zuwiderhandlungen gegen gerichtliche Maßnahmen zum Schutz vor Gewalt und Nachstellung und zum Hausfriedensbruch das schwerste Delikt. Zwar ist bei einzelnen der festgestellten Nachstellungshandlungen zweifelhaft, ob sie zur Aufrechterhaltung oder Intensivierung der erzwungenen Verhaltensänderung beigetragen haben. So hat das Landgericht in den Fällen IV 5 und IV 10 der Urteilsgründe nicht festgestellt, ob die Nebenklägerin vom Verhalten des Angeklagten überhaupt Kenntnis erlangt hat. Jedoch ist die Einbeziehung auch dieser Vorfälle, die als Zuwiderhandlung gegen gerichtliche Maßnahmen zum Schutz vor Gewalt und Nachstellung strafbar sind, im Wege der Verklammerung in die tatbestandliche Handlungseinheit für den Angeklagten günstiger als die Annahme von Tatmehrheit. Kann – wie hier – die mit einer Kenntnisnahme durch die Nebenklägerin verbundene erfolgsfördernde Wirkung dieser Nachstellungshandlungen nicht sicher ausgeschlossen werden, ist im Zweifel eine einzige Tat der Nachstellung anzunehmen.
Zwischen der Nachstellung gemäß § 238 Abs. 1 Nr. 1, 2 StGB und den Zuwiderhandlungen gegen gerichtliche Maßnahmen zum Schutz vor Gewalt und Nachstellung gemäß § 4 Satz 1, § 1 Abs. 1 Satz 1, 3 GewSchG besteht Tateinheit. Teilweise wird zwar vertreten, eine Zuwiderhandlung gegen gerichtliche Maßnahmen zum Schutz vor Gewalt und Nachstellung gemäß § 4 GewSchG trete hinter § 238 Abs. 1 StGB zurück11. Dagegen nimmt die überwiegende Meinung Tateinheit an12. Das Oberlandesgericht schließt sich letzterer Auffassung an. Der Verstoß gegen § 4 GewSchG sanktioniert einen zu der nach § 238 StGB strafbaren Nachstellung hinzukommenden Verstoß gegen eine richterliche Anordnung13. Dem entspricht es, dass ein Verstoß gegen durch Einzelanordnungen konkretisierte Verhaltensanforderungen der Rechtsordnung– wie ein gerichtlich angeordnetes Kontaktverbot nach § 1 Abs. 1 Satz 1 GewSchG – bei der Strafzumessung wegen Nachstellung strafschärfend berücksichtigt werden kann14. Die Annahme der Tateinheit, durch die der zusätzliche Verstoß gegen die richterlichen Anordnungen zum Ausdruck kommt, dient der Klarstellung15.
Für die Frage der Strafaussetzung zur Bewährung kann dem Verhalten des Angeklagten nach der Tat, insbesondere ob er weiterhin gegen gerichtliche Maßnahmen zum Schutz vor Gewalt und Nachstellung verstoßen hat, entscheidende Bedeutung zukommen. Ein Verstoß gegen solche Schutzanordnungen, der im Rahmen der Prognoseentscheidung nach § 56 Abs. 1 StGB berücksichtigt werden soll, kann allerdings nicht – wie im angefochtenen Urteil geschehen – allein damit begründet werden, dass das Familiengericht „weitere Verstöße gegen die Gewaltschutzanordnung über das hier abzuurteilende Verhalten hinaus“ „rechtskräftig festgestellt“ habe.
Der Tatrichter muss die Umstände, aufgrund derer er die Kriminalprognose als ungünstig bewertet, rechtsfehlerfrei feststellen16. Straftaten, die nicht Gegenstand der Anklage sind und nicht rechtskräftig festgestellt sind, muss er so bestimmt feststellen, dass sie in ihrem wesentlichen Unrechtsgehalt abzuschätzen sind und eine unzulässige Berücksichtigung des bloßen Verdachts weiterer Straftaten ausgeschlossen werden kann17. Nicht angeklagte und nicht rechtskräftig abgeurteilte strafbare Handlungen dürfen – wegen des Gewährleistungsgehalts der Unschuldsvermutung und des Verbots der Doppelbestrafung – nach dem Sinn des § 46 Abs. 2 StGB nur dann zum Nachteil des Täters gewertet werden, wenn sie als Anzeichen für seine Schuld und Gefährlichkeit in einem inneren Zusammenhang zur angeklagten Tat stehen18.
Die Ausführungen der Strafkammer zu den weiteren Verstößen gegen die Gewaltschutzanordnung bedeuten lediglich, dass nach Auffassung des Familiengerichts in einem Zwangsvollstreckungsverfahren gemäß § 95 Abs. 1 Nr. 4 FamFG, § 890 ZPO die Voraussetzungen für die Verhängung eines Ordnungsgeldes feststanden. Der Verhängung eines Ordnungsgeldes kommt aber keine entscheidende Indizwirkung für die Frage zu, ob der Angeklagte erneut gegen die Schutzanordnungen nach dem Gewaltschutzgesetz verstoßen und sich nach § 4 Satz 1 GewSchG strafbar gemacht hat. Die Festsetzung eines Ordnungsgeldes verlangt lediglich einen schuldhaften Verstoß gegen das Unterlassungsgebot; hierfür reicht bereits Fahrlässigkeit aus19. Zudem gilt nach herrschender Meinung im Verfahren über die Festsetzung des Ordnungsgeldes die Regelung des § 138 Abs. 3 ZPO, so dass bei der Feststellung der Zuwiderhandlung nur bestrittene Tatsachen des Beweises bedürfen20. Einwendungen können zur Darlegungs- und Beweislast des Vollstreckungsschuldners stehen21. Allem nach kann die Überzeugung, dass der Angeklagte vorsätzlich gegen die Schutzanordnungen verstoßen hat und damit den Straftatbestand des § 4 Satz 1 GewSchG verwirklicht hat, nicht allein und nicht entscheidend auf die Verhängung des Ordnungsgeldes gestützt werden. Für das Gewicht der eventuellen weiteren Verstöße im Rahmen der Prognoseentscheidung kommt es auch darauf an, zu welchen Zeitpunkten, mit welcher Häufigkeit, in welchem Ausmaß und unter welchen Umständen der Angeklagte entsprechende Zuwiderhandlungen begangen hat. Sollte die Kriminalprognose nicht bereits aus anderen Gründen negativ sein, wird der neue Tatrichter hierzu konkrete Feststellungen treffen müssen.
Oberlandesgericht Stuttgart, Beschluss vom 4. Mai 2015 – 4 Ss 166/15
- BGH, Beschlüsse vom 19.11.2009 – 3 StR 244/09, BGHSt 54, 189 Rn. 22; vom 19.12 2012 – 4 StR 417/1219; Krehl in Leipziger Kommentar zum StGB, 12. Aufl., § 238 Rn. 64[↩]
- BGH, Beschluss vom 19.11.2009 – 3 StR 244/09, BGHSt 54, 189 Rn. 22; Krehl in Leipziger Kommentar zum StGB, 12. Aufl., § 238 Rn. 65; BT-Drs. 16/3641, S. 14[↩]
- BGH, Beschluss vom 19.11.2009 – 3 StR 244/09, BGHSt 54, 189 Rn. 22; Krehl in Leipziger Kommentar zum StGB, 12. Aufl., § 238 Rn. 65; BT-Drs. 16/575, S. 8[↩]
- BGH, Beschluss vom 19.11.2009 – 3 StR 244/09, BGHSt 54, 189 Rn. 24; Krehl in Leipziger Kommentar zum StGB, 12. Aufl., § 238 Rn. 86[↩]
- BGH, Beschluss vom 18.07.2013 – 4 StR 168/13, NJW 2013, 3383 Rn. 35; Eisele in Schönke/Schröder, StGB, 29. Aufl., § 238 Rn. 39; Krehl in Leipziger Kommentar zum StGB, 12. Aufl., § 238 Rn. 86; Mosbacher, NStZ 2007, 665, 669 f.; Valerius in BeckOK StGB, § 238 Rn. 25 (Stand: Februar 2015) [↩]
- Mosbacher, NStZ 2007, 665, 699[↩]
- Krehl in Leipziger Kommentar zum StGB, 12. Aufl., § 238 Rn. 86; Mosbacher, NStZ 2007, 665, 670[↩]
- vgl. Eisele in Schönke/Schröder, StGB, 29. Aufl., § 238 Rn. 31; Gericke in Münchener Kommentar zum StGB, 2. Aufl., § 238 Rn. 48[↩]
- vgl. OLG Rostock, Beschluss vom 27.05.2009 – 1 Ss 96/0 27; Gericke in Münchener Kommentar zum StGB, 2. Aufl., § 238 Rn. 48[↩]
- BGH, Beschluss vom 19.11.2009 – 3 StR 244/09, BGHSt 54, 189 Rn. 32[↩]
- vgl. Fischer, StGB, 62. Aufl. § 238 Rn. 39; Krehl in Leipziger Kommentar zum StGB, 12. Aufl., § 238 Rn. 86 für Taten nach § 4 in Verbindung mit § 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Buchstabe b GewSchG[↩]
- Eisele in Schönke/Schröder, StGB, 29. Aufl., § 238 Rn. 39; Gericke in Münchener Kommentar zum StGB, 2. Aufl., § 238 Rn. 59; Schluckebier in Satzger/Schluckebier/Widmaier, StGB, 2. Aufl., § 239 Rn. 23; Sonnen in NK StGB, 4. Aufl., § 238 Rn. 60; vgl. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 14.05.2008 – 2 Ws 142/08 2[↩]
- vgl. Gericke in Münchener Kommentar zum StGB, 2. Aufl., § 238 Rn. 59[↩]
- BGH, Beschluss vom 08.04.2014 – 1 StR 126/14 10[↩]
- Mosbacher, NStZ 2007, 665, 670[↩]
- BGH, Beschluss vom 22.07.1992 – 2 StR 293/92 4[↩]
- BGH, Beschluss vom 07.08.2014 – 3 StR 438/13, NJW 2014, 3259 Rn. 4[↩]
- vgl. BGH, Beschluss vom 19.11.2013 – 4 StR 448/13, NJW 2014, 645 Rn. 8[↩]
- OLG Brandenburg, Beschluss vom 09.01.2006 – 10 WF 315/05 4[↩]
- OLG Düsseldorf, Beschluss vom 22.02.1991 – 15 W 123/90, NJW-RR 1991, 1088; Brehm in Stein/Jonas, ZPO, 22. Aufl., § 891 Rn. 2; Lackmann in Musielak/Voit, ZPO, 12. Aufl., § 891 Rn. 2; Rensen in Wieczorek/Schütze, ZPO 4. Aufl., § 891 Rn. 9; Stürner in BeckOK ZPO, § 891 Rn. 1; a. A. Stöber in Zöller, ZPO, 30. Aufl., § 891 Rn. 1[↩]
- Brehm in Stein/Jonas, ZPO, 22. Aufl., § 890 Rn. 39[↩]