Beitragsvorenthaltung – und die Strafzumessung

Der Schuldumfang bei Straftaten der Beitragsvorenthaltung gemäß § 266a Abs. 1 und 2 StGB im Rahmen von illegalen, aber versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen bestimmt sich nach dem nach sozialversicherungsrechtlichen Maßstäben zu ermittelnden Bruttoentgelt und der hieran anknüpfenden Berechnung der Sozialversicherungsbeiträge (§ 28d SGB IV).

Beitragsvorenthaltung – und die Strafzumessung

Vorenthalten im Sinne des § 266a StGB sind die nach den sozialversicherungsrechtlichen Vorschriften tatsächlich geschuldeten Beiträge1. Dem Tatgericht obliegt es deshalb, die geschuldeten Beiträge für die Fälligkeitszeitpunkte gesondert nach Anzahl, Beschäftigungszeiten, Löhnen der Arbeitnehmer und der Höhe des Beitragssatzes der örtlich zuständigen Krankenkasse festzustellen2, weil die Höhe der geschuldeten Beiträge auf der Grundlage des Arbeitsentgelts nach den Beitragssätzen der jeweiligen Krankenkassen sowie den gesetzlich geregelten Beitragssätzen der Renten, Arbeitslosen- und Pflegeversicherung zu berechnen ist3.

Liegen keine tragfähigen Erkenntnisse über die tatsächlich gezahlten Löhne und Gehälter sowie die schwarz beschäftigten Arbeitnehmer vor, steht aber nach der Überzeugung des Tatrichters ein strafbares Verhalten des Angeklagten fest, kann – wie auch sonst bei Vermögensdelikten – die Bestimmung des Schuldumfangs im Wege der Schätzung erfolgen. Die Grundsätze, die die Rechtsprechung bei Taten nach § 370 AO für die Darlegung der Berechnungsgrundlagen der verkürzten Steuern entwickelt hat, gelten insoweit entsprechend4. Danach steht die Schätzung insbesondere unter dem Gebot, dass sich unüberwindbare Zweifel zu Gunsten des Angeklagten auswirken müssen5. Erforderlichenfalls hat der Tatrichter einen als erwiesen angesehenen Mindestschuldumfang festzustellen6. Im Rahmen der Gesamtwürdigung des Schätzergebnisses ist der Zweifelssatz zu beachten7.

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Gemessen hieran bestanden für den Bundesgerichtshof im hier entschiedenen Fall gegen die vom Landgericht Leipzig8 vorgenommene Schätzung dem Grunde nach keine Bedenken:

Da der Angeklagte über die Beschäftigung der bei den Einzugsstellen nicht angemeldeten Arbeitnehmer keine Aufzeichnungen führte, durfte das Landgericht die Höhe der als Nettolöhne (§ 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV) gezahlten „Schwarzlöhne“ in zulässiger Weise mit 90 % der festgestellten Scheinrechnungssummen veranschlagen. Die Annahme des Landgerichts, es habe sich bei den vorgenommenen Eisenflecht- und Trockenbauarbeiten fast ausschließlich um Lohnarbeiten gehandelt und das erforderliche Material sei von den Auftraggebern zur Verfügung gestellt worden, ist beweiswürdigend tragfähig unterlegt. Die Hochrechnung auf das Bruttoarbeitsentgelt konnte nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs aufgrund des Vorliegens vollumfänglich illegaler Beschäftigungsverhältnisse anhand des Eingangssteuersatzes der Lohnsteuerklasse – VI (§ 39 c EStG) erfolgen9. Die vom Landgericht exemplarisch vorgenommene Hochrechnung der Netto- auf Bruttolöhne unter Angabe der jeweiligen Beitragssätze genügt auch noch den Darlegungsanforderungen10, wenngleich sich grundsätzlich aus Gründen besserer Nachvollziehbarkeit eine tabellarische Auflistung der geschuldeten Beiträge – für die jeweiligen Fälligkeitszeitpunkte gesondert – nach den Beitragssätzen der jeweiligen Krankenkassen sowie den gesetzlich geregelten Beitragssätzen der Renten, Arbeitslosen- und Pflegeversicherung empfiehlt.

Die Berechnung erweist sich indes als rechtsfehlerhaft, soweit das Landgericht die Beitragsanteile zur gesetzlichen Pflegeversicherung gemäß § 55 Abs. 1, § 58 Abs. 1 SGB XI in der jeweils geltenden Fassung für alle Arbeitnehmer unter Hinzurechnung des Beitragszuschlags für Kinderlose (§ 55 Abs. 3 SGB XI) ermittelt hat. Anhaltspunkte für die zugrundeliegende Annahme, sämtliche der namentlich nicht bekannten Arbeitnehmer seien kinderlos und hätten bereits das 23. Lebensjahr vollendet, sind nicht ersichtlich. In Anwendung des Zweifelsgrundsatzes wäre geboten gewesen, von den für den Angeklagten günstigsten Umständen auszugehen. Personenbezogene Beitragszuschläge haben bei unbekannten Arbeitnehmern deshalb – wie vom Landgericht bezüglich der Kirchensteuer zutreffend bewertet – stets außer Ansatz zu bleiben. Der Bundesgerichtshof schließt allerdings aus, dass das Urteil auf diesem Rechtsfehler beruht (§ 337 Abs. 1 StPO). Die aus der Hinzurechnung des Beitragszuschlags für Kinderlose folgende Erhöhung sowohl des Beitragsschadens als auch des Hochrechnungsfaktors lässt in Anbetracht des nur geringfügigen Wertes (0,25% im Tatzeitraum), der allein den Arbeitnehmerbeitrag betrifft, den zu bestimmenden Schuldumfang unberührt11.

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Des Weiteren durfte das Landgericht schließlich das – sich aus den Feststellungen selbst erklärende – „kollusive Zusammenwirken“ des Angeklagten mit den schwarz bezahlten Arbeitnehmern zu Lasten der Solidargemeinschaft strafschärfend berücksichtigen. Geschütztes Rechtsgut der Absätze 1 und 2 des § 266a StGB ist in erster Linie das Interesse der Solidargemeinschaft an der Sicherstellung des Aufkommens der Mittel für die Sozialversicherungen12. Kollusives Zusammenwirken von Arbeitnehmern und Arbeitgebern zu Lasten der Solidargemeinschaft – und mittelbar zum Nachteil abgaben- und steuerehrlicher Unternehmer – ergibt ein Tatbild, das durch ein gesteigertes Ausmaß an krimineller Energie geprägt ist13.

Anders als bei der Strafzumessung, für deren revisionsrechtliche Nachprüfung es ausreicht, dass sich aus dem Urteil ein den Angeklagten nicht beschwerender (Mindest-)Schuldumfang ergibt, muss der Einziehungsbetrag exakt nachvollziehbar und rechtsfehlerfrei bestimmt sein14. Dies setzt voraus, dass sowohl die Berechnungsgrundlagen als auch der Rechenweg im Urteil in einer Weise dargelegt werden, die aus sich heraus verständlich ist und eine Nachprüfung ohne weiteres ermöglicht.

Bundesgerichtshof, Beschluss vom 13. Juni 2023 – 1 StR 126/23

  1. st. Rspr.; etwa BGH, Urteil vom 02.12.2008 – 1 StR 416/08, BGHSt 53, 71 Rn. 14[]
  2. vgl. BGH, Urteil vom 19.12.2018 – 1 StR 444/18 Rn. 21; Beschluss vom 05.07.2018 – 1 StR 111/18 Rn. 12, jew. mwN[]
  3. vgl. BGH, Urteil vom 11.08.2010 – 1 StR 199/10 Rn. 13; Beschluss vom 11.01.2022 – 2 StR 460/20 Rn. 7[]
  4. st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 25.10.2017 – 1 StR 339/16 Rn. 46; Beschluss vom 20.04.2016 – 1 StR 1/16 Rn. 6, jew. mwN[]
  5. vgl. BGH, Beschluss vom 16.09.2020 – 1 StR 140/20 Rn. 4; Grötsch in: Joecks/Jäger/Randt, SteuerstrafR, 9. Aufl., § 370 Rn. 105[]
  6. vgl. BGH, Beschlüsse vom 10.11.2009 – 1 StR 283/09 Rn. 15; und vom 16.09.2020 – 1 StR 140/20 Rn. 4; Jäger in: Klein, AO, 16. Aufl., § 370 Rn. 96 mwN[]
  7. vgl. BGH, Urteil vom 06.12.1994 – 5 StR 305/94, BGHSt 40, 374, 377; Beschluss vom 10.11.2009 – 1 StR 283/09 Rn. 13 mwN; Fischer, StGB, 70. Aufl., § 266a Rn. 9d[]
  8. LG Leipzig, Urteil vom 07.09.2022 – 11 KLs 217 Js 26963/19[]
  9. vgl. BGH, Beschlüsse vom 08.02.2011 – 1 StR 651/10, BGHSt 56, 153 Rn. 16 ff.; vom 08.08.2012 – 1 StR 296/12; und vom 24.09.2019 – 1 StR 346/18 Rn. 37[]
  10. vgl. dazu BGH, Beschlüsse vom 25.10.2017 – 1 StR 310/16 Rn. 16; und vom 20.04.2023 – 1 StR 101/23 Rn. 5, jew. mwN[]
  11. vgl. BGH, Beschluss vom 24.01.2023 – 1 StR 201/22[]
  12. vgl. BGH, Urteil vom 08.03.2023 – 1 StR 188/22 Rn. 23 mwN[]
  13. BGH, Beschluss vom 29.10.2009 – 1 StR 501/09 Rn.20 mwN[]
  14. vgl. auch BGH, Urteil vom 08.03.2023 – 1 StR 188/22 Rn. 28; Beschluss vom 13.06.2023 – 1 StR 53/23 Rn. 14[]
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