Das Elternrecht erfordert nicht, dass der Bestellung eines Ergänzungspflegers ausschließlich zum Zweck der Ausübung des einem Kind zustehenden strafprozessualen Zeugnisverweigerungsrechts die Feststellung von dessen Aussagebereitschaft vorausgehen muss.
Der Ausgangssachverhalt
In der hier vom Bundesverfassungsgericht entschiedenen Verfassungsbeschwerde wandten sich die sorgeberechtigten Eltern einer im Dezember 2014 geborenen Tochter gegen die Bestellung einer Ergänzungspflegerin zur Ausübung des Zeugnisverweigerungsrechts ihres Kindes aus § 52 Abs. 1 Nr. 3 StPO im Rahmen eines gegen sie geführten strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens. Gegen die Eltern führt die Staatsanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren wegen Misshandlung von Schutzbefohlenen (§ 225 StGB).
Die Entscheidungen der Familiengerichte
Auf Antrag der Staatsanwaltschaft bestellte das Amtsgericht eine Rechtsanwältin als Ergänzungspflegerin mit dem Wirkungskreis Ausübung des Zeugnisverweigerungsrechts in dem Ermittlungsverfahren1. Das Oberlandesgericht Celle wies die hiergegen eingelegte Beschwerde der Eltern zurück, mit der sie geltend gemacht hatten, dass das Familiengericht entgegen obergerichtlicher Rechtsprechung keine Feststellungen zur Aussagebereitschaft des Kindes getroffen habe2. Das Oberlandesgericht schloss sich dabei obergerichtlicher Rechtsprechung an, die eine der Ergänzungspflegerbestellung vorausgehende Feststellung der Aussagebereitschaft des Kindes für nicht erforderlich hält.
Eine dagegen gerichtete Anhörungsrüge der Eltern wies das Oberlandesgericht als unbegründet zurück und verwarf zugleich einen als „Gegenvorstellung“ bezeichneten Rechtsbehelf als unzulässig3. Die Eltern hatten mit der Anhörungsrüge geltend gemacht, das Oberlandesgericht habe ihren Vortrag in seiner Entscheidung gänzlich unberücksichtigt gelassen. Sie vertraten die Auffassung, dass zumindest ihre Anhörung sowie die Anhörung des Kindes im Hinblick auf dessen Aussagebereitschaft erforderlich gewesen sei.
Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts
Die Eltern rügten in ihrer sodann erhobenen Verfassungsbeschwerde unter anderem aus den Gründen ihrer Anhörungsrüge eine Verletzung von Art. 103 Abs. 1 GG. Sie sehen sich außerdem in ihrem Recht aus „Art. 6 Abs. 1 GG“ verletzt, weil das Oberlandesgericht ihre durch die genannte Gewährleistung geschützten Belange wegen Nichtberücksichtigung ihrer besonderen Stellung bei der Entscheidung über den Einsatz und die Auswahl des Ergänzungspflegers verkannt habe.
Das Bundesverfassungsgericht nahm die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung an, , weil die Voraussetzungen des § 93a Abs. 2 BVerfGG nicht erfüllt seien. Sie sei teils unzulässig, im Übrigen jedenfalls offensichtlich unbegründet:
Teilweise Unzulässigkeit der Verfassungsbeschwerde
Die gegen den Beschluss des Amtsgerichts gerichtete Verfassungsbeschwerde ist unzulässig, weil die Eltern durch diese Entscheidung wegen prozessualer Überholung nicht mehr beschwert sind. Das Oberlandesgericht hat vorliegend unter Berücksichtigung des Beschwerdevorbringens mit seinem Beschluss vom 12.07.2019 eine eigene umfassende Sachprüfung vorgenommen4. Damit ist die vorhergehende Entscheidung des Familiengerichts prozessual überholt5. Ein fortbestehendes Rechtsschutzbedürfnis6 bezüglich des amtsgerichtlichen Beschlusses haben die Eltern nicht dargelegt. Es ist auch nicht ersichtlich.
Soweit sich die Eltern gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts vom 09.09.2019 wenden, mit dem ihre Anhörungsrüge zurückgewiesen und ein als Gegenvorstellung ausgelegter Rechtsbehelf verworfen wurde, ist die Verfassungsbeschwerde ebenfalls unzulässig. Entgegen den gesetzlichen Anforderungen aus § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG zeigt die Begründung der Verfassungsbeschwerde nicht einmal ansatzweise die Möglichkeit einer Verletzung der Eltern in Grundrechten oder grundrechtsgleichen Rechten durch die Entscheidung auf.
Auch die gegen die Beschwerdeentscheidung des Oberlandesgerichts vom 12.07.2019 gerichtete Verfassungsbeschwerde ist teilweise offensichtlich unzulässig.
Soweit die Eltern einen Verstoß gegen Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art.20 Abs. 3 GG, Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG und Art. 6 EMRK geltend machen, fehlt es an jeglicher Substantiierung. Damit ist den aus § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG resultierenden Anforderungen an die Begründung einer Verfassungsbeschwerde nicht genügt.
Soweit die Eltern sich in ihrem Recht aus Art. 6 Abs. 1 GG verletzt sehen, ist ihre Verfassungsbeschwerde unter Berücksichtigung ihres Vorbringens in der Sache dahingehend zu verstehen, dass sie einen nicht gerechtfertigten Eingriff in ihr Elternrecht aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG geltend machen. Die Möglichkeit einer Verletzung von Art. 6 Abs. 1 GG zeigt die Verfassungsbeschwerde nicht einmal ansatzweise auf. Ohne die vorgenommene Auslegung des Beschwerdegegenstands wäre sie auch insoweit ? ungeachtet weiterer Zweifel an der Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde insgesamt ? offensichtlich unzulässig.
Im Übrigen ist die Verfassungsbeschwerde jedenfalls offensichtlich unbegründet:
Bestellung der Ergänzungspflegerin unabhängig von der Aussagebereitschaft des Kindes
Die Bestellung einer Ergänzungspflegerin für die Ausübung des Zeugnisverweigerungsrechts für die Tochter der Eltern ohne vorherige Ermittlung der Aussagebereitschaft des Kindes ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Die angegriffenen Entscheidungen verletzen weder den Anspruch der Eltern auf Gewährung rechtlichen Gehörs aus Art. 103 Abs. 1 GG noch deren Elternrecht nach Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG.
Keine Verletzung des rechtlichen Gehörs der Eltern
Die Eltern sind nicht in ihrem grundrechtsgleichen Recht aus Art. 103 Abs. 1 GG verletzt.
Der Anspruch auf rechtliches Gehör verpflichtet das Gericht, die Ausführungen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen7. Art. 103 Abs. 1 GG ist allerdings nur dann verletzt, wenn sich im Einzelfall klar ergibt, dass das Gericht dieser Pflicht nicht nachgekommen ist8. Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass die Gerichte das von ihnen entgegengenommene Vorbringen auch zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen haben9. Die Gerichte sind dabei nicht verpflichtet, sich mit jedem Vorbringen in der Begründung der Entscheidung ausdrücklich zu befassen10. Deshalb müssen, wenn das Bundesverfassungsgericht einen Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG feststellen soll, im Einzelfall besondere Umstände deutlich ergeben, dass tatsächliches Vorbringen eines Beteiligten entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder doch bei der Entscheidung nicht erwogen worden ist11. Art. 103 Abs. 1 GG gewährt grundsätzlich keinen Schutz dagegen, dass das Gericht das Vorbringen der Beteiligten aus Gründen des formellen oder materiellen Rechts ganz oder teilweise unberücksichtigt lässt12.
Nach diesen Maßstäben liegt eine Verletzung des Rechts auf rechtliches Gehör nicht deswegen vor, weil das Oberlandesgericht den als übergangen gerügten Vortrag zur Aussagebereitschaft des Kindes für unerheblich hielt. Es hat sich in seiner Begründung ? in verfassungsrechtlich nicht zu beanstandender Weise ? der Auffassung angeschlossen, nach der die Aussagebereitschaft des Kindes keine notwendige Voraussetzung für die Bestellung eines Ergänzungspflegers (§ 1909 Abs. 1 Satz 1 BGB) in der hier vorliegenden Fallgestaltung ist. Dabei hat es die entgegengesetzte Auffassung der Eltern ausdrücklich in den Entscheidungsgründen ausgewiesen, ist dieser aber nicht gefolgt.
Das Oberlandesgericht hat gegen Art. 103 Abs. 1 GG auch nicht dadurch verstoßen, dass es ? gestützt auf § 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG ? die Eltern im Beschwerdeverfahren nicht persönlich angehört hat, obwohl bereits das Familiengericht möglicherweise entgegen § 160 Abs. 1 Satz 1 FamFG13 keine persönliche Anhörung der Eltern durchgeführt hatte. Selbst wenn die Verfahrensweise des Oberlandesgerichts fachrechtlich fehlerhaft gewesen sein sollte, ginge das nicht mit einer Verletzung von Verfassungsrecht einher. Die Verletzung verfahrensrechtlicher Vorschriften verstößt nicht schon als solche gegen Art. 103 Abs. 1 GG, es sei denn, das Gericht hat bei der Auslegung und Anwendung der Vorschriften die Bedeutung und Tragweite des Anspruchs auf rechtliches Gehör verkannt14.
Anhaltspunkte für ein solches Verkennen liegen hier nicht vor. Das Oberlandesgericht ist in verfassungsrechtlich hinzunehmender Weise von einer Heilung des dem Amtsgericht erstinstanzlich unterlaufenen Verfahrensfehlers in der Beschwerdeinstanz ausgegangen, weil die Eltern sich mit der Beschwerdeeinlegung schriftlich haben äußern können. Die daran anknüpfende Anwendung von § 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG verkennt unter den vorliegenden Umständen die Bedeutung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) nicht. Bereits das Vorbringen der Eltern im Ausgangsverfahren beschränkte sich im Kern darauf, eine der Ergänzungspflegerbestellung vorausgehende Feststellung der Aussagebereitschaft des Kindes zu fordern, und damit auf das Äußern einer Rechtsauffassung. Mit dieser hat sich das Oberlandesgericht näher befasst, hat sie aber aus rechtlichen Gründen nicht für durchgreifend erachtet. Außerhalb dessen liegendes entscheidungserhebliches Vorbringen der Eltern, das Gegenstand der persönlichen Anhörung vor dem Familiensenat hätte sein können, ist nicht ersichtlich.
Keine Verletzung des Elternrechts
Abs. 2 Satz 1 GG ist ebenfalls nicht verletzt. Das Elternrecht erfordert nicht, § 1909 Abs. 1 Satz 1 BGB in Verbindung mit § 52 Abs. 2 Satz 2 StPO fachrechtlich dergestalt anzuwenden, dass der Bestellung eines Ergänzungspflegers ausschließlich zum Zweck der Ausübung des einem Kind zustehenden strafprozessualen Zeugnisverweigerungsrechts die Feststellung von dessen Aussagebereitschaft vorausgehen muss.
Abs. 2 Satz 1 GG garantiert den Eltern das Recht auf Pflege und Erziehung ihrer Kinder. Der Schutz des Elternrechts erstreckt sich auf die wesentlichen Elemente des Sorgerechts, ohne die die Elternverantwortung nicht ausgeübt werden kann15.
Bei staatlichen Eingriffen in das Elternrecht durch gerichtliche Entscheidungen ist Grundrechtsschutz auch durch die Gestaltung des Verfahrens sicherzustellen16; das gerichtliche Verfahren muss in seiner Ausgestaltung geeignet und angemessen sein, um der Durchsetzung der materiellen Grundrechtspositionen wirkungsvoll zu dienen17. Diesen Anforderungen werden die Gerichte nur gerecht, wenn sie sich mit den Besonderheiten des Einzelfalles auseinandersetzen, die Interessen der Eltern sowie deren Einstellung und Persönlichkeit würdigen und auf die Belange des Kindes eingehen18. Grundsätzlich ist die Gestaltung des Verfahrens, die Feststellung und die Würdigung des Tatbestands sowie die Auslegung und Anwendung verfassungsrechtlich unbedenklicher Regelungen im einzelnen Fall Angelegenheit der zuständigen Fachgerichte und der Nachprüfung durch das Bundesverfassungsgericht entzogen. Ihm obliegt lediglich die Kontrolle, ob die angegriffene Entscheidung Auslegungsfehler erkennen lässt, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Auffassung von der Bedeutung eines Grundrechts oder vom Umfang seines Schutzbereichs beruhen. Bei der Wahrnehmung dieser Aufgaben lassen sich die Grenzen der Eingriffsmöglichkeiten des Bundesverfassungsgerichts aber nicht starr und gleichbleibend ziehen. Sie hängt namentlich von der Intensität der Grundrechtsbeeinträchtigung ab19.
Nach diesen Maßgaben verletzt der angegriffene Beschluss des Oberlandesgerichts die Eltern nicht in ihrem Recht aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG. Die erfolgte Auslegung und Anwendung des Fachrechts beruht nicht auf einem grundsätzlich unrichtigen Verständnis des Elternrechts und seines Schutzbereichs.
Teilweise wird in der fachgerichtlichen Rechtsprechung die Auffassung vertreten, die Bestellung eines Ergänzungspflegers zur Entscheidung über die Ausübung des Zeugnisverweigerungsrechts des minderjährigen Kindes in einem gegen dessen gesetzlichen Vertreter gerichteten Ermittlungsverfahren setze die Aussagebereitschaft des Kindes voraus20. Abweichend davon hält etwa das Hanseatische Oberlandesgericht Hamburg die vorherige Ermittlung der Aussagebereitschaft nicht für eine Voraussetzung der Ergänzungspflegschaft21.
Abs. 2 GG fordert nicht, die Bestellung eines Ergänzungspflegers nach § 1909 Abs. 1 Satz 1 BGB zur ausschließlichen Ausübung des Weigerungsrechts eines minderjährigen Zeugen aus § 52 Abs. 1 Nr. 3 StPO von der vorherigen Feststellung der Aussagebereitschaft des Zeugen im Strafverfahren abhängig zu machen.
Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gebietet eine solche der Bestellung vorausgehende Feststellung nicht. Zwar greift die Bestellung eines Ergänzungspflegers in das Elterngrundrecht gemäß Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG ein22. Denn die Anordnung der Ergänzungspflegschaft bewirkt die Übertragung der Ausübungsbefugnis über das strafprozessuale Zeugnisverweigerungsrechts auf eine andere Person als diejenige des sonst Sorgeberechtigten. Angesichts der auch durch die Vielzahl strafverfahrensrechtlicher beziehungsweise gerichtsverfassungsrechtlicher Regelungen zum Schutz kindlicher ? häufig ? (Opfer)Zeugen23 implizit anerkannten erheblichen Belastungen für Kinder, die mit der Zeugenaussage im Strafverfahren verbunden sind, ist die Ausübung des Weigerungsrechts ein wesentlicher Teil des Sorgerechts.
Die Ergänzungspflegerbestellung selbst greift als notwendige Konsequenz des bereits kraft Gesetzes nach § 52 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 1 StPO bewirkten Ausschlusses der selbst beschuldigten Eltern von der Entscheidung über die Ausübung des Zeugnisverweigerungsrechts allerdings nur gering in das Elternrecht ein. Sie beendet lediglich den durch gesetzliche Anordnung eingetretenen vertretungslosen Zustand hinsichtlich der Ausübung des Zeugnisverweigerungsrechts. Aus dem Kindeswohl, das die oberste Richtschnur der elterlichen Erziehung und Pflege ist24, lässt sich ein Erfordernis der Prüfung der vorherigen Aussagebereitschaft des Kindes als Mittel zur Begrenzung des Eingriffs in das Elternrecht nicht ableiten. Das Kindeswohl legt eher nahe, eine behördliche Inanspruchnahme des Kindes vor dem Hintergrund des belastenden strafrechtlichen Verfahrens so gering wie möglich zu halten25. Eine Auslegung des Fachrechts dahingehend, dass es Aufgabe erst des an die Stelle der Eltern tretenden Ergänzungspflegers ist, im Rahmen einer Interessenabwägung die Aussagebereitschaft des Kindes zu erörtern25, begegnet deshalb keinen verfassungsrechtlichen Bedenken.
Verfassungsrechtlich ist die vom Oberlandesgericht vorgenommene Rechtsanwendung auch nicht deshalb zu beanstanden, weil damit eine unverhältnismäßige Ergänzungspflegerbestellung „auf Vorrat“ erfolgen würde26. Die Erwägung wird bereits den strafverfahrensrechtlichen Rahmenbedingungen des Zeugnisverweigerungsrechts aus § 52 StPO, insbesondere den Möglichkeiten des weigerungsberechtigten Zeugen, das Recht in verschiedenen Stadien des Verfahrens unterschiedlich auszuüben (siehe § 52 Abs. 3 Satz 2 StPO), sowie der für ihn bestehenden Option, die strafprozessuale Verwertung früherer Aussagen selbst dann zu gestatten, wenn er später von seinem Recht aus § 52 StPO Gebrauch macht27, nicht gerecht. Gerade weil sich die Aussagebereitschaft auch kindlicher Zeugen im Verlauf des dynamischen Strafprozesses verändern kann25, ist eine Ergänzungspflegerbestellung ohne vorherige Feststellung der aktuellen Aussagebereitschaft nicht ungeeignet, um die den Eltern durch gesetzliche Anordnung entzogene Ausübung des Zeugnisverweigerungsrechts im Interesse des Kinds zu ermöglichen, wenn und soweit sich bei diesem Aussagebereitschaft einstellt. Wegen des geringen Gewichts des Eingriffs in das Elternrecht erweist sich die Rechtsanwendung des Oberlandesgerichts auch als verhältnismäßig im engeren Sinne. Bei sich einstellender Aussagebereitschaft während des Strafverfahrens wird es regelmäßig dem Kindeswohl entsprechen, eine unmittelbare Handlungsfähigkeit des Ergänzungspflegers zu gewährleisten. Ist das zeugnisverweigerungsberechtigte Kind aussagebereit, sind sein Interesse an einer zeitnahen Aussagesicherung und das verfassungsgerichtlich fundierte staatliche Interesse an der Effektivität der Strafverfolgung28 sowie an der Aufklärung der materiellen Wahrheit29 ohnehin regelmäßig kongruent.
Verfahrensgestaltung
Die Gestaltung des Verfahrens durch das Oberlandesgericht lässt im hier entschiedenen Fall ebenfalls keine auf einer Verkennung der Bedeutung von Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG beruhenden Verstöße erkennen. Auf der Grundlage der von dem Oberlandesgericht vertretenen Rechtsauffassung zu den Bestellungsvoraussetzungen bedurfte es keiner vorherigen Feststellung der Aussagebereitschaft des Kindes. Auch das Unterbleiben einer persönlichen Anhörung der Eltern in beiden Instanzen des Ausgangsverfahrens begründet nach dem genannten Maßstab keinen aus der Verfahrensgestaltung resultierenden Verfassungsverstoß. Der Zweck der persönlichen Anhörung nach § 160 Abs. 1 Satz 1 FamFG, für die Entscheidung in der Kindschaftssache bedeutsame psychologische Umstände zu ermitteln und sich einen persönlichen Eindruck von den Eltern zu verschaffen, greift bei der allein auf die Ausübung des Zeugnisverweigerungsrechts begrenzten Anordnung einer Ergänzungspflegschaft regelmäßig nicht30, zumindest nicht in einer mit den sonstigen von der Vorschrift erfassten Kindschaftssachen vergleichbaren Weise.
Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 31. März 2020 – 1 BvR 2392/19
- AG Osterholz-Scharmbeck, Beschluss vom 22.05.2019 – 19 F 264/19[↩]
- OLG Celle, Beschluss vom 12.07.2019 – 19 UF 127/19[↩]
- OLG Celle, Beschluss vom 09.09.2019 – 19 UF 127/19[↩]
- vgl. BGH, Beschluss vom 05.01.2011 – XII ZB 240/10 8; Sternal, in Keidel, FamFG, 20. Aufl.2020, § 68 Rn. 42[↩]
- vgl. BVerfGK 10, 134, 138[↩]
- vgl. dazu BVerfGE 81, 138, 140 f.[↩]
- vgl. BVerfGE 42, 364, 367 f.; 47, 182, 187[↩]
- vgl. BVerfGE 25, 137, 140 f.; 47, 182, 187[↩]
- vgl. BVerfGE 40, 101, 104; 47, 182, 187[↩]
- vgl. BVerfGE 13, 132, 149; 42, 364, 368; 47, 182, 187[↩]
- vgl. BVerfGE 27, 248, 252; 47, 182, 187 f.[↩]
- vgl. BVerfGE 69, 141, 143 f.; 96, 205, 216; 105, 279, 311; stRspr[↩]
- vgl. aber Splitt, FamRZ 2019, S. 507, 510[↩]
- vgl. BVerfGE 74, 228, 233; 89, 381, 391 f.[↩]
- vgl. BVerfGE 84, 168, 180; 107, 150, 173[↩]
- vgl. BVerfGE 55, 171, 182[↩]
- vgl. BVerfGE 84, 34, 49[↩]
- vgl. BVerfGE 31, 194, 210[↩]
- BVerfGE 72, 122, 138; BVerfGK 15, 509, 516; stRspr[↩]
- Hanseatisches OLG Bremen, Beschluss vom 22.09.2010 – 4 UF 91/10 5; Saarländisches OLG, Beschluss vom 22.03.2011 – 6 UF 34/11 9; Schleswig-Holsteinisches OLG, Beschluss vom 20.11.2012 – 10 WF 187/12 18; Thüringer OLG, Beschluss vom 20.06.2013 – 1 UF 287/13 22; OLG Koblenz, Beschluss vom 22.04.2014 – 13 WF 293/14 13[↩]
- BVerfG, Beschluss vom 26.03.2013 – 13 UF 81/12 18[↩]
- vgl. Splitt, FamRZ 2019, S. 507, 508; a.A. Hanseatisches OLG Hamburg, Beschluss vom 26.03.2013 – 13 UF 81/12 18[↩]
- etwa § 58a Abs. 1 Nr. 1, § 255a Abs. 2 StPO, § 171b Abs. 2 und 3 GVG[↩]
- vgl. BVerfGE 60, 70, 88[↩]
- vgl. Hanseatisches OLG Hamburg, Beschluss vom 26.03.2013 – 13 UF 81/12 18[↩][↩][↩]
- so aber Splitt, FamRZ 2019, S. 507, 508[↩]
- dazu ausführlich Cirener/Sander, in Löwe/Rosenberg, StPO, 27. Aufl.2019, § 252 Rn. 22-25 m.w.N.[↩]
- vgl. BVerfGE 113, 29, 54[↩]
- vgl. BVerfGE 133, 168, 199 Rn. 56 m.w.N.[↩]
- vgl. Splitt, FamRZ 2019, S. 507, 510 m.w.N.[↩]