Nach § 56f Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StGB widerruft das Gericht die Strafaussetzung, wenn die verurteilte Person in der Bewährungszeit eine Straftat begeht und dadurch zeigt, dass die Erwartung, die der Strafaussetzung zugrunde gelegen hat, sich nicht erfüllt hat.

Diese Voraussetzungen sind im hier entschiedenen Fall gegeben. Der Verurteilte hat vor Ablauf der Bewährungszeit eine (weitere) Straftat von erheblichem Gewicht begangen und dadurch gezeigt, dass die Erwartung künftiger Straffreiheit, die der Vollstreckungsaussetzung zugrunde gelegen hatte, im Nachhinein betrachtet unberechtigt war. Es reichte nicht aus, dem Verurteilten weitere Auflagen oder Weisungen zu erteilen oder die Bewährungszeit zu verlängern (§ 56f Abs. 2 Satz 1 StGB). Dem Verurteilten konnte auch unter Berücksichtigung der voraussichtlichen Wirkungen der Erteilung weiterer Auflagen oder Weisungen oder der Verlängerung der Bewährungszeit gegenwärtig keine positive Legalprognose gestellt werden:
Für die Beurteilung der entsprechenden Frage gilt derselbe Maßstab wie bei § 56 StGB1. Im Rahmen der Entscheidung über den Widerruf der Strafaussetzung ist das entscheidende Gericht zwar nicht an die Prognose des die neue Straftat aburteilenden Tatrichters gebunden2. Im Regelfall kommt der Prognose des neuen Tatrichters indes gleichwohl eine erhebliche Bedeutung zu; es erscheint regelmäßig geboten, die Einschätzung des Tatrichters, der über die besseren Erkenntnismöglichkeiten hinsichtlich des voraussichtlichen weiteren Lebenswegs des Straftäters verfügt und der von dem Verurteilten in der Hauptverhandlung einen persönlichen Eindruck gewonnen hat, als Indiz heranzuziehen und von dessen Prognose nur ausnahmsweise abzuweichen3.
Ein Abweichen von der Prognose in der Nachverurteilung kann dabei insbesondere in Betracht kommen, wenn bis zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Widerruf durch die weitere Entwicklung und Lebensführung des Verurteilten neue prognoserelevante Aspekte bekannt geworden sind oder die Prognose des die neue Tat aburteilenden Richters auf einer nicht nachvollziehbaren, nicht überzeugenden oder bloß formelhaften Auseinandersetzung mit den Gründen beruht, die zur erneuten Strafaussetzung zur Bewährung geführt haben4.
Vorliegend sind keine durchgreifenden Anhaltspunkte dafür festzustellen, dass die – in dem neuen Urteil eingehend begründete – Prognose mittlerweile keine Geltung mehr haben könnte. Zwar befindet sich der Verurteilte inzwischen – erstmals – in Haft. Die bislang erst kurze Dauer der Freiheitsentziehung – es ist nicht einmal die Hälfte der verhängten Freiheitsstrafe und damit auch weniger als die in § 57 Abs. 2 StGB in den dort geregelten Fällen genannte Mindestverbüßungsdauer vollstreckt – spricht indes maßgeblich dagegen, von einer Änderung der Sozialprognose auszugehen.
Oberlandesgericht Braunschweig, Beschluss vom 3. September 2021 – 1 Ws 199/21
- Kinzig, in: Schönke/Schröder, Strafgesetzbuch, 30. Auflage 2019, § 56f StGB Rn. 17[↩]
- OLG Karlsruhe, Beschluss vom 23.07.2019 – 2 Ws 211/19; OLG München, Beschluss vom 21.03.2012 – 3 Ws 239/12[↩]
- vgl. OLG Karlsruhe, a. a. O.; OLG Hamburg, Beschluss vom 22.04.2013 – 2 Ws 33/13; OLG Hamm, Beschluss vom 20.11.2003 – 2 Ws 287/03[↩]
- OLG Karlsruhe; a. a. O.; OLG Hamm, Beschluss vom 06.02.2014 – 1 Ws 36/14[↩]