Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kommt es für die Abgrenzung des unbeendeten vom beendeten Versuch darauf an, ob der Täter nach der letzten Ausführungshandlung den Eintritt des tatbestandsmäßigen Erfolges für möglich hält.

- Wenn der Täter nach der letzten Ausführungshandlung in zutreffender Einschätzung der durch die Tathandlung verursachten Gefährdung des Opfers den Erfolgseintritt für möglich hält, ist der Versuch beendet. Entsprechendes gilt, wenn der Täter den Erfolgseintritt in Verkennung der Ungeeignetheit der Handlung für möglich hält. Ein strafbefreiender Rücktritt setzt in solchen Fällen voraus, dass der Täter den Erfolgseintritt verhindert oder sich jedenfalls ernsthaft darum bemüht, wenn der Erfolg ohne sein Zutun ausbleibt.
- Rechnet der Täter nach der letzten Ausführungshandlung noch nicht mit dem Eintritt des tatbestandsmäßigen Erfolges, und sei es auch nur in Verkennung der verursachten Gefährdung des Opfers, ist der Versuch unbeendet, sofern die Vollendung aus der Sicht des Täters noch möglich ist. In Fällen unbeendeten Versuchs genügt ein bloßes Aufgeben weiterer Tatausführung und Nichtweiterhandeln, um die strafbefreiende Wirkung des Rücktritts zu erlangen.
- Abzugrenzen von den Fällen des unbeendeten und beendeten Versuchs sind die Fälle des fehlgeschlagenen Versuchs, in denen entweder der Erfolgseintritt, wie der Täter erkennt, nicht mehr möglich ist, oder der Täter ihn nicht mehr für möglich hält. Dann ist ein Rücktritt ausgeschlossen1.
Der Rücktrittshorizont kann in engen Grenzen auch noch nachträglich korrigiert werden. Erkennt der Täter, der nach der letzten Ausführungshandlung den Erfolgseintritt zunächst für möglich hält, unmittelbar darauf, dass er sich geirrt hat, kann er durch Abstandnahme von weiteren möglichen Ausführungshandlungen mit strafbefreiender Wirkung vom Versuch zurücktreten. Rechnet der Täter zunächst nicht mit einem tödlichen Ausgang, ist auch eine umgekehrte Korrektur des Rücktrittshorizontes möglich, wenn er unmittelbar darauf erkennt, dass er sich insoweit geirrt hat. In diesem Fall liegt ein beendeter Versuch vor2.
Mit diesen Möglichkeiten hatte sich das Landgericht im hier entschiedenen Fall nach Ansicht des Bundesgerichtshofs nicht erschöpfend auseinandergesetzt, obwohl die Feststellungen dazu Anlass boten:
Das Landgericht ist von einem fehlgeschlagenen Versuch ausgegangen, weil die Selbstladepistole leergeschossen war, es entgegen seiner Einlassung in einer Verteidigererklärung keine Schüsse des Angeklagten damit in die Luft gegeben habe und die ebenfalls mitgeführte Luftpistole kein taugliches Tatwerkzeug gewesen sei.
Die Ausführungen hierzu sind lückenhaft.
Zeugenangaben zur Schussabgabe sind vom Landgericht nicht abschließend bewertet worden. Der Zeuge C. hat nach seiner Darstellung zuerst zwei Schüsse gehört, ist daraufhin zum Fenster gegangen und hat dann drei weitere Schüsse in gleicher Lautstärke gehört. Ähnlich haben der Zeuge T. und die Zeugin Sc. ausgesagt, es seien zuerst zwei, kurz darauf noch zwei oder drei laute Schüsse gefallen. Nur der Zeuge E. hat erklärt, es habe „plötzlich dreimal sehr laut geknallt“. Das Landgericht meint hiernach: „Die Einlassung des Angeklagten, dass er zunächst zwei oder drei Mal mit der scharfen Waffe auf den Nebenkläger und später – als der Nebenkläger floh – damit ein oder zwei Mal in die Luft geschossen habe, ist damit widerlegt.“ Diese Bemerkung greift zu kurz, weil zumindest ein Teil der Zeugen von zwei akustisch wahrgenommenen Schussserien gesprochen hat und die nicht ebenso hörbaren, aber optisch wahrnehmbaren Schüsse mit der Luftpistole, auch gegenüber dem fliehenden Nebenkläger, davon zu unterscheiden wären. Eine differenzierende Bewertung der Zeugenaussagen hierzu hat das Landgericht nicht vorgenommen.
Warum der Angeklagte die weiteren Schüsse mit der Luftpistole, die den fliehenden Nebenkläger im Nacken und am Kopf getroffen haben, abgegeben hat, wird im Urteil nicht im Zusammenhang mit der Frage seines Rücktrittshorizonts erörtert.
Lag kein rechtsfehlerfrei festgestellter Fehlschlag des Tötungsversuchs vor, bleibt der Rücktrittshorizont des Angeklagten von Bedeutung. Die Ausführungen des Landgerichts dazu sind lückenhaft.
Nach den Urteilsfeststellungen hat der Angeklagte sich zuerst entfernt, um danach dem Nebenkläger nachzulaufen und ihm zuzurufen, er solle stehen bleiben, weil er, der Angeklagte, „noch nicht mit ihm fertig sei“. Das kann für einen „korrigierten Rücktrittshorizont“ sprechen. Darauf ist das Landgericht nicht eingegangen.
Zudem steht die Äußerung des Angeklagten, er sei noch nicht mit dem Nebenkläger „fertig“, inhaltlich in einem Widerspruch zu der Feststellung des Landgerichts, der Angeklagte sei bereits davon ausgegangen, dass er den Nebenkläger tödlich verletzt habe. Dieser Widerspruch wird im Urteil nicht aufgelöst.
Die Behauptung des Angeklagten im Rahmen der für ihn abgegebenen Verteidigererklärung, er habe sich angesichts des Weglaufens des Nebenklägers nicht vorstellen können, dass dieser schon tödlich getroffen gewesen sei, ist, unbeschadet des reduzierten Beweiswerts einer Verteidigererklärung3, jedenfalls plausibel. Warum sie nicht zutreffend sein soll, ist anhand der Urteilsgründe ebenfalls nicht nachzuvollziehen.
Bundesgerichtshof, Beschluss vom 17. Dezember 2019 – 2 StR 340/19