Ein rechtsfehlerhaft ergangenes Prozessurteil des Amtsgerichts berechtigt das Berufungsgericht nicht zur Zurückverweisung an das Amtsgericht, wenn dieses zur Sache verhandelt hat. In diesem Fall bleibt es bei der Regel des § 328 Abs. 1 StPO, dass das Berufungsgericht in der Sache selbst zu erkennen hat.

Nach § 328 Abs. 1 StPO hat das Berufungsgericht grundsätzlich in der Sache zu entscheiden. Die nach § 328 Abs. 2 StPO a. F. bestehende Befugnis des Berufungsgerichts, vor allem bei schweren Verfahrensfehlern ein Verfahren an das Gericht des ersten Rechtszugs zurückzuverweisen, wurde durch das Strafverfahrensänderungsgesetzes 1987 im Interesse der Verfahrensbeschleunigung beseitigt. Der Gesetzgeber war der Auffassung, dass Verfahrensfehler im amtsgerichtlichen Verfahren bei einer die Hauptverhandlung wiederholenden und ihre Entscheidung allein auf deren Grundlage treffenden Berufungsentscheidung für das Ergebnis des Berufungsverfahrens bedeutungslos sind und daher im Berufungsverfahren in jedem Falle in der Sache selbst entschieden werden könne1.
Über die – hier nicht einschlägige – Verweisungsverpflichtung des § 328 Abs. 2 StPO n. F. hinaus sind in der Rechtsprechung allerdings weiterhin Fallgestaltungen anerkannt, in denen eine Aufhebung des Urteils und eine Zurückverweisung an das Amtsgericht zu erfolgen hat, so beispielsweise bei einer nicht berechtigten Verfahrenseinstellung wegen eines Verfahrenshindernisses2 oder bei zu Unrecht erfolgter Verwerfung eines Einspruchs nach § 412 StPO unter fälschlicher Annahme eines unberechtigten Ausbleibens des Angeklagten3, wobei als Voraussetzung für eine Zurückverweisung angesehen wird, dass eine Verhandlung über den Anklagevorwurf und eine Entscheidung zur Sache in erster Instanz noch nicht stattfanden. Die Anerkennung einer Zurückverweisungsverpflichtung beruht im wesentlichen auf der Erwägung, dass dem Angeklagten in allen amtsgerichtlichen Verfahren zwei Tatsacheninstanzen eröffnet sein müssen und die kleine Strafkammer – wenn sie die Sache nicht zurückverwiese, obwohl das Amtsgericht nicht zur Sache verhandelt hat – entgegen der gesetzlichen Bestimmung des § 76 Abs. 1 S. 1 GVG, die ihr nur Berufungsverhandlungen zuweist, im Ergebnis eine erstinstanzliche Verhandlung durchführen müsste4.
Diese Überlegungen greifen hier jedoch nicht. Im vorliegenden Fall hat das Amtsgericht eine vollständige Hauptverhandlung zur Sache, insbesondere eine Beweisaufnahme über den Anklagevorwurf durchgeführt. In dieser Situation ist die kleine Strafkammer nicht gehindert, ihrer gesetzlichen Aufgabenzuweisung entsprechend als zweite Tatsacheninstanz zu agieren. Der Rechtsfehler liegt hier nur darin, dass das Amtsgericht, anstatt den aus seiner Sicht konsequenten Freispruch auszusprechen, das erstinstanzliche Verfahren durch Einstellungsurteil nach § 260 Abs. 3 StPO beendet hat, obwohl die Vorschrift des § 97 Abs. 1 S. 3 InsO lediglich ein – wenn auch mit Fernwirkung ausgestattetes – Beweisverwertungsverbot5 enthält, das weder im Sinne eines Befassungs- noch eines Bestrafungsverbots6 ein Verfahrenshindernis begründen kann. Da dieser Rechtsfehler sich auf die nach erneuter Tatsachenverhandlung zu treffende eigene Sachentscheidung des Berufungsgerichts nicht auswirken kann, die Verfahrenslage vielmehr derjenigen entspricht, die der Gesetzgeber bei der Beseitigung der Zurückverweisungsmöglichkeit des § 328 Abs. 2 StPO a. F. im Blick hatte, besteht kein Anlass für eine Zurückverweisung an das Amtsgericht.
Oberlandesgericht Karlsruhe – Beschluss vom 28. Oktober 2013 – 2 (6) Ss 417/13; 2 (6) Ss 417/13 – AK 109/13
- BT-DRs 10/1313 S. 31[↩]
- OLG Stuttgart NStZ 1995, 301; OLG Koblenz NStZ 1990, 296; OLG Hamm NStZ 2010, 295[↩]
- BGH NJW 1989, 1869; Senat a.a.O.[↩]
- vgl. BGH a.a.O.; OLG Koblenz a.a.O.; OLG Stuttgart NStZ a.a.O.; OLG Hamm a.a.O.[↩]
- MK-Stephan, Insolvenzordnung, 3.Aufl., § 97 Rn. 17[↩]
- vgl. hierzu nur Meyer-Goßner, StPO, 56. Aufl., Einl. 143f. m.w.N.[↩]