Im Falle einer Auslieferung gilt der Schutz vor Doppelbestrafung nicht nur für eigene Staatsangehörige, sondern der Grundsatz ist auch auf andere Unionsbürger zu erstrecken.

Mit dieser Begründung hat das Oberlandesgericht Frankfurt am Main die Auslieferung einer italienischen Staatsangehörigen durch deutsche Behörden in die USA für unzulässig erklärt, wenn die Republik Italien für ihre Staatsangehörige das im Strafrecht geltende Doppelbestrafungsverbot geltend gemacht hat. Das Doppelbestrafungsverbot ist auch anzuwenden, wenn der betroffene EU-Bürger durch einen anderen als den zur Auslieferung ersuchten Mitgliedstaat bereits verurteilt worden ist. Mit dieser Entscheidung hat das Oberlandesgericht Frankfurt a.M. erstmals das Doppelbestrafungsverbot auch auf andere Unionsbürger erstreckt und damit die vom Europäischen Gerichtshof für Verfolgungsfälle1 entschiedene Konstellation auch auf Vollstreckungsfälle übertragen. Damit wird das sog. Nationenprivileg, nicht in Drittländer außerhalb der EU ausgeliefert zu werden, auch auf andere EU-Bürger übertragen.
Am Flughafen Frankfurt am Main ist eine italienische Verfolgte festgenommen worden. Die USA ersuchten die Auslieferung wegen des Vorwurfs des bandenmäßigen Kunstfälschungsbetrugs unter anderem zulasten von Bürgern in den USA. Zuvor war die Verfolgte in Italien wegen des gleichen Vorwurfs bereits zu einer Freiheitsstrafe verurteilt worden.
In seiner Entscheidung hat das Oberlandesgericht Frankfurt am Main ausgeführt, dass der Auslieferung das Auslieferungshindernis des Verbots der Doppelbestrafung entgegenstünde. Nach dem Doppelbestrafungsverbot dürfe eine Auslieferung nicht bewilligt werden, wenn der Verfolgte wegen der Straftat, derentwegen um Auslieferung ersucht werde, von den zuständigen Behörden des ersuchten Staates bereits rechtskräftig freigesprochen oder verurteilt worden sei. Dieser Schutz vor Doppelbestrafung gelte zwar grundsätzlich nur für eigene Staatsangehörige, d.h. die Staatsbürger des ersuchten Staats (hier: Deutsche).
Richtigerweise sei der Grundsatz aber auch auf andere Unionsbürger zu erstrecken. Nur so sei gewährleistet, dass ein EU-Bürger in jedem anderen EU-Staat einen seinem Heimatstaat vergleichbaren Schutz vor Auslieferungsersuchen habe und sich folglich frei innerhalb der EU bewegen könne. Es würde zu einer unzulässigen Ungleichbehandlung führen, wenn ein Unionsbürger nicht ausgeliefert werden dürfte, sofern er in seinem Heimatstaat festgenommen würde, er aber doch ausgeliefert werden dürfte, wenn die Festnahme in einem anderen EU-Mitgliedstaat erfolgte. Wäre die Verfolgte als italienische Staatsangehörige in Italien festgenommen worden, wäre sie nicht an die USA ausgeliefert worden; dies müsse auch gelten, wenn sie in Deutschland festgenommen werde.
Aus diesen Gründen ist die Auslieferung der Verfolgten für unzulässig erklärt worden.
Oberlandesgericht Frankfurt am Main, Beschluss vom 19. Mai 2020 – 2 AuslA 3/20
- Urteil vom 06.09.2016 – C‑182/15, Petruhhi; Urteil vom 10.04.2018 – C‑191/16, Piscotti[↩]
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- Festnahme: 4711018 | CC0 1.0 Universal
- Analyse: Chorkniti Khongchum | CC0 1.0 Universal